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Kapitel 35

Es ist Freitag. Eigentlich müsste ich heute arbeiten gehen, entweder meine Schichten im Gefängnis abstehen oder irgendwelche Berichte durchlesen und selber verfassen. Stattdessen habe ich den Luxus in meinem Bett zu liegen und der Sonne dabei zuzusehen, wie sie durch die Fenster späht und langsam die Wände hochkrabbelt.

Ich versuche diesen Moment der Ruhe zu genießen, aber meine Gedanken betrügen mich. Immer wieder schweifen sie zu den Beerdigungen und James' weinendem Gesicht. Ich sehe wieder Williams Perish' starren Körper vor mir und wie sein Bruder sich an ihn klammert. Und dann muss ich wieder an die gestrige Besprechung denken und wie gering unsere Chancen sind den Angriff gegen die Schule zu überstehen.

Ob in Hanrocks Tempel denn überhaupt Platz für 87 Särge ist? Vermutlich nicht und selbst wenn, wäre dann erst recht kein Platz mehr für die Trauergäste.

In wenigen Wochen könnte mein eigener Sarg dort liegen. Ich könnte zurecht gemacht in meinen besten Sachen in einem Sarg liegen, die Farbe auf meinem Porträt wäre noch feucht und ich würde von all dem nichts mehr mitbekommen. Weil ich tot bin, meine Seele hält sich nicht länger hier auf und ich bin auf dem Weg zu Hanrocks Reich.

Ich reiße die Augen auf und ringe für einen Moment mit der Luft und meinen Lungen. Ich kann nicht mehr atmen und kurz bin ich mir sicher, dass ich hier und jetzt ersticken werde, während Elisha neben mir im Bett liegt und noch ruhig schläft.

Dann entkrampft sich mein Hals und kühle Luft strömt in meine Brust und mein Körper entspannt sich. Allerdings fange ich jetzt zu zittern an und fühle mich federleicht, als hätte ich keinen festen Körper mehr.

Immerhin kann ich mich bei den anderen Soldaten entschuldigen, wenn ich an Hanrocks Tafel sitze, muss ich denken und erneut kann ich für einen quälend langen Moment nicht atmen.

Ich presse mir die Hände gegen die Stirn und atme so ruhig wie möglich ein und aus. Meine Finger zittern und mir ist schlecht. Das Herz klopft mir im Rachen und ich fühle mich einfach nur elend.

„Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben", flüstere ich vor mich hin und rolle mich wie ein kleines Kind zusammen, presse meine Knie in die Brust und spüre meinen rasenden Herzschlag an meinem Bein. „Ich will nicht sterben, ich will nicht sterben, ich will nic-"

Ich unterbreche mich selbst, als sich die Worte in meiner rauen Kehle verfangen und ich röchelnd zu husten anfange.

Elisha regt sich hinter mir und ich lehne mich in Richtung Bettrand, als würde ich sie dann nicht aufwecken. In meinem Hals kratzt und kitzelt es immer noch und ich röchle jetzt mehr als das ich huste, wie ein alter Mann auf dem Sterbebett.

Ich kneife die Augen zusammen, weil mir dieser Vergleich erneut Herzrasen versucht und ich mich fühle, als läge ich auf meinem Bett. Ich bilde mir ein zu spüren, wie mein Körper weich und schwach wird und einfach aufhört zu funktionieren, wie mein Herz erstarrt, meine Lungen die Luft aussperren und mein Leben durch meine Finger rinnt wie weicher Sand.

„Henry!" Ich zucke zusammen, als ich Elisha hinter mir schreien höre, und hole gierig Luft, während meine Lungen zu brennen anfangen. Vielleicht habe ich es mir nicht nur eingebildet, vielleicht habe ich wirklich aufgehört zu atmen.

Im sanften Morgenlicht sehe ich Elishas besorgtes Gesicht über mir schweben. Ihre offenen Haare fallen ihr über die Schulter und ihre Augen halten meine fest, ich könnte nicht einmal wegsehen, wenn ich wollte. Und dort, wo das Licht auf sie trifft, leuchtet sie golden auf, ihre Haut schimmert golden, ihre Haare verwandeln sich in fein gesponnenes Gold und ihre Augen werden zu goldenen Spiegeln.

Elisha, hier im Morgenlicht, sieht einfach absolut wunderschön aus und mir stockt der Atem aus anderen Gründen.

„Oh nein, atme wieder!" Elisha klingt panisch und sie rüttelt an meinen Schultern, als wäre ich ein stotternder Motor, der mit einem guten Schubs wieder in Schwung kommt.

Ich tue ihr den Gefallen und hole tief Luft, denn es reicht, wenn nur ich vor lauter Panik nicht atmen kann. Elisha entspannt sich sichtlich, während sie das Heben und Senken meiner Brust beobachtet.

Ihre Hände bleiben auf meinen Schultern liegen, aber sie setzt sich zurück und schließt die Augen, ihr ganzes Gesicht verliert alle Schärfe.

„Entschuldigung", flüstere ich nach einem Moment der Stille, in dem man nur uns atmen hört. „Ich wollte dich nicht aufwecken oder dich sorgen, ich - ich musste einfach nur an alles denken, was in der letzten Zeit passiert ist, und - es ist mir zu viel geworden."

Die Worte fallen einfach aus meinem Mund und ich bin mir nicht einmal selbst sicher, woher sie kommen. Mir war nicht bewusst, was in mir vorgeht, und doch enthalten meine Worte eine Wahrheit, die mir vollkommen selbstverständlich vorkommt.

„Du musst dich nicht entschuldigen", erwidert Elisha. Sie schlägt ihre Augen wieder auf und lächelt mich an. Die Sonne leuchtet sie jetzt von hinten an, sodass ihre Haare wirken, als bestehen sie aus Lichtfäden. Ich komme mir wie benommen vor, als würde ich gerade etwas sehr wichtiges entdecken, doch ich weiß nicht, was an Elisha im Sonnenlicht so besonders ist. Ich habe sie so immerhin schon tausende Male gesehen.

„Ich habe mir nur Sorgen gemacht, weil du plötzlich aufgehört hast zu atmen. Ich sag dir, mein Herz ist stehen geblieben, das hat mich so erschreckt." Elisha lächelt zwar weiterhin, aber mir fällt auf, dass ihre Hände zittern und ihre Schultern leicht hochgezogen sind.

„Verzeihung", sage ich erneut und strecke die Arme nach ihr aus. Ich will sie zum einen umarmen, damit sie sich sicher ist, dass es mir gut geht, und weil mir ihre Nähe immer hilft düsterere Gedanken abzuschütteln.

Elisha folgt meiner stummen Einladung und presst sich dicht an meinen Körper, bis ich ihren Herzschlag neben meinem spüren kann, durch unsere Kleidung hindurch. Ihre Arme drücken sich an meinen Rücken und ihre Hände streichen nervös über meine Seiten, mehr um sich als mich zu beruhigen.

Ich lege den Kopf auf ihrer Schulter ab, atme ihren vertrauten Duft tief ein und wünsche mir mit plötzlich erwachter Sehnsucht, dass meine Tage immer so anfangen könnte. Nicht, dass ich vor Angst zu atmen vergesse, sondern mit Elisha neben mir, ihren Armen um mich und ihrer schläfrigen Wärme um mich.

Vielleicht wünsche ich mir aber auch nur ein Leben, in dem ich nicht mehr aufwache und an meinen baldigen Tod denke. Vielleicht verliere ich allmählich auch einfach nur den Verstand und Elisha ist eine der wenigen sicheren Konstanten.


Als wir zum Frühstück kommen merke ich sofort, dass irgendetwas nicht stimmt.

Meine Eltern sitzen an ihren üblichen Plätzen und haben beide Schüsseln mit dampfendem Haferbrei vor sich, aber sie essen nicht.

Mutter zupft unruhig an ihrer Frisur, die von Unmengen an Perlenketten und konservierten weißen Schmetterlingen zusammengehalten wird, und runzelt und entrunzelt ihre Stirn die ganze Zeit. Ihre blauen Augen, die meinen so ähnlich sehen, huschen über das Porzellan vor ihr, ehe sie aus dem Fenster in unseren Garten schaut. Sie kaut auf ihrer Unterlippe, hört abrupt wieder auf und rutscht dann unruhig auf ihrem Stuhl hin und her wie ein kleines Kind.

Vater ist hingegen vollkommen ruhig und still. Die Zeitung von heute liegt neben ihm, doch er würdigt sie keines Blickes, starrt nur sein ungeschältes Frühstückstei an und drückte seine verschränkten Hände an die Brust. Sein Blick ist in die Ferne gerichtet und wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich ihn für geistig vollkommen abwesend halten, nur ist Vater immer präsent.

„Guten Morgen", grüße ich zögerlich und nehme meinen Platz neben Mutter ein. Elisha setzt sich zögerlich neben mich und wirft mir aus dem Augenwinkel einen besorgten Blick zu. Sie hat ebenfalls mitbekommen, dass irgendetwas nicht stimmt.

Mutter sieht mit einer raschen Kopfbewegung zu mir und lächelt gezwungen. „Hallo mein Liebling", sagt sie und tätschelt meine Wange, als wäre ich wieder ein kleines Kind.

Ich runzle verwirrt die Stirn, lasse sie jedoch gewähren. „Ist etwas passiert?", frage ich vorsichtig, unsicher, wie ich es am besten formuliere. „Ihr wirkt beide unruhig."

Mutter tut meine Worte mit einer Hand ab, während Vaters starrer Blick zu mir wandert. Ansonsten erhalte ich jedoch keine Antwort und das ist fast gruseliger als mögliche Ausreden.

Ich tue Elisha und mir vom Haferbrei auf, reiche ihr ein Frühstücksei und spähe zwischen meinen Eltern hin und her.

Sie schauen sich jetzt gegenseitig an, Mutters Gesicht ist voller Bewegung und sie kann sich nicht entscheiden, ob sie jetzt gleichgültig, fröhlich oder ängstlich aussehen will, während Vaters Gesicht weiterhin starr ist.

Elisha versucht zu lesen, was die Schlagzeile der Zeitung ist, doch Vater legt wie beiläufig seinen Arm darauf ab, sodass sein Ärmel die Worte verdeckt. Und noch immer schauen sich meine Eltern einfach nur an und ich komme mir allmählich vor, als würden die Beiden ganze Unterhaltungen führen und Elisha und mich ausschließen.

„Mutter, Vater, bitte, ihr benehmt euch seltsam", wage ich einen neuen Versuch. „Ich weiß, dass irgendetwas passiert ist. Sagt es mir doch lieber jetzt, als dass mich die Neuigkeiten später überraschen."

Mutter schaut zu den leeren Stühlen an der anderen Tischseite und Vater sieht erneut zu mir. Dieses Mal jedoch verzieht er den Mund leicht und richtet sich auf.

„Die Königin ist verschwunden", sagt er ohne große Einleitung und Elisha und Mutter schnappen gleichzeitig nach Luft. „Verfluchte sind in den Palast eingebrochen und haben sie entführt. Sie verlangen jetzt Lösegeld vom Königshaus, innerhalb von drei Zyklen sollen sie zahlen, sonst werden sie die Königin in Stückchen zurückschicken."

Mutter schnappt erneut nach Luft und umklammert die Tischkante. „Arthur", japst sie und sieht Vater anklagend an. „Nicht vor den Kindern!"

Ich lächle dünn und tätschle Mutters Hand. „Keine Sorge, als Soldat erlebt man viel schlimmere Dinge", versichere ich ihr und ignoriere ihren entsetzten Blick.

