Gut vs. Böse
ROSA
„Das war von Anfang eine Falle!"
***
„Die DEA!", schreit jemand. Ich zucke zusammen, versuche gegen mein wild pochendes Herz anzukommen. Doch ohne Erfolg. Es hämmert immer weiter gegen meine Rippen und erschwert mir das Atmen. Das für einen Moment sowieso ganz ausfällt, sodass ich nach Luft schnappen muss als wäre ich am Ertrinken.
Doch ich bin nicht im Meer, ich befinde mich in der Hölle. Guzman zieht seine Waffe, entsichert sie und beginnt zu schießen. Erst jetzt realisiere ich, dass der Konvoi – bestehend aus zwei Fahrzeugen – zum Stehen gekommen ist und auf uns schießt. Oder hat Guzman angefangen? Ich weiß es nicht. Instinktiv halte ich nach Gandia Ausschau, doch ich kann ihn nirgends sehen. Panik bricht aus, alle rennen wild durcheinander.
Nur ich stehe da und habe keinen blassen Schimmer, was ich tun soll. Wieso kann ich mich nicht bewegen? Ich wusste doch, dass sie auftauchen würden. Vielleicht ist genau das der springende Punkt: Ich will, dass sie mich fassen, will, dass sie mich treffen – obwohl ich nicht sterben will und es auch nicht vorhabe, aber die Psyche macht vieles, was der Körper nicht will –, doch ich werde nicht getroffen, werde nicht geschnappt. Im Gegenteil. Ich werde weggezogen. Eine große Hand fasst nach meiner, zieht mich weg, sodass ich nach hinten taumle und ehe ich mich versehe, drückt mir Guzman eine Waffe in die Hand.
„Nimm sie und verteidige dich", raunt er mir ins Ohr. Seine Stimme ist das, was ich gebraucht habe. Es macht klick und ich greife nach ihr, entsichere sie und fange an zu schießen. Alles geht so unfassbar schnell, dass mein Verstand kaum noch hinterher kommt. Ich will keinen Agent treffen, doch das Hin und Her, als wären es aufgeschreckte Hühner, bringt mich aus dem Konzept.
Das letzte Mal, dass ich eine Waffe in der Hand hielt, war vor fünf Jahren, damals habe ich auf Bierflaschen geschossen, aber noch nie auf Menschen. Kugeln zischen an mir vorbei, weshalb ich mich weg ducke und hinter einem Auto Schutz suche. Der Himmel über uns ist strahlend blau, während die Sonne immer stärker auf uns herabscheint, sodass mir der Schweiß aus allen Poren dringt. Er läuft mir den Rücken hinunter und lässt mich erschauern.
„Wer hat uns verraten?", knurrt Guzman neben mir. Ich schaue ihn an. Blau trifft auf Braun.
„Das war von Anfang eine Falle!" Er atmet tief durch, dreht sich um und schießt wieder. Ich.
Ich habe sie verraten – gibt es denn ein uns überhaupt? Ich habe keine Ahnung und jetzt ist nicht der richtige Zeitpunkt, um darüber nachzudenken.
Ich schaue mich um, versuche Santiago und die Jungs zu finden, was erst beim zweiten Versuch gelingt. Sie haben hinter einem größeren Stein Schutz gesucht, doch ihr eigentliches Ziel sind die Motorräder, die nur fünfzig Meter entfernt sind.
Er brüllt ihnen etwas zu, schießt im Rückwärtsgehen auf die Einheit der DEA und als sich unsere Blicke kreuzen, kann ich Wut und Besorgnis in seinen Augen erkennen.
Er will, dass ich verschwinde, dass ich abhaue und mich nicht um ihn und die anderen kümmere. Doch das lasse ich nicht zu. Ich muss einen Weg finden, damit wir alle von hier verschwinden können.
Also stehe ich auf, gebe Santiago Rückendeckung, sodass er zu seinem Bike rennen und den Motor starten kann. Ich schreie, während ich Kugel, um Kugel abfeuere und mich in eine Furie verwandle. Ich treffe einen, der sich das Bein hält und strauchelt. Er fällt zu Boden und bleibt liegen, während sich seine Kollegen weiterhin auf uns nähern.
Bis jetzt haben sie nichts gesagt, oder uns versucht festzunehmen. Wie auch, wenn Guzman sofort seine Waffe gezogen hat und das Feuer eröffnet hat.
„Pass auf!", höre ich ihn plötzlich schreien. Ich weiß nicht was los ist, aber als ich etwas auf mich zufliegen sehe, mache ich einen Satz nach hinten und knalle mit dem Kopf gegen die Stoßstange des Wagens. Rauch umfängt mich, hüllt mich schützend ein.
„Scheisse, Rosa."
Benommen öffne ich die Augen, kann kaum etwas erkennen, spüre nur, wie mich jemand packt und über den ausgetrockneten Boden schleift. Meine Absätze graben sich in den sandigen Untergrund, während ich über mir verschwommen den Himmel und die Wolken sehen kann.
Guzman lässt mich los, sodass ich mich an etwas anlehne. Immer wieder fallen mir die Augen zu, doch ich darf jetzt nicht nachgeben, ich muss stark bleiben. Doch das fällt mir verdammt schwer. Denn die Versuchung ist groß, fast ist es so, als ob mich eine unsichtbare Macht zu sich ruft.
Doch ich kämpfe dagegen an, muss meine Leute unterstützen und gewinne schließlich. Langsam sehe ich wieder klarer und nehme nicht alles verschwommen wahr, höre einiges wieder deutlicher und stehe langsam auf. Seine Hand hält mich fest, gibt mir das Gefühl von Sicherheit.
„Geht's?", fragt er vorsichtig, während um uns die Hölle los ist. Ich nicke, schaue in Guzmans blaue Tiefen und nicke erneut.
„Zeigen wir es ihnen!", sage ich entschlossen. Als geschlossene Einheit stellen wir uns dem immer noch anhaltenden Kugelhagel. Der Chemiker ist rechts von mir, Guzman steht links und feuert das ganze Magazin leer.
Einige Agents gegen zu Boden und obwohl ich gegen Gewalt und Waffen bin, fühle ich tief in mir eine Befriedigung, denen das Handwerk zu legen, die uns als schlecht darstellen. Als würden sie wissen, wie es ist, wenn die eigene Mutter zwischen die Fronten eines Kartellkrieges gerät, oder wie es ist, wenn man auf mehr Beerdigungen geht als auf Hochzeiten, Geburtstagen oder anderen Familienfesten.
Sie wissen nichts, wollen uns aber weismachen, was Gut und was Böse ist. Denn die Quintessenz ist doch, dass es dazwischen keine Grenze gibt. Sie ist in den meisten Fällen verwischt worden, oder existiert gar nicht. Weil aus guten Menschen böse werden können und weil aus Bösem manchmal auch Gutes entsteht.
Aber das wollen sie nicht sehen, denn für sie gibt es nur Schwarz oder Weiß. Grau oder sonstige Farben gibt es für sie nicht. Nachdem wir uns einen kleinen Vorsprung geschaffen haben, rennen wir zum Wagen, während der Chemiker auf mein Bike zusteuert. Ich schaue Guzman an, doch er schüttelt nur den Kopf. In seinem Ausdruck erkenne, ich dass er nicht will, dass ich umkehre und ihn aufhalte.
„Dafür haben wir keine Zeit. Steig ein!" Ein Befehl, der dem Knurren eines Tieres gleichkommt, lässt mich die Tür aufreißen und einsteigen, bevor mich eine Kugel trifft. Guzman startet den Motor und drückt das Gaspedal durch. Reifen quietschen, Staub wird aufgewirbelt und gibt uns einen Vorteil, denn als er sich wieder legt, sind wir schon weg.
Der Wagen holpert über die Einöde und schlingert immer wieder, wenn Guzman zu stark das Lenkrad herumreißt.
„Wir müssen auf die Straße", sage ich und halte nach ihnen Ausschau. Ich erkenne sie als kleinen Punkt, der immer grösser wird.
„Gib Gas!"
Guzman starrt geradeaus, weicht Büschen und anderen Pflanzen aus, während die DEA uns dicht auf den Fersen ist. Plötzlich höre ich Motorradgeräusche. Zwei der Halbstarken tauchen auf und geben uns Rückendeckung. Was soll das?
Sie sollten schon längst weg sein und wo zum Teufel ist Santiago? Tausend Gedanken wirbeln mir durch den Kopf und doch ist es, als ob ihn jemand leergefegt hätte. Endlich haben wir es geschafft und erreichen die Schnellstraße und haben wir festen Boden unter den Rädern. Doch nicht nur wir haben es geschafft, auch die zwei auf ihren Bikes und die Fahrzeuge der DEA.
„Verdammte Scheisse!", zische ich, als ich sehe, wie einer der Jungs im Fahren auf sie schießt. Er ist vollkommen ungeschützt, besitzt nicht einmal einen Helm. Ist er wahnsinnig?
„Hast du eine Waffe?", zische ich, während der Fahrtwind mir ins Gesicht bläst. Sekunden verstreichen, Schüsse hallen durch die Luft und Patronenhülsen prallen am Gehäuse des Wagens ab. Nur einer würde reichen, um uns außer Gefecht zu setzen.
„Hinten", meint er, während er im Zickzack den Schüssen ausweicht. Ich greife danach, verdrehe mir dabei fast den Arm, doch das ist mir scheissegal. Ich muss diesen Jungen retten, denn er ist nur meinetwegen in dieser Scheisse.
Meine Fingerspitzen ertasten etwas, das sich wie der Griff einer größeren Handfeuerwaffe anfühlt. Ich strecke mich noch ein bisschen mehr und kriege ihn zu fassen, ziehe die Waffe hervor und lehne aus dem mich aus dem Fenster. Der Wind verschlägt mir für einen Moment den Atem.
„Pass auf, okay?", ruft Guzman mir zu. Ich blicke zu ihm, kann Angst in seinen Augen erkennen und nicke. Als ich ein Krachen höre, reiße ich den Kopf herum und sehe, wie der Junge getroffen wurde und vom Bike fällt. Er knallt auf, dreht sich immer wieder, bis er schlitternd zum Stillstand kommt. Das Motorrad zerschellt irgendwo und geht in Flammen auf.
„Nein!"
Mein Schrei hallt durch die Luft und der Schmerz in mir, betäubt alles, was sich vorher noch an Gefühlen darin befand. Blind vor Wut und Tränen drücke ich ab, wieder und wieder. Feuere so viele Kugeln ab, bis das Magazin leer ist. Ich treffe die Windschutzscheibe, eines der Räder und den Tank.
Der Wagen gerät ins Schlingern und die letzte Kugel trifft den Fahrer. Das Lenkrad wird herumgerissen, sodass er sich um die eigene Achse dreht und zum Rammbock für das zweite Auto wird. Beide zerschellen und explodieren, als wir schon einige hundert Meter von ihnen entfernt sind.
Der Jubelschrei, den Guzman dabei ausstößt, lässt mich zusammenzucken. Ich setze mich wieder hin, versuche zu atmen und spüre mein Herz wie wild in meiner Brust schlagen. Doch innerlich bin wie ausgehöhlt. Ich ziehe die Knie an, presse meinen Kopf dazwischen und weine. Oder sind es nur Schluchzer? So genau bekomme ich das nicht mit. Ich nehme die noch immer hohe Geschwindigkeit wahr, fühle, wie der Wind durch das offene Fenster an mir zerrt, doch es kommt nicht bis zu mir an.
Es ist, als wäre eine Schranke nach unten gegangen, die alles von mir fernhält. Auch Guzmans Worte dringen nicht zu mir durch, obwohl ich höre, dass er etwas sagt. Meine Lunge krampft sich bei jedem Atemzug zusammen und lässt mich immer wieder nach Luft schnappen. Mein ganzer Körper zittert und meine Muskeln fühlen sich an als hätte ich Metall in ihnen.
Ich habe einen Jungen auf dem Gewissen – bestimmt auch einige Agents – aber das junge Leben wiegt schwerer, denn er wollte mir nur helfen und musste mit seinem Leben bezahlen. Das ich ihm genommen habe. Ich habe das Gefühl zu ertrinken, zu ersticken, zu verbluten, zu verbrennen. Alles auf einmal.
Denn in Wahrheit würde ich das gerne tun, nur um ihn zu beschützen. Mein Leben gegen seines.
„Rosa", höre ich eine leise Stimme. Jemand berührt mich am Arm, ich zucke zusammen und schüttle den Kopf.
Ich presse meine Augen zusammen, will nicht sehen, was ich getan habe. Doch die Bilder haben sich auf meine Netzhaut gebrannt – unwiderruflich und für immer. Ich reiße sie auf und sehe doch nichts. Alles ist verschwommen. Die Tränen nehmen mir die Sicht auf alles, was vor mir liegt.
"Es ist alles gut. Wir haben sie abgeschüttelt."
Wieder diese leise Stimme, die mir vermitteln will, dass vermeintlich alles überstanden ist. Doch das ist es nicht und wird es nicht. Ich muss abhauen, muss zurück in die Staaten oder in ein anderes Land, in dem mich Gandia nicht findet.
Denn er wird nicht locker lassen, jetzt mehr denn je. Ich habe sicher einige seiner Leute ausgeschaltet, das wird seinen Rachedurst schüren und dann ist nicht nur mein Vater so gut wie tot, sondern auch ich.
„Sieh mich an", sagt Guzman mit fester Stimme. Ich kann nicht, möchte ich am liebsten schreien, doch dann spüre ich seine Hand an meinem Gesicht. Sanft streichen seine Finger über meine Wange und wischen die Tränen weg, die in Bächen darüber geflossen sind.
Diese Geste, so überraschend zärtlich, lässt mich sie öffnen und in seine blauen Augen schauen. Die mich dieses Mal nicht mit einem Blitzen oder Funkeln betrachten, sondern voller Emotionen, die allesamt mir gelten. Oder irre ich mich da? Spielt mir mein Verstand einen Streich und in Wahrheit ist er wütend auf mich und würde mich am liebsten töten?
„Du hast uns gerettet, verdammt", flüstert er und beugt sich zu mir rüber. Küsst mich, zuerst nur sachte, doch dann wird er leidenschaftlicher und der Druck auf meinen Lippen wird stärker. Automatisch öffne ich sie, lasse seine Zunge mit meiner tanzen und als ich seine Hitze spüre, reagiere ich und erwidere den Kuss. Ich spüre wie seine Zunge über meine Unterlippe streicht, wie seine Hände mich umfassen und festhalten. Und genau das brauche ich jetzt. Ihn.
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Was sagt ihr über dieses Kapitel?
eure Amanda
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