Qualen
Sein Zimmer hatte sich nicht verändert, es war dasselbe dunkle Loch wie zuvor, mit derselben Kälte, die sich alle Mühe gab, ihm jedes Stück Wärme auszutreiben. Die Schatten lauerten lächelnd in ihren Ecken, hießen ihn willkommen, als wäre er nie fort gewesen. Sie erlaubten ihm keinen Schlaf, sondern zeigte ihm ein um das andere Mal das Bild, wie Elijah zu Boden sank. Sie flüsterten ihm seine Worte zu. Sein Bitten und Flehen verfolgte den Omega in jeder Nacht. Obwohl er gedacht hatte, dass er die Schatten mittlerweile gewohnt sein müsste, gelang es ihnen damit, ihn zu überraschen. So schlimm war es noch nie gewesen. Anfangs hatte Elijah versucht, über den Mindlink Kontakt zu ihm aufnehmen. Er hatte versucht Tobias zu beruhigen, ihm zu versichern, dass sie ihn retten würden, aber Tobias antwortete nicht darauf. Er konnte es nicht, wollte dem Alpha nicht zeigen, wie sehr er litt und was James ihm antat. Bis Elijah nicht mehr auf eine Antwort wartete, sondern nur noch in Monologen zu ihm sprach.
Alle paar Stunden wurde er aus seinem Zimmer gerissen und in den Keller des Rudelhauses geführt. Dieser war bis auf einen Stuhl freigeräumt worden, auf den sich Tobias setzen musste. James stellte sich dann meist vor ihn und fing an ihm Fragen zu stellen. Manchmal fragte er danach, wie Tobias zu einem weißen Wolf geworden war. Manchmal wollte er wissen, wie er den Krieg gewinnen konnte und dann fragte er danach, wie er Elijah schaden konnte. Tobias Kopf schwirrte nur so vor lauter Fragen, seine Zähne hatten sich fest in die Innenseite seiner linken Wange gegraben, während er still ausharrte und das Verhör über sich ergehen ließ. Es kam nicht in Frage James zu antworten, lieber würde er zu Grunde gehen, als Elijah zu verraten.
Als sein Schweigen anhielt, begann der Alpha ihn zu schlagen, wenn er nicht antwortete. Anfangs hatte James versucht die Schläge so in Grenzen zu halten, dass sie Tobias nicht allzu sehr schadeten, aber James war noch nie geduldig gewesen und je weiter seine Nerven strapaziert wurden, desto stärker schlug er zu. Irgendwann war Tobias Lippe aufgeplatzt. Dann hatte seine Nase mit einem Knacken nachgegeben. Bis ein Schlag ihn schließlich hatte ohnmächtig werden lassen. Die Ohnmacht war eine Erleichterung gewesen, eine Pause, die er bitter benötigt hatte und die ihm zumindestens kurzfristig Schutz vor James Wut bot. Doch sobald er wieder erwachte, war er zurück in der Hölle, in der es ihm neben Schlaf auch an Essen und Trinken mangelte. Wahrscheinlich wollte James ihn so bestrafen. Nur war das Pochen seines Schädels schlimm genug, so dass er den Hunger nicht spürte. Der Durst hingegen war manchmal unerträglich.
James hatte nach ein paar Tagen und unzähligen Verhören einsehen müssen, dass Tobias schwieg wie ein Grab. Also hatte er seinen Beta zu sich in den Keller gerufen. Der Omega kannte James Vertrauten nur von der Jagd, sie hatten nie wirklich ein Wort miteinander gewechselt, aber er kannte seinen Namen. Zacharias. Mit seiner breiten, muskulären Figur erinnerte er ein wenig an Miles, doch anders als Miles, fehlte es ihm an Humor. Zacharias war nicht zu lesen, nie spiegelte sich eine Emotion auf seinen Zügen wieder, er wirkte genauso kalt, wie der Farbton seiner eisblauen Augen. Die blonden Locken mochten ihm etwas Engelsgleiches verleihen, aber der Eindruck täuschte. Zacharias war ein Teufel und stand James in seiner Bösartigkeit in nichts nach. Er war es, der eine kleine Metallwanne in den Keller schleppte, sie mit Wasser befüllte und Tobias Gesicht jedes Mal in das kalte Nass presste, wenn er ihnen wieder Antworten schuldig blieb.
Es fiel Tobias zunehmend schwer, sich zu kontrollieren. Er hatte nicht nur unheimlich schnell sehr viel Gewicht verloren, ihm fehlte auch jegliche Kraft. Manchmal, wenn er die Beherrschung verlor, konnte er nicht verhindern, dass ein Teil von seinen Gefühlen in den Mindlink überschwappte. Er konnte Elijahs Zerrissenheit dann beinahe spüren, er hörte sein verzweifeltes Jaulen, aber auch die liebevollen Worte, die ihm Mut zusprachen. Diese Verbindung war in diesen Tagen sein einziger Trost. Sie gab ihm die Kraft weiterzumachen, auch wenn er so ausgelaugt war, dass er nicht einmal mehr sagen konnte, ob er gerade träumte oder sich wirklich im Keller befand.
Von Anfang an war es abzusehen gewesen, dass der Zeitpunkt kommen würde, an dem er schwach werden würde. Ob der Omega wollte oder nicht. Er konnte noch so sehr kämpfen, er besaß Grenzen. Und über diese war er bereits lange hinaus gegangen. Irgendwann in einem Verhör, er konnte unmöglich sagen, dass wievielte es war, brach er sein Schweigen und winselte Elijahs Namen. Elijah hatte kurz zuvor erneut zu ihm gesprochen und in diesem Augenblick wollte er nichts sehnlicher, als neben dem Alpha zu liegen und ihn zu beobachten, von ihm gehalten zu werden und ihn zu küssen. Er bemerkte nicht, wie oft er Elijahs Namen wiederholte oder wie sein Winseln zu Schreien wurde. James und Zacharias ließen plötzlich von ihm ab, weil er anfing nicht mehr Elijahs Namen zu schreien, sondern fortan Ich liebe dich wie ein Mantra aufzusagen. Ihr bedeutungsvolles Nicken registrierte er nicht. Der Omega war gefangen in seinen Schmerzen, in seiner Qual, in seinem Verlangen und seiner Sehnsucht nach dem einen, dem sein Herz gehörte.
Sein Redefluss stoppte erst, als James ihn an seinen Haaren nach hinten riss, so dass sein Kopf unangenehm in den Nacken gezogen wurde.
"So,so", grinste James, "Unser weißes Wölfchen hat seine Sprache also wieder gefunden. Und es gibt auch noch so interessante Dinge von sich. Es hat sich wohl in unseren Feind verliebt."
"Wenn Elijah dasselbe für ihn empfindet, ist eine deiner Fragen bereits beantwortet", warf Zacharias gleichgültig in den Raum, "Dann ist es ein leichtes Elijah schwer zu treffen und ihm Leid zuzufügen."
"Ich weiß, denn dann hat er mit Sicherheit gespürt, wie wir seinem Liebling Schmerzen zugefügt haben. Immerhin hat Tobias die Verbindung zu uns gekappt, er hat keinen Zugang mehr zu unserem Rudel, es würde mich also nicht wundern, wenn er bereits zu Elijahs Rudel gehört und dieser über den Mindlink mitbekommen hat, was unser Wölfchen mitmachen muss."
"Ja, das ist mir auch schon aufgefallen, aber darauf wollte ich nicht hinaus", erwiderte Zacharias.
"Was meinst du dann?"
"Tobias zu verletzen ist das Eine. Doch es wäre noch etwas ganz anderes, ihn Elijah völlig zu nehmen. Ich will auf den Biss hinaus. Jenen, den nur zwei Wölfe austauschen, die bereit sind sich für ein Leben lang zu binden und sich gegenseitig zu markieren. Würde man Tobias damit versehen, wäre er damit nie in der Lage, sich von dem Wolf zu lösen, der ihn markiert hat und es wäre für ihn unmöglich sich auf diese Weise mit Elijah zu verbinden."
"Ein wahrlich genialer Plan", antwortete James strahlend, "Wenn dein Plan aufgeht, würde es Elijahs Herz brechen und wir würden ihn womöglich genug schwächen, um die finale Schlacht zu gewinnen."
Tobias, der langsam ein wenig zu Sinnen kam, als er hörte, dass die beiden über Elijah sprachen, gefror das Blut in den Adern. In seinen müden und ausgezehrten Körper kam plötzlich Bewegung, während er mit aller Macht versuchte, sich zu befreien, doch man hatte ihn mit Seilen an den Stuhl gebunden. Dies hielt ihn jedoch nicht auf, nicht im Hinblick darauf, was die beiden vor hatten. Das durfte nicht passieren. Sie durften ihm nicht das Schönste nehmen, was er in seinem Leben erlebt hatte. Nicht seine Liebe zu Elijah. Er bäumte sich auf, warf sich in die Fesseln, die seine Haut aufrissen, aber die entstehenden Wunden kümmerten ihn nicht. Er versuchte seinen Kopf aus James Griff zu befreien, doch dieser hatte sich fest in seinen Haaren verkrallt.
"Na,na", murmelte James, "Ganz ruhig Kleiner. Es ist doch nur ein Biss. Es geht ganz schnell, im Vergleich, was du hinter dir hast, ist es geradezu ein Spaziergang."
Der Alpha schob das verdreckte Oberteil des Omegas zur Seite und näherte sich grinsend der sensiblen Stelle am Ende seines Halses. Tobias wollte ihn treten, ihn von sich schubsen, nur scheiterten seine Versuche seine Arme und Beine zu befreien.
"Es ist weniger schlimm, wenn du still hältst", flüsterte James ihm zu, doch bevor Tobias darauf reagieren konnte, hatte James bereits seinen Mund aufgerissen und offenbarte seine spitzen Zähne, die er ohne Rücksicht in Tobias Haut schlug.
Der Schmerz stellte einen neuen, traurigen Höhepunkt dar. Er ließ alles, was der Omega erfahren hatte, verblassen. Von seinem Hals aus breitete er sich aus, bis alles von ihm brannte und sich aufzulösen schien. In dem Moment wünschte er sich, James hätte ihn getötet, das hätte es ihm erspart, dass all die alten Wunden, die Elijah so mühsam geflickt hatte, wieder aufrissen und mehr als das, tiefer wurden und sich neue Risse bildeten, die ihn auseinander zu reißen schienen. Bis er zersplitterte und nichts mehr übrig blieb. Sein Leben lang hatte er sich nur um das Glück seines Bruders gesorgt, aber in diesem Augenblick wünschte er sich das erste Mal, etwas für sich. Dass es doch ein Traum war. Dass er nur aufzuwachen brauchte, um den Irrtum zu erkennen. Um zitternd in seinem Bett zu liegen und dankbar dafür zu sein, dass es nur die Schatten gewesen waren. Aber das Blut, das aus seiner Wunde am Hals floss und schließlich auf den Boden traf, war real. Genauso wie James, der sich langsam von ihm löste, um sein Werk zu betrachten. Wie Zacharias, der ihn aus kalten Augen musterte, die sich unbeeindruckt zeigten und nur ganz am Rand etwas vor Triumph glänzten. Wie Elijahs Rufe in der Ferne.
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Wer dachte, es ginge nicht schlimmer, der irrte sich leider.
habe mich trotz elendiger Kopfschmerzen ans Schreiben gewagt, weil ich dieses Kapitel unbedingt geschrieben haben wollte, weil die Szene schon seit Ewigkeiten in meinem Kopf rum spukt. Hier ist sie also, die Herzchen und Blümchen Zeit ist damit endgültig vorbei und es fiel mir schwerer als gedacht, sie hinter mir zu lassen.
An dieser Stelle nochmal ein riesen Dank an euch: Fürs unterstützen, fürs lesen, fürs mitleiden. Habe das Gefühl, ich sag's euch nicht oft genug <3
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