Hungry Eyes
Es war ein Tag, wie jeder andere, als Nicholas durch die grell beleuchteten Gänge des städttischen Supermarkts schlenderte, um sich etwas zum Abendessen zu besorgen. Kritisch beäugte er das Sortiment - Kochbeutelreis, Tiefkühlsteaks, Bratkartoffeln aus der Tüte - und sinnierte darüber, wie er wohl was essen und nicht zu viel Geld ausgeben konnte. Immerhin war das Studentenleben mit vier Nebenjobs und hoher Wohnungsmiete nicht grade billig, wenn man so wollte. Akribisch studierte er die Preisschilder verschiedener Tiefkühlwaren und horchte in sich hinein; er hatte eigentlich verdammt großen Hunger und damit sollte man ja bekanntlich nicht einkaufen, oder? Aber wenn man sich nicht satt essen konnte, weil nichts da war und man deshalb Lebensmittel kaufen musste, was verdammt machte man denn dann bitte?
»Shit«, hauchte Nicholas und lehnte sich gegen die Kühltruhe, um die aufkommene Übelkeit abzuwehren; die kam nämlich immer in kleinen Etappen, wenn er mindestens einen Tag nichts gegessen hatte. Aber so war das nun mal und anders konnte er seine Studiengebühren nicht bezahlen, es sei denn ...
Nein, er würde seinen Vater jetzt nicht um Geld anbetteln! Nicht nach dem er vor zwei Jahren ohne ein Wort zu sagen mit einem heißen Spanier durchgebrannt war; diese Affäre hatte aufgehört, bevor sie überhaupt richtig anfing und der Kerl hatte sich mit all ihren Ersparnissen davon gemacht. Wie konnte er seinem Vater da unter die Augen treten? Wenn er und Pablo wenigstens noch zusammen wären ...
Nicholas hatte nie auch nur versucht, seinem Vater zu sagen, dass er schwul war - ja, er hatte es selbst nicht wirklich gewusst, doch dann kam Pablo und alles ging so wahnsinnig schnell.
Wenn er die Zeit zurück drehen könnte, würde er seinem Vater alles »beichten« und sich ganz sicher gar nicht erst mit Pablo einlassen - obwohl dieser Kerl wirklich etwas zu bieten gehabt hatte. Auch wenn das nur leider nicht übermäßig viel Geld war. Ein kleines Lächeln schlich sich auf Nicholas' Gesicht, während er an den Tiefkühlpizzen vorbei lief. Früher hatte er jeden Freitag Abend - auch wenn es insgesamt nur sechs gewesen waren - mit Pablo Pizza Hawaii gegessen, auf der kleinen Schlafcouch ihrer Wohnung. Nicholas hasste diese Pizza eigentlich, aber damals kam es nicht darauf an, was er aß, sondern mit wem. Mann, was war er damals noch naiv gewesen! Vom Hunger angetrieben ging er weiter, guckte und guckte sich durchs Sortiment, während alles in seinem Magen sich verkrampfte - wobei da ja eigentlich gar nichts war. Jedenfalls tat sein Bauch weh und er fühlte sich gänzlich unwohl, was außer ihm selbst keiner zu bemerken schien; es war neunzehn Uhr an einem Samstag und es war nicht wirklich was los im Laden - im Moment entdeckte er sogar keinen einzigen weiteren Kunden hier. Da würde es doch auch nicht auffallen, wenn er sich etwas zu essen einsteckte und dann ...
Nein, das verstieß gegen seine Regeln (und nebenbei auch gegen das Gesetz)! Er hatte sich schon als Kind geschworen, niemals zu klauen. Und niemals hieß eben niemals, egal was für ein schwarzes Loch sich grade in seinem Magen breit machte - langsam wurde es noch schlimmer. Jetzt musste er sich wirklich entscheiden. Tiefkühlkost zum warm machen im Ofen oder in der Pfanne war ideal; es gab Schnitzel, Couscous, unzählige Salate, Pizza (aber definitiv keine der Sorte Hawaii) etc.
