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"Mehr als nur ein Moment " von @Millie1234535


Hallo Johanna,

Wie geht es dir? Mir geht es gut. Das Geräusch der Wellen beruhigt mich. Manchmal glaube ich, dass sich das Wasser alle meine Sorgen nimmt und fortwäscht, als hätte es sie nie gegeben. Nur bei schlechtem Wetter hört sich das Meer bedrohlich an, als wolle es bis zu meiner kleinen Hütte vordringen und sie mit sich fortwaschen. Na ja, zum Glück ist das hier selten der Fall. Meistens scheint hier die Sonne,sodass man häufig in Bikini und Badehose rumlaufen kann. Zum Glück hat dieTouristensaison noch nicht wirklich angefangen, sodass wenige Geräusche die Stille hier stören. Es fühlt sich manchmal fast schon beruhigend an, in dieser Stille sein Frühstück zu essen oder ein Buch zu lesen. Alles hier fühlt sich so unfassbar friedlich an.

Du wirst dich sicherlich fragen, was aus Adriana, Malte und den anderen geworden ist. Nun ja, Adriana arbeitet mittlerweile als Steuerfachangestellte und hat einen sehr charmanten Freund gefunden. Ich denke, es geht ihr gut. Leider sehen wir uns seit der Party nur noch selten. Was Malte angelangt, nun ja... Um ehrlich zu sein ist er immer noch der Alte: Säuft viel, kifft noch mehr. Keine Ahnung, was er gerade macht. Um ehrlich zu sein habe ich ihn nur einmal kurz vor dem Supermarkt getroffen und kaum ein Wort mit ihm gewechselt.

Meinen Eltern geht es auch soweit gut, sie sind aus dem Urlaub zurückgekehrt und fühlen sich nun schon wieder viel besser. Sie treffen sich mit Freunden,schauen sich Filme an, fallen nach einem langen Arbeitstag in die Arme des jeweils anderen, das Übliche eben.

Weißt du, wir haben uns schon seit der Party nicht mehr gesehen. Johanna, das ist jetzt schon mehr als drei Monate her. Ich vermisse dich einfach schrecklich und frage mich, ob ich nicht irgendetwas hätte anders machen können. Sag mir, gibt es da wirklich etwas, was ich versäumt habe?

Bitte melde dich.

Dein Matthias

In letzter Zeit muss ich immer wieder an die Studentenparty denken. Ich erinnere mich noch an dein Lächeln, als du auf der Tanzfläche getanzt hast. An mein Bier, das schon furchtbar warm geworden war. An Marie, die mir plötzlich einen Arm um die Schultern gelegt und gelacht hat, als ich mich fürchterlich erschreckt habe. Ich erinnere mich daran, dass sie mir von der Prüfung erzählt hat, die sie an diesem Tag geschrieben hatte. Daran, dass sie unbedingt Party machen wollte, um den ganzen Prüfungsstress zu vergessen. Und wie du, ich, Georg und Marie einander zugeprostet haben, um alle gemeinsam die Prüfungen zu vergessen. Ich erinnere mich daran, dass Malte und Adriana irgendwann, als wir alle schon viel zu betrunken waren, mindestens genauso besoffen dazugestoßen sind. Wieviel wir gelacht haben. Wie du Georg geküsst hast, als es Mitternacht war, einfach, weil ihr dann euer Zweijähriges hattet. Und an den Geschmack von dem Tequila, den ich runtergekippt hatte. Und dann an das Gefühl von Maries Zunge in meinem Mund.

Ich weiß, diese Party ist schon mehr als drei Jahre her, aber irgendwie muss ich immer wieder an sie denken. Ich weiß auch nicht, wieso. Weißt du es vielleicht?

Das Wetter ist in letzter Zeit schlechter geworden. Es ist kühler und der Wind ist stärker geworden. Ich habe das Gefühl, dass ein Sturm aufkommen wird. Aber gut, was weiß ein Architekt schon vom Wetter?

Ich wünsche mir, dass du dich melden würdest. Ich vermisse dich wirklich.

Matthias

Hallo Johanna,

Es ist gerade 5:32 Uhr morgens. Die Sonne geht gerade vor meinem Fenster auf. Der Sonnenaufgang sieht irgendwie schön aus. Zwar nicht schön genug, um freiwillig um diese Zeit aufzustehen, aber... Er hat irgendetwas malerisches.

Genau wie die letzten Nächte auch konnte ich auch diese Nacht nicht schlafen. Ich musste zu sehr an dich und an die Party denken. Du weißt schon, an die Party,auf der Marie einen Liter Kunstblut verschüttet hat. Das Blut färbte denTeppich um sie herum rot und sie schrie laut auf, schließlich war das der Lieblingsteppich ihrer Mutter gewesen und sie wusste, dass sie riesigen Ärger bekommen würde. Kaum zu glauben, dass eine Medizin-Studentin so wenig mit Blut umgehen kann.

Ich erinnere mich noch, dass du mir auf dieser Party von deinem Freund Georg erzählt hast und dass er nicht mit dir in den Urlaub fahren wollte. Und wie ungläubig du mich angesehen hast, als ich dir vorschlug, dass wir gemeinsam in den Urlaub fahren könnten. Schließlich kannten wir uns zu diesem Zeitpunkt schon seit zwei Jahren. Ich habe dir gesagt, dass ich sowieso eine Auszeit von dem ganzen Prüfungsstress bräuchte und dass mir ein bisschen Gesellschaft im Urlaub gefallen würde. Und du hast gestrahlt. Du hattest ein Leuchten in den Augen und hast gegrinst wie ein Honigkuchenpferd. Du bist mir um den Hals gefallen und hast mir tausend Mal gedankt. Und ich... Ich konnte nichts sagen. Ich war zu überwältigt und überrascht von deiner Umarmung. Und ich habe die Arme um dichgelegt. Habe dich fest an mich gedrückt und diesen Moment voll ausgekostet. Das war das erste Mal, dass wir uns körperlich nähergekommen sind.

Ich frage mich: Erinnerst du dich, Johanna? Hast du diesen Moment auch so genossen wie ich? Und... hast du jemals das gleiche gefühlt wie ich? Gottverdammt, die Ungewissheit bringt mich noch um!

...

Ich glaube, ich sollte wirklich ins Bett gehen und versuchen, ein bisschen zu schlafen.

Bis bald,

Matthias

Johanna,

Ich...Ich denke, ich muss dir etwas sagen. Ich wollte es dir eigentlich schon seit dem Beginn des Studiums vor dreieinhalb Jahren sagen, aber irgendwie habe ich mich nie getraut. Und wenn ich dann den Mut gefunden hatte, war mir immer wieder etwas dazwischengekommen. Deswegen muss ich es dir jetzt sagen, bevor ich noch verrückt werde: Ich liebe dich, Johanna. Du hast mich damals angesprochen, ob wir nicht gemeinsam in die Mensa gehen sollten und hast mich mit diesem wunderschönen Lächeln angesehen. Ich war schon damals fasziniert von dir und deiner Art, von deiner Leichtigkeit, mit der du durch das Leben gingst. Wie einfach du das Studium und deine Beziehung unter einen Hut bekommen hast und niemals gestresst zu sein schienst.

Ich wollte es dir immer sagen, aber es hat sich nie die Gelegenheit ergeben. Ich frage mich, ob du überhaupt jemals gewusst hast, was ich für dich empfinde. Ob du nur nichts gesagt hast, weil du mich nicht verletzen wolltest. Oder ob du auch in mich verliebt warst und nur zu viel Angst vor Zurückweisung hattest. Ach nein, entschuldige bitte. Das Letztere passt ja eher zu mir als zu dir.

Wahrscheinlich hast du mich nie geliebt. Wieso hättest du sonst so auf der Party reagieren sollen, wie du es letztendlich getan hast? Ich frage mich bis heute, ob dasErgebnis ein anderes gewesen wäre, wenn ich es unter anderen Umständen getan hätte.

Kannst du mir bitte sagen, was das alles zu bedeuten hat? Kannst du mir bitte eine Antwort geben, sodass ich nicht mehr in der Ungewissheit leben muss? Bitte, wenn du irgendwo da draußen bist, antworte mir! Ich bitte dich darum!

Matthias

Hallo Johanna,

Ich weiß nicht, ob ich weitermachen kann. Die Briefe... Sie sind schmerzhaft fürmich. Jedes Mal, wenn ich dir geschrieben habe, weine ich danach mehrere Stunden. Ich lese mir den Brief immer und immer wieder durch, weil ich dich so schrecklich vermisse, nur um ihn danach zu den anderen Briefen zu legen. Gott, ich weiß wirklich nicht, ob ich dir weiter Briefe schreiben sollte. Denn selbst, wenn ich sie weiterhin schreiben würde, was würde es bringen? Ich meine, ich weiß ja, dass du mir nicht antworten wirst. Verdammt, ich habe sie ja noch nicht mal losgeschickt. Wieso sollte ich sie also schreiben? Worin liegt der gottverdammte Sinn dahinter?

Ich muss wirklich mal mit meinem Therapeuten darüber reden.

Matthias

Hallo Johanna,

Ich habe meinen Therapeuten vor ein paar Tagen gesehen. Er meinte, dass ich die „Brief-Therapie", wie er sie nennt, weiterhin durchziehen sollte und dass ich enorme Fortschritte machen würde. Und er hat mir geraten, von der Party zu schreiben.

Die Party... Es hätte eine Party wie jede andere werden können. Nur leider war sie es von Anfang an nicht. Es war die Abschlussparty von uns allen: dir, mir, Marie, Georg, Adriana, Malte... Wir alle hatten endlich, nach drei Jahren Studium, unsere letzten Prüfungen geschrieben. Wir waren so erleichtert, dass wir nun all die Arbeit hinter uns gelassen hatten, dass wir alles in Alkohol ertränken wollten. Viel, sehr viel Alkohol...

Ich erinnere mich nicht mehr an viel von diesem Abend. Ich erinnere mich nur daran,dass ich viel zu viel Bier getrunken hatte. Dass ich irgendwann dich und Georg gesehen habe, wie ihr schwankend zu irgendeinem Beat getanzt habt. Ich habe den Blick gesehen, den ihr euch zugeworfen habt...

Ich wusste zwar, dass ich niemals das haben würde, was ihr beide miteinander hattet, aber trotzdem... Ich bin zu dir gegangen. Ich wusste selbst nicht, wieso. Vielleicht war es ein verzweifelter Versuch, dich aus einer mehr als fünf Jahre andauernden Beziehung zu reißen, in der Hoffnung, dass ich dein nächster bester Fehler sein würde.

Ich habe dir auf die Schulter getippt und dich gebeten, dich für einen Moment unter vier Augen sprechen zu dürfen. Du hast mich fragend angeschaut, doch in deinem betrunkenen Zustand hast du nicht viel Widerstand geleistet und bist mir gefolgt.

Na ja, was heißt gefolgt? Du hast dich auf mich gestützt, Betrunkene gestützt von einem Betrunkenen, und hast dich in ein Nebenzimmer führen lassen. Ich habe dieTür hinter mir geschlossen und habe dann gehört, wie du mich gefragt hast, was das sollte. Ich drehte mich zu dir um – und wusste nicht, was ich dir sagen sollte. Du hast mich mit deinen hellblauen Augen direkt angesehen. Du hast mir in die Augen geschaut und damit direkt in meine Seele. Ich weiß noch, dass ich mich fragte, wieso du wissen wolltest, was los war, wenn ich vor deinen Augen mit meinen Gefühlen und Gedanken nackt vor dir stand. Ich dachte, du wüsstest, was in mir vorging. Ich dachte, dass meine Augen dir die Wahrheit ins Gesicht schrien: Ich liebe dich, Johanna! Und deswegen habe ich dich in den Arm genommen und dich geküsst.

Es war ein unbeschreibliches Gefühl, dich zu küssen. Deinen Mund auf meinem Mund... Dein Körper so dicht an meinem... Ich fühlte mich wie im siebten Himmel und wollte niemals mehr auf die Erde zurückkehren. Ich wähnte mich bei dem Ziel meiner Träume...

Und dann war alles vorbei. Du hast dich aus meinen Armen rausgewunden und hast mir eine Ohrfeige verpasst. Und schlagartig wurde ich wieder nüchtern. Ich sah die Realität so, wie sie war: Ich hatte eine vergebene Freundin geküsst. Ich hatte mich aus egoistischer Liebe in eine Beziehung gedrängt.

Du hast mich entsetzt angeschaut. Hast mich angeschrien, was das nun schon wieder sollte. Ob ich von allen guten Geistern verlassen sei. Du wolltest mir noch eine Ohrfeige verpassen, doch plötzlich war ich wie ausgenüchtert und wehrte deine Schläge ab. Ich wurde ebenfalls wütend auf dich. Wieso hast du das gemacht? Ich wollte nur meine Liebe zu dir beweisen, und was hast du gemacht? Du hast mir eine Backpfeife gegeben und mein Herz mit Füßen getreten. Du hast all die Hoffnungen, die ich mir jemals gemacht hatte, mit einem Mal zunichte gemacht. Wahrscheinlich hast du es schon die ganze Zeit gewusst, aber hattest nie den Mut, mir eine klare Abfuhr zu erteilen.

Du hast mich weiterhin angeschrien, hast nach einer Erklärung verlangt, doch ich blieb stumm. Ich wusste ja selber nicht, was mit mir los war. Und dann, irgendwann, hast du dich beruhigt. Hast mit vor Trunkenheit stark lallender Stimme gesagt, dass du hier weg willst. Du bist aus der Tür gestürmt, ohne, dass ich überhaupt die Zeit dazu gehabt hätte, dich aufzuhalten. Ich bin dir gefolgt und sah deinen stark torkelnden Gang, wie du gegen eine Wand nach der anderen gelaufen bist. Wie du nach deinem Freund gerufen hast, jedoch schien deine Stimme von der lauten Partymusik verschluckt zu werden. Ich habe versucht, dich aufzuhalten, doch du warst nicht zu bremsen. Du bist zu deinem Freund hin getorkelt, der auf der Couch eingeschlafen war. Du hast ihn gerüttelt, hast versucht, ihn aufzuwecken,doch er war nicht wachzukriegen. Währenddessen habe ich leicht lallend immer wieder versucht, dich um ein Gespräch zu bitten, doch du hast mich immer wieder weggestoßen.

Und dann bist du mit einem „Scheiße!" zur Garderobe und raus aus dem Haus gestürmt. Ich bin dir hinterhergelaufen, auf den Parkplatz vor dem Haus. Du wolltest gerade in dein Auto einsteigen, doch ich habe dich am Handgelenk festgehalten und habe dir gesagt, dass du in deinem Zustand kein Auto fahren solltest. Du hast dich gewehrt, hast mich beschimpft, hast mich weggestoßen, doch ich habe darauf beharrt. Ich wollte doch nicht, dass du einen Unfall baust! Das hätte ich mir niemals verziehen!

Ich weiß nicht mehr, wie ich dich dazu überreden konnte, aber schließlich hast du kleinbeigegeben und hast mich ans Steuer gelassen. Ich dachte wirklich, dass ich von der Ohrfeige nüchtern geworden wäre, ich schwöre es dir!

Wir sind losgefahren und waren relativ schnell auf der Autobahn zu dir nach Hause. Die ersten paar Minuten war eine unangenehme Stille im Auto. Dann habe ich irgendeine Bemerkung gemacht, um dich aufzuheitern, doch du hast es völlig falsch verstanden. Wir haben angefangen zu streiten und plötzlich war gar nicht mehr die Straße oder die Geschwindigkeit interessant, sondern der Streit mit dir. Ich wusste, dass ich viel zu schnell fuhr und dass ich kaum noch Augen für die Straße hatte, doch das war mir egal. Ich wollte dich nur davon überzeugen,dass... Ja, wovon eigentlich? Wieso war ich überhaupt sauer auf dich? Ich war derjenige, der dich geküsst hatte, obwohl du in einer Beziehung warst. Ich war derjenige, der sich all die Jahre Hoffnungen gemacht hat auf eine gemeinsame Zukunft mit dir. Ich denke, ich hatte gar kein Recht, sauer zu sein. Und doch war ich es. Ich habe dich angeschrien, wieso du überhaupt von der Party wegwolltest und warum du überhaupt mit Georg zusammen warst. Und du hast mich ebenfalls angeschrien. Und dann, plötzlich, hast du aufgeschrien: „Matthias!" Ich konnte meinen Kopf nur noch herumreißen, da sah ich auch schon die gelben Lichter, die auf uns zukamen. Danach spürte ich einen starken Schmerz und dann... nichts mehr.

