36. Auszug
《vor 9 Jahren》
~ Sven ~
"Happy Birthday toooo yooouuu ..." mein Chef, Herr Beierlein, und alle Kollegen haben sich um meinen Schreibtisch versammelt und bringen mir ein Ständchen und ich habe Tränen in den Augen, die ich allerdings zurück dränge. Diese Menschen kennen mich erst seit zwei Jahren und erinnern sich an meinen Geburtstag, wie es meine Mutter tun sollte; gratulieren mir wie ich es mir von meinem Vater gewünscht hätte. "Ich danke Euch, und in der Küche steht Kuchen für alle, kann sein dass er noch nicht ganz aufgetaut ist." Um sicherzustellen, dass ich etwas anzubieten habe, musste ich es heute morgen vor der Arbeit kaufen. "Lecker, Eistorte", scherzt mein Chef und die Kollegen lachen pflichtschuldig bevor sie losgehen um sich ein Stück der Torte zu holen.
"Kommst du mal mit in mein Büro?" Ich nicke und folge ihm artig. Ich vertraue ihm, denn er war der Einzige der mein Potenzial erkannt und mir eine Chance in Form eines Ausbildungsplatzes als Steuerfachangestellter gegeben hat, als ich mich vor zwei Jahren beworben habe. Alle anderen verlangten Abitur, da waren meine Bestnoten egal. "Mach die Tür zu und setz dich." Kurz darauf schaut er mich über sein Monster von einem Schreibtisch hinweg an. "Was ist los?"
Er kommt wie immer sofort zum Punkt und ich kann nicht anders, als mich ihm zu öffnen. Mit irgendwem muss ich darüber reden und er kommt dem, was man einen Freund nennt, am nächsten. "Mein Vater ist der Meinung, dass ich jetzt, wo ich 18 bin, einen Teil der Miete übernehmen kann. Aber ich kann das nicht. Ich bezahle bereits die monatliche Strom- und Gasrechnung, die Wasserrechnung und die Heizkosten. Wenn ich jetzt noch Miete zahlen soll bleibt mir nichts mehr übrig für Essen oder Kleidung."
Mein Chef zeigt Verständnis und versucht mich zu beruhigen. "Es gibt immer eine Lösung", erklärt er und zieht mich in eine Umarmung. Wie immer spüre ich ihn dabei hart werden und wie immer versuche ich es zu ignorieren.
Als das zum ersten Mal passiert ist bin ich vor ihm zurück geschreckt und er ist böse geworden. "Was denkst du, was ich bin? Ein Monster? Du bist mein Auszubildender und minderjährig ich würde nie etwas unangemessenes tun. Aber du bist ein hübscher und intelligenter junger Mann. Ich kann nicht verhindern, dass mein Körper auf deinen reagiert. Mach es also nicht peinlicher als es sowieso schon für mich ist."
Er hat Wort gehalten und nie etwas versucht. Also habe ich es ignoriert. Immerhin hat er mich immer nur umarmt, wenn es mir nicht gut ging, so wie heute. Und auch jetzt löst er sich schnell wieder von mir. "Was hast du für heute auf dem Tisch?" Ich liste meine Arbeit auf und er setzt sich wieder hinter seinen Schreibtisch und ruft den Kalender auf. "Swiss & Co. kannst du auch noch morgen machen und die beiden Kleinen kannst du Mertins geben, der hat noch Kapazitäten frei." Ich sehe ihn geschockt an. Was hat er vor?
Ich bin aktuell, zum Ende des zweiten Ausbildungsjahres, bereits besser als Philipps und Osterkamp. Und die sind beide schon lange aus der Ausbildung raus. Letzterer hat sogar die Fortbildung zum Bilanzbuchhalter gemacht, keine Ahnung wie der die bestehen konnte. Wieso nimmt er mir jetzt meine Arbeit weg? Doch da erklärt er schon weiter. "Du kannst das Internet und das Telefon benutzen um zu recherchieren welche Hilfen du bekommen kannst. Ich stell dich dafür frei. Komm, bevor du gehst, noch mal zu mir und erzähl mir, was du rausgefunden hast."
Damit entlässt er mich und ich bedanke mich überschwänglich, was ihm ein Lächeln entlockt. "Wir werden schon eine Lösung finden." Schnell übergebe ich meine Arbeit dem Kollegen, der sie murrend entgegen nimmt, und stürze mich dann auf den Browser und die Suchmaschine.
Acht Stunden später sitze ich komplett desillusioniert wieder meinem Chef gegenüber und erzähle ihm was ich herausgefunden habe. Von Zuhause ausziehen, wenn man dann Förderung benötigt, wird nicht gefördert, Punkt. Man soll gefälligst zuhause wohnen bleiben. Es sei denn man kann nachweisen, dass es für einen unzumutbar ist zuhause zu wohnen, aber das kann ich wohl nicht und das Verfahren würde sicher lange dauern und vielleicht sogar einen Anwalt benötigen den ich mir sowieso nicht leisten kann.
Eine Wohnung zu bekommen mit einem Ausbildungsgehalt und ohne Sicherheit, dass man danach eine Festanstellung bekommt ist ebenfalls utopisch, zumal ich mir die meisten Mieten nicht leisten könnte, ganz zu schweigen von der Kaution.
Wohnheime und Unterkünfte kommen ebenfalls nicht in Frage. Für die einen bin ich mit 18 jetzt zu alt und für die anderen trifft dieselbe Regel zu wie bei der Förderung. Es haben die Vorrang die bereits auf der Straße leben und kein Zuhause haben, in dem sie unterkommen können. "Also vielleicht arrangierst du dich noch ein Jahr mit deinen Eltern?" Seine Frage ist nicht böse gemeint doch er weiß nicht, wovon er spricht. Meine Miete würde nur versoffen und verspielt werden und ich müsste überlegen, worauf ich ein Jahr verzichte. Strom und Gas zum Kochen? Heizung oder Wasser? Oder doch Essen und andere Alltagsgüter?
"Ich müsste mindestens ein halbes Jahr auf der Straße leben und einen Nachweis erbringen, warum ich nicht bei meinen Eltern wohnen kann. Und die würden mir bei der Antragstellung sicher nicht helfen."
Ich seufze, doch mein Chef gibt noch nicht auf. "Kannst du denn keine rechtlichen Schritte gegen sie einleiten?" Ich lache freudlos auf. "In der Sekunde, in der sie davon erfahren, tauschen sie die Schlösser am Haus aus und ich komme nicht mal mehr an meine eigenen Sachen." Völlig verzweifelt lasse ich Kopf und Schultern hängen bis mein Chef zu mir rum kommt, sich neben mich kniet und mich mit einem Finger unter dem Kinn dazu zwingt ihn anzusehen. "Ich hätte da noch eine andere Möglichkeit."
Eine halbe Stunde später stehen wir vor einem heruntergekommenen Gebäude zu dem mich mein Chef gebracht hat. "Ich weiß, das Haus hat bessere Zeiten gesehen aber die Wohngegend ist nicht die Schlechteste und es ist nicht weit von der Firma", erklärt er mir, als wir das Treppenhaus durchqueren. Vor einer Wohnungstür im ersten Stock bleibt er stehen. "Die Wohnung ist stark renovierungsbedürftig aber bewohnbar. Ich bin aktuell in Verhandlungen mit Handwerkern." Er schließt auf und geht vor mir hinein. Neugierig sehe ich mich um.
Es ist eine kleine Wohnung aber sie ist möbliert, was mir die Sache noch einfacher machen würde. Von den Wänden blättert die Tapete, in Küche und Bad gibt es einige, kaputte Fliesen und an einer Stelle im Wohnzimmer ist ein Loch im Dielenboden. Der Teppich im Schlafzimmer ist abgewetzt und wenn man das Wasser aufdreht quietschen die Rohre und man muss ein paar Sekunden warten bis das Wasser klar wird.
"Im Grunde würdest du mir einen Gefallen tun. Du könntest die Handwerker hinein lassen und ansonsten dafür sorgen, dass sie nicht weiter verwahrlost. Außerdem würdest du die laufenden Kosten übernehmen weil du sie ja auch nutzt. Das erspart es mir, sie sinnlos bezahlen zu müssen." Er hält mir die Schlüssel hin. "Also? Was sagst du?" Ich sehe ihn mit großen Augen an. "Du willst mich hier wohnen lassen? Kostenlos?" Er nickt. Dann winkt er mich zu der Arbeitsplatte in der Küche, zieht ein Dokument aus der Tasche und breitet es vor mir aus.
"Der Vertrag. Er gilt, bis du deine Ausbildung beendet hast. Danach solltest du genug Geld haben, um dir was Besseres leisten zu können." Ich lese mir alles genau durch, aber es ist ein einfacher Überlassungsvertrag ohne Fallstricke und Haken. "Vielleicht sind die Renovierungsarbeiten bis dahin auch abgeschlossen und du willst sie dann wirklich mieten." Lachend reicht er mir einen Stift und ich lächle ebenfalls. Um nichts in der Welt werde ich mein geringes Einkommen meinen Eltern in den Rachen schmeißen.
Nachdem der Vertrag unterschrieben ist und jeder von uns ein Exemplar hat, umarme ich ihn zum ersten Mal von mir aus. "Danke!" Er streichelt mir beruhigend über den Rücken und kneift mir dann lachend in meinen Po, zieht sich aber schnell wieder selbst zurück um mich nicht mit seiner Härte zu belästigen. "Sollen wir deine Sachen holen?"
Es dauert etwas mehr als eine Stunde, zu mir zu fahren und meine gesamte Habe in meinen Koffer, meinen Rucksack und einen Umzugskarton zu packen. Mein Chef lenkt die Frau des Hauses ab, der ich meinen Schlüssel am Ende in die Hand drücke. "Sorry Mutter, leider kann ich es mir nicht mehr leisten, bei Euch zu wohnen. Aber sicher werdet ihr jetzt besser dastehen, wenn ich euch ab sofort nicht mehr zur Last falle." Sie nickt und verzieht sich mit einem weiteren Drink ins Wohnzimmer. >Auf nimmer wiedersehen!<
Die nächsten zwei Monate sind nervenaufreibend, aber wenigstens tue ich was für mich. Ich stelle die Daueraufträge für die Nebenkosten im Haus meiner Eltern ein. Meine eigenen Nebenkosten sind deutlich geringer und ich habe es selbst in der Hand, Strom und Wasser zu sparen. Ich verbringe meine Freizeit damit, die Wohnung auf Vordermann zu bringen und selbst so gut ich kann zu renovieren. Neue Tapeten und Bilder an die Wand, etwas Füllmaterial und ein Teppich über das Loch im Boden, so was halt. Handwerker kommen und verlegen einen neuen Teppich im Schlafzimmer. Auch die zerstörten Fliesen werden entfernt und zunächst notdürftig geflickt.
Zum Ende des zweiten Monats steht plötzlich mein Vater vor mir, als ich das Büro verlasse. Er schreit mich an, will wissen, wo ich jetzt wohne und behauptet, ich schulde ihm Geld das ich ihm augenblicklich geben soll. Die Gründe dafür sind allesamt an den Haaren herbeigezogen und teilweise schlichtweg erstunken und erlogen. "Was hast du gemacht, dass man uns plötzlich den Strom abgestellt hat?" Ich sehe ihn nur ruhig an und warte ab, bis er sich ausgetobt hat. Dann verschränke ich meine Arme vor der Brust und starre ihn kühl an, wie ich es nie zuvor getan habe.
"Vater, du solltest alt genug sein um zu wissen, dass man die Rechnungen für Strom, Wasser und Heizung bezahlen muss, wenn man damit versorgt werden will. Du wolltest doch, dass ich 'mein' Geld lieber anderweitig verwende, ich habe mich nur für einen anderen Vermieter entschieden als dich. Also wo ist dein Problem?" Nie zuvor bin ich ihm gegenüber so für mich eingestanden wie heute und mein Erzeuger ist deutlich überfordert damit. Er versucht erneut, mir meine neue Adresse zu entlocken und mir ein schlechtes Gewissen zu machen weil es meiner Mutter angeblich seit meinem Auszug jeden Tag schlechter geht.
Die Vorstellung, der Grund dafür sei, dass sie mich vermisst, entlockt mir ein Kichern. "Findest du das etwa komisch?", donnert mein Vater und mein Lachen bekommt etwas hysterisches. Während er mich als undankbaren Schmarotzer beschimpft der all ihre Zuwendungen niemals verdient habe beruhige ich mich langsam wieder. Ich straffe meine Schultern, spanne meine Muskeln an und bedenke ihn mit einem derart eisigen Blick, dass er mit seiner Schimpftirade ins Stocken gerät. Ich nutze die Pause um den Status unserer Beziehung ein für alle mal richtig zu stellen.
"Weißt du, 'Vater', dann ist es doch gut, dass ich weg bin und euch nie wieder auf der Tasche liegen werde. Am Besten kappen wir die Verbindung ganz, damit ihr nicht Gefahr lauft, dass ich jemals wieder auftauche um noch mehr von euch zu verlangen. Schick mir doch bitte eine Aufstellung aller Schulden, die ich bei euch habe, mit Belegen in mein Büro. Ich gleiche sie dann mit all den Belegen über bezahlte Rechnungen und Einkäufen ab, die ich über die letzten Jahre gesammelt habe. Der Schuldner kann dann die Differenz anschließend an den Anderen überweisen." >An mich!<
Der Mann steht nur noch da, mit offenem Mund, völlig überfordert von einem Sohn der sich zur Wehr setzt. Ich drehe mich um und schließe die Tür hinter mir wieder auf um zurück in mein Büro zu gehen. Auf keinen Fall riskiere ich, dass mir mein Vater zu meiner neuen Wohnung folgt. Bevor ich im Haus verschwinde schaue ich ein letztes Mal zu dem Mann, der sich mein Vater schimpft. "Ach, und ich habe mein Anfänger-Kochbuch in der Küche liegen lassen. Ich schenke es euch. Gib es Mutter und richte ihr aus, sie soll es mal mit einigen dieser Rezepte versuchen, statt mit ihren Cocktails. Der Auflauf, den sie mir so gerne nachts weggegessen hat, steht auf Seite 18. Eine schöne Zahl, nicht wahr? Gut zu merken."
Ich bezweifle sehr, dass sie überhaupt gemerkt hat, dass ich fehle. Wenn sie etwas vermisst, dann die Mahlzeiten, die ich gekocht habe. Die Tür fällt mit einem Krachen hinter mir zu. >Auf nimmer wiedersehen! Diesmal hoffentlich endgültig.<
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