35. Mittagspause
《heute》
~ Finn ~
Nachdem der Vermieter verschwunden war hatten wir Sven gefragt, wie er in dieser Bruchbude landen konnte. Mit traurigem Blick und einem tiefen Seufzer erklärte er, dass er dafür etwas weiter ausholen müsse. Da wir beide nicht locker ließen rang er sich, sobald wir im Sprinter saßen und auf dem Weg zum Burger & Fries waren, dazu durch, uns endlich seine Lebensgeschichte zu erzählen, oder zumindest damit zu beginnen.
Wir haben einen freien Tisch in einer ruhigeren Ecke gewählt und sitzen hier schon eine Weile, doch jetzt unterbricht uns der Kellner, weil er endlich bemerkt hat, dass es hier noch Bestellungen aufzunehmen gibt. Keiner von uns braucht eine Karte denn jeder war hier oft genug um zu wissen, was er will. Mit einem Zettel in der Hand, auf dem er Essen und Getränke notiert hat, zieht er sich Richtung Küche zurück um kurz darauf an der Bar aufzutauchen.
Alle drei genießen wir für einer Moment die Pause und Stille, die wirklich jeder von uns gebrauchen kann. Sven fällt es schwer uns anzusehen, weshalb ich mich umsetze um anstatt neben Corbin und ihm gegenüber lieber neben ihm zu sitzen. Als ich vorsichtig meine Hand auf seine Schulter lege lehnt er sich sofort und so offensichtlich in diese Berührung, dass ich nicht weiter zögere und sie an seinem Nacken vorbei auf die andere Schulter gleiten lasse, um ihn dann an mich zu ziehen.
"Ich kann mir das nicht mal Ansatzweise vorstellen", flüstert Corb und ich kann das Entsetzen, welches in seiner Stimme mitschwingt, gut nachvollziehen, denn mir geht es genauso. Ich wurde von meinen Eltern regelrecht verwöhnt was Fürsorge und Unterstützung angeht, aber auch Corbin ist in Familienverhältnissen aufgewachsen die man wohl allgemein als normal bezeichnen würde. Er musste stets mehr um Aufmerksamkeit kämpfen als ich, aber nicht, weil er schlechtere Eltern hat, sondern weil er einfach einer unter vielen Geschwistern ist.
„Meine Eltern waren auch nicht reich," Corbins Gedanken sind eindeutig auf denselben Pfaden unterwegs wie meine. „Aber nie im Leben hätte ich auch nur einen Tag hungern oder mir Gedanken ums Geld machen müssen." Ich nicke um zu zeigen, dass es mir ebenso geht. Sven zuckt nur mit den Schultern. „Ich kannte es nie anders!" Ich weiß nicht, was ich erschreckender finde. Die Geschichte über seine Vergangenheit oder die Tatsache, wie emotionslos und nüchtern er sie erzählt.
Mein Blick wandert zurück zu meinem Ehemann. "Wenn ich bedenke, wie ich auf meine Eltern einreden musste, als ich beschloss die Wohnung von Meister Karthäuser zu mieten und auszuziehen. Sie waren voller Sorge ich würde ohne sie schlichtweg verhungern." Corbin lacht. "Meine Eltern waren auch nicht begeistert, dass ich direkt nach meiner Ausbildung zu dir gezogen bin. Aber da ich volljährig war konnten sie nicht viel dagegen tun. Und Du hattest bis dahin ja auch nicht den geringsten Anlass gegeben, ihre diversen Sorgen zu bestätigen. So haben sie es irgendwie akzeptiert, dass ich eine gemeinsame Zukunft mit dir plante."
Liebevoll beobachte ich meinen Mann dabei, wie er vor unseren Augen in Erinnerungen versinkt. Wenigstens tut er es dieses Mal nicht schweigend. "Sie haben mir letztlich sogar angeboten, ich dürfte mein Kinderzimmer bei meinem Umzug mitnehmen, doch das wollte ich nicht. Lieber wollte ich einen Platz haben, zu dem ich zurückkehren könnte, falls es mit unserer Wohngemeinschaft nicht geklappt hätte. Meiner Mutter gefiel dieser Gedanke und mein Vater war stolz auf mich, weil ich die Sache nicht zu blauäugig anging."
Sven runzelt die Stirn und kuschelt sich noch etwas mehr in meine Umarmung. Um sich selbst zu beruhigen oder mir bei dieser Geschichte ebenfalls etwas Trost zu spenden vermag ich nicht zu sagen. Warum ist aber auch sowas von egal, denn ich liebe es. "Welche Sorgen hatten sie denn?"
"Paps hatte von Anfang an die Sorge, du willst nur mein Talent ausnutzen", erklärt Corbin bereitwillig und ich lache auf und unterbreche ihn damit. „Wollte ich ja auch!", erkläre ich mit einem Zwinkern und erfreue mich an seinem tiefen Lachen aber noch mehr an Svens leisem Kichern, das sich darunter mischt.
„Stimmt und auch noch mit meinem Einverständnis!" Seine verschwörerisch funkelnden Augen entlocken mir ein zufriedenes Summen was Sven erneut kichern lässt. Danach erfahren wir auch von den Sorgen seiner Mutter, in denen es ebenfalls um Ausbeutung ging, aber mehr der sexuellen Art. Svens Kopf schießt daraufhin hoch und große Augen starren Corbin ungläubig an. "Ernsthaft? Unser Finn?", fragt er ungläubig nach, ob meine Schwiegermutter mir tatsächlich so etwas zugetraut hat. Mein Mann nickt so ernst wie möglich, kann sein Lachen aber nur unzureichend unterdrücken.
Ich lege den Rücken meiner freien Hand an meine Stirn, meinen Kopf in den Nacken und seufze theatralisch auf, wie eine Filmdiva aus einem alten Stummfilm beim Vortäuschen einer Ohnmacht. „Dabei war 'ich' es, der 'ihm' zum Opfer fiel!" Nun kann sich keiner mehr beherrschen und wir lachen eine Weile, während der Kellner unsere Getränke bringt und uns wegen des Essens noch etwas vertröstet. Dabei schwelge ich noch immer in einem Hochgefühl, das mich übermannt und zu all meinen Albernheiten angespornt hat und das ich Sven und seiner Wortwahl zu verdanken habe. >UNSER Finn!<
„Wie konntest du seine Eltern denn dann doch noch von dir überzeugen?" Seine leise Frage erstaunt uns beide doch mein Mann ist schneller als ich. „Was macht dich so sicher, dass dies der Fall ist?", fragt er neugierig und ich ergänze: "Ja, könnte doch sein, dass sie mich noch immer hassen?" Dabei verdreht Corb allerdings die Augen, denn damit übertreibe ich mal wieder maßlos. Gehasst haben mich seine Eltern nie und das weiß ich auch.
Unser Junge starrt wieder auf seine Hände und zuckt vorsichtig mit den Schultern, darauf bedacht meine Umarmung nicht abzuschütteln. „Weil ihr verheiratet seid. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ihr das ohne Zustimmung eurer Eltern gemacht hättet. Ich verstehe das Konzept von Hass oder Liebe zwischen Eltern und Kindern nicht. Alles, was ich erlebt habe, lässt sich mit einem Wort beschreiben: 'Egal!' Ich war ihnen egal, immer schon. Solange ich ihnen keine Arbeit machte oder ihnen nicht im Weg rumstand, war alles gut."
Corbin und ich tauschen wissende Blicke. Diese Geschichte erzählen wir nicht zum ersten Mal und wie immer beginne ich. "Eines unserer gemeinsamen Hobbys ist es, besonders dekorative und gleichzeitig nützliche Kleinmöbel und Schmuckkästen zu entwickeln und zu bauen, als Geschenke für enge Freunde und Familienmitglieder."
"Eines dieser Geschenke hat meine Eltern mit Finn versöhnt. Eine Schatzkiste für ihre Gesellschaftsspiele deren Innenraum bei weit geöffnetem Deckel mit samt Inhalt nach oben fährt und es so erlaubt darin herum zu kramen und das richtige Spiel auszusuchen, ohne sich tief bücken zu müssen." Corbin sieht mich verliebt an und es fällt mir nicht schwer, diese Liebe zurück zu geben.
"Für Mom bewies er damit ein großes Maß an Fürsorge, die über mich hinaus ging weil sie sich auch auf meine Eltern erstreckte. Somit konnte er kein schlechter Mann sein." Ich lege erneut den Kopf in den Nacken, aber dieses Mal um an die Decke zu starren und mich zu erinnern. "Statt der Begeisterung seiner Mutter für diesen selbstlosen und aufmerksamen Akt zu viel Aufmerksamkeit zu schenken ging ich dazu über, Corbins Arbeit an der Truhe zu lobpreisen."
Noch einmal erklingt das dunkle Lachen. "Er erklärte beiden lang und breit, wie froh er darüber sei die Möbel 'für mich' bauen zu dürfen, die 'ich' mit meiner grandiosen Kunst verzieren und teuer verkaufen kann. Damit hat er die beiden schließlich von sich überzeugt. Heute loben sie ihn in den höchsten Tönen und nennen ihn ihren Lieblingsschwiegersohn, zum Leidwesen meiner verheirateten Schwestern."
Sven drückt sich noch einmal an mich, bevor er sich wieder anständig hinsetzt, denn endlich wird unser Essen geliefert. Für ein paar Minuten hauen wir stillschweigend rein um unseren größten Hunger zu stillen, dann fordern wir Sven auf weiter zu erzählen.
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