0. die stille meines schweigens
Worte sind ein Teil von mir.
Worte sind groß
und Worte sind klein,
lieblich und hart,
freundlich und gemein.
Worte sind vorschnell und zögerlich,
wahrhaft und lügnerisch,
selbstlos und hinterhältig.
Worte sind sanft und rau,
zart,
wie rosige Blüten an einem milden Frühlingsmorgen
und flammend,
wie der Zorn in deinen Augen,
wie das lodernde Feuer in finsterer Nacht.
Worte sind beruhigend,
wie ein gesungenes Abendlied,
aufwühlend,
wie die bittere Enttäuschung.
Worte sind freudig,
wie der laue Sommerduft nach Sonnencreme und Freibadchlor,
melancholisch,
wie der eiserne Blick in die Sterne.
Worte sind herb und bitter,
wie der tiefrote Wein auf deinen Lippen,
süß,
wie Lebkuchen am Weihnachtsmorgen.
Worte sind schwer wie das Leben und leicht, wie die Liebe.
Worte sind ein Teil von mir,
fassen, beschreiben,
umarmen und kleiden
die wirren Gedanken in meinem Kopf,
die großen und kleinen,
die freundlichen und die gemeinen.
Und ich geh', schreib sie nieder.
Und ich schreibe und schreibe und schreibe und schreibe.
Von Glück und Verderben,
von Leben und Sterben,
von Lachen und Weinen,
von Wahrheit und Schein,
von Antwort und Frage,
von Freude, von Klage,
von mir und von dir, habe ich geschrieben, so lang.
Und doch.
Wenn ich hier stehe,
dir gegenüber,
in der nachtschwarzen Finsternis,
auf einem Feldweg am Rande der Stadt,
dessen Lichter in der Dunkelheit glühen,
wie die Sterne am Firmament,
dann habe ich keine Worte mehr.
Dann sind Worte kein Teil von mir.
Dann sind Worte weder groß, weder klein,
nicht freundlich und auch nicht gemein.
Dann ist alles, was ich fühle das Zögerliche,
das Lügnerische,
das Hinterhältige.
Das Raue,
das Flammende,
so wie dein Zorn es ist, wenn ich schweige,
das Aufwühlende,
das Melancholische,
das Herbe und Bittere.
Und du siehst mir nicht in die Augen,
denn das kannst du ja nicht,
schaust mich nicht an,
nur in den Himmel hinauf,
jetzt,
wo wir diesen schmalen Feldweg entlang spazieren.
Gott weiß, wie wir hier hin gekommen sind,
wenn es ihn denn gibt,
diesen Gott.
Und du fragst mich,
wie es mir geht,
ob ich glücklich bin,
mich überwunden hab
oder noch immer dort stehe, wie vor ein paar Jahren,
während der Wind in den Ästen des alten Waldes heult,
in den Zweigen knarrt,
in den Blättern wispert,
Geschichten erzählt von Schmerz und von Glück.
Ich drehe den Kopf weg,
um auch dich nicht anzusehen,
denn vielleicht,
ja vielleicht,
ganz vielleicht,
geht es so ja besser.
Vielleicht sind Worte dann ein Teil von mir,
wenn ich mir vorstelle,
ich würde mit mir selbst reden,
nur mit mir selbst
und du wärst nicht da
und der steinige Feldweg nicht,
die dunklen Halme an dessen Rand,
die sich im Winde wiegen
und auch nicht die am Horizont ertrinkende Sonne,
die in sattem Orange,
sonnigem Gelb,
und blutigem Rot
ihre letzten Künste dieses Tages vollführt.
Ich tue so,
als würdest du mich nicht erwartungsvoll anschauen,
als wüsstest du die Antworten auf deine Fragen
nicht selbst schon ganz genau,
als würdest du die melancholische Stimmung nicht
durch ein aufmunterndes Grinsen
und dieses lächerliche Rumgespiele
mit deinen blonden Haaren auflockern wollen.
Ich tue so,
als wäre ich weit von hier,
nicht unter dem sternenbehangenen Himmelszelt,
nicht unter dem silbernglitzerndem Sichelmond,
der so hell leuchtet,
als wäre er aus flüssigem Metall gegossen,
als wäre ich fern von hier,
in meinem Zimmer,
in meinem Bett,
nur dort,
alleine mit meinen Gedanken,
Stift und Papier.
Denn dann sind Worte ein Teil von mir.
Ich tue so,
als würde der unebene Boden
nicht in die nackte Haut meiner bloßen Füße drücken,
der spitze Kies nicht in meine geschundenen Zehen,
als wäre es nicht schon spät am Abend
und wir wären nicht weit fort
von den hell leuchtenden Lichtern der Stadt,
die sich in der Ferne,
wie ein goldenes Band auf Haff und Land legt,
die nahen Berge und den Wald für sich einnimmt.
Ich tue so,
mit weggedrehtem Kopf,
um nicht in dein erwartungsvoll
gebanntes Gesicht zu blicken
und wünschte,
ich könnte sprechen,
wünschte,
Worte wären ein Teil von mir,
wenn es darauf ankommt.
Wenn ich nicht schreibe,
über Nonsens und Firlefanz,
wenn ich nicht da sitze,
mit meinen Gedanken und Stift und Papier.
Denn wenn ich sie brauche,
sind meine Worte fort.
Meine lieblichen Worte,
meine seichten und schönen.
Meine rauen Worte,
meine gemeinen und bitteren.
Kein Ton geht über meine Lippen,
wenn du mich fragst,
wie es mir geht,
ob ich glücklich bin,
mich überwunden hab
oder immer noch dort stehe,
wie vor ein paar Jahren.
Kein Ton,
kein Klang kommt aus meinem trockenen Mund,
wenn es darauf ankommt.
Wenn die Worte in meiner Kehle brennen,
sie mir in Gewalt
und Macht den Atem nehmen,
die Brust zuschnüren
und ich doch nichts sagen kann.
Wenn die Worte in meinem Kopf dröhnen,
schwer und durchdringend,
wenn sie in stechendem Schmerz
durch mein Herz zucken,
mehr und mehr
und immer weiter,
mich betäuben,
bis ich nichts mehr fühle
und doch alles, was mich umgibt
und ich noch immer stumm bleibe.
Und dann will ich brüllen,
die Antwort auf deine Fragen,
dass dir dieses lächerliche Grinsen vergeht,
ich will schluchzen,
bittere Tränen auf meinen Wangen,
die meinen Mascara verwischen
und im Schweiße meines Angesichtes glitzern,
ich will sprechen, laut,
und ich will schreien noch lauter.
Doch ich kann es nicht.
Manchmal sind Worte kein Teil von mir,
nur die Stille meines Schweigens.
Und wir biegen um eine Ecke,
in Richtung Stadt,
wo die Lichter weiter glühen, immer weiter. Du lächelst noch immer,
wartest auf die Antwort auf deine Fragen, wohl wissend,
was diese ist,
doch du willst es von mir hören.
Und als ich gehe,
einen bloßen Fuß vor den anderen setze,
herab auf die winzigen Kiessteinchen,
die sich schmerzhaft in meine Haut graben,
als ich meinen Blick gen Boden wende
und leise und hart schlucke,
da sind sie es.
Da sind Worte ein Teil von mir.
„Mir geht es nicht gut", sage ich und weine.
[für mich als Du, als Heute ein Irgendwann war]
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