Bilderrahmen
Manchmal fühle ich mich leer. Sehr leer. So leer wie ein Bilderrahmen ohne Bild. Ein goldverzierter Bilderrahmen in einer Kunstaustellung voller seinesgleichen. Sie alle tragen prunkvolle Gemälde in sich oder zieren abstrakte Farbzusammenstellungen berühmter Künstler. Sie sind unterschiedlich, jedes für sich besonders, doch der leere Bilderrahmen erreicht eine neue Dimension der Besonderheit und damit ist er der einzige. Die Leute schauen ihn an, akzeptieren, dass er ein Fehler der Angestellten sein muss und gehen weiter, um sich die bunten Bilder anzusehen.
Wäre der Bilderrahmen in einer anderen Ausstellung, dessen Name schon verraten würde, dass dort keine normale Kunst zu sehen ist, würden die Menschen ihn nicht so offensichtlich ignorieren.
Oft wird gesagt, man sei perfekt, wie man ist und solle sich nicht verstellen, um anderen zu gefallen, doch unzählige Male schon hatte sich der Bilderrahmen gewünscht, wie die anderen zu sein, nur um dazu zu gehören.
Alles wäre nur halb so schlimm, wenn er nicht so alleine wäre. Er hatte niemanden, der ihn mochte, der ihn tröstete und ihm sagte, er sei schön.
Und so verblasste mit der Zeit sein goldener Glanz und eine Staubschicht legte sich auf seine Schnörkel. Jetzt sahen die Leute ihn nicht nur als unvollständig, sondern als unvollständig und hässlich an. Je einsamer und leerer sich der Bilderrahmen fühlte, umso dicker wurde auch die Staubschicht und die Leute beachteten ihn immer weniger. Es war ein Teufelskreis, der von alleine niemals enden würde.
Irgendwann hatte der Bilderrahmen gar nicht mehr den Anspruch, den Leuten zu gefallen, er schlug die Zeit nur noch mit trübseligen Gedanken tot und hoffte auf Hilfe.
Doch in seinen Träumen, da hing im Barock mit teuren Ölgemälden über dem Kamin eines angesehenen Hausherren, hing zwischen Tapetenfetzen zu nächtlichen Zeiten in uralten, gruseligen, legendenumwobenen Burgen, einen schwarzen Reiter in sich tragend, in einer schicken Villa an einer makellosen Wand oder in einer kleinen und engen, aber gemütlichen Wohnung, dessen Bewohner sich jeden Tag an ihm erfreuten.
Letzteres war der schönste Traum, denn dort hatte er das Gefühl, gebraucht und geliebt zu werden, ein Gefühl, das ihm schon lange fehlte.
Bitte, wischt die Staubschicht beiseite, lasst den goldenen Glanz aufs neue erstrahlen und gebt dem Rahmen ein Bild.
Diesen Text hab ich schon vor einiger Zeit geschrieben und gestern in einer Schublade wiedergefunden, ich wollte ihn euch nicht vorenthalten.
Cay
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