Mein erstes Mal
Es gibt bekanntlich nichts schöneres als nach gutem Sex am nächsten Morgen von der hellen Sonne aufgeweckt zu werden, die einem ins Gesicht scheint - Vögel zwitschern, man ist glücklich und es herrsch Friede, Freude, Eierkuchen. Zumindest hatte Benedict Herber sich sein - inzwischen schon leicht überfälliges - erstes Mal so vorgestellt, aber dieser Traum war gerade natürlich in tausend Einzelteile zerschlagen worden; draußen regnete es, das Bettzeug war total verklebt von ihrem »Liebessaft« und in seinem Magen herrschte gähnende Leere. Wenigstens schnarcht dieser Jules nicht auch noch. Etwas verschlafen seufzte er und setzte sich gequält auf, darauf bedacht, den süßen Franzosen, der da neben ihm im Bett lag, nicht zu wecken; auch wenn es ganz gut gewesen war, bereute er es inzwischen, mit ihm geschlafen zu haben - er wusste selbst nicht wieso. Gerade kam ihm alles einfach nur verdammt grau und schrecklich vor, was auch daran hätte liegen können, dass er sein Leben generell nicht so sehr mochte. Das änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass er jetzt mit total verwuschelten Haaren und schmerzendem Unterleib im Bett des französischen Austauschschülers Jules Courbert lag, während draußen die Regentropfen gegens Fenster prasselten und unbeschreibliche Kälte in der Ein-Zimmer-Wohnung des Franzosen herrschte; war er einfach zu dumm oder zu pleite gewesen, um die verdammte Heizung aufzudrehen? Benedicts Magen knurrte erneut sehnsuchtsvoll und unter großen Mühen quälte der Zwölftklässler sich aus dem Bett - sofort durchfuhr ihn ein gellender Schmerz in seiner Lendengegend und unter einem lauten Stöhnen taumelte er zurück auf die Matratze; alles klar, laufen konnte er auf jeden Fall schonmal nicht. Dass diese Franzosen aber auch keine Zurückhaltung kannten! Wie aufs Stichwort regte sich auf der anderen Seite des Doppelbetts Jules und begrüßte Benedict mit einem verschlafenen »Morgen«, bevor er sich langsam aufrichtete und seinem Geliebten für eine Nacht einen Kuss auf die Stirn gab.
»Du haben gut geschlafen?«, fragte er mit starkem Akzent und da fiel Benedict auch schon ein weiterer Grund ein, sein erstes Mal zu bereuen; die Sprachbarriere zwischen ihm und Jules war riesig. Schließlich besuchte er brav den Lateinunterricht, während Jules sich bei den hübschen Blondinen im Französischraum räkelte - klar, dass sie sich nicht verstanden. Warum der gut aussehende Franzose aber mit so wenigen Deutschkenntnissen nach Köln gekommen war, ließ sich nur vermuten; man munkelte im Schulflur aber, dass seine Eltern sich trennten und keiner sich hatte um Jules kümmern wollen, weshalb jener schnell abgehauen war, um das letzte Schuljahr in Ruhe irgendwo anders zu beenden.
»Ja. Ich habe super geschlafen«, antwortete Benedict etwas gebervt und ließ sich zurück unter die Bettdecke fallen.
»Nur killen mich jetzt diese Schmerzen da unten.«
Er gestikulierte mit der Hand und hoffte, dass Jules ihn so weit verstand, dass er nicht doch noch den Google-Übersetzer anschmeißen musste. Zum Glück nickte jener verständnisvoll und streichelte zärtlich über Benedicts Schulterblätter.
»Meine Schuld. Ich machen … mache wieder gut.«
Er stand auf und schlüpfte in die schwarzen Boxershorts, die auf dem Kleiderhaufen am Boden lagen, den Benedict gestern Abend hinterlassen hatte, als er dem Schönling die Sachen vom Leib riss, in äußerst freudiger Erwartung - jene war inzwischen aber sowas von nicht existent, dass es fast weh tat. Der Zwölftklässler beobachtete teilnahmslos, wie der Franzose zur Küchenzeile der Wohnung hinüber ging und begann, mit Pfannen und Töpfen zu klappern; nein, übrig hatte er allein für diese Szenerie nichts mehr. Dieser Ort war grau, langweilig und die Situation nun mal einfach nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte. Missmutig griff er nach seinem Rucksack, der neben dem Bett stand, und kramte sein Handy heraus; es war zehn Uhr achtunddreißig und er hatte keine neuen Nachrichten, außer von Thomas, seinem besten Freund. Wo bist du???, hatte der geschrieben, gestern um dreiundzwanzig Uhr zehn. Stimmt, sie waren ja bei ihm Zuhause verabredet gewesen … Schnell fotografierte er Jules' Rückansicht plus einen Ausschnitt des Raumes und schickte es Thomas. Mehr Erklärung war wohl nicht nötig. Danach steckte er das Handy wieder weg und legte sich noch einen Moment hin, bis Jules mit zwei Tellern voll mit warmen Eierkuchen bestrichen mit Nutella zurück zum Bett kam.
»Danke.«
Benedict rollte einen der Eierkuchen zusammen und nahm ihn zum Essen einfach in die Hand - das Bettzeug musste eh gewechselt werden, also war es eigentlich egal, ob sie krümelten. Ein kurzes Schweigen entstand, in dem jeder mit sich selbst beschäftigt schien, bis Jules zögerlich das Wort ergriff:
»Du müssen eigentlich bald nach Hause?«
Benedict schüttelte den Kopf.
»Nein. Meine Eltern denken, ich übernachte bei einem Freund, also vermisst mich weiter keiner.«
»Also bleibst du noch etwas?«, fragte Jules erwartungsvoll und schaute ihn mit seinen braunen Hundeaugen an.
»Sollte ich denn?«
»Ich mögen dich sehr.«
Der Franzose lächelte etwas unsicher und Benedict wendete sich schnell wieder seinem Essen zu; mögen. Spürte er so etwas auch für Jules? Nein und eigentlich war das Alles gestern generell nichts mehr als er impulsiver Zufall gewesen; sie hatten sich getroffen, als Benedict auf dem Weg zu Thomas gewesen war, Jules hatte ihn freundlich in seine Wohnung gebeten, sie hatten rumgemacht … Benedict hatte die Gelegenheit einfach am Schopf gepackt und nicht weiter über tiefere Angelegenheiten wie "Mögen" nachgedacht.
»Na schön, ich bleibe noch. Aber komm nicht auf dumme Gedanken, mir tut sowieso schon alles weh.«
Er stellte seinen inzwischen leeren Essensteller auf den Dielenboden vorm Bett und kuschelte sich wieder ein. Jules tat es ihm gleich und schaute ihn lächelt an, während sie da so schön im Bett lagen, nur wenige Zentimeter von einander getrennt.
»Was ist?«, fragte Benedict halb verlegen und genervt.
»Du sein hübsch.«
»Pff, von wegen. Du bist doch der Schönling hier.«
Er drehte sich um, so dass er nicht mehr den Franzosen, sondern das kleine Buchregal vor dem Fenster sehen konnte; es war vollgestopft mit Zetteln, Schulbüchern und Romanen, so dass es aussah, als würde es gleich unter dieser Last zusammen brechen - bei Benedict Zuhause war es ähnlich.
»Ich mag dich wirklich, Benedict.«
Er spürte, wie Jules näher kam und sich an seinen Rücken kuschelte; ein angenehmes Gefühl von Wärme umschlang ihn, so dass er sich unbewusst näher an den Franzosen drückte.
»Aha.«
»Aber ich wissen, dass wir uns kaum verstehen können.«
»Mhm.«
»Und dass du dir Situation anders vorgestellt haben.«
Das traf mehr oder weniger ins Schwarze und Benedict öffnete hellhörig die Augen.
»Aber … Geben mir zweite Chance, ich wollen dich machen glücklich«, erklärte Jules unter Anstrengungen und legte seinen Arm um ihn.
»Glücklich«, widerholte der Zwölftklässler und schloss wieder die Augen. Konnte er mit diesem Typen wirklich glücklich werden? Ging sowas überhaupt?
»Na schön, dann gib mal dein Bestes«, antwortete er leichthin und gähnte.
»Aber erstmal lass uns noch 'ne Runde schlafen.«
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