Außerdem weiß ich schon seit gestern von der Entführung der Königin. Meinte der Hauptmann nicht, dass es die Öffentlichkeit noch eine Weile nicht erfahren soll? Woher kommt denn dieser Sinneswechsel?

„Oh", macht Elisha neben mir und ihr ganzes Gesicht füllt sich mit Verständnis, als hätte sich eine Frage für sie gelöst. Dann blinzelt sie und bemerkt unsere fragenden Blicke und eine leichte Röte erscheint auf ihren Wangen. „Mir ist nur gerade eingefallen, dass meine Tante aus Weidentrauer heute zu Besuch kommt und ich das ganze vergessen hatte."

Sie lacht gekünstelt und meine Eltern haben den Anstand zu lächeln. Elisha wirkt ebenso bemüht normal wie meine Eltern vor wenigen Sekunden noch. Was ist denn nur mit ihnen heute los?

Ich wende mich meinem Haferbrei zu und bin versucht ebenfalls mysteriös ins Nichts zu starren, damit ich nicht der Einzige bin, der sich gerade normal benimmt.


Elisha verabschiedet sich nach dem Frühstück, sucht eilig ihre Sachen zusammen und wirft mir einen Luftkuss zu, während sie die Straße hinuntereilt. Anscheinend muss sie pünktlich für die Ankunft ihrer Tante daheim sein oder sie wird enterbt. Zumindest ihr Verhalten lässt mich das denken, auch wenn Elisha nur davon erzählt hat, dass ihre Tante mehrere Monate bleiben wird, weil sie sich in Himmelsteich mit dem Verschwinden der Königin nicht mehr sicher fühlt.

Ich sehe ihr hinterher, wie ihr wippender Rock hinter dem Haus an der Ecke verschwindet, und seufze leise. Auch wenn wir für heute keine Pläne ausgemacht haben, hatte ich geplant den Tag mit Elisha zu verbringen; einfach ein wenig Spaß haben und vergessen, wie düster und traurig die Welt geworden ist.

Jetzt stehe ich unschlüssig in unserem Flur und liebäugle mit meinen Schuhen, unsicher, was ich mit mir selbst anfangen soll.

Mutter taucht im Türrahmen auf und strahlt mich an, ihre bedrückte Miene vom Frühstückstisch ist wie von Zauberhand verschwunden. „Henry, mein Liebster, ich wollte dich fragen, ob wir beide uns nicht einen schönen Tag machen wollen." Sie sieht mich an, als wäre das die beste Idee, die sie jemals hatte.

„Wir haben uns in letzter Zeit so wenig gesehen, weil bei dir so viel los war, und ich vermisse dich und unsere Zeit zusammen. Was hältst du davon, wenn wir einen netten Stadtbummel machen und anschließend in ein Café gehen?"

Mutter sieht mich erwartungsvoll an und ich fühle mich selbst weich werden.

„Sicher, warum nicht", erwidere ich, ehe ich genauer darüber nachdenken und eine Liste mit Vor- und Nachteilen erstellen kann. Mutters strahlendes Lächeln wird noch breiter, bis ich mir fast sicher bin, dass jeden Moment Licht aus ihrer Haut bricht.


Mutter bestellt uns eine pferdelose Kutsche und zupft den ganzen Weg zur Hauptstraße an ihrem neuen weißen Pelz, passend zu ihrer Frisur und dem ebenfalls weißen Kleid, das mich ein wenig an eine Sahnehaube erinnert.

„Ich freue mich schon sehr auf den Herbst", gesteht mir Mutter, als wir an den verschiedenen Geschäften vorbei schlendern, ihr Arm fest mit meinem verschränkt. „Die Farben komplimentieren meinem Hauttyp einfach mehr, weißt du? Oh, schau mal, Henry, wie süß diese Hüte aussehen."

Ich habe kaum Zeit zu nicken, ehe sie mich auch schon in den Hutladen zerrt und aufgeregt mit den Schneiderinnen ein Gespräch anfängt. Sie reden viel von Stoffen und Schnitten und versteckten Taschen im Hutinnere, in die man anscheinend kleine Parfümfläschchen tun kann, um immer gut zu riechen.

Mutter verliert sich so im Gespräch und dem Anprobieren von Hüten, dass ich sie schließlich mit einem leichten Räuspern im Wort unterbreche und zur Uhr blicke, die über dem Tresen hängt.

„Oh, wir sind hier schon fast zwei Stunden", sagt sie beinah peinlich berührt und reicht den letzten Hut, den sie anprobiert hat, zurück. „Hach, aber ich kann mich zwischen diesem Aprikosenton und dem Limettengrün nicht entscheiden. Was meinen Sie, welche Farbe passt besser zu meinen Augen?"

Ich verkneife mir mehrere Augenrollen, während Mutter eine weitere halbe Stunde damit verschwendet die beiden Hüte abwechselnd aufzusetzen und sich vor einem Spiegel hin und her zu drehen.

Als wir den Laden schließlich verlassen trägt sie den limettengrünen Hut in einer Papierschachtel unter dem Arm und summt vergnügt vor sich hin. Es würde mich nicht überraschen, wenn sie gleich zu tanzen anfangen würde. Andererseits wäre ihr das in der Öffentlichkeit wohl zu peinlich, also summt sie nur wie eine übergroße Hummel vor sich hin.

„Denkst du, es ist noch zu früh für den Nachmittagstee?", fragt mich Mutter, als wir an einer Bäckerei vorbeilaufen. Aus der Bäckerei riecht es angenehm nach gebackenem Teig und süßem Teig und interessanter weise auch nach kandierten Äpfeln.

Ich folge ihrem Blick und beäuge ebenfalls den Sahnekuchen mit Kirschen, der im Schaufenster steht. „Vielleicht, aber ich hätte nichts gegen ein Stück Kuchen", antworte ich und Mutter strahlt mich erneut an, als hätte ich die Sterne für sie vom Himmel heruntergeholt.

„Oh und sieh mal, dort ist ein niedliches Café, lass uns dort hinein gehen." Mutter deutet begeistert auf ein Gebäude zwei Häuser entfernt und stiefelt davon, ehe ich durch die Menschenmenge überhaupt entdeckt habe, wo sie hin will.

Als ich meine Mutter endlich eingeholt habe späht sie gerade durch eine gläserne Tür. Über ihr baumelt ein Schild, das wie eine Teetasse geformt ist und auf dem in silbernen Buchstaben Nest der Liebesvögel steht.

„Das Café sieht so niedlich aus, Henry", sagt Mutter und winkt mir begeistert zu. „Die Tische sind klein und rund und ich habe in der Ecke sogar eine Musikbox entdeckt, kannst du das glauben? Wie habe ich bisher nichts von diesem Etablissement gehört?"

Ich verkneife mir ein Seufzen, denn natürlich ist Mutter angetan von dem Namen und der Einrichtung und den Farben. Hoffentlich hält sie keine Abhandlung, wie sich die pastellenen Farben der Wände gut mit den Weißtönen der Tischdecke ergänzen oder ähnliches.

„Ich war hier schon mal", erwidere ich und halte die Tür für Mutter auf, damit wir nicht länger den Passanten im Weg stehen. „Hier habe ich mich mal mit James und Elisha getroffen, das war, hm, vor knapp drei Wochen."

„Oh", macht Mutter und ihre Augen werden groß. Im ersten Moment glaube ich, dass sie von den silbernen Kronleuchtern abgelenkt ist, ehe ihre Augen zu mir huschen. „War das der Tag, an dem du mich gefragt hast, ob du und James verwandt seid?"

Ich nicke. „Ich glaube schon, ja."

Wir suchen uns einen Tisch am anderen Ende des Raumes und wir sind eine Weile davon abgelenkt, dass der Innenhof ein kleiner Garten ist, komplett mit Brunnen und säuberlichen Kieswegen zwischen überquellenden Feldern.

Dann taucht die Bedienung auf und Mutter plaudert mit ihr über den besten Kuchen und welcher Tee am besten dazu passen würde. Ich sitze stumm daneben. Mutter scheint heute einen besonders gesprächigen Tag zu haben, da macht es wenig Sinn sie ausbremsen zu wollen.

Schließlicht bestellt sie eine große Tasse schwarzen Tees für uns und mehrere Stücke Gebäck und Kuchen. Ich richte mich geistig darauf ein, dass wir hier wohl bis zum Abend sitzen werden, weil Mutter sich scheinbar durch das komplette Kuchenangebot essen will.

Aus der Musikbox fallen sanfte Geigentöne und mit dem weichen Nachmittagslicht, das durch das Fenster hereinfällt, fühle ich mich fast friedlich. Die Panik von heute Morgen erscheint fast wie aus einem fremden Leben, aber dann muss ich an meinen letzten Besuch hier denken und wie viel sich seitdem geändert hat und dass das das letzte Mal sein könnte, bei dem ich entspannt in einem Café sitze. Die Panik beißt mir erneut in den Nacken und ich hole scharf Luft, ehe ich meine Gedanken mit Gewalt auf Mutters Schmetterlinge lenke und wie sie jedes Mal wippen, wenn die Tür aufgeht und ein leichter Luftzug durch den Raum weht.

„Oh, schau mal", meint Mutter und deutet mit dem Kinn hinter mich. „Sind das nicht Kollegen von dir?"

Ich drehe mich auf dem Stuhl um und entdecke James, der zusammen mit Louis und Charlie an einem Tisch sitzt. Die Drei halten die Köpfe gesenkt und sehen alles andere als fröhlich aus, aber es beruhigt mich dennoch auf eine Art und Weise, die ich selbst nicht verstehe, sie zu sehen.

„Ja, das ist James Lightwood und -" Ich kann meinen Satz nicht beenden, denn bei James' Nachname fliegen Mutters Augen auf und sie erhebt sich abrupt von ihrem Stuhl.

Verdutzt beobachte ich, wie sie sich durch die Tische schlängelt und James dann behutsam an die Schulter tippt. Er schaut fragend, aber höflich auf und runzelt die Stirn, als er meine Mutter sieht.

Sie strahlt ihn an und hält ihm dann eine Hand hin. „Ich bin Linda Balfour. Gehe ich recht in der Annahme, dass du der Sohn von Melina Lightwood bist?"

James schaut jetzt eindeutig fragend und schüttelt langsam Mutters Hand. „Ja, das ist meine Mutter. Wieso, ist ihr etwas passiert?", fragt er besorgt und steht halb auf.

Mutter winkt ab und drückt seine Hand mit ihren beiden. Louis und Charlie schauen sie einfach nur verwundert an und wissen nicht wohin mit sich. „Nein, Melina ist meine Schwester", stellt Mutter klar und lächelt jetzt wieder breit und strahlend.

Dann wendet sie sich zu mir um und winkt mich heran. Ich unterdrücke ein Seufzen und raffe unsere Sachen zusammen, denn Mutter will jetzt sicher bei ihrem Neffen sitzen.

James macht große Augen, als er mich sieht, und ich lächle ein wenig gezwungen. „Hallo", sage ich in die Runde und neige leicht den Kopf. Mutter strahlt nur weiter vor sich hin und rückt dann zwei weitere Stühle an den Tisch.

Ich lande zwischen James und Louis, während sich Mutter zwischen James und Charlie quetscht. Während Mutter sofort James über ihre Schwester ausgequetscht und was in den letzten Jahren alles so passiert ist, wende ich mich mit der vagen Absicht ungezwungen mit Louis und Charlie zu reden ihnen zu.

Charlie schaut mich zwar an, aber sein Gesicht wirkt wie aus Stein gemeißelt und Louis lächelt, aber es ist ein müdes und erschöpftes Lächeln.

„Alles in Ordnung bei euch?", frage ich und möchte die Frage zurücknehmen, kaum dass sie meine Zunge verlassen hat. Natürlich ist nicht alles in Ordnung, Charlies Halbbruder ist vor wenigen Wochen erst gestorben!

