39.
Die Ratlosigkeit wurde plötzlich von einem Miauen unterbrochen, dann steckte Garfield sein grantiges Gesicht ins Wohnzimmer. So guckte er immer, wenn ihn jemand beim Schlafen gestört hatte, also schien unsere hitzige Diskussion von eben ziemlich laut gewesen zu sein. Sobald er jedoch die beiden Stegis erblickte, schlug er sich scheinbar fassungslos seine Pfoten auf die Ohren und begann, seltsame Geräusche von sich zu geben. Er war genauso verwirrt wie wir. Aber Leo musste das Erscheinen des Katers ein noch größeres Rätsel aufgeben. "Hä?! Wie kommt Bastet hier her?", fragte er geschockt, stand auf und ging los, um Garfield zu uns zu holen. "Bastet? Da musst du jemanden verwechseln, das ist Garfield", warf ich ein. Wer war denn jetzt schon wieder Bastet und warum war das so schockierend für Leo?
Der orangene Flauschball schnupperte in die Richtung des fremden Nekos und ich war der festen Überzeugung, dass er mit Fauchen und Kratzen reagieren würde wie schon auf Stegi damals. Aber ich täuschte mich, er begann zu schnurren, sich an ihm zu reiben und ließ sich dann auch bereitwillig von ihm hochheben. Ich verstand die Welt nicht mehr...
"Garfield sagst du? Hmm, das ist seltsam... Sag mal Tim, hast du je irgendetwas bemerkt, dass er sich von anderen Katzen unterscheidet? Dass er sehr clever ist, zum Beispiel?"
Woher wusste er das schon wieder?! "J-ja, ist er wirklich...", stammelte ich irgendwann, "Er versteht unsere Sprache und kann uns auf seine Weise auch antworten. Aber warum nennst du ihn Bastet? Ist das nicht eine ägyptische Gottheit?", fragte ich nach. Leo ließ sich mit seiner Antwort lange Zeit und musterte Garfield, der den Kopf schiefgelegt hatte und ihn aufmerksam beobachtete und dann spielerisch anblinzelte. "Ja, Bastet ist die ägyptische Katzengöttin. Alle Spenderkatzen hatten solche historisch angehauchten Namen. Als sie Bastet in einem Tierheim gefunden haben, erwartete sie gerade eigenen Nachwuchs, was die Forscher aber nicht von ihren Experimenten abgehalten hat. Sie wollten menschlichen Verstand, Stegis Verstand, in eine Katze transferieren und wenn ich richtig liege, ist das Ergebnis davon Garfield hier. Seine Geschwister sind noch bei der Geburt verstorben und er muss einen Weg aus den Laboren gefunden haben. Aber Bastet war nicht nur seine Mutter, sondern so gesehen auch die von Sieben. Die Kätzin war das Spendertier für ihn. Aber... wie kann es nur so viele Zufälle auf einmal geben...?!"
Ja, die Frage hatte ich mir in letzter Zeit öfter gestellt. Doch dadurch machte plötzlich auch alles sehr viel mehr Sinn. Dass ich Garfield ganz alleine gefunden hatte, dass er beinahe augenblicklich eine so große Zuneigung zu mir aufgebaut hatte, seine Eifersucht, sein Musikgeschmack und letztendlich seine Abneigung gegen den Neko, der so viele tierische Ähnlichkeiten mit seiner Mutter aufweisen musste, aber eindeutig nicht sie war. Er tat mir auf einmal so leid, vor allem durch die Tatsache, dass auch in ihm ein Teil von Stegi schlummerte. Ich wüsste nicht, ob ich an seiner Stelle die Position als fünftes Rad am Wagen so gut ertragen hätte wie er.
"Können wir für Garfield etwas tun? Werden Bastet und die anderen noch immer dort festgehalten?", wollte ich wissen, aber Leo schüttelte entschieden den Kopf. "Nein, deswegen hatte ich mich auch so erschrocken. Bastet ist tot, sie hat die Geburt von Sieben nicht überstanden. Das hat keine der Katzen. Aber wozu auch, man kann sich ja immer neue Tiere vom Heim holen und dann noch als Held dastehen, wie tierlieb man doch ist, ihnen allen ein neues Zuhause zu schenken, nicht wahr?" Seine Nase kräuselte sich angewidert, aber der Hohn in seiner Stimme hielt sich überraschend stark in Grenzen. Dafür stieg in mir eine weitere Welle der Wut und der Abscheu auf. Was auch immer es brauchte, ich würde diese Schweine aufhalten, bevor sie mit ihren Experimenten noch weitere Leben so zerstörten, wie sie es bisher getan hatten!
Stegi murmelte etwas und als ich zu ihm hinüber schaute, sah ich, dass er eingeschlafen sein musste. Im Traum drehte er seinen Kopf zur Sofalehne und zog seine Beine näher an den Körper. Es war besser, wenn er sich jetzt nach all dem Trubel ausruhte...!
Stattdessen wandte ich mich Leo zu und bedeutete ihm, mir ins Schlafzimmer zu folgen, damit wir Stegi nicht versehentlich mit unserem Gespräch wieder aufweckten. Er war einverstanden und humpelte mir nach, Garfield uns dicht auf den Fersen. Seine sonst so ausdrucksstarken Augen sahen leer und stumpf aus. Ich wünschte, ich hätte ihm helfen können...
"Brauchst du irgendetwas, bist du verletzt?", fragte ich erschrocken, als der Neko kurz vor meinem Bett einknickte und sich nur geradeso rechtzeitig am Fußende festhielt und auffing. Er lächelte tapfer: "Für, hngh, für Medizin ist es da schon ein wenig zu spät... Mein Herrchen hat mich nicht gut behandelt, schon seit dem ersten Tag nicht. Ich bin das Humpeln aber mittlerweile gewohnt, mach dir bitte keine Sorgen!"
"Mach ich mir aber! Immerhin bist du auch mein bester Freund!", protestierte ich, half ihm aufs Bett und besah mir dann seine Beine. Trotz des dicken Katzenfells konnte ich darunter deutliche Deformierungen erkennen. Ich war zwar kein Profi, aber Stegis Beine besaßen diese Beulen sicherlich nicht! Und auch keine kahlen Stellen, an denen man die mit blauen Flecken übersäte Haut unter dem Pelz durchscheinen sehen konnte! Was auch immer man Leo angetan hatte, derjenige würde dafür noch büßen, das schwor ich mir! Und alle diejenigen auch, die ebenfalls einen Neko-Klon besaßen und ihn wie Dreck behandelten! Wie auch immer ich es anstellen wollte, sie alle zu finden, ich würde eine Möglichkeit finden!
"Also Timmi... Es gibt tatsächlich noch etwas, das ich dir nicht erzählt habe. Es ist wichtig, dass du mir gut zuhörst und dich nicht von meinen Zimperlein ablenken lässt, okay? Damit kannst du mir auch sehr viel mehr helfen!", lenkte Leo meine Aufmerksamkeit zurück auf die Gegenwart. "Aber deine Verletzungen sind keiner Zimperl-", fing ich entrüstet an, aber der Kleine schoss vor und presste mir bestimmend die Pfoten auf den Mund. Ich schwieg notgedrungen. "Nicht ablenken lassen! Das ist schon-, ich meine, es geht irgendwie. Also, ich wollte dir noch sagen, dass wir nicht unbegrenzt Zeit haben! Die Flucht eines Hybriden mögen unsere Erschaffer vielleicht in Kauf genommen haben, aber wenn mein Besitzer meldet, dass ich auch noch verschwunden bin, dann werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Maßnahmen ergriffen. Siehst du das hier?" Leo hob seinen Kopf ein Stück an und deutete auf seinen Hals. An der Stelle, auf die er zeigte, konnte ich einen feinen Streifen hellerer Haut erkennen, fast unsichtbar und leicht zu übersehen, hätte er mich jetzt nicht mit der Nase darauf gestoßen. Ich nickte also. War das auch eine alte Wunde, von den Forschern vielleicht, wenn ein Neko unartig gewesen war? Leo setzte sich wieder und holte dabei bemüht leise durch die Zähne Luft. Als ich das Symptom von Stegi heute früh wiedererkannte, drohte ich noch wütender zu werden, aber er durchbohrte mich mit einem Blick, der mich daran erinnerte: Nicht ablenken lassen. So schwer es mir auch fiel!
"Das, was du da gesehen hast, ist eine Operationsnarbe. Jeder von uns hat sie und es würde mich nicht einmal überraschen, wenn du jetzt das erste Mal eine davon gesehen hast. Das, was uns dort in den Körper gepflanzt wurde, ist der Grund für meine Hektik. Ein Microchip, aber nicht wie der von normalen Haustieren. Unserer enthält ein Gift, das auf Befehl hin austritt und unseren Körper lahmlegt. Das ist das Absicherungsmittel für unsere Erschaffer, der letzte Ausweg, wenn alles aus dem Ruder zu geraten droht. Oder wenn eine neue, bessere Generation von Nekos herangezüchtet wurde. Du kannst dich glücklich schätzen, dass es nicht schon eher passiert ist... Meinen Berechnungen nach sollten sie schon bald in der Lage sein, Klone zu züchten, die mit GPS ausgestattet sind und außerdem gar keine Erinnerung mehr an ihr altes Leben aufweisen. Sie wären ein gänzlich leeres Blatt und würden für einen spottenden Aufpreis unseren Besitzern als Ersatz für uns noch fehlerhafte Exemplare zugeschickt. Ich bitte dich, du musst das aufhalten, bevor es zu spät ist! Bitte, Timmi!"
Leos riesige, bettelnde Augen wären für mich bereits Grund genug gewesen, seinem Wunsch nachzukommen, am besten morgen noch! Aber... war ich überhaupt in der Lage dazu, das zu schaffen? Immerhin sprachen wir hier von einer Geheimorganisation, die Personen entführen konnte, ohne nachweisbare Spuren zu hinterlassen, die skrupellos gegen Menschenrechte verstieß, mit unschuldigen Leben handelte wie mit Ware und nicht davor zurückschreckte, diese Hybriden umzubringen, wenn es eine neuere, sichere Variante gab, die sie an ihre Kunden verticken konnte. Bei jedem Versuch, ihnen auf die Schliche zu kommen, hatten sie mir bisher ein Schnippchen geschlagen. Und wie sollte ich überhaupt in die Firma kommen, ohne sofort Aufsehen zu erregen? So oft, wie ich mittlerweile dort gewesen war und meine Daten hinterlegt hatte, wussten sie bereits in der Kontrolle am Tor, wer ich war und was ich dort wollte. Ganz zu schweigen davon, dass ich nicht einmal wusste, was ich in den Laboren suchen musste. Die Nekos, das war klar - aber wie sollte ich verhindern, dass sie einfach neue produzierten? Ich kannte mich mit Humanbiologie nicht aus, noch weniger mit komplizierten und sensiblen Maschinen! Das war unschaffbar, je länger ich darüber nachdachte, desto deutlicher wurde das!
"Wir sollten zur Polizei gehen!", sagte ich stattdessen, "Wenn die einen von euch beiden sehen, wissen die, dass es diesmal ernst ist! Die können uns helfen, die können sich Zugang zu den Laboren verschaffen und die Forscher festnehmen! Irgendwann wird eh ein Außenstehender von euch erfahren und dann sollten wir auf deren Hilfe vertrauen, okay?"
Leo wand sich: "Wenn die mitbekommen, dass die Polizei auf ihren Fersen ist, werden sie uns alle umbringen, um sämtliche Experimente zu vertuschen! Aber das wird sie nicht stoppen, es wieder und wieder versuchen zu wollen, unter anderem Namen, in einem anderen Land, aber eine Idee kann nicht ausradiert werden, wenn sie erstmal in genialen Köpfen festsitzt! Wir müssen es allein versuchen, wir sind deutlich unauffälliger, als ein ganzer Aufmarsch von Bullen!"
"Das schaffen wir nicht!", besiegelte ich das Vorhaben traurig, aber endgültig, und wollte aufstehen, um nach meinem Freund zu sehen, als mich Leos nächster Satz zu Eis gefrieren ließ. "Ich hab dich angelogen, um Sieben zu schonen... Stegi lebt noch. Sie brauchen ihn für weitere Stammzellen. Aber sie quetschen ihn aus und lassen ihn nur geradeso noch am Leben, um ihre Arbeit weiterführen zu können. Wenn wir es nicht versuchen, dann werden wir ihn für immer verlieren! Wir dürfen ihn nicht im Stich lassen! Er zählt auf dich, Timmi!"
St-stegi... War das wirklich die Wahrheit? Er lebte doch noch? Und er wartete jeden Tag aufs neue darauf, dass ich ihn finden und retten würde? Ich wusste zwar nicht genau, warum Leo mich erst angeflunkert haben sollte und sich jetzt plötzlich widersprach, doch selbst dieser wieder aufgeflammte Hoffnungsfunke gab mir die nötige Motivation, um meine pessimistische Denkweise von eben über Bord zu werfen, mich wieder zu setzen und den Neko grimmig anzugucken. "Nagut, machen wir einen Plan!"
__________________________
Frohes neues Jahr alle zusammen und viel Gesundheit für 2018! Seid ihr gut reingerutscht? :)
Wie ihr vielleicht schon bemerkt habt, hab ich den Namen der Geschichte geändert und eine ordentliche Beschreibung hinzugefügt! Aber ganz zufrieden bin ich mit dem Titel noch nicht, klingt noch etwas merkwürdig :'D
Und ich würde mich nochmal über eure Gedankengänge freuen: Warum hat Leo gelogen? Was ist sein Ziel hinter dem ganzen? Und kann Tim all seine "Stegis" noch retten?
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro