Kapitel 70
„Dann würde ich sagen, wird das wieder so eine Sache werden, worüber wir endlos diskutieren werden, bis einer nachgibt", meinte sie nüchtern. „Denn wie du selbst sagtes bin ich hartnäckig und ich werde helfen, selbst wenn du mich vielleicht nicht helfen lässt."
„Da hast du es. Wir werden über viele Dinge endlos diskutieren, weil wir nicht einer Meinung sind. Wie kannst du dir dann sicher sein, dass es zwischen uns funktioniert?", wollte er wissen und drehte seinen Kopf zu ihr, um sie in der Dunkelheit anzusehen. Das Licht der Straßenlaterne schien ein wenig in ihr Zimmer, sodass er zumindest ihre Konturen sehen konnte.
„Das kann ich nicht", meinte sie schulterzuckend. „Das werden wir sehen müssen. Aber jetzt schon zu sagen das wird nichts, wäre dumm."
„Ist mir auf jeden Fall lieber als hohe Erwartungen zu haben und am Ende doch enttäuscht zu werden", gab er nüchtern zurück.
„Habe ich nicht", versicherte sie mit einem sanften Lächeln.
„Ich leider schon ...", erwiderte Haru und streichelte ihre sanfte Haut am Rücken. Noch immer sah er sie an und konnte so langsam ihre goldenen Augen im schwachen Licht erkennen. „Deine Berührungen fühlen sich gut an ... so beruhigend", gestand er ihr.
„Was hast du denn für Erwartungen?", wollte Sezuna leise wissen und blickte ihn neugierig an.
„Dass ich eines Tages ein normales Leben führen könnte. Dass ich es tatsächlich schaffe, meine Macht zu kontrollieren und dich nicht in irgendeiner Weise zu verletzen", antwortete er ihr. Es waren seine Wünsche, die wohl nie in Erfüllungen gehen würden.
„Und was ist schlimm daran auf diese Wünsche hinzuarbeiten?", wollte Sezuna leise wissen. „Ich bin mir sicher, dass du es irgendwann schaffst deine Macht zu kontrollieren, wenn wir nur hartnäckig genug bleiben."
„Aber ich weiß nicht, ob ich die Kraft habe, so lange zu warten, Sezuna. Ich ... habe es bereits aufgegeben", gestand Haru leise und schloss für einen Moment die Augen.
Sezuna tätschelte ihn erneut sanft. „Glaube ich nicht. Ich bin mir sicher, dass du noch immer dafür kämpfen würdest", meinte sie und hoffte ihn ein wenig aufzumuntern.
„Ich würde für dich kämpfen, damit es dir gut geht und damit dir nichts passiert", gab er zurück. Der blonde Junge drückte sie noch fester an sich und sog ihren Geruch ein. Langsam ließen die Erinnerungen an den Alptraum nach und er entspannte sich mehr und mehr. Seine Hände ließ er an ihrem warmen Rücken, der nun fuhr er mit einer Hand an ihrer Wirbelsäule entlang hinauf zu ihrem Nacken, um sie dort sanft zu massieren.
Sezuna wollte etwas sagen, doch als er ihren Nacken begann zu massieren, verloren sich ihre Worte in einem wohlwollenden Laut und ihre Gedanken war kurz wie weggeblasen.
Das hatte er bereits herausgefunden, dass sie das sehr mochte. Auch wenn er nicht gerne berührte, aber er wollte ihr wenigstens eine Kleinigkeit zurückgeben, weil sie für ihn da gewesen war, als er wieder verzweifelte. Es war schön, wenn es ihr gefiel und es gab ihm ein gutes Gefühl.
Er spürte, wie sie sich immer und immer mehr entspannte, auch wenn sie nicht sonderlich angespannt gewesen war. Dabei klang sie fast wie eine schnurrende Katze.
„Wildkatze", murmelte der Junge, als er das hörte und lächelte leicht. Trotzdem war er sich nicht sicher, ob es das Richtige war, was er tat oder ob es besser war, auf Abstand zu bleiben. Sein Herz und sein Kopf wollten zwei verschiedene Dinge und er konnte sich selbst nicht entscheiden.
Es war alles so verwirrend für ihn und er machte sich ständig Sorgen, was wohl die Zukunft brachte. Er verstand nicht, wie Sezuna so ruhig bleiben konnte. Sie lebte den Tag, dass wusste er, doch würde er das auch können?
Selbst wenn er es versuchte, würde es dann nicht am Ende noch schwerer werden, wenn sie getrennte Wege gehen würden? Wenn es nicht zwischen ihnen funktionierte? „Sezuna ... wie machst du es, dass du nur das hier und jetzt genießt ohne über etwas anderes nachzudenken?", fragte er sie leise und hoffte, dass sie in den paar Minuten, in denen sie geschwiegen hatten, nicht eingeschlafen war. Vielleicht konnte er es von ihr lernen.
„Es gibt so viele Möglichkeiten, wie eine Sache ausgehen kann, dass es kaum einen Sinn macht darüber nachzudenken. Ich sehe die Wahrscheinlichkeiten für eine Sache vor mir und diese sind oft genau so hoch wie andere Dinge. Schon allein, wenn wir morgen wieder gehen und weiter laufen, gibt es dutzende Dinge, die passieren könnten. Ich könnte mir das Bein verstauchen, auf einer Wurzel ausrutschen. Ein Dachziegel könnte einen von uns beiden erschlagen. Wir könnten entführt werden, ausgeraubt und was weis ich nicht alles noch. Wenn ich mir ständig darüber Gedanken mache, komm ich gar nicht mehr dazu einfach den Tag zu genießen. Also habe ich aufgehört damit", erklärte sie leise.
Wenn er über ihre Worte nachdachte, hatte sie wirklich recht. Es konnte immer etwas passieren, das war klar. Alles war ein Risiko. Dennoch konnte er nicht einfach so leben und sich keine Gedanken machen. Vielleicht war es für sie einfacher, da sie wusste, wie schnell Dinge verwirren konnten.
„Ich werde es versuchen", flüsterte er heiser. Vielleicht würde es ihm helfen. Versuchen konnte er es zumindest, und wenn es nicht funktionierte, dann hatte er es wenigstens ausprobiert.
„Nimm den jetzigen Moment", meinte sie leise. „Was würdest du jetzt gerade gerne tun?", fragte sie leise, aber neugierig.
Haru schwieg, denn er wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte Angst vor dem, was er dachte und was er gerne tun würde. Und was er gerne fühlen würde. Die Angst allein reichte aus, um ihn schweigen zu lassen, doch sein Griff verfestigte sich um sie.
„Was fühlst du?", änderte Sezuna leise die Frage, da sie davon ausging, dass er das, was er wollte, nicht in Worte fassen konnte.
„Ich bin verwirrt und weiß es nicht", gestand Haru und wich ihrer Frage damit auch teilweise aus. Es war zwar die Wahrheit, dass er verwirrt war und nicht wusste was er fühlte, obwohl er wusste, was er gerne tun würde. Sie wenigstens einmal in seinem Leben küssen und hoffen, dass es ihn nicht an Sarah erinnerte, denn auch wenn sich die beiden Frauen ähnlich waren, waren sie sehr unterschiedlich. Außerdem war es für ihn zu peinlich, so etwas zu sagen ... lieber tat er es einfach, als sich lächerlich zu machen, aber selbst das konnte er nicht.
„Dann tu doch das, was du gerade tun möchtest", schlug sie vor und hoffte, dass er sie nicht los ließ.
„Warum tust du es nicht?", fragte er sie herausfordernd, um von sich abzulenken. Haru hatte nicht vor, sie loszulassen.
„Tue ich doch schon", meinte sie schulterzuckend.
„Gut, dann machen wir das, was du magst", gab er zurück. Haru würde bestimmt nicht anfangen, sie zu küssen, nur weil sein Herz das sagte.
Sezuna lachte leise. „Na gut. Dann heute halt so."
„Was meinst du?", wollte Haru neugierig wissen.
„Heute machen wir das was ich möchte, morgen das, was du möchtest", sagte sie und klang zufrieden.
„Ich treffe hier die Entscheidungen, Sezuna. Morgen wirst du gefesselt, wo auch immer wir sind", sagte er mit einem strengen Ton und musste Lächeln. Sie schien zu versuchen, ihn aus sich heraus zu holen. Doch selbst das, was er gerne tun würde, war für ihn zu peinlich und er würde ihr nicht die Gelegenheit geben, ihn in Verlegenheit zu bringen.
„Wenn es das ist was du möchtest, in Ordnung", stimmte sie zu und musste dabei auch ein wenig schmunzeln.
„Und nun schlaf", sagte er zu ihr. Er selbst war nicht mehr müde, erstens hatte er Angst, dass er wieder einen Alptraum bekam und zweitens hatte ihn die kalte Dusche wach gerüttelt. „Heute vor sieben Jahren ... um diese Uhrzeit ... war sie bereits von mir gegangen", sagte er auf einmal leise.
Sezuna begann sich in einen Armen ein wenig zu drehen, so dass sie ihn besser ansehen konnte. „Möchtest du vielleicht Karten spielen?", wollte sie wissen. Es war ein Versuch ihn von seinen Gedanken abzulenken. Außerdem würde sie selbst nicht mehr schlafen können.
„Was für Karten hast du dabei?", fragte er sie und war dankbar für jede Ablenkung.
„Skat- und Rommékarten", erklärte sie. „Ich hab aber auch Schach", fügte sie hinzu, falls er mehr Lust darauf hatte.
„Schach ist gut, das mag ich. Auch wenn ich immer verliere", gab er zurück und stand auf. Haru war blass im Gesicht, als er das Licht anmachte. Nicht nur die Erinnerungen, sondern auch das, was Sezuna gefragt hatte was er fühlte und wollte, machten ihm zu schaffen. Wäre er anders, hätte sie schon längst gespürt, was er wollte. Aber traute sich einfach nicht. Es war anders, wenn sie vielleicht anfangen würde, doch das würde nicht geschehen und das war auch gut so.
Sezuna holte das Schach-Spiel aus ihrem Rucksack und baute es in wenigen Minuten am Boden auf, so dass sich die beiden davor setzen und mit dem Spiel beginnen könnten. „Soll ich nebenbei eine Geschichte erzählen?"
„Nein, bei Schach bin ich gerne konzentriert. Das planen und vorausschauen ist anstrengend, aber auch entspannend für mich", erwiderte Haru und gab ihr den Wink, dass sie anfangen konnte. Es war ihm egal, ob er gewann oder nicht, das war nie sein Ziel. Aber da er seine volle konzentration auf ein Spiel legte, dachte er an nichts anderes.
Wahrscheinlich hatte er gegen Sezuna sowieso keine Chance, wenn er sich daran erinnerte, wie sie dachte.
Sie tat ihren ersten Zug und blieb währenddessen still.
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