Aber halt, wenn er was tiefgefrorenes nahm, musste er es ja aufwärmen und das wiederrum hieß, dass Strom verbraucht wurde. Und das hieß nun mal auch »Geldverschwendung«, zumindest für Nicholas. Wie konnte er nur so behämmert sein und zwanzig Minuten vor dem Tiefkühlregal stehen, wenn er doch eh nichts kaufen konnte?! Er mahnte sich selbst, jetzt nicht durchzudrehen. Das war das Letzte, was er jetzt brauchte. Er würde sich einfach eine Packung Kekse kaufen, für eins zwanzig, oder so. Genau.
Er atmete tief durch und schloss kurz die Augen; er versuchte, die Bauchkrämpfe auszublenden. Und diesen gewaltigen Hunger. Langsam verfluchte er Pablo und seine schwarzen Locken inklusive süßes Zahnpastalächeln. Blöder Pablo, blöde Pizza Hawaii ...
»Hey, alles okay mit Ihnen?«
Stille. Überrascht öffnete Nicholas die Augen und was er sah, war nicht zu verachten; ein großer blonder Mann, muskulös, mit hübschem Gesicht und eisblauen Augen. Sexy. Auf einmal erschien es ihm in der Tiefkühlabteilung gar nicht mehr so kalt. Aber das änderte leider nichts an seinem Hunger - selbst nicht dann, als er den Blonden förmlich mit seinen Augen auffraß. Er besann sich natürlich sofort wieder und nicht brachte ein nervöses Lächeln zustande.
»Ja, alles in Ordnung, vielen Dank.«
»Kann ich Ihnen sonst noch irgendwie helfen, suchen Sie etwas?«
»Nein, alles super.«
Verlegen raufte Nicholas seine dunklen, kurzen Haare und grinste verlegen. Verdammt, stand diesem Fremden die Supermarktuniform gut - obwohl oder gerade weil sie so eng war und seine Muskeln, das Sixpack betonte. Zum Anbeißen, auch wenn was richtiges zu essen besser wäre.
»Okay, dann ist ja alles gut. Einen schönen Einkauf noch.«
Und weg war dieser Kerl auch schon wieder und beförderte Nicholas zurück in die harte Realität - HUNGER!
Am Liebsten aß er Schokokekse und so war es nicht unnatürlich, jetzt nach eben diesen zu suchen. Selbst fünfzehn Minuten später aber konnte er seine Lieblinge - eine ganz spezielle Sorte - nicht finden. Das war auch mal wieder typisch! Seufzend drehte er sich weg und landete irgendwie - warum auch immer - wieder bei den eisblauen Augen, die ziemlich nah an ihm dran waren, genau wieder Mensch, zu dem sie gehörten; genauer gesagt aber, stand der heiße Kerl von vorhin direkt hinter ihm. Was ein Schock.
»Ähm, hallo noch mal«, stammelte Nicholas leicht erschrocken und wich einen Schritt zurück, so dass er unweigerlich gegen das nächste Regal stolperte. Ein kleines Stöhnen entfuhr ihm, doch er stellte sich tapfer und mit glühenden Wangen wieder aufrecht hin. Sein Gegenüber schmunzelte.
»Was ist daran so witzig?«
»Nichts, entschuldigen Sie bitte.«
Der Blonde - Nicholas wollte inzwischen unbedingt seinen Namen wissen - biss sich kurz auf die Lippe.
»Kann ich Ihnen jetzt vielleicht irgendwie weiterhelfen?«
Wirklich ein hartnäckiger Kerl. Nicholas deutete auf die Stelle ihm Regal, wo seine Lieblingskekse für gewöhnlich standen, die aber heute leider Gottes leer war.
»Haben Sie von diesen Keksen noch welche auf Lager?«
»Nein, das tut mir leid, die neue Lieferung kommt erst Dienstag.«
»Oh ...«
Damit brach für unseren Keksliebhaber endgültig eine Welt zusammen, während sein Magen gluckerte und gegen die gähnende Leere zu rebellieren begann.
»Ist das sehr schlimm?«
Der Blonde fuhr sich durch die Haare und musterte ihn aufmerksam.
»Nee, alles gut.«
Schweigen. Fast freiwillig ging Nicholas einen Aufgang weiter, um den Fragen und diesem Typen zu entkommen; klar, er war ganz lecker, aber im Moment brauchte er nun mal was richtiges zu essen. Wie aufs Stichwort knurrte sein Magen extrem laut - aber zum Glück war ja kein Mensch da, der es mitbekommen hatte. Außer vielleicht ...
»Herrgott nochmal!«
Fluchend kam der extrem aufdringliche Supermarktmitarbeiter Nicholas nach, ebenfalls in diesen Aufgang. Was war denn jetzt noch?
»Bitte gehen Sie mit mir aus!«, kam es dann fast flehendlich, gefolgt von einem Hundeblick.
»Was?!«
Nicholas starrte in die hübschen Augen und war mehr als nur überrascht. Wieder biss sein Gegenüber sich währenddessen auf die Lippe.
»Selbst, wenn Sie das nur tun, weil es was zu essen gibt: Bitte gehen Sie mit mir aus. Ich ... Ich halt das nicht mehr aus.«
Er kratzte sich am Kopf und auf seine Wangen trat ein rosé farbener Schimmer.
»Tut mir leid, aber ... Sie sind mir schon aufgefallen, als Sie reinkamen und ... Es ist schwierig, das richtig zu formulieren.«
Nicholas verstand es trotzdem; dieser Traumtyp stand auf ihn und wollte ihn zum Essen einladen! Wow, das musste erst mal verarbeitet werden. Währenddessen redete der Blonde sich um Kopf und Kragen, bis Nicholas ihn schließlich stoppte:
»Ich ... Ich würde wirklich sehr gern mit Ihnen ausgehen. Nicht nur wegen dem Essen ... Also, ich bin Nicholas.«
»Und ich heiße Ben.«
Der Blonde grinste und zeigte dabei ein äußerst attraktives Grübchen auf der Wange.
»Tut mir leid wegen das Überfalls, aber na ja ...«, fügte er nach einem kurzen Schweigen hinzu und zuckte kurz die Schultern. Nicholas' Magen meldete sich da wieder laut zu Wort; extrem peinlich, aber das war im Moment egal.
»Ist schon gut ... Ich-«
Weiter kam er dann doch nicht, weil Ben ihn sanft am T-Shirt gezogen hatte und ihn nun küsste. Hier. Mitten in einem Supermarkt. Nicht sehr romantisch eigentlich, aber jetzt war es das schon, außerdem war Nicholas noch nie so etwas aufregendes passiert - abgesehen von dem Desaster mit Pablo, aber den hatte er auf einer Party kennengelernt.
»Meine Schicht ist gleich vorbei und um die Ecke ist ein guter Grieche«, grinste Ben, nachdem sie sich von einander gelöst hatten und ging nur widerwillig etwas auf Abstand; immerhin bestand die Chance, dass hier ja doch noch andere Menschen waren und es käme sicher nicht gut an, wenn irgendwer in der Waschmittelabteilung einen Mitarbeiter fand, der gerade sein Stelldichein mit einem süßen Studenten erprobte.
»Ich warte dann draußen, aber beeil dich, ich hab wirklich Hunger.«
Nicholas lachte kurz auf. Er war zwar gerade wieder im Begriff, sich mit einem hübschen Typen einzulassen, der ihn vielleicht bald sitzen ließ, aber es war ein gratis Essen und drin.
»Dein hungriger Blick ist wirklich süß; ich hoffe sehr, du kannst dich nach dem vielen Essem noch ausreichend bewegen.«
Ben zwinkerte ihm zu. Und Nicholas kam zu dem Entschluss, dass hier vielleicht doch mehr drin war, als nur ein einfaches Abendessen.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro