05. Regeln
《Heute》
~ Finn ~
Wir stehen gemeinsam in der hintersten Ecke unserer offenen Küche und Corbin ist mal wieder in seine Gedanken versunken. Er war schon immer ein eher ruhiger und nachdenklicher Typ, was neue Freunde und manche Kunden oft überrascht. Ich, der ältere, größere Holzfällertyp liebe schnelle Rhythmen und bunte Cocktails, große Gesellschaften, Partys und Tanzen. Corb war 19 als wir anfingen zusammen zu arbeiten und miteinander auszugehen. Schon damals bevorzugte er einen gemütlichen Pub mit gutem Bier, noch besserem Whiskey und ruhiger Livemusik oder Poetry Slam, wo er sich zurücklehnen, beobachten und zuhören kann.
"Corbin?", hole ich ihn mit sanfter Stimme und einem festen Griff an die vor ihm verschränkten Unterarme aus der Vergangenheit zurück. "Wo warst du?" Er löst den Knoten und legt seine Hände auf meine Brustmuskeln, die vor Begeisterung darüber aufzucken. Meine Hände wandern an seine Hüften und ziehen ihn näher zu mir bis auch seine Unterarme gegen meinen Oberkörper gepresst sind und wir uns an der Hüfte berühren.
Wir hören Sven durch das Zimmer stromern und stecken unsere Köpfe zusammen, um so leise wie möglich über die aktuelle Situation zu reden und uns abzusprechen, wie wir damit umgehen wollen. "An einen Tag vor 6 Jahren", bestätigt er meine Vermutung und ich ziehe ihn noch etwas näher, denn dieser Tag war in vielen Bereichen ein wichtiger Punkt in unser beider Leben aber heute geht es vor allem um die eine, große Entscheidung und die Regeln, die sie möglich gemacht haben.
Viele davon lagen klar auf der Hand. Keine Dates mit jemandem aus dem Freundeskreis oder mit Familienangehörigen. Keine Dates auf unserem Grundstück, geschweige denn in der Werkstatt oder unserem Haus. Freundschaften mit den Dates sind okay, aber immer nur separat von unserem Leben um jedes Drama zu vermeiden. Auch ein offener, ehrlicher Umgang mit unserer Beziehung und unseren Regeln gegenüber unser Dates war uns eine Regel wert. Nicht nur um auch hier Eifersucht im Keim zu ersticken und die Idee einer Erpressungsmöglichkeit gar nicht erst aufkommen zu lassen sondern auch, weil es ihnen gegenüber nur fair ist, damit sie sich von Anfang an keine falschen Hoffnungen machen. Und natürlich immer nach den Grundlagen von Safe, Sane und Consensual.
„Sechs Jahre haben gezeigt, dass wir uns damals richtig entschieden haben und dass es funktioniert, zumindest für uns." Er brummt eine Zustimmung und lehnt seine Schläfe gegen meinen gesenkten Kopf, sodass wir uns gegenseitig ins Ohr flüstern können. „Und unsere Regeln waren gut. Sie haben uns dabei geholfen glücklich zu werden." Seine ruhige Stimme verrät nichts von dem Tumult, der in ihm herrscht. Die Art wie er sich an mich lehnt und meine Nähe sucht hingegen schon.
"Aber ich muss zugeben, ich war nie glücklicher als in diesem Jahr", gestehe ich meine Gefühle ein und wieder bekomme ich ein zustimmendes Brummen. "Geht mir genauso und ehrlich gesagt will ich ihn nicht wieder hergeben. Aber allein der Gedanke daran verstößt gegen eine unserer wichtigsten Regeln."
Die Regel die besagt, dass wir neben unserer Beziehung keine weitere zu jemand anderem bilden oder dulden wollen. Keine dauerhafte Affäre die unsere Grenzen verschwimmen lassen und die Einhaltung einer weiteren Regel erschweren würde die besagt, dass unsere Beziehung immer Vorrang hat und stets an erster Stelle steht. Natürlich unter der Bedingung, dass wir die Dates auch entsprechend respektieren.
Das bedeutet, wir sagen keine unserer Termine oder Planungen für ein Date ab, unterbrechen oder überplanen aber auch diese nicht einfach aus einer Laune heraus. Nur echte Notfälle können hier zu einer Ausnahme führen.
Ich lasse meine Hände um ihn herum fahren und streichle ihm damit über den Rücken bis die eine auf seinem Po und die andere zwischen seinen Schulterblättern zur Ruhe kommt. Die Tatsache, dass wir uns noch immer nahe sein wollen um Kraft und Verständnis in dem anderen zu finden beweist, dass Sven keine Gefahr für unsere Beziehung darstellt, aber was ist er dann?
"Ich hätte nie gedacht, dass mein Date auch deines ist." Ich lache leise, denn mir geht es genauso. Eine unserer ersten Regeln die wir damals aufstellten, war absolute Offenheit darüber, wann wir ein Date haben und wo wir hingehen. Mehr, wollten wir aber beide auf keinen Fall wissen. Nicht wie das Date heißt, nicht wie es aussieht und schon gar nicht, wie der Sex mit ihm war.
Natürlich erzählen wir uns schon mal lustige oder nervige Begebenheiten von den Treffen, warnen uns vor Örtlichkeiten die wir mit einem anderen ausprobiert und für schlecht befunden haben oder lassen Bemerkungen fallen wie 'hier war ich schon mal mit einem Date', aber da endet es dann auch.
Über Sven konnten wir uns beide nur positives erzählen und natürlich haben wir gemerkt, dass wir entspannter und glücklicher waren als je zuvor. Wer hätte ahnen können dass es für uns beide um ein und dieselbe Person ging? Ganz zu schweigen davon, dass er für uns beide das Potential für eine dauerhafte Affäre hatte.
"Ist es nicht ziemlich unwahrscheinlich, dass wir alles, was uns trennt ausgerechnet in ein und derselben Person finden?" Ich muss erneut lachen und nehme meinen Kopf hoch um ihn ungläubig zu schütteln und meinem Freund tief in die Augen zu sehen. "Aber er muss es die ganze Zeit gewusst haben, oder? Warst du mit ihm in unserem Citycave?" Corbin versteht sofort, worauf ich hinaus will.
Wir haben meine alte Wohnung nie verkauft nachdem wir auf unseren Hof gezogen sind. Zunächst, weil wir es finanziell nicht brauchten und uns lieber eine Sicherheit bewahren wollten, falls unser Konstrukt der offene Beziehung doch nicht funktioniert. Außerdem haben wir so immer einen Schlafplatz in der Stadt, wenn es mal spät wird, wir beide etwas trinken und nicht mehr fahren wollen, oder einfach nicht abends den langen Weg nach Hause auf uns nehmen wollen, nur um uns gleich am nächsten Morgen für einen neuen Termin mit dem Berufsverkehr herumzuschlagen.
Später haben wir erkannt, dass sie sich auch hervorragend als Platz für unsere Dates eignet, an dem wir sicher, sauber und günstig den Abend oder die Nacht verbringen können. Dafür haben wir sie ein Jahr nach unserem Umzug komplett umgebaut. Aus dem Wohn - und dem Schlafzimmer wurden zwei Spielzimmer die wir uns nach unseren jeweiligen Vorlieben eingerichtet haben. Jeder von uns hat nur einen Schlüssel zu seinem Zimmer und hält es stets verschlossen.
Die große Küche haben wir in zwei kleine Badezimmer und eine noch kleinere Waschküche mit Waschmaschine und Wäschetrockner umgebaut und dafür aus dem kleinen Bad eine winzige Küche gemacht die nur mit dem Notwendigsten bestückt ist, wie zum Beispiel Kühlschrank, Wasserkocher, Kaffeemaschine und Spüle.
Das Gästezimmer wurde dann zu unserem gemeinsamen Schlafzimmer in das wir keines unserer Dates lassen. Niemand wohnt hier länger, weshalb wir weder Wohnzimmer noch große Küche brauchen genauso wenig wie ein Luxusbad. Sie ist unser Höhle in der Stadt, unser Citycave.
"Also gut, dann lass uns mit ihm reden und hören was er zu sagen hat." Corbin versucht sich von mir zu lösen aber ich halte ihn noch einen Moment länger fest und drücke meine Lippen auf seine. Er zögert nicht, meinen Kuss zu erwidern und zu vertiefen und lehnt sich noch mehr an mich.
"Wir setzen die Regeln erstmal aus und sehen, wohin das Gespräch führt, okay?" Atemlos höre ich mir seinen Vorschlag an und nicke. Vielleicht brauchen wir auch ganz neue Regeln.
Schließlich lösen wir uns voneinander und kümmern uns schnell um den Tee, Geschirr und Plätzchen, während meine Gedanken noch etwas weiter in die Vergangenheit wandern, zu dem Tag als ich Corbin zum ersten Mal begegnet bin.
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