Kapitel 11 [Daisy]
Die Dunkelheit, die mich umgab, kam mir zunächst surreal vor. Seit Tagen war ich umgeben von weißem Schnee, in dem sich die grelle Sonne spiegelte und nun war es plötzlich dunkel. Einfach so, ohne jegliche Vorwarnung. Ich versuchte, mich zu bewegen, versuchte, mich an irgendetwas zu erinnern, doch meine Hände waren verbunden und alles an das ich mich erinnern konnte, war Eves geschocktes Gesicht im Büro und die tiefe Verzweiflung, die mich gepackt hatte, als ich den Zettel mit meinem Namen durchgelesen hatte. Woher wissen die das? Wieso taucht das Jahr 2017 in meinen Akten auf, verdammt?
Wütend zerrte ich an den Fesseln, die meine Handgelenke hinter dem Rücken verbanden, doch sie lockerten sich kein bisschen. Ich biss meine Zähne aufeinander und versuchte ruhig zu bleiben, doch ein Zittern durchschüttelte meinen Körper. Meine Schultern schmerzten und ich spürte, wie heiße Tränen an meinen Wangen hinabliefen, doch ich konnte sie nicht wegwischen. „Hallo!", schrie ich, so laut ich konnte. Meine Worte hallten laut von den Wänden wider. Bin ich im Keller?
„Hast du Angst, Daisy?", erklang eine Stimme so dicht bei mir, dass mir ein panischer Schrei entschlüpfte. Mein Puls schoss in die Höhe und ich hörte meinen Atem so laut in meinem Kopf, dass ich mir die Ohren zuhalten wollte. Mein Kopf zuckte hin und her, denn es machte mich wahnsinnig, nicht zu wissen, wo und wer gerade vor mir stand. „Psst, keine Angst, Daisy", fuhr die Stimme fort, sie war seltsam sanft und fürsorglich, als würde sie mit einem kleinen Kind sprechen. Es fiel mir jedoch schwer, festzustellen, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. „Wer ist da?", fragte ich ängstlich und in meinen Gedanken tauchte ein Moment auf, den ich seit drei Jahren zu vergessen versuchte. Musik halte in meinem Kopf. Scheinwerfer leuchteten in meinen Gedanken. Alle Augen waren auf mich gerichtet. Ein Blitzen. Kaum merklich, aus einer der hintersten Reihen. Doch ich war wie erstarrt, spürte ein Zucken in mir, hörte einen dumpfen Schrei in der Menge. Mein Kopf landete hart, woraufhin meine Sicht verschwamm. Er war es gewesen. Zweifellos. Er. Er hatte alles kaputt gemacht. „Daisy? Wovor fürchtest du dich?", flüsterten die Stimmen in meinem Kopf und ich schrie, schrie so laut wie ich nur konnte. Der Schmerz in meinem Schrei fühlte sich an wie eine Klinge, die meinen Bauch durchbohrte und mein Herz zerstach. So kalt und so verdammt echt.
Eine raue Hand legte sich auf meinen Mund und erstickte meinen Schrei. Mir wurde übel und ich wollte mich übergeben. Die Hand roch nach Rauch und altem Kräutertee. Ich wollte weiter schreien, doch meine Hoffnung, gehört zu werden, wurde von der Stimme zerbrochen und zerstört. „Dich wird niemand hören, du bist hier ganz alleine." Sie klang fast schon mitleidig. Mir wurde schwindelig und ich war auf einmal dankbar dafür, dass ich auf einem Stuhl saß, denn ansonsten wäre ich garantiert umgekippt. „Hör zu", sagte die Stimme. Ich konnte mit Sicherheit sagen, dass es niemand der Gäste des Rubinpalasts war. „Ich möchte, dass du mir gut zuhörst." Ich schwieg reglos, während meine Unterlippe verdächtig zitterte. „Du solltest nicht so naiv sein, was die anderen Gäste angeht. Du weißt nicht, wer sie sind und was sie getan haben."
„Als würdest du dich um mein Wohlergehen sorgen", fauchte ich plötzlich, denn eine fremde Person, die mich an einen Stuhl fesselte und im nächsten Moment den fürsorglichen Engel spielte war mehr als nur lächerlich. Die Hand drückte mir wieder auf den Mund, sodass meine darauf folgenden Flüche erstickt wurden.
„Dann glaub mir nicht. Du wirst aber früh genug sehen, dass nicht ich derjenige bin, der dich verraten wird." Die Hand löste sich von mir und leise Schritte entfernten sich von mir. „Nein! Bitte, lass mich frei! Bitte!", schrie ich und in meiner Stimme hallte die Verzweiflung, die meinen kompletten Körper in Besitz genommen hatte. Die Schritte verharrten, doch die Stimme schwieg. Ich öffnete meinen Mund um eine flehende Bitte hervor zu pressen, doch auf einmal setzten sich die Schritte wieder in Bewegung. Rasend schnell und in meine Richtung. Ich riss die Augen auf und versuchte panisch irgendetwas zu sehen, doch die Dunkelheit war immer noch genauso unergründlich wie zuvor.
Ehe ich meinen Mund auch nur für ein Gebet öffnen konnte, spürte ich einen dumpfen Schlag gegen meine Schläfe, der meine Sinne benebelte. Ein leises Ächzen entschlüpfte meinen Lippen und dann wurde die Welt noch finsterer als das tiefe Schwarz der Nacht, denn die Dunkelheit nistete sich in meinen Gedanken ein wie eine Giftspinne in ihrem Netz.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro