Kapitel 12
Die nächsten Wochen vergehen mehr und minder friedlich. Pearl lebt sich immer mehr zwischen den Helden ein und lernt mit jedem einzelnen von ihnen umzugehen. Denn man muss die Zusammenarbeit miteinander lernen, wenn man auf der Straße nicht ein totales Desaster erleben will.
Heute ist die Praktikantin zusammen mit Tief und Fighter auf Patrouille. Ihre Schichten liegen meistens früh am Morgen oder spät am Abend, wenn es dunkel ist. Die Tagesschichten übernehmen Helden, die zwar nicht unbedingt fähig sind, aber einen gewissen Namen auf der Straße haben. Leader pflegt diesbezüglich zu sagen, dass ein Name manchmal mehr Wirkung hat, als tausende ihrer Taten je haben könnten und auch wenn Pearl ihm gern widersprechen würde, weiß sie, dass er Recht hat. Unfair findet sie es trotzdem, denn den Helden wird kein einzelner ihrer Erfolge gut geschrieben, meistens wird in den Bericht geschrieben, dass sie irgendeinem dieser berühmten Helden geholfen haben. Auch wenn dieser manchmal keinen Finger auf der Mission gerührt hat.
"Das ist nicht richtig." regt sie sich bei Tief darüber auf. Während man bei Leader auf taube Ohren stieß, was die Behandlung der Helden anging, so war der inoffizielle Zeitanführer der Gruppe immer für eine Diskussion dieser Art offen. "Ich finde es auch nicht gut, doch wir müssen uns eben der Obrigkeit fügen." "Das vermittelt der Gesellschaft doch ein vollkommen falsches Bild." schimpft die junge Praktikantin weiter. "Ach. Aber sei doch ehrlich. Hast du nicht früher auch diesen Helden zugejubelt, die zu Galen eingeladen werden und ihre Reden schwingen. Hättest du geglaubt, dass er seinen Namen durch die Arbeit anderer Heldenteams erhalten hat. Denn nicht nur wir werden ausgenutzt. Es gibt viele gute und kleine Teams, die im Hintergrund agieren. Sie sind weniger Bekannt und werden deshalb oftmals als Sidekickteams abgetan oder so etwas. Doch sie sind qualifizierter als mancher große Held."
Pearl schnaubt und will gerade etwas erwidern, als sie durch eine Handbewegung von Luna zum Schweigen gebracht wird. Die blinde Kämpferin hat unglaublich gute Ohren und bedeutet uns still zu sein.
Sofort setzt sich Tief an die Spitze unseres kleinen Teams und biegt langsam um die Ecke. Die Dunkelheit lässt uns mit sich verschmelzen und er bedeutet uns hier zu bleiben. Dann ist er auch schon verschwunden.
Nur Sekunden später taucht er hinter mir wieder auf. "Ihr glaubt nicht, was ich mit meinem eigenen Auge gerade gesehen habe." meint er entgeistert und schüttelt den Kopf. "Folgt mir, um die Ecke ist eine Feuerleiter, von der aus wir einen guten Blick auf das Gelände haben." fügt er hinzu, bevor Pearl ihn darüber ausfragen kann, was er gesehen hat.
Gemeinsam erklimmen die drei die Feuerleiter und die junge Praktikantin schirmt ihre Augen gegen die hellen Scheinwerfer ab, die ihr entgegen strahlen. Sie können von hier aus auf einen Hinterhof hinab blicken, auf dem gerade zwei Männer dabei sind einen schwarzen Van zu entladen. Gerade als sie Fragen will, was daran so ungewöhnlich sei, da sie sich in einem der Clubviertel befanden, in denen um diese Uhrzeit des öfteren noch Waren geliefert wurden, traten zwei Männer aus dem Gebäude.
Für einige Sekunden bleibt das Herz der jungen Praktikantin stehen, doch sie ist bei weitem nicht so überrascht, wie sie es wohl nach gesellschaftlichen Standards hätte sein sollen. Unten zwischen den ausladenden Männern stand Adlerauge, einer der bekanntesten und beliebtesten Helden der Nation. Er war eine Ikone der Gesellschaft und wurde von allen geachtet. Doch nun stand er dort unten und brüllte einem der Männer etwas zu.
"Wer ist das neben ihm?" fragt sie leise und Robin antwortet leise. "Es ist ein Chemiker, den wir vor wenigen Monaten aufgegriffen haben. Er hat mit Sprengstoffen experimentiert und diese auch bei Zeiten gern getestet. Die Regierung hat lange den Deckel drauf gehalten, weil er bei der Säuberungsmission mit äußerster Präzision vorgegangen ist. Doch als er begonnen hat den Sprengstoff und hochgiftige Substanzen zu verkaufen, musste die Regierung ihn zu einer Gefahr für die Bevölkerung erklären. Wir haben ihn damals aufgespürt und dem Heldentower übergeben. Die Festnahme würde Adlerauge und seinem Sidekick angerechnet und die ganze Aktion vertuscht." erzählt er, ohne die Männer aus den Augen zu lassen.
Pearl schnaubt und beugt sich etwas vor, bevor sie leise wispert. "Wir müssen etwas tun." Ihre Hände ballen sich zu Fäusten und sie starrt den Helden an. Früher hätte sie behauptet, dass es eine logische Erklärung für das Verhalten eines ihrer Idole gäbe. Doch im Heldentower war sie außerhalb des Kellers noch keinem Helden begegnet, der ihre Bewunderung im geringsten verdiente. Sie hetzten ihre Sekretärinnen hin und her und schickten die Sidekicks ihre Aufgaben erledigen, nur um dann den Ruhm zu kassieren. Außerdem würde man schwerlich eine legale Erklärung für den Umstand finden, dass sich Adlerauge mit einem kriminellen Chemiker traf, auch wenn sie sicher war, dass die Medien schon etwas finden würden.
"Und was willst du machen?" fragt Fighter und schnaubt leise. "Willst du in den Heldentower marschieren und sagen, dass eine Binde und ein Einäugiger mit übernatürlichen Fähigkeiten zusammen mit ihrer Gebrandmarkten Praktikantin einen der berühmtesten Helden der modernen Zeit bei illegalen Geschäften beobachtet haben?" fragt sie resigniert und Pearls inneres verkrampft sich. "Wir könnten Fotos machen?" schlägt sie hoffnungsvoll vor, doch Tief schenkt ihr nur einen mitleidigen Blick. "Das Licht ist so eingestellt, dass man keine Aufnahmen machen kann." erwidert er und nickt zu den Scheinwerfern.
Einen Moment bleiben sie noch stehen, dann legt Luna der jüngeren eine Hand auf die Schulter. "Nun komm. Wir gehen Heim und erstatten Leader Bericht. Wir müssen einfach abwarten." sagt sie sehr sanft und auf einmal fühlt sie Pearl wie ein kleines Mädchen, dem man erklären muss, dass die Welt nun mal grausam und ungerecht ist.
Und im Stillen verspricht sie sich und der Welt, dass sie etwas dagegen tun würde
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