Kapitel 16
Er sah sich um und zuckte mit den Schultern. „Hoffentlich müssen wir das Spiel nicht zu häufig durchführen, sonst gewöhnt man sich noch dran", murrte er. Trotzdem war er sehr froh, dass er der alten Frau hatte helfen können.
„Wir oder sie?", fragte Sezuna ein wenig belustigt. Hatte er Angst, dass er sich daran gewöhnte so nah bei ihr zu sein, oder dass die Umgebung es erwartete?
„Wir", murmelte er nur und rieb sich den Nacken. Seit er seine Magie am Vortag zu viel benutzt hatte, plagten ihn Kopfschmerzen, die er jedoch nicht unbedingt mit Magie behandeln wollte. Sein Körper war sensibel nach einem Ausbruch und er wusste, er würde sich mehr schaden als helfen, selbst wenn er es an sich selbst anwendete.
„Verstehe. Willst du dich ein wenig ausruhen oder nicht ein wenig das Dorf besehen?", wollte sie wissen, da es ihr durchaus auffiel, dass er sich den Nacken rieb.
„Umsehen, wenn wir schon mal hier sind. Es wird zwar nicht viel zum sehen geben, aber besser, als nur auf dem Zimmer zu sein", erwiderte er.
„Okay", meinte Sezuna zustimmend. „Wir könnten uns den Tempel ansehen."
Haru nickte und ging in die Richtung, wo der Tempel war. „Magst du solche Tempel? Ich meine, hast du sie öfter besucht oder so?", wollte er dann wissen, als sie auf dem Weg dorthin waren.
„Nein, ich bin nie viel aus unserem Dorf rausgekommen. Bei uns gab es einen kleinen, aber das einzige was mich daran interessiert hat, ist die Baukunst", erklärte Sezuna, während sie sich dem Bauwerk näherten. „Gab es bei euch einen?"
Der Junge überlegte. Schließlich nickte er und rieb sich die Nase. „Ja, dort wo Sarah gewohnt hatte, gab es einen. Bei uns leider nicht. Ich habe sie als Kind einmal aus versehen reingeworfen", grinste er plötzlich, als er daran dachte. Wie sauer sie gewesen war und ihm den Tod an den Hals gewünscht hatte. Sie hatte so schön fluchen können, wenn sie sauer war, aber nie war sie ihm gegenüber böse gewesen.
„Reingeworfen?", fragte Sezuna ein wenig verständnislos. Der Tempel, der bei ihnen im Dorf gewesen war, war sehr klein und hatte Platz für eine Götterstatue auf einem erhöhten Socke, die von einem Pavillon geschützt gewesen war. Mehr war es nicht gewesen.
Haru lächelte. „Der Tempel hatte ebenfalls einen Brunnen, wo man sich weihen lassen konnte. Wir haben dort gespielt gehabt und uns gegenseitig um den Brunnen, der durch ein Dach des kleinen Tempels geschützt war, gejagt. Ich habe ihr jedesmal einen Vorsprung gelassen, denn sie war kleiner als ich und folglich auch langsamer. Was ich allerdings nicht schnell genug gesehen hatte war, dass sie plötzlich vor dem Brunnen stehen geblieben war, weil sie hineingeschaut hatte, ob jemand Geld hineingeworfen hatte. Der Brunnen war eine Art Wunschbrunnen für die Menschen, wobei ich nicht glaube, dass ihre Wünsche in Erfüllungen dabei gegangen sind. Letztendlich bin ich gegen sie gerannt und habe sie heruntergeschubst", lachte er, als er sich an den Tag mehr und mehr erinnerte.
„Das klingt nach viel Spaß", meinte Sezuna mit einem sanften Lächeln. „Wie hast du sie wieder herausbekommen?"
„Erst mal gar nicht. Zuerst war ich so geschockt gewesen, weil ich sie nicht festgehalten hatte und danach konnte ich mich vor Lachen nicht mehr halten. Je länger ich gelacht habe, desto wütender wurde sie und hat mich verflucht. Erst als ich mich beruhigt hatte, habe ich nach unten gesehen und sie gefragt, ob sie mich umbringen würde, wenn ich sie herausholen würde. Natürlich hat sie gesagt, dass sie dann ganz lieb wäre. Also habe ich sie mit einem Schwebezauber herausgeholt und bereits in der Luft gesehen, dass sie selbst hatte lachen müssen. Zumindest am Ende. Sarah hat es geliebt, wenn ich sie hatte schweben lassen", erzählte er ihr, während sie auf den Tempel zuliefen.
„Das kann ich gut verstehen", meinte Sezuna leise, die ihren Blick über den Tempel gleiten ließ, der so ganz anders war, als der bei ihnen zuhause. Ein wenig größer, aber viel weniger religiös. Mehr wie ein Zentrum zum Ausruhen.
„Der hier ist echt schön", gab Haru zu und betrachtete ihn eingehend. „So einer wirkt richtig einladend", meinte er und ließ Sezuna den Vortritt.
„Das stimmt", meinte sie und trat auf einen großen Baum zu, der in einer Art Mini-Innenhof stand. Darunter eine Bank.
„Willst du dich setzen? Bist du müde?", fragte er und sah sich um. Obwohl er nicht so interessiert an alten Bauten war, aber das hier war sehr interessant und mal etwas anderes zu sehen. Haru warf dem Mädchen einen fragenden Blick zu, denn er wollte nicht, dass sie sich überanstrengte, nachdem sie noch erschöpft zu sein schien von seiner Magie.
„Ja, ich würde mich gern ein paar Minuten ausruhen und die frische Luft genießen", meinte sie und trat auf die Bank zu, um sich unter dem Baum niederzulassen.
Haru nickte und setzte sich zu ihr, wobei er seine Arme hinter dem Kopf verschränkte und die Wolken betrachtete. „Du warst übrigens gut mit dem Verband. Dein Wissen hilft dir wirklich sehr viel dabei", bemerkte er.
„Das Kräuter zusammensuchen und mischen ist nicht schwer. Aber das Anlegen... Ich war so unsicher", murmelte Sezuna und blickte hinauf in das Blätterdach des Baumes. „Aber du warst wirklich gut."
„Das lernst du auch, du musst es nur versuchen", sagte er aufmunternd zu ihr und tat es ihr gleich. Die Blätter waren noch grün, aber sie färbten sich langsam gelb. Das hieß, es war Herbst und die Tage würden kälter werden. „Man lernt es nicht, wenn man es nicht versucht", meinte er dann
Sezuna strich sich eine Strähne hinter ihr Haar und seufzte dann. „Ich bekomme in den seltensten Fälle praktische Erfahrung", murmelte sie und kam nicht umhin die Zweisamkeit mit Haru zu genießen.
„Vielleicht ergibt sich die Chance für dich wieder. Nur Mut, so schwer ist das nicht", lächelte er aufmunternd und schloss für einen Moment die Augen. Noch war es nicht so kalt und die Sonne schien, deshalb konnte er das Wetter noch genießen. „Du könntest es ja bei dir selbst versuchen, dann siehst und fühlst du, ob es richtig ist", schlug er vor.
„Sich selbst zu verarzten ist nicht gerade leicht", bemerkte Sezuna ein wenig belustigt. „Immerhin sehe ich nicht, was ich auf meinem Rücken mache oder komme gut mit den Armen hin."
„Dafür kannst du deine Beine selbst verbinden und diese Dinge tun", bemerkte er dann belustigt. „Und für alles andere sind ja die Heiler da."
„Ja gut, das ist wohl wahr", seufzte sie und lachte leise auf, als ein Blatt direkt auf ihr Gesicht fiel.