„Ach", macht Louis und zuckt nachlässig mit den Schultern. Seine roten Locken stehen ihm noch immer in alle Richtungen ab und seine Sommersprossen springen mir regelrecht entgegen. „Wir halten uns über Wasser, du weißt schon."

Ich nicke, auch wenn ich nicht wirklich weiß, was er damit meint. Spricht er von Marks Tod? Dem drohenden Massengrab, wenn wir die Schule angreifen? Die generelle Hoffnungslosigkeit, die sich seit den ersten Toden in uns breit gemacht hat?

„Die letzten Wochen waren hart", stimme ich ihm zu, was zwar vage ist, aber im Grunde stimmt. Die letzten Wochen waren wirklich hart und ich wünsche mir plötzlich, dass ich meinen Urlaub auf den Herbst statt auf den Winteranfang gelegt hätte.

„Ich kann es kaum erwarten, bis wir endlich gegen diese elende Schule vorrücken", sagt unerwarteterweise Charlie und sein Gesicht wird lebendig, aber nur, um sich grimmig zu verziehen. „Diese Feiglinge haben Mark gestohlen, das werde ich ihnen niemals verzeihen."

Mutter und James bekommen von Charlies grimmigen Worten zum Glück nichts mit, aber Louis und ich sitzen in betretener Stille und wissen nicht, was wir erwidern sollen.

Louis greift schließlich nach Charlies Hand und drückt sie behutsam. Charlies Gesicht wird wieder ein wenig weicher und ich atme erleichtert aus, denn es hat mir ein wenig Sorge gemacht, wie finster er wirkt.


Als wir drei Stunden später gegen fünf Uhr aus dem Café gehen verabschieden sich Charlie und Louis sofort.

„Wir helfen seit ein paar Wochen ehrenamtlich im Krankenhaus, wenn wir Zeit haben natürlich", erklärt Louis und schüttelt die Hand meiner weiterhin energischen Mutter. „Unsere Schicht beginnt um halb sechs und wir müssen uns noch umziehen. Wir würden wirklich gerne mitkommen, aber wir haben leider keine Zeit."

„Oh, das macht nichts", tut Mutter sofort ab und mustert Louis entzückt, als sehe sie ihn bereits in unserem Wohnzimmer sitzen und gepflegt über die Hühneraugen unserer Nachbarn tratschen. „Wir finden einen anderen Tag, an dem ihr uns besuchen kommt."

Louis und Charlie umarmen James zum Abschied und reichen mir die Hand, ehe sie in Richtung Hafen verschwinden.

Ich sehe ihnen nach und merke mit Verzögerung, dass ich die Beiden vermisst habe. Seit Marks Tod habe ich weder Charlie noch Louis besonders häufig gesehen und ich habe Louis' ruhige und entspannte Art vermisst. Und auch wenn Charlie nicht viel gesagt hat, habe ich mich gefreut ihn zu sehen.

Vielleicht könnten wir drei doch Freunde werden, denke ich mir und drehe mich zu meiner Mutter um, die sich bei James eingeharkt hat und mit der anderen Hand nach meiner greift.

„Ich freue mich so, dass du uns beim Abendessen Gesellschaft leisten wirst", strahlt Mutter James an und er lächelt zögerlich zurück. Ich kann ihm ansehen, dass er von dem Gemüt meiner Mutter ein wenig überfordert ist, und ich würde ja über ihn lachen, wenn es mir nicht ähnlich genug ebenso geht.

„Ich habe mit dem Rest der Lightwoods leider nicht so viel Kontakt wie ich es gerne hätten, weswegen es umso schöner ist dich endlich kennen zu lernen. Das letzte Mal habe ich dich gesehen, da warst du, ich glaube, ja, du warst gerade einmal drei Monate alt. Hach, wie schnell die Zeit doch vergeht." Mutter seufzt melancholisch, ehe sie munter weiterplaudert und uns neben sich herzieht. Ihre Hutschachtel trage ich, denn Mutter hat keinen Arm mehr frei, wenn sie sich an uns hängt.

James behält ein höfliches Lächeln auf dem Gesicht, während wir zum Haus meiner Eltern laufen und Mutter schweigt auf dem gesamten Weg kein einziges Mal. Es wäre beeindruckend, wenn ich nicht wüsste, dass sie immer so viel reden kann.

Daheim angekommen verschwindet sie mit ihrem neuen Hut nach oben, nicht ohne davor die Küche in Gang zu werfen, und ich bleibe allein mit James zurück.

Wir stehen einen Moment betreten im Flur, ehe ich mir einen Ruck gebe und ihn nach oben in mein Zimmer bringe.

„Deine Mutter ist eine noch größere Rednerin als meine Mutter und ich dachte das wäre unmöglich", sagt James, als er sich auf mein Bett setzt und ich die Tür hinter uns schließe.

Ich lächle darüber, ein ehrliches, spontanes Lächeln und setze mich neben ihn. „Vielleicht liegt es in der Familie. Allerdings muss das uns übersprungen haben, denn wir sind eher still."

James nickt zustimmend und sein Rücken krümmt sich. Sein Gesicht wirkt traurig und er schaut auf seine Hände. „Danke übrigens", beginnt er mit leiser Stimme und sieht aus dem Augenwinkel flüchtig zu mir. „Für gestern, dass du für mich da warst, während ich komplett -"

„Ich war gerne für dich da", erwidere ich, als er nicht weiterspricht, und bemühe mich um ein herzliches Lächeln. „Ich weiß zwar nicht, wie es ist jemanden so nah an meinem Herzen zu verlieren, aber ich will dir mein tiefes Beileid aussprechen. Es ist sicher nicht leicht einfach so weiterzumachen, wenn du doch gerade so jemanden verloren hast."

James' Mund verzieht sich zu einem halben Grinsen, auch wenn er nicht amüsiert wirkt. „Das kannst du aber laut sagen", stimmt er mir zu und seufzt schwer. „Justus kenne ich schon seit ich ein kleines Kind bin. Er war immer so eine feste Konstante in meinem Leben und dass er jetzt einfach so weg sein soll, das erscheint mir so seltsam."

Seine Augen füllen sich mit neuen Tränen und er schnieft. Kurz gerate ich in Panik, denn ich bin eigentlich gerade nicht darauf eingestellt jemanden zu trösten und noch weniger weiß ich, wie ich James helfen kann, wenn er sich hier in meinem Zimmer in seiner Trauer verliert.

Ehe das jedoch passiert, taucht Mutter auf, schnappt sich den verdutzten James und zieht ihn hinunter ins Wohnzimmer, die ganze Zeit fröhlich von dem einen Mal erzählend, als James und ich als Neugeborene nebeneinander geschlafen haben.

Ich folge den Beiden und danke meiner Mutter im Stillen, dass sie James ablenkt. Er schaut zwar verwirrt, aber immerhin weint er nicht und er denkt auch nicht an seinen toten besten Freund oder wie sehr er ihn vermisst.

Ich setze mich im Wohnzimmer in einen Sessel, während James im grünen Sessel Platz nehmen muss. Mutter drückt ihm eine Sammlung von Skizzen in die Hände und erklärt fröhlich, welches Baby James war und welches ich und wieso ich die Decke mit den Sternen habe, obwohl sie eigentlich James gehört hat.

Es hat eine ungewohnt heimliche Atmosphäre hier mit James und Mutter zu sitzen und meiner Mutter dabei zuzuhören, wie sie sich in Erzählungen von früher verliert.

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„Votet, wenn ihr ebenfalls Babybilder von Henry und James sehen wollt." – Henrys Mutter, immer bereit über ihren Sohn zu schwärmen.

Naaaa, bei wem waren die letzten Wochen ebenfalls stressig wie kaum sonst was? Eben, meine auch.

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