Als ich später im Krankenhaus aufwachte und mir der Arzt sagte, dass ich riesiges Glück gehabt hätte, aus dem Unfall lebendig rausgekommen zu sein, da war es schon zu spät. Sowohl du als auch der Geisterfahrer, ihr beide wart bereits tot. Ich erinnere mich noch an die polizeilichen Ermittlungen, an das Ergebnis des Urteils, doch das war mir egal. Ich hatte schließlich meine große Liebe auf dem Gewissen! Auch wenn das Gericht mich freigesprochen hat, was interessiert mich das? Was bringt mir das, wenn du, Johanna, tot bist?

Gottverdammt,es ist mir egal, ob mich das Gericht für schuldig oder unschuldig befunden hat, ich bin definitiv schuld! Auch wenn ich dem Geisterfahrer nicht hätte ausweichen können, weil die Straße viel zu eng war, ich war trotzdem zu schnell und... Gottverdammt, ich war derjenige, der dich geküsst hat! Wenn ich dich nicht dazu gebracht hätte, früher von der Party verschwinden zu wollen, dann wärst du jetzt wahrscheinlich noch am Leben!

Es tut mir leid, Johanna!

Hallo Johanna,

Bestimmt fragst du dich, was ich die letzten zwei Wochen gemacht habe. Nun ja, nachdem ich den Brief an dich geschrieben hatte, war ich am Boden zerstört. Die Bilder vom Streit und vom Unfall spielten sich immer und immer wieder in meinem Kopf ab. Ich wusste nicht mehr, ob der Unfall sich nicht immer noch abspielte, so realistisch waren er.

Kurz nach dem Brief war ich bei meinem Therapeuten. Er sagte zu mir, dass ich die Trauer zulassen sollte, um neu anfangen zu können. Aber wie sollte ich neuanfangen, wenn du immer noch tot warst und mir nicht mehr beistehen konntest?

In den letzten zwei Wochen habe ich maximal zehn Stunden geschlafen und viele Kilo verloren. Ich war so sehr in meiner eigenen Trauer gefangen, dass ich mehrere Male dein Grab besucht habe. Immer wieder bin ich zu dir gegangen, habe dich um Vergebung gebeten, doch du... Du hast mir nie geantwortet. Ich habe dir irgendwann gesagt, dass ich wünschte, dass das alles nicht passiert wäre und dass ich an deiner Stelle in diesem Grab hätte liegen sollen. Ich bin schließlich derjenige, der das alles hier verursacht hat. Also sollte ich auch derjenige sein, der stirbt, und nicht derjenige, der mit schweren Verletzungen aus der Sache rauskommt. Ich habe oft daran gedacht, dem ganzen ein Ende zu setzen.

Und gerade, als ich das gesagt hatte, hat mir eine Stimme geantwortet. „Das willstdu bestimmt nicht", sagte sie zu mir, und als ich mich umdrehte, sah ich Marie. Sie sagte mir, dass du dir bestimmt nicht gewünscht hättest, dass ich mich umbringe, und hat mir ein Blatt Papier in die Hand gedrückt. Ein Blatt Papier, welches mir mehr als alles andere auf der Welt bedeutet.

Matthias

Hallo Matthias,

Wenn du diesen Brief liest, nehme ich an, dass ich mittlerweile gestorben bin. Ich kann mir schon vorstellen, wie du dich fühlst. Ich weiß ja, wie sehr du mich geliebt hast. Gott, es ist schwierig, zu schreiben, wenn man gerade lacht! Ich kann mir nur zu gut dein Gesicht vorstellen! Ja, ich wusste, dass du mich liebst. Es war einfach zu offensichtlich: dein Stottern, deine schwitzigen Hände, deine unsichere Haltung, jedes Mal, wenn du mit mir geredet hast!

Um ehrlich zu sein habe ich dich immer bewundert. Wusstest du das? Du warst immer so unternehmenslustig, warst dauernd unterwegs, hast dich mit wichtigen Leuten getroffen und hast die Städte der Welt bereist. Du hast so viele schöne Orte gesehen, so viele wunderbare Menschen getroffen, und du warst dabei immer so gut gelaunt! Selbst als du Prüfungen in den Sand gesetzt hast und eigentlich am Boden zerstört sein solltest, bist du direkt wieder aufgestanden und hast direkt weitergemacht. Genau diese... Ausdauer und diese Resilienz habe ich immer bewundert. Du warst immer so optimistisch, komme was da wolle. Selbst als du wusstest, dass ich dich nie so lieben würde, wie du mich geliebt hast, hast du nie dein Strahlen in dir verloren. Du hast dir immer wieder den Staub abgeklopft und hast weitergemacht.

Ich habe dich immer bewundert und mich gefragt, wie du das machst. Woher du die Kraft nimmst, einfach weiterzumachen und die schmerzhaften Erfahrungen hinter dir zu lassen. Wieso hast du das geschafft, während ich... Während ich so weit davon entfernt war wie die Erde vom Mond? Genau wegen diesem Unterschied habe ich dich auch als Erstes angesprochen, damals vor mehr als drei Jahren. Ich kannte dich damals noch nicht und wusste doch, dass besonders du dieses Strahlen in dir trägst. Und je mehr ich dich kennenlernte, umso mehr bewunderte ich dich. Jedes Mal, wenn ich dich sah, musste ich daran denken, welch glückliches Leben du führen würdest und wie viel Liebe und Glück du deiner zukünftigen Frau und deinem zukünftigen Kind geben würdest und bewunderte dich deswegen umso mehr. Du schienst eine Rüstung aus Positivität um dich herum zu tragen, die dich selbst vor den schlimmsten Verletzungen schützen würde.

Ich wünschte, ich hätte diese Rüstung jemals gehabt. Zum Beispiel als ich nach schweren Kopfschmerzen ins Krankenhaus kam und der Arzt mir sagte, dass ich Krebs im Endstadium hätte. Er sagte, dass er schon so weit vorangeschritten sei, dass ich nicht mehr lange leben würde. Er sagte mir, dass selbst eine Chemotherapie in diesem späten Stadium mir nur zu zwei Prozent helfen könnte. Ich habe jedoch direkt abgelehnt.

Bitte verstehe mich nicht falsch, Matthias, ich liebe mein Leben und ich würde alles geben, um es noch so lange wie möglich weiterführen zu können. Aber die Heilungschancen waren zu gering als dass ich die Schmerzen, die die Chemo mit sich bringen würde, aushalten könnte. Und außerdem... Ich weiß, es hört sich furchtbar kitschig an, aber ich wollte nicht, dass meine Freunde und meine Familie mich anders in Erinnerung behalten würden als ich vor der Diagnose war. Ich wusste, dass ich selbst die gute Laune in Person zu sein schien und wollte das auf gar keinen Fall aufgeben, auch wenn es mich umbringen würde.

Die Nachricht meines bald bevorstehenden Todes hat mich stark mitgenommen. Ich weinte viel, schlief wenig, aß noch weniger, fehlte bei der Arbeit. Und doch habe ich jedes Mal, als mich jemand fragte, ob es mir gut ging, ihn angelächelt und gesagt, dass alles gut sei, auch wenn es mich selbst innerlich zerriss.

Vielleicht ist es egoistisch von mir, aber aus diesem Grund habe ich in letzter Zeit so viel Zeit mit dir verbracht. Ich war nicht in dich verliebt, sondern habe nur deine Positivität gebraucht, um nicht in meiner eigenen Depression zu versinken. Denn dein Licht schien heller zu scheinen als das Tiefschwarz der Depression und die Angst vor dem Tod. Du hast mich immer wieder aus meinem Loch herausgezogen,ohne überhaupt irgendetwas zu merken. Es schien das Einfachste der Welt für dich zu sein, vielleicht sogar noch einfacher als atmen. Ich habe mich aus diesem Grund in letzter Zeit immer wieder gefühlt, als würde ich dir etwas schulden, nicht nur weil du mich liebst und weil du mein Freund bist, sondern auch, weil du mir immer wieder geholfen hast.

Matthias, ich weiß, dass du jetzt, nach meinem Tod, am Boden zerstört sein wirst, aber ich bitte dich um eine Sache: Gib nicht auf! Ich weiß, es ist schwer und ich weiß, es ist hart, aber du und ich, wir beide konnten überhaupt nichts für den Krebs. Wir beide haben keine Schuld, auch wenn es sich vielleicht in diesem Moment für dich so anfühlen mag. Du bist nicht daran schuld! Du hast dein Bestes gegeben, um mir ein gutes Leben zu ermöglichen. Du warst immer da für mich und bist auch in meinen dunkelsten Momenten nicht von meiner Seite gewichen. Deswegen lass mich dir dieses Mal helfen und dir sagen, dass es besser werden wird. Die Trauer, die Wut und die Schuldgefühle werden nachlassen und irgendwann wirst du auch wieder lachen können. Du darfst dich jetzt nur nicht selber aufgeben.

Und ich weiß ganz genau, dass du in deiner Situation nicht alleine bist: Meine Freunde, meine Eltern, deine Eltern, jeder, der mich geliebt hat wird genauso wie du trauern. Du kannst dich in deinen dunkelsten Momenten an diese Menschen wenden, und sie werden sich an dich wenden. Und ich weiß einfach, dass ihr euch gegenseitig helfen könnt, über meinen Tod hinwegzukommen, auch wenn es schwer ist.

Matthias, ich weiß, dass ich kitschig bin, aber ich weiß einfach, dass ich immer einen besonderen Platz in deinem Herzen haben werde. Und genau deswegen werde ich dich auch nicht alleine lassen. Und wenn es nur eine Erinnerung an mich ist, ich werde dir in all deinen Lebenslagen helfen, wenn du nur dafür sorgst, dass deineTrauer um mich dich nicht zerstört. Und weil ich genau davor Angst habe, bitte ich dich, mir ein Versprechen zu geben:

Versprich mir, dass du wieder glücklich sein wirst!

In Liebe,

Johanna

Hallo Johanna,

Vielen Dank, dass du mir den Brief geschrieben hast. Du kennst mich einfach zu gut. Ich habe ihn immer wieder gelesen, sowohl in meinen glücklicheren als auch in meinen traurigeren Momenten. Er war mir immer wieder ein Licht der Dunkelheit, wie ein Leuchtturm auf offenem Meer. Ich danke dir wirklich vielmals dafür! Und selbstverständlich gebe ich dir jetzt und hier ein für alle Mal das Versprechen, das du von mir wolltest: Ich verspreche dir, dass ich wieder glücklich werde.

In den letzten Wochen war ich häufiger beim Psychotherapeuten. Ich habe viel mit ihm geredet und noch viel mehr über mich selbst gelernt. Auch er hat meinen Dank verdient. Schließlich war er derjenige, der mir diese „Brief-Therapie" für die Trauerbewältigung überhaupt erst empfohlen hat.

Ihr beide habt dafür gesorgt, dass ich in letzter Zeit trotz der ganzen Trauer wieder lächeln konnte. Sicher, es schmerzt immer noch wie die Hölle, aber ich denke, durch euch beide habe ich einen riesigen Schritt nach vorne gemacht und weiß einfach, dass ich nun wieder anfangen kann, das Leben zu genießen. Wer weiß, vielleicht bin ich ja schon bald dazu bereit, mein Sommerhaus zu verlassen und wieder zu meinen Eltern in die Stadt zurückzukehren. Ich weiß,dass das hier nur ein erster Schritt ist, aber ich habe wieder neuen Mut gefasst und denke nun, dass... dass es Zeit ist, Abschied zu nehmen.

Johanna,du weißt, dass ich dich liebe und dich auch immer lieben werde. Und ich werde dich auch genau so in Erinnerung behalten, wie du es dir gewünscht hast: Fröhlich, mit einem Lächeln auf den Lippen und immer Blödsinn im Kopf.

Aber trotzdem denke ich, dass es nun Zeit ist, Abschied zu nehmen. Ich hoffe, dass es dir jetzt, wo immer auch du gerade bist, gut geht und möchte dich wissen lassen, dass man dich immer in guter Erinnerung behalten wird.

In Liebe,

Matthias

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