Haru öffnete sein Auge und schielte zur Seite um zu wissen, warum sie lachte und konnte sein Lächeln nicht unterdrücken. „Du siehst sehr verändert mit einem Blatt aus."
Sezuna griff danach und nahm es von ihrem Gesicht, bevor sie es musternd betrachtete. Es war ein schönes, buntes Blatt.
„Nimm es mit als Andenken. Das ist das Schönste an Reisen, wenn man Andenken mitnehmen kann", riet er ihr und sah sich das Blatt an. Es hatte bereits rote und orangene Flecken, die es zu einem einzigartigen Blatt machte. „Du solltest es trocknen lassen, damit es für eine Ewigkeit hält", schlug Haru ihr vor.
„Das ist eine gute Idee", sagte Sezuna mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Vielleicht sollte sie generell damit beginnen eine Art Album anzulegen, in dem sie Dinge ihrer Reise sammelte.
„Eines Tages wirst du dich dann an die schönen und weniger schönen Dinge erinnern, die dir helfen werden, stärker zu werden", prophezeite er ihr und seufzte.
„Das werde ich sowieso, auch ohne Andenken. Aber sie könnten ein Anker für mich sein, wenn ich mich in meinen Erinnerungen verlaufe", murmelte Sezuna vor sich hin und legte das Blatt behutsam auf ihrem Schoß ab.
„Wie meinst du das?", wollte Haru wissen und sah sie neugierig an.
Sezuna wandte ihren Blick wieder in den Himmel. „Stell dir meinen Kopf wie eine riesige Bibliothek vor. Ich kann durch die Gänge wandern und mir ein Buch nehmen. Das kann zum Beispiel ein letztes Ereignis sein. Dann schaue ich mir die Bilder darin an, spüre die Emotionen und höre die Worte. So ist es normal, wenn ich mich an etwas erinnere. Aber manchmal passiert es, das ich an eine Erinnerung möchte, das Buch herausziehe und plötzlich sämtliche Bücher aus den Regalen fallen und mich in Beschlag nehmen", erklärte sie, als würde sie eine Geschichte erzählen. „Leila nannte es einen Nervenzusammenbruch, ich nenne es einen Anfall. Aber im Grunde ist es ähnlich."
„Ich verstehe. Dann kommst du durcheinander, weil sich wohl alles vermischt, oder?", fragte er sie. „Aber woher kommen dann diese Anfälle?"
„Ja, das könnte man so sagen. Ich sehe mich dann einer Flut an Bildern gegenüber und kann nicht einmal mehr richtig unterscheiden ob etwas Realität ist oder nicht. Und mein Kopf macht das nicht lange mit, weil es einfach extrem viele Informationen sind", erklärte sie und zuckte dann die Schultern. „Ich weiß nicht woher sie kommen. Vielleicht, wenn ich zu schnell nach Antworten suche, oder auf etwas zu viele Erinnerungen habe?"
„Hmm", machte Haru nur und dachte darüber nach. „Das ist gut möglich, weil jedes Gehirn wohl nur eine Menge an Informationen verarbeiten kann. Bei dir scheint es so, weil du so intelligent bist und viel und schnell nachdenken kannst, dass dein Gehirn einfach nicht mehr mitkommt", vermutete er.
„Vielleicht ist auch die Magie aufgebraucht, die mein Gehirn dazu befähigt so viele Informationen überhaupt erst zu speichern. Ich glaube nämlich nicht, dass es normal ist, dass man sich an seinen dritten Geburtstag in allen Einzelheiten erinnern kann", murmelte Sezuna und spielte nachdenklich mit einer Strähne.
„Nein das stimmt allerdings. Das ist nicht normal. Wobei dich wahrscheinlich genau das einzigartig macht. Vielleicht besitzt du nicht über sehr viel Magie, aber wenn du viel mehr hättest, würde das wohl nicht passieren", meinte er nachdenklich.
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