Casino Royal
ROSA
„Vergiss nicht zu atmen, Vögelchen."
***
„Pünktlichkeit kennst du nicht, oder?", frage ich ihn durch das offene Fenster seines Bonzenwagens. Guzmans markantes Gesicht hellt sich auf als er lacht und mir seine perfekten Zähne präsentiert.
Mir fällt die Fliege auf, die er trägt, dazu der schwarze Anzug – oder ist es ein Smoking? Ich habe mich Gott sei Dank schlau gemacht, wo er mich unbedingt dabeihaben will und mich dementsprechend gestylt, aber dass er gleich so dick aufträgt, hätte ich nicht gedacht.
„Der Verkehr, du kennst das ja", brummt er.
Ich ziehe eine Braue nach oben, öffne die Tür und lasse mich so gut es mit dem schwarzen Kleid geht, auf dem Beifahrersitz nieder. Dabei spüre ich seine Blicke auf mir, erwidere sie aber nicht. Trotzdem kann ich das Kribbeln auf meiner Haut nicht ignorieren, dass sich ausbreitet, sobald ich merke, dass er mich ansieht.
„Außerdem wohnst du ziemlich abgelegen. Ich dachte ich würde es nicht finden", scherzt er und lacht dabei. Der tiefe Klang bringt mich zum Erschauern, was sich mehr als angenehm anfühlt. Seltsamerweise habe ich mich fast schon daran gewöhnt, obwohl ich es so selten höre. In den letzten zwei Tagen kaum, deshalb genieße ich es umso mehr.
„Das sagt die Person, dessen bester Freund noch weiter weg von der Zivilisation entfernt", erwidere ich und schließe die Tür einen Ticken zu fest, was mir einen tadelnden Blick einbringt. Diesen erwidere ich nur mit einem verschmitzten Lächeln und nachdem ich mich angeschnallt habe, tritt er aufs Gaspedal und fährt los.
Mein Elternhaus verschwindet relativ schnell aus meinem Blickwinkel und als wir die Auffahrt hinter uns gebracht haben, atme ich erleichtert auf. Die Konfrontation mit meinem Vater war nicht ohne. Er hat mich ungewohnter Weise ziemlich gelöchert, doch dann kam der Anruf, dass einer von unseren jüngsten Mitglieder tot aufgefunden wurde.
Mein Vater sah am Boden zerstört aus, vergoss stumme Tränen und fuhr umgehend zur Familie. Ich begleitete ihn, obwohl ich mich so unglaublich schuldig gefühlt habe und es immer noch tue, dass ich weder ihm noch den Eltern von Gustavo in die Augen schauen konnte. Wäre ich aber zuhause geblieben, hätten einige Fragen gestellt und es hätte verdächtig gewirkt. Also musste ich mich zusammenreißen und die lähmenden Stunden aushalten, die mir bevorstanden.
Immer mehr Mitglieder der Estrellas versammelten sich im kleinen Haus von Gustavos Eltern, die noch zwei jüngere Söhne haben, die vor Erschöpfung auf der Couch und dem Boden eingeschlafen waren. Mein Herz zog sich bei ihrem Anblick so schmerzhaft zusammen, dass ich nach draußen gehen musste, um mich zu sammeln. Dort traf ich auf Santiago, der mich nur stumm ansah, ehe er ins Haus ging.
Keine zehn Minuten kam er wieder, setzte sich neben mich und schwieg weiter. Keine Ahnung, wie lange wir so dagesessen sind, aber wir haben zugesehen, wie die Sonne aufging und einen neuen Tag angekündigt hatte. Es war so still, sodass nur das Gezwitscher der Vögel die trügerische Idylle durchbrochen hat.
Um sieben waren wir zuhause, mein Vater fuhr gleich zur Bar und ich legte mich kurz hin, doch ich konnte nicht schlafen. Die dunklen Schatten unter meinen Augen musste ich unter einer dicken Schicht Concealer verstecken, was sich wie eine Maske anfühlt. Normalerweise trage ich so gut wie kein Make-up außer, wenn ich feiern gehe, oder zu traurigen oder schönen Anlässen muss.
Heute musste es sein, wäre Lina hier gewesen, hätte sie mir falsche Wimpern aufgedrängt, die ich selbst niemals an meine Augen heranlassen würde, aber Lina ist eben eine Fashionista, sie weiß, wie man sich für jeden Anlass schick macht. Ich habe daran gedacht sie anzurufen, ihr zu sagen, was in meinem Leben los ist, doch ich habe mich nicht getraut.
Was, wenn sie mich verpfeift? Was, wenn sie es nicht versteht?
Zu viele offene Fragen, auf die ich keine Antwort weiß und das Risiko kann ich nicht eingehen. Auch wenn es schön wäre, mich irgendwem anvertrauen zu können. So muss ich es für mich behalten, es mit mir herumschleppen und hoffen, dass ich nicht auffliege.
„Rosa?", reißt mich Guzmans Stimme aus meinen Gedanken. Blinzeln nehme ich wahr, dass er mich immer wieder ansieht, während er in Richtung City unterwegs ist.
„Was hast du gesagt?", frage ich nach und versuche mich zu entspannen. Doch seit vier Tagen trage ich eine imaginäre Sprengstoffweste um meinen Körper, der jederzeit hochgehen könnte. Ich bin eine tickende Zeitbombe und weiß nicht, wann sie hochgeht. Das nagt an mir, zehrt an meinen Kräften und lässt mich nicht nur paranoid werden, sondern noch einsamer als in den letzten vier Jahren.
Wenn es so weitergeht, muss ich spätestens Morgen ein Telefonat führen, dass ich nicht führen will. Aber daran will ich jetzt nicht denken, also schiebe ich es beiseite und konzentriere mich auf den heutigen Abend.
„Wie stellst du dir das überhaupt vor? Das Geld zu gewinnen, meine ich, dass du deinem Vater schuldest", frage ich ihn nach einer Weile. Guzman streicht sich das Haar nach hinten und schaut auf die Straße. Die City ist hell erleuchtet und steht zum krassen Kontrast zu der ruhigen Gegend, in der ich aufgewachsen bin.
Hier ist alles hektisch, die Leute sind freizügiger und leben ihren Style aus. Freaks gibt es überall, so auch in Culiacán. Doch wir fahren weiter, weiter raus, bis wir in einer heruntergekommenen Gegend halten.
„Ich dachte wir wollten in ein Casino", sage ich, als ich mich umschaue. Weit und breit keine Geschäfte, geschweige denn eine Spielhölle der gehobeneren Klasse. Ich habe mich doch extra im Internet darüber erkundigt und laut diesen Infos liegt die Niederlassung im Stadtkern und nicht einige Kilometer außerhalb.
„Gehen wir auch", meint er und zwinkert mir zu. Als er aussteigen will, halte ich ihn fest. Die Berührung löst etwas in mir aus, als würden sprichwörtlich die Funken zwischen uns sprühen. Ich will die Hand wieder wegziehen, weil ich dieses elektrische Gefühl nicht gebrauchen kann, doch Guzman hält mich fest und sieht mich aus seinen eisblauen Augen heraus an.
Verdammt, schau mich nicht so an!
„Was ich gestern gesagt habe, meinte ich wirklich so. Ich wollte nicht so ausrasten, aber der Gedanke, dass in meinen eigenen Reihen jemand ist, der Informationen an die DEA verrät, hat mich krank vor Wut gemacht. Und tut es noch immer", meint er mit rauer Stimme.
Das schlechte Gewissen meldet sich augenblicklich und je länger er mich ansieht und mich weiterhin festhält, desto grösser werden sie und es wird unerträglich ihn anzusehen. Deshalb schaue ich weg und versuche dagegen anzukämpfen, doch er redet weiter, was es fast unmöglich macht.
„Ich bin wirklich froh, dass du an meiner Seite bist." Aufrichtigkeit begleitet seine ruhige Stimme, was mich schlucken lässt. Die ganze Situation strotzt nur so vor Romantik, seine rührseligen Worte, die Empathie, die er mir gegenüber zeigt, dass alles würde jeder anderen Frau Herzchen in die Augen zaubern.
Aber mir schnüren sie die Kehle zu und lassen mich tausend Tode sterben. Denn diese wurden nicht unter Zwang zu einer Informantin gemacht und stehen auch nicht unter dem Druck, den ich auf meinen Schultern spüre. Der mir das Atmen mit jeder einzelnen Silbe, die ihm über die Lippen kommt, erschwert, oder mein Herz zum Rasen bringt. Ich bin nicht wie sie, das war ich nie und werde ich auch nicht sein. Ganz gleich, ob ich eine Verräterin bin, oder nicht.
„Ist schon gut", sage ich leise und lächle schwach.
Guzman rutscht näher, beugt sich zu mir rüber und küsst mich. Seine Lippen liegen auf meinen, überraschend sanft und als ich den Mund öffne, zulasse, dass er ihn im Sturm erobert, fühle ich wieder dieses Band, dass unter den seltsamsten Umständen geschmiedet wurde und mit jedem Kuss, den wir miteinander teilen, weiterwächst. Und genau das, macht mir Angst.
Todesangst, um genau zu sein. Denn je näher ich ihm emotional komme, desto enger zieht sich die Schlinge, die Agent Gandia persönlich um meinen Hals gelegt hat, enger und schnürt mir Stück für Stück die Luft ab. Ein qualvoller und langsamer Tod.
Seine Hand schlingt sich um meinen Nacken, die rohe Leidenschaft durchzuckt ihn und übernimmt wieder das Kommando. Doch das begrüße ich, denn es lässt mich die nagenden Fragen und quälenden Gedanken in den Hintergrund rücken. Und ich kann nur noch empfinden. Nicht mehr nachdenken.
„Ich würde dich gerne vögeln", knurrt er an meine Lippen, was die Hitze zwischen meinen Beinen weiter vorantreibt. Ich spüre, wie sie sich in meinem Unterleib ausbreitet und von dort in meinen gesamten Körper strömt. In mein Herz, bis zu meinem Verstand, der aussetzt, als hätte jemand das Licht ausgeschaltet.
Ich löse den Gurt, klettere über die Mittelkonsole und setze mich rittlings auf ihn und das alles, ohne den Kuss zu unterbrechen. Meine Zunge gleitet über seine Unterlippe, umspielt die seine und als ich sanft zubeiße, höre ich ihn stöhnen. Der tiefe Bariton erfüllt den Wagen und lässt kleine Schauer über meinen Rücken rieseln.
„Dann tu es", flüstere ich, löse mich ein Stück von ihm und schaue ihn auffordernd an. Guzman grinst verschlagen, packt meinen Arsch und knetet ihn durch, was mich genüsslich den Kopf in den Nacken legen lässt. Ich schließe die Augen und genieße das Gefühl seiner Finger durch den Stoff des Kleides. Als hätte ich es geahnt, habe ich eines mit einem relativ hohen Schlitz am Bein ausgesucht, sodass er leichtes Spiel hat.
„Fuck!", keucht er, als ich anfange seine Erektion durch die schwarze Hose zu massieren. Sie wird größer, drängt sich mehr und mehr gegen meine Perle, was mich beinahe um den Verstand bringt. Guzman befreit seinen Schwanz, schiebt meinen Slip zur Seite und dringt in einem Ruck in mich ein.
Ich stoße einen spitzen Schrei aus und reiße die Augen auf, blicke in sein Gesicht und halte mich an seinem Nacken fest, während er mich fickt. Seine Bewegungen werden heftiger, lassen mir keine Zeit zu Atem zu kommen. Meine Finger umklammern seine Oberarme, die sich unter dem Sakko deutlich abzeichnen und anspannen, je stärker er zustößt. Wieder und wieder. Und bringt mich jedes Mal der Erlösung ein Stück näher.
Der Druck in meinem Unterleib baut sich wie eine Welle auf, wird immer größer und größer und als sie bricht, reißt sie alles mit sich. Spült jeden Zweifel, jede Angst fort und hinterlässt ein Gefühl von Ruhe und Befriedigung.
„Fuck, Rosa!", knurrt Guzman und ergießt sich in mir. Er küsst mich stürmisch, zieht sich aus mir zurück und als ich wieder auf dem Beifahrersitz sitze, fühle ich mich, um einiges besser und bereit mich allem zu stellen, was uns noch bevorsteht.
Drinnen sieht es wie eine normale Spielhölle aus, auch wenn es nur so vor reichen Leuten wimmelt. Männer in sauteuren Anzügen, Frauen in kurzen und langen, aber vor allem engen Kleidern, die an den Lippen der Typen hängen, die sie hierher gebracht haben. An Guzmans Seite laufe ich an den Spielautomaten, an der Bar vorbei in Richtung Spieltische. Es riecht nach Zigarre und nach jeder Menge Geld.
„Roulette oder Poker?", frage ich ihn leise, wobei ich die Antwort weiß. Bei letzterem umspielt ein Siegerlächeln seine vollen Lippen, die noch vor wenigen Minuten auf meinen gelegen oder eine unsichtbare Spur über meinen Kiefer, bis zu meinem Hals gezogen haben.
„Poker", sage ich also und steuere darauf zu.
Ich habe keine Ahnung, wie viel er als Startkapital hat, weil ich dringend zur Toilette musste. Doch als Guzman sich an den einzigen freien Platz gesetzt hat, der der Tisch zu bieten hat, staune ich nicht schlecht, als er seinen Einsatz preisgibt, nachdem er seine Karte bekommen hat.
Die Frau zwei Sitze weiter rechts von ihn beäugt ihn dementsprechend, doch keiner der Anwesenden hat einen Einsatz, der in einem normalen Casino angenommen werden würde. Alle besitzen weit genug Kohle, um es bei einem einzigen Spiel zu verschleudern, ohne, dass es ihnen irgendwie schadet. Im Gegensatz zu mir.
Ich weiß, wie es ist wenig zu haben – damit sage ich jetzt nicht, dass wir arm waren, aber in Mexico ist reich und arm eine soweit reichende Kluft, dass keine Brücke der Welt sie miteinander verbinden kann. Entweder man ist reich oder arm. So einfach ist das. Doch hier verschwimmt diese Grenze, obwohl ich hier nur Bonzenärsche sehen kann, was mich auf die Palme bringt.
Doch ich bin nicht für mich hier, sondern um Guzman beizustehen und den Schein zu wahren, dass ich nichts mit der schiefgelaufenen Lieferung zu tun habe. Die restlichen Spieler tragen Maßanzüge, fette Uhren und ein Grinsen im Gesicht, dass einem das Abendessen hochkommen würde. In meinem Fall wären es Burritos, die verdammt lecker waren.
Nach dem ganzen Stress und dem Schlafentzug, der mich schon bald zu einer Verrückten werden lässt, brauchte ich irgendetwas, was das Loch in meinem Magen stopfte. Und so waren es am Schluss drei Stück, einer war wohl des Guten zu viel.
Als der grauhaarige Mann mit dem Wohlstanzbauch, der am Tischende sitzt, den Einsatz erhöht und zwei der anderen vier Spieler raus sind, schauen sich die übrig gebliebenen Spieler an, als hätten sie Gollums Schatz und wüssten nicht, wie sie ihn verteidigen können, ohne alles offen zu legen. Doch nach noch zwei Erhöhungen ist es Guzmann der das berührte Wort Call sagt und am Ende nur noch der Grauhaarige und er im Spiel sind.
„Denkst du wirklich, dass du mich schlägst?", sagt er lachend. Guzman zieht eine Braue nach oben, bedenkt ihn mit einem leicht überheblichen Blick und entblößt zwei perlweiße Zahnreihen. Sein Lächeln beschert mir eine Gänsehaut, die nicht enden will. Er sieht verdammt heiß aus, denke ich, als ich meinen Blick über ihn gleiten lasse.
Der Smoking steht ihm fantastisch, die rote Fliege aus Samt sieht aus, als wäre er aus den Siebzigern entsprungen, aber es passt zu ihm. Die Manschettenknöpfe funkeln im dämmrigen Licht und müssen ein Vermögen wert sein. Genau wie die Rolex, an seinem Handgelenk, die von der bernsteinfarbene Flüssigkeit in seinem Glas reflektiert wird.
„Royal Flush", meint er und legt seine Karten auf. Einige murmeln etwas, das ich nicht verstehe. Wie gebannt starre ich den alten Mann an, der mit dem Kiefer mahlt und zerknirscht seine drei vierer präsentiert.
„Damit hat der junge Mann gewonnen", meint der Croupier und schiebt ihm den gesamten Betrag hinüber. Ich überschlage die Summe und komme zu dem Schluss, dass es mehrere hunderttausend Dollar sein müssten, was mich dann doch etwas schockt.
„Vergiss nicht zu atmen, Vögelchen", raunt er mir ins Ohr. Ich unterdrücke ein Kichern, da mich sein heißer und nach Bourbon riechender Atem kitzelt.
„Bei diesem höllischen Anblick nicht so einfach", sage ich und höre jemanden neben mir räuspern. Ich schenke der alten Schachtel keine Beachtung und streichle ihm über die Wange, spüre den leichten Bartschatten unter meinen Fingern und stelle mich demonstrativ hinter ihn. Sehe zu, wie er Runde um Runde gewinnt.
Am Schluss haben wir fast eine Million zusammen, was nur ein Drittel der Summe ist, die er seinem Vater schuldet. Guzman gönnt sich eine kurze Pause, während ich mich noch einmal zur Toilette begebe. Sie ist genau wie alles andere hier, ziemlich luxuriös gestaltet.
Die Waschbecken haben eine moderne quadratische Form, ausgefallene Armarturen und der Boden, genau wie die Fliesen an den Wänden, haben eine schwarze, matte Farbe. Die Kabinen erstrahlen in einem jungfräulichen Weiß.
Während ich die Hände wasche, betrachte ich mein Spiegelbild. Meine Augen glänzen, sehen nach der Katastrophe endlich mal wieder etwas normaler aus. Mit etwas mehr Leben, was das schlechte Gewissen doppelt so stark aufwiegt, sodass mich das Gewicht in den Boden drücken will. Doch ich schüttle den Kopf und als ich bemerke, dass ich die Einzige bin, schließe ich die Augen und atme tief durch.
„Das treiben Sie heute also", höre ich plötzlich eine mir mehr als bekannte Stimme. Ich reiße sofort meine Augen auf und fixiere Gandia im Spiegel. Er stoßt sich von der dunklen Kachelwand ab und kommt auf mich zu, dabei ruht sein Blick die ganze Zeit auf mir.
Ich schlucke, versuche mein Herz zu beruhigen, dass über seinen Anblick die Fassung verloren hat und nun so wild in meiner Brust schlägt, dass ich Angst habe, dass er es hören kann.
„Das ist die Damentoilette", sage ich mit ziemlich fester Stimme, doch er lächelt bloß teuflisch. Noch immer schaue ich ihn im Spiegel an.
Seine Augen stechen sich in meine und taxieren mich weiterhin. Ich beobachte jede seiner Schritte und als er keine zehn Zentimeter hinter mir stehen bleibt, ziehe ich scharf den Atem ein. Ich stütze mich am Untersatz des Waschbeckens ab und spüre den kalten Granit unter meinen Finger. Deren Knöchel schon nach einigen Sekunden weiß hervortreten.
„Sie wussten, dass ich Sie weiterhin beschatten lasse." Dieser Satz hängt in der Luft, fast wie der Geruch nach wildem Autosex, den ich vor knapp zwei Stunden hatte. Wieder schlucke ich, doch dieses Mal klebt mir die Zunge am Gaumen fest. Er hat mich gesehen, hat uns gesehen, korrigiere ich meine Gedanken und muss das Ganze erst einmal verdauen.
„Verausgaben Sie sich nicht allzu sehr, Rosa. Man weiß nie, wann man die Flucht antreten muss", sagt er kaltschnäuzig, doch seine kaffeebraunen Augen funkeln dabei fast so hell, wie Diamanten.
„Sie verdammter Perversling!", zische ich und wirble herum. Bin ihm so nahe, wie die letzten Male und atme dieselbe Luft wie er. Ich sehe, wie sein Adamsapfel auf und ab hüpft, als er schluckt und mich mit einem Blick bedenkt, der jeden meiner Gedanken in Luft auflösen lässt. Als hätte ein Tornado jedes Wort aufgesaugt, dass ihm an den Kopf werfen wollte.
In mir ist alles wie leergefegt. Unfähig etwas zu sagen, sehe ich ihn an, spüre, wie er eine Strähne meines Haars hinters Ohr schiebt und dabei sein Daumen eine Spur über meinen Nacken zieht. Mein Herz poltert und lässt das Blut in meinen Adern gefährlich heiß werden.
„Wenn ich das in Ihren Augen bin, wird es so sein. Aber", er macht eine Pause und lächelt kurz – wobei es mehr ein minimales Zucken seiner Mundwinkel ist – ehe er weiterspricht: „das tut hier nichts zur Sache. Ich will auch nicht wissen, warum sie beide hier sind – denn die Antwort kenne ich schon -, sondern endlich Ergebnisse sehen. Und damit meine ich nicht zusehen zu müssen, wie er Ihre Muschi von seinem Schwanz beehrt wird, und das wissen Sie, Rosa."
Meinen Namen aus seinem Mund zu hören, stellt seltsame Sachen mit mir an. Meine Knie schlottern, meine Nackenhaare stellen sich auf und das Kribbeln, als hätte ich gerade in einem Steckdose gegriffen, breitet sich in mir aus, was ich genieße. Ja, ich sehne mich nach diesem Gefühl. Eines, dass Guzman mir nicht geben kann. Ein dreckiges und verruchtes Gefühl, ganz egal wie gut unser Fick eben war, dass hier – dieses verbotene und verdammt heiße Treffen auf der Damentoilette- gibt mir den Kick, den ich brauche.
Das zu erkennen ist wie eine Offenbarung, aber es fühlt sich auch wie ein Urteil ein. Ein tödliches, ohne, dass ich jemals vor Gericht stand. Ich schaue in seine Augen, die mich anstarren, mich auf eine Art sehen, die ich selbst nicht auf dem Schirm hatte, aber mich fasziniert, so sehr, dass ich ihm blind ins Verderben folgen würde. Zumindest in solchen Situation, wie dieser.
„Ich will Ergebnisse, und zwar in den nächsten vierundzwanzig Stunden", knurrt er und holt mich auf den Boden der Tatsachen zurück. Ich blinzle heftig, öffne den Mund, doch er kommt mir zuvor.
„Rufen Sie ihren Chef an, ich bin mir sicher, dass er sich zwar nach seiner besten Kuh im Stall sehnen wird, aber er wird es verstehen, wenn Sie ihm sagen, dass die Familie Ihre Unterstützung braucht." Damit ist die Sache für ihn gegessen, denn er macht einen Schritt nach hinten, und noch einer und noch einer. Bis er an der Tür angekommen ist, dabei sieht er mich die ganze Zeit an. Doch bevor er die Klinke nach unten drückt und geht, halte ich ihn auf.
„Miguel!"
Sein Name laut auszusprechen fühlt sich unglaublich an, verboten und verdammt heiß. Er spannt sich an, ich kann sehen, wie ein Zucken durch seinen Körper schießt. Und als er den Kopf dreht und mich ansieht, liegt das wohl teuflischste Lächeln auf seinen Lippen, das ich jemals gesehen habe.
„Es gibt ein Fight-Club. Gehen Sie zum Barkeeper mit dem Tattoo im Gesicht und sagen Sie ihm Godfather. Damit kann er die Schulden begleichen, wenn er dabei nicht draufgeht." Überrascht sehe ich zu, wie er die Tür aufmacht und ohne nach links oder rechts zu schauen rausgeht, als wäre es das normalste der Welt. Als er weg ist atme ich zittrig ein und aus, drehe mich um und wasche mir noch einmal die Hände. Das kühle Wasser hilft mir meine rasenden Gedanken unter Kontrolle zu bringen.
„Godfather, dafür hält er sich wahrscheinlich wirklich", murmle ich und verdrehe die Augen, ehe ich wieder rausgehe und mich auf die Suche nach Guzman mache. Den ich am Roulette-Tisch entdecke, was bei mir schon die Alarmglocken schrillen lässt, bevor er setzen kann – und alles verliert – höre ich mich laut Stopp rufen.
Dabei ziehe ich alle Blicke auf mich, was mich ein bisschen aus dem Konzept bringt, doch Guzmans Knurren, reißt mich ins Hier und Jetzt zurück.
„Wir müssen reden", sage ich etwas leiser, höre einige tuscheln, doch die blende ich gekonnt aus. Auf Guzmans Stirn sehe ich eine steile Falte, die mit dem verärgerten Ausdruck in seinen eisblauen Augen mich nicht einschüchtert.
„Es ist wichtig." Meine Stimme duldet keinen Widerspruch, weshalb er mit mir mitgeht. Ich steuere auf den Barkeeper mit dem Tattoo im Gesicht zu – einer Knastträne – und lehne mich über das Mahagoniholz.
„Godfather", sage ich leise, aber laut genug, damit es der Typ hört. Ich sehe ihn genauer an und könnte mir vorstellen, dass sie hier nicht all zu sehr auf eine weiß Weste achten und auch Ex-Knackis anstellen. Eher, als eine Moralaposteln, die schon beim zweiten Al Capone Verschnitt die Cops ruft.
„Was soll das?", höre ich hinter mir Guzman flüstern. Seine Stimme klingt ungehalten und als ich aus dem Augenwinkel sehe, wie er immer wieder zum Tisch rüber schielt, räuspere ich mich und wiederhole das verdammte Wort.
Was, wenn Gandia – dieser verfluchte Mistkerl – mich verascht hat? Wenn das bescheuerte Codewort keine Bedeutung hat und ich mich einfach nur wie eine Verrückte verhalte? Doch als ich es ein drittes Mal wiederhole, sieht sich der Typ um und nickt uns zu. Erleichtert atme ich aus und sehe Guzman auffordernd an.
„Komm", sage ich und folge dem Barkeeper. Er steuert auf eine Tür zu, die man auf den ersten Blick als solches nicht erkennen würde und öffnet sie mit seinem Ausweis.
„Hier entlang", sagt er geheimnisvoll und sieht uns an. Mein Blick gleitet zu Guzman, der mich ebenfalls anschaut.
„Was soll das, Rosa?" Ich will es ihm sagen, doch der Typ räuspert sich und deutet an, hineinzugehen. Bevor es sich Guzman anders überlegt, nehme ich ihn an der Hand und ziehe ihn mit. Als ich die Schwelle überschreite und die Tür hinter uns zugeht, höre ich nicht nur Guzmans Atem, sondern auch mein Blut in den Ohren rauschen.
„Was soll das?", knurrt er. Ich schlucke und schaue ihn an. Es ist nicht gerade hell hier, aber auch nicht stockfinster. Vom Ende des Flurs scheint Licht herein, sodass ich seine Konturen noch erkennen kann.
„Ein Fight – Club", sage ich und füge hinzu: „So kannst du das Erspielte im Nu verdoppeln oder verdreifachen. Keine Ahnung, wie hoch die Wetten hier sind." Zuerst ist Stille, dann folgt ein lauter Schrei. Ich wirble herum, kann aber niemand sehen.
„Was war das?", flüstere ich so leise, dass es wahrscheinlich nur eine Fledermaus hören kann. Wieder ein Schrei, gefolgt von tosendem Applaus.
„Das, Rosa, ist der Fight – Club."
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Ich hoffe es hat euch gefallen :D
eure Amanda
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