ABENDESSEN
Ich drehe mich wieder zum Herd, aber die Menge Essen ist nicht weniger geworden.
War ja zu erwarten.
Ich seufze.
Ich habe Hunger und zu viel Essen.
Ist das ein Widerspruch?
Wahrscheinlich.
Einer plötzlichen Eingebung folgend, klingle ich eine Minute später an der Wohnungstür nebenan.
Der Name auf dem Schildchen lautet Koch.
Fast muss ich lachen.
Die Tür geht auf und der neue Mieter lehnt im Rahmen.
Er ist ein kleines Stück größer als ich und hat braune Haare.
Diese stehen in alle Himmelsrichtungen von seinem Kopf ab.
Er hat eine große, gerade Nase und schmale Lippen.
Er trägt eine dunkelblaue Jeans im Baggy-Schnitt und ein weinrotes T-Shirt ohne Aufdruck.
Er ist nicht heiß, aber zweifelsohne attraktiv.
Er gefällt mir.
"Hallo", sagt er und seine Stimme klingt fragend.
Aber er lächelt freundlich.
"Hi", begrüße ich ihn, "ich wohne nebenan und hab grade Abendessen gekocht. Ich weiß, Sie sind erst vor - ", hier stocke ich und blicke ihn hilfesuchend an.
"Zwei Tagen", hilft er aus und ich fahre fort.
"Vor zwei Tagen eingezogen und kennen mich nicht, aber haben Sie vielleicht trotzdem Lust, rüber zu kommen und mit mir zu essen?"
Er scheint einen Moment zu überlegen, doch dann nickt er und sagt: "Geben Sie mir eine Minute."
"Klar."
Damit gehe ich wieder in meine Wohnung, lasse jedoch die Tür angelehnt.
Als er hereinkommt, bin ich dabei den Tisch zu decken.
"Setzen Sie sich doch",
fordere ich ihn auf.
Er bleibt stehen und holt hinter seinem Rücken eine Flasche Weißwein hervor.
"Ist leider nicht gekühlt",
bemerkt er,
"und können wir uns duzen?"
Ich grinse ihn an.
"Ich bin Elli, freut mich."
"Manuel, freut mich auch...hast du einen Korkenzieher?"
Da ich noch am Herd stehe und im Topf rühre, sage ich nur: "Zweite Schublade. Such einfach ein bisschen."
Er öffnet die Schublade und grinst: "Du hast also auch eine Ramsch-Schublade?"
"Natürlich. Hat die nicht jeder?"
"Zumindest hat jeder in der ersten Schublade das Besteck."
Mit einem Ploppen entkorkt er die Flasche und inhaliert den Duft des Korkens.
"Und?", frage ich, "gut?"
Statt einer Antwort hält er mir den Korken vor die Nase.
Der Duft ist süßlich, frisch und ich ahne schon, dass der Wein spritzig schmecken wird.
Na gut, ich hoffe es.
Ich setze den Topf auf den Tisch.
Manuel wagt einen Blick in den Topf.
"Was ist das?", fragt er und klingt ehrlich interessiert.
"Kritharaki in Gemüse-Tomaten-Sauce", erläutere ich.
"Griechisch?", rät er und ich nicke.
Ich nehme seinen Teller und befülle ihn.
"Hast du Weingläser?", fragt er und ich stelle mit einem Blick auf den Tisch fest, dass dort tatsächlich nur einfache Trinkgläser stehen.
"Ja, im Regal dort."
Während er aufsteht und die Gläser holt, einschenkt und mir eins reicht, nehme ich mir auch von meinem Gericht.
Gleichzeitig setzen wir uns und er hebt sein Glas und ich tue es ihm gleich.
"Auf dem Abend und vielen Dank für die Einladung und das Essen", sagt er feierlich.
Ich lächle und erwidere: "Danke für den Wein und vielleicht solltest du das Essen erst probieren."
"Und du erst den Wein, bevor du dich bedankst."
"Touché."
Die Gläser geben ein leises, melodisches Klingen von sich, als wir anstoßen.
Ich hatte richtig vermutet - der Wein ist leicht und spritzig.
Dass lasse ich Manuel auch sofort wissen.
Er grinst nur und probiert eine Gabel von seinem Teller.
"Und?", frage ich vorsichtig.
"Großes Kompliment an die Köchin", lautet sein Fazit.
Ich lächle bescheiden und koste auch.
Ahh, es schmeckt so gut wie damals, denke ich.
Wir sitzen noch lange in meiner Küche und später verziehen wir uns mit dem übrigen Wein auf den Balkon.
Wir reden und reden und ich beginne seine Gesellschaft wirklich zu genießen.
Es ist kurz vor Mitternacht, als er sich verabschiedet und ich ihn zur Tür bringe.
"Der Abend war wirklich sehr schön", sagt er und schiebt seine Hände in die Hosentaschen.
"Fand ich auch", stimme ich zu.
"Vielleicht kann ich mich ja mal revanchieren", bietet Manuel an.
"Kannst du denn kochen?", frage ich ihn.
Er verzieht das Gesicht: "Äh, nein, nicht wirklich."
Ich lache und er stimmt mit ein.
"Na dann, gute Nacht, Manuel", wünsche ich ihm.
"Dir auch, Elli, schlaf gut."
***
Diese gemeinsamen Abende wurden häufiger.
Langsam und schleichend wurden sie zur Gewohnheit.
Irgendwann fragte Manuel Elli, warum sie immer so viel kochte.
Über ihre Antwort lachte er heute noch.
"Ich bin zu faul, die Mengenangaben auf eine Person runterzurechnen."
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