„Ich sagte nicht, dass du nicht so fühlen sollst, wie du es tust. Du sollst lernen damit umzugehen", erklärte sie leise und bemerkte seine Bewegung, doch für heute war es wohl genug. Er hatte sich ihr geöffnet und mit ihr gesprochen. Mehr wollte sie nicht erzwingen. Er brauchte wahrscheinlich sowieso erst einmal Zeit, das Ganze zu verarbeiten.
„Ich glaube ... ich werde es nie lernen. Manchmal wünschte ich, nichts von alledem wäre passiert ...", sagte er erschöpft und ließ seinen Kopf hängen. Er fühlte sich beinahe so wie vor ein paar Tagen nach dem Ausbruch und alles was er wollte, war nur schlafen. Schlafen und vergessen.
„Man kann die Zeit nicht rückgängig machen", murmelte Sezuna traurig. „Das kann niemand. Wir können nur mit dem Leben, was um uns herum passiert." Erneut fuhr sie ihm über die Haare. „Schlaf ein wenig, die Nacht ist noch jung und du bist erschöpft."
Er brachte nur noch ein Nicken zustande bevor er ein leises gute Nacht murmelte. Seine Hände hingen schlaff hinunter und er schien mit gesenktem Kopf zu schlafen. Irgendwann kippte er zur Seite auf den Boden, wobei er nicht einmal aufwachte und schlief dort weiter? Haru war so erschöpft von allem, dass er hoffte, dass es besser werden würde, wenn es Morgen war.
Sezuna beugte sich aus dem Bett, so gut es ging und holte seine Decke und das Kopfkissen, damit er es wenigstens ein bisschen bequem hatte. Danach lehnte sie sich zurück und versuchte ebenfalls wieder zu schlafen. Allerdings fiel es ihr wesentlich schwerer als zu dem Zeitpunkt, wo sie sich hatte gar nicht bewegen können. Wahrscheinlich weil sie da gewusst hatte, dass Haru auf sie Acht gab, während er nun selbst völlig erschöpft war.
Der Junge bekam es gar nicht mit, sondern schlief tief und fest, wobei er sogar leise schnarchte. Wenigstens träumte er dieses Mal nichts, was ihn erst recht erschöpfte. Obwohl er müde war, wachte er gegen Mitternacht auf und er spürte, dass eine Decke über ihm lag. Ein leichtes Lächeln stahl sich auf seine Lippen, als er sich aufrichtete und nachsehen wollte, ob das rothaarige Mädchen schlief.
Er bemerkte sofort, dass sie nicht schlief. Sie hatte eine Hand gehoben, während sie damit durch die Luft fuhr, als würde sie etwas wegwischen oder fangen wollen. Ihre Augen waren an die dunkle Decke gerichtet und sie nahm Haru überhaupt nicht wahr.
„Was machst du da?", fragte er leise, um sie nicht zu erschrecken, denn er wusste nicht, ob sie wie in Trance war oder nicht. „Lernst du etwa?", wollte Haru wissen und stand auf.
Sezuna zuckte zusammen und machte dann eine Geste, als würde sie etwas vor ihrem geistigen Auge wegschieben, oder besser heftig wegwischen wollen, während ihr Atem hektisch wurde und es einige Minuten dauerte, bis sie sich wieder beruhigte und ihren Kopf blinzelnd zu Haru drehte. „Entschuldige, ich ... war nicht ganz anwesend", meinte sie mit rauer Stimme und lächelte schief.
„Was hast du gemacht? Beruhige dich doch, du atmest ganz hektisch. Ich wollte dich nicht bei ... irgendwas stören", meinte er verlegen und gähnte.
„Ich habe ... nachgedacht", meinte sie, wobei es zögernd klang. Fast ausweichend.
„Über was?", fragte er weiter. Haru hatte sich so umgedreht, sodass er seine Arme auf das Bett legen und seinen Kopf darauf abstützen konnte, während er sie fragend ansah. „Hast du Angst, dass ich sauer werde wenn du es mir sagst? Immerhin weißt du bis jetzt viel mehr über mich als jeder andere. Daher finde ich es fair, wenn du mir etwas über dich erzählst oder an was du denkst", meinte er nachdenklich.
„Ich habe meine Gedanken und Eindrücke geordnet und mir Erinnerungen aus meiner Kindheit angesehen. Durch unseren Besuch hier musste ich an den Laden unserer Dorfheilerin denken. Ich hab ihn mit dem von hier verglichen", murmelte sie und wurde ein wenig rot um die Nase. „Der Rest sind Zahlen, die dich denke ich nicht interessieren werden", murmelte sie und traute sich nicht ihn anzusehen.
„Du scheinst echt wie ein Buch zu sein, Sezuna", meinte er und sah von unten sie an. Aber warum wirst du dann rot? Schämst du dich für die Erinnerungen? Und ich habe nie gesagt, dass es mich nicht interessiert. Ich werde es mir nur nicht merken können", gestand er.
Sezuna wand sich ein wenig. Sie kam mit den meisten Gefühlen nicht klar und sie verstand auch nicht, warum sie rot wurde. Hätte Haru ihr das nicht gesagt, wäre es ihr wahrscheinlich selbst nicht aufgefallen. „Ich schäme mich nicht direkt dafür. Es ist nur ... das sind so Momente, wo ich selbst merke, dass bei mir irgendwas nicht richtig im Kopf sein kann", gestand sie leise. „Ich meine, wer zählt schon in seinen Erinnerungen wie viele Häuser mehr das eigene Dorf hat oder welche Kräuter und vor allem wie viele es in welchem Laden gab und wer den höheren Umsatz hat, oder wie viele Schritte die Straßen breit sind, die Häuser hoch und ... ach ich glaube du verstehst was ich meine."
Haru legte seinen Kopf ein wenig schief und lächelte. Seine Kopfschmerzen waren um einiges besser und er fühlte sich nun auch besser, nachdem er ein wenig geschlafen hatte. „Und du meinst, dass du nicht richtig im Kopf bist? Finde ich eigentlich nicht. Solche Vergleiche sind oft hilfreich, wenn man wohin geht und vielleicht dort leben will. Wenn du dich in deinem Dorf Wohlgefühlt hast, wirst du vielleicht am Ende ein ähnliches finden, wo du bleiben willst. Außerdem ist es interessant zu sehen, wie unterschiedlich die Dörfer und Städte sind", erwiderte er leise.
„Haru, ich habe berechnet wie lang die Straße in den Dörfern sind und das anhand der wenigen Schritte die wir gegangen sind. Die hab ich ins Verhältnis zu den Größen der Häuser gesetzt und ... Mathe halt", murmelte sie, als sie bemerkte, dass sie sich schon wieder verlor. „Ich schaue mir die Dinge nicht an und finde sie schön. Es ist als wären überall Zahlen und Winkel und Dinge zum Berechnen."
Bei dem Wort Mathe verzog er sein Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen. „Gut, dass ich das los bin", murmelte er und lächelte schief. „Trotzdem ist es interessant. Jeder Mensch scheint anders zu sein und du hast anscheinend eine sehr gute Gabe und ein schnelles Auffassungvermögen. Das ist bewundernswert."
Sezuna lächelte schief. „Danke. Wie fühlst du dich denn?"
„Besser, noch nicht ganz ohne schmerzen und noch ziemlich müde, aber ein wenig besser als davor", antwortete Haru. „Hätte ich schlafen können, als die Schmerzen so groß waren, hätte es auch geholfen, aber es hat nicht funktioniert wie sonst": fuhr er fort und unterdrückte ein Gähnen.
„Dann sollten wir beide uns jetzt wohl besser wieder hinlegen", meinte Sezuna und ihr Lächeln wurde erneut ein wenig schief. „Würdest du mir vielleicht die Gewichte an den Beinen wieder leichter machen? Ich müsste mal ins Bad", gab sie fast flüsternd von sich.
„Du willst dich ja bloß auf den Boden legen", schnaubte Haru spöttisch. Sezuna würde es wohl immer und immer wieder versuchen, dass er sie freimachte, sodass sie jede Chance nutzen konnte, um ihren Willen durchzusetzen.
„Meinet wegen darfst du sie danach wieder schwerer machen, aber ich muss wirklich", murmelte sie und wich seinem Blick aus.
Seufzend stand Haru auf und legte seinen Finger an die Manschetten. „Ich warte auf dich und ich warne dich, versuche nicht, mich auszutricksen. Du weißt, was dann passiert", warnte er sie müde. Er würde definitiv nicht dulden, dass sie auf dem Boden schlief.
„Ja, ist in Ordnung", murmelte sie und war dann schneller aus dem Zimmer verschwunden, als er es angenommen hatte. Sogar, ohne sich vorher anzuziehen.
Kopfschüttelnd sah er ihr nach und wartete, bis sie zurück kam.
Es dauerte nicht lange und Sezuna öffnete die Tür und kam wieder ins Zimmer geschlüpft. Sie wirkte ein wenig entspannter und hielt sogar direkt auf das Bett zu. „Mir wäre es trotzdem immer noch lieber, wenn du mit ins Bett kommst."
„Vergiss es", antwortete er und sah sie musternd an. Er hatte auf das Bett gezeigt und er war erstaunt, dass sie anscheinend ohne Widerrede dorthin zurückkehrte. Allerdings hatte er ein seltsames Gefühl dabei, als hätte sie irgendwas geplant.
„Was hast du?", fragte sie und kuschelte sich auf die Wandseite des Bettes, so dass deutlich Platz auf der einen Betthälfte war.
„Du bist seltsam. Ich habe das Gefühl, als hättest du was vor. Normalerweise wehrst du dich mit Händen und Füßen. Also sag schon, was ist los?", wollte er wissen, während er sich zu ihr beugte und als erstes die Fußmanschetten erschwerte.
Sezuna verzog ein wenig die Lippen. „Ich dachte, wenn ich brav bin, ersparst du mir das", meinte sie und blickte ihn mit großen Augen von unten her an.
„Sicher ist sicher", lächelte er leicht. „Bei Dir weiß man nie, was du vorhast, um deinen Willen durchzusetzen. Wenn du schläfst und wirklich brav bist, werde ich sie leichter machen, sollte ich wach sein."
„Man könnte fast meinen du magst es, wenn die Leute dir ausgeliefert sind", murmelte Sezuna leise, um ein wenig zu sticheln, hatte sich aber mehr oder weniger schon damit arrangiert erneut nur die Arme bewegen zu können.
„Bring mich nicht auf dumme Gedanken, Sezuna", grinste er breit und erschwerte nun ihre Handgelenke. „Du hast Glück, dass ich nicht so bin wie die anderen. Die hätten das garantiert ausgenutzt. Das wird Dir bei mir nie passieren", versicherte er ihr und setzte sich für einen Moment auf die Bettkante.
Sezuna spürte, wie sich in ihrem Bauch erneut dieses Kribbeln bildete, als er auch ihre Handgewichte wieder erschwerte. „Wieso das denn jetzt auch noch?", wollte sie wissen und bewegte sich unruhig.
„Vertraue niemals einem schlauem Mädchen", schmunzelte er.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro