7.
Ich hatte lange nachgedacht, während ich im Zug saß und der Landschaft abwesend beim Vorbeiziehen zusah. Am Schluss war ich zu dem Ergebnis gekommen, dass ich völlig überreagiert hatte. Ich war gar nicht in Stegi verschossen. Ich hatte mich nur einfach mitreißen lassen bei etwas, dass ich bisher so nur aus Filmen kannte: Wiedervereinigung von Pärchen nach dem Krieg oder nach langen Reisen. Die sprangen sich gegenseitig auch in die Arme und knutschten dann hemmungslos und für Stunden. Es war bloß eine Kurzschlussreaktion gewesen und ich war falsch mit ihr umgegangen, das war alles!
Hatte Tobi uns nicht auch mal davon erzählt, dass er in Träumen Fantasien mit Mädchen gehabt hatte, obwohl er wusste, dass er schwul, und auch nur schwul war? Ja, ich denke, da war etwas ähnliches gewesen. Und der Gedanke, ob man eventuell selbst schwul war oder sich etwas mit einem guten Freund vorstellen konnte, kam jedem irgendwann einmal mehr oder weniger aus Spaß. Das musste es sein, das war eine logische und auch ganz vernünftige Erklärung. Trotzdem fühlte ich mich auf dem Rest der Fahrt so, als hätte ich Stegi in Wirklichkeit gar nicht gesehen, eher so, als wäre ich wie ein Feigling auf dem Bahnsteig in München direkt wieder umgedreht und heimgefahren... Irgendwie... leer und unvollständig. Und das tat weh, das war grausig wie tausend kleine Nadelstiche auf der Haut!
Hätte ich mich jetzt vielleicht doch besser gefühlt, wenn ich es zugelassen hätte? Nur kurzzeitig, bis der Blonde mir wirklich eine gescheuert hätte? Oder langzeitig, weil er meine verwirrten Gedanken verstehen konnte und es nicht schlimm fand? Aber nein, das hätte ich einfach nicht machen können! Was wenn mein Dino deswegen wahre Gefühle und Hoffnungen durch so eine dumme Aktion von mir entwickelt hätte, die ich ihm dann zu Weihnachten völlig zerstört hätte?! So, wie ich es gemacht hatte, war es schon richtig gewesen. Das ging wieder vorbei. Und bis dahin war ich halt ein wenig deprimiert drauf, wieso auch immer.
Doch diese Unzufriedenheit, meine Sehnsucht und der Herzschmerz wollten einfach nicht verschwinden, auch nach mehreren Tagen noch nicht. Chrissy hatte sich ab und zu zu mir gesetzt, mir Tee gekocht oder vorgeschlagen, mich doch auf einer Party abzulenken, da sie im Gegensatz zu mir immer auf dem neuesten Stand war, wer wann und wo die nächste große Fete schmiss. Aber ich blockte ab. Ich hatte keine Lust auf feiern.
"Dein Herz ist gebrochen!", stellte sie mit ihrem starken Akzent fest, "Du musst dich irgendwie ablenken, sonst wird es nicht besser!"
"Aber mein Herz ist nicht gebrochen!", gab ich heftiger als beabsichtigt zurück und starrte dann wieder ins Leere, während der Duft des Apfeltees vor mir nach und nach das ganze Zimmer füllte. Chrissy schnalzte, aber machte mir keinen Vorwurf und begann in unser Schweigen an ihrer eigenen Tasse zu nippen. "Woran erkennt man Liebeskummer?", fragte ich sie irgendwann, weil ich die Stille nicht mehr ertrug und auch nicht selbst wusste, was eigentlich mit mir los war. Sie überlegte lange für eine Antwort. "Das ist, wenn man glaubt, ohne diese bestimmte Person nicht mehr leben zu können. Wenn man Gefühle für sie hat, die aber nicht oder nicht mehr, wie sagt man?, erwidert werden. Oder dass du anfängst zu denken, du wärst... ersetzbar." Sie rang immer mehr um Worte, als hätte sie für das, was sie beschreiben wollte, keine passende deutsche Übersetzung mehr. "Du fängst vielleicht an, über schlimme Dinge nachzudenken... Bitte Tim, pass gut auf dich auf!"
Sie stand auf, stellte ihre halbvolle Tasse beiseite und band sich ihre seidenen Haare zu einem schlichten Zopf. Mit dem Rücken zu mir fuhr sie fort: "Mein Freund hat mir geschrieben, dass er eine andere Wohnung gefunden hat und möchte, dass ich zu ihm ziehe. I'm sorry, Tim. Eine Woche vor, ...vor Weihnachten, werde ich ausziehen. Hoffentlich findest du schnell wieder neue Mitbewohner...!"
In meinem Herzen begann es dumpf und laut zu pochen. Hatte sie mir je von ihrem Freund erzählt? Konnte sein, doch wenn ja, hatte ich jedes Mal Hals über Kopf in meinen eigenen Problemen gesteckt. Sie war die einzige, die sich die WG noch mit mir teilte, die anderen beiden waren letztes Semester fertig geworden. Zum Bleiben konnte ich sie schlecht zwingen, also würde ich im neuen Jahr ganz alleine hier sein.
"I'm so sorry...", wiederholte sie sich, legte eine Hand an mein Kinn und gab mir einen kurzen, sanften Kuss auf die Wange. Ich ließ sie machen, es zog gerade eh alles an mir vorbei. Als ich Stegi einmal ein Foto von Chrissys Instagram Seite geschickt hatte, hatte er gemeint, sie sei wunderschön und ich solle doch unbedingt versuchen, sie zu daten. Und ja, sie war wunderschön. Sie hatte einen perfekten Körper, lebte gesund, trieb Sport und hatte eine atemberaubende Singstimme. Aber ich liebte sie nicht. Ihr Kuss löste nichts in mir aus, nicht einmal einen Bruchteil von dem, was ich in Stegis Nähe empfunden hatte. Was zur Hölle war nur los mit mir?!
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Naa, habt ihr mich schon vermisst?
Sorry dass so lange nichts kam, ich hab mir eine fette Erkältung eingefangen und fühl mich eigentlich den halben Tag über schrecklich.. Dann noch gestern die praktische Fahrprüfung, die muss mir wohl den Rest gegeben haben, aber immerhin hab ich sie letztendlich bestanden!
Im Falle dass es mich länger ausknocken sollte, gibts heute zwei Kapitel! Aber nur heute! *mahnend mit dem Zeigefinger wink*
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