Gefängnis
Ein lauter Piepton erklang, so nervtötend, dass es ihn unsanft aus seinem tiefen Schlaf riss. Sein ganzer Körper schmerzte und wehrte sich gegen jede Bewegung, aber er musste unbedingt diesem Lärm ein Ende bereiten, sonst würde sein Kopf noch explodieren. Murrend öffnete er die schweren Lider, die Augen gewöhnten sich nur langsam an das Licht und er versuchte indes mit seiner rechten Hand nach dem piependen Ding zu greifen, doch er spürte seine Finger nicht. Als seine Sicht sich endlich klärte, wurde ihm der Grund dafür auch bewusst. Dort wo er seine Hände erwartet hatte, befanden sich braune Pfoten, also befand er sich noch immer in seiner Wolfsgestalt.
Tobias blinzelte, seine Umweld jetzt ganz wahrnehmend. Er lag in einem beinahe leeren Raum, der lediglich mit einer Decke ausgestattet war, um ihm das Liegen auf dem warmen Holzboden gemütlicher zu machen, und einem medizinischen Gerät, welches auch das Piepen von sich gab und seine Herzrate überwachte. Ein Fenster spendete dem Raum Licht, allerdings war es vergittert und beim Hinaussehen erblickte man nicht viel mehr als eine Rasenfläche und den angrenzenden Wald. Die einzige Tür, die aus dem Raum herausführte, hatte keine Klinke. Er befand sich also in einem mehr oder weniger freundlich gestaltetem Gefängnis. Sein Bemühen dem Piepen ein Ende zu bereiten blieb hoffnungslos, denn man hatte ihn nicht nur eingesperrt, sondern auch wie einen schäbigen Hund an der Wand angeleint.
Aber fürs Erste war er am Leben und außerdem versorgt. Der Verband um seine Schulter war frisch, maximal ein paar Stunden alt. Das war mehr als er erwartet hatte. Wenn er sich nicht irrte, befand er sich nun bei jenen Wölfen, die sich dem Schutz der Menschheit verschrieben hatten, schließlich hatte er die Grenze zu ihrem Gebiet angesteuert und offensichtlich auch überquert. Es war ein Wunder, dass sie ihn verschont hatten. Zwar hatte er versucht ein Menschenleben zu retten, aber er war trotzdem ein Teil des Rudels der Schattenwölfe, auch wenn er ihre Stimmen nicht hörte. Gewiss dachten sie nicht, dass er mit seinem Leben davon gekommen war, es würde sie ohnehin nicht kümmern.
Minuten verstrichen und allmählich wurde der Omega unruhig. In menschlicher Gestalt hätte er seine Situation um einiges besser ertragen, aber sein Wolf brauchte die Freiheit, das Halsband machte ihn wahnsinnig. Es war unangenehm und gab ihm das Gefühl, ihm die Luft zu rauben. Daher fing er an daran zu zerren, versuchte mit seinen Pfoten die schwere Eisenkette, die ihn mit der Wand verband, irgendwie zu lösen und mit seinen Zähnen das Halsband zu zerstören. Seine Versuche scheiterten alle kläglich und sein Zappeln sorgte zusätzlich dafür, dass erneut ein stechendes Brennen durch seine Schulter jagte, als die Wunde wieder aufriss und das Blut sich seinen Weg durch den Verband suchte. Unglücklich winselnd presste sich Tobias auf den Boden, versteckte sich unter der Decke und versuchte sich so zu beruhigen.
Da spitzten sich plötzlich seine Ohren, als Stimmen hinter der Tür erklangen.
"Wie ich hörte, ist unser Gast erwacht?", eine Schauer schoss durch seine Glieder bei der tiefen männlichen Stimme, die eindeutig auf Autorität schließen ließ. Definitiv ein Alpha oder Beta.
"Ja, er randaliert da drin ziemlich. Ich hoffe, er hat alles ganz gelassen." Die zweite Stimme erschien um einiges sympathischer, sie versprühte um einiges weniger Macht.
"Vielen Dank, dass du ihn bewacht hast, Nat. Ich werde ihn mir jetzt zusammen mit Cassandra ansehen, bevor wir entscheiden, was mit ihm passiert."
Tobias rührte sich nicht. Sein Wolf hatte im Moment die Überhand und hielt es für das Beste liegen zu bleiben, als sich die Tür des Raumes öffnete und den Schritten zu urteilen, zwei Personen eintraten, die er nicht genauer mustern konnte, weil er sich weiterhin versteckte. Das Piepen wurde indes lauter, als sich sein Herzschlag beschleunigte. Der Instinkt zu fliehen war übermächtig, befand er sich doch in feindlichem Territorium und wusste nicht, was sie mit ihm machen würden, aber das Halsband lag nach wie vor schwer um seinen Hals, weshalb er sich enger zusammenrollte und gestresst winselte.
"Ist ja gut ,mein Kleiner", murmelte eine Frau, bei der es sich wohl um Cassandra handeln musste, "Ich will mir nur deine Verletzung ansehen. Du brauchst keine Angst zu haben."
Sie mochte es gut gemeint haben, aber Tobias Anspannung löste sich nicht. Er wollte nicht untersucht, geschweige denn betrachtet werden. Der Omega wollte nur fort, weg von den Fremden und den unbekannten Gerüchen, nachhause zu Sam. Dass sie ihn Kleiner nannte, machte es nicht besser. Natürlich war er sich bewusst, dass sie es wahrscheinlich nicht einmal böse meinte, schließlich war er für einen Wolf in der Tat äußert klein geraten, aber es förderte nicht unbedingt sein Wohlbefinden, dass sie ihm vor Augen führte, dass er sich im Notfall nicht einmal zur Wehr setzen könnte. Tobias hörte den Holzboden knarzen, also näherte sie sich ihm bereits weiter. Als sie eine Hand ausstreckte, um die Decke von seinem Körper zu ziehen, wurde es seinem Wolf zu viel. Aus Flucht wurde in Sekundenschnelle Verteidigung. Seine spitzen Zähne schnappten nach ihr, vergruben sich kurz in ihrer Haut und ließen sie dann wieder los, immerhin wollte er sie nicht wirklich verletzen, sondern ihr nur bewusst machen, dass sie gerade eine Grenze überschritten hatte.
Die Frau zischte überrascht und zog ihre Hand eilig zurück, doch Tobias kam nicht dazu ihr weiter seine Aufmerksamkeit zu schenken, da er sich urplötzlich im Schwitzkasten eines Mannes befand. Ein Arm schlang sich felsenfest um seinen Hals, ein anderer um seinen Bauch und machte ihn damit bewegungsunfähig. Knurrend versuchte er sich verzweifelt zu befreien, aber der Mann war ein wahrer Riese und offensichtlich bestens im Training, denn es gelang ihm den Omega ohne Mühe in Schach zu halten. Die Muskeln des Fremden ließen nicht für einen Moment locker, auch nicht, als Tobias wimmernd aufgab und sich schlaff in den fremden Armen hängen ließ.
"Haben wirs dann?", fragte ihn der Besitzer der tiefen Stimmen, dessen genervter Unterton den Wolf zum Zittern brachte.
"Er hat Angst, Miles und es war mein Fehler. Ich hätte ihm nicht so schnell die Decke wegziehen sollen. Sieh nur, wie er seine Rute zwischen den Hinterläufen einklemmt. Er weiß gar nicht, wie ihm geschieht."
"Trotzdem hätte er nicht nach dir schnappen müssen."
Die Frau seufzte leise. "Ich bin mir sicher, du hättest nicht anders reagiert. Durch die ganze Aufregung hat sogar seine Wunde wieder angefangen zu bluten", murmelte sie und richtete ihren Blick auf Tobias Schulter, "Ich muss den Verband unbedingt erneuern. Vielleicht ist es am besten, wenn du ihn weiter festhälst. Das scheint ihn zu beruhigen."
"Selbstverständlich", brummte Miles, " als ob ich es zulassen würde, dass er dich noch ein weiteres Mal beißt."
Tobias hingegen war immer noch nicht begeistert davon, dass die Fremde ihn wieder anfasste, sich an seinem Verband zu schaffen machte, den alten löste und aus einer Ledertasche, die sie mit sich trug, einen neuen zog. Aber ihm blieb keine Wahl. Also versuchte er die Behandlung zu ertragen und entspannte sich tatsächlich nach einiger Zeit, was vorallem daran lag, dass Cassandra unheimlich sanft mit ihm umging und ihm ständig beruhigende Worte zuflüsterte. Sie versprühte auch anders als Miles keinen wölfischen Geruch, sie musste also entweder ein Mensch oder eine Hexe sein. Er tippte aufgrund der Kräutertinkturen, die sie auf seiner Verletzung aufbrachte, auf letzteres.
"Fertig", verkündete sie schließlich stolz, "Die Wunde sollte in ein paar Tagen vollständig verheilt sein. Allerdings ist sein Körper von alten Hämatomen und Narben geradezu übersäht und außerdem ist er noch schwach, weshalb er sich wahrscheinlich nicht vor Ablauf einer Woche zurückverwandeln kann. Nur ein Alpha wäre in der Lage dazu, ihn zu einer Verwandlung zu zwingen."
"Wir haben aber nicht die Kapazitäten ihn hier zu behalten. Die Front wird ständig von Schattenwölfen attackiert, ich kann keine Krieger entbehren, die ihn babysitten. Wir müssen ihn also so oder so ins Hauptquartier bringen, wo der Alpha ihn verhören wird, um mehr Informationen über die Schattenwölfe zu erlangen. Der Alpha wird dann auch über den Ort und den Zeitpunkt seiner Verwandlung bestimmen. Die Frage ist, ob er transportfähig ist? Die Informationen könnten wertvoll sein. Ich will es nicht riskieren, dass er während der Fahrt stirbt."
"Solange er sich nicht zu stark bewegt, sollte der Verband halten. Allerdings fürchte ich, dass er bei der Fahrt erneut versuchen könnte zu fliehen", ihre Stirn runzelte sich gedankenverloren, "Ich kann dir nur anbieten, ihn für die Fahrt zu sedieren. Das sollte ihn davon abhalten Unsinn anzustellen."
"Alles klar, der Plan gefällt mir. Dann werde ich Nat Bescheid sagen, dass er den Transporter fertig machen soll."
Cassandra nickte, griff ein weiteres Mal in ihre Tasche und zog eine Spritze hervor, die sie mit einem Medikament füllte. Es war der Augenblick, indem sich erneut Widerstand in Tobias regte. Er zappelte, quiekte, doch Miles kannte kein Erbarmen. Kaum hatte Cassandra ihm das Mittel injiziert, wurde es erneut schwarz vor seinen Augen und er träumte bereits tief und fest, als Nat und Miles ihn gemeinsam in den vorbereiteten Transporter legten und Nat mit ihm einer unbekannten Zukunft entgegenfuhr.
____________________________________
Und wieder ein neuer Teil :D Langsam wieder halbwegs gesund, habe ich mich mit dem Kapitel erfolgreich vor dem Lernen für meine Klausuren gedrückt :x
Vielen Dank, für euer Feedback zu den Covern, habe mich hoffentlich ganz in eurem Sinne entschieden :) <3
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro