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Kᴀᴘɪᴛᴇʟ 14

Meine Hände zittern, als der Bildschirm an der Wand aufflammt und das kühle, unempathische Gesicht des "Chefs" erscheint. Augenblicklich gefriert das Blut in meinen Adern und ich habe das Bedürfnis aufzuspringen, um etwas zu zertrümmern. Doch ich tue es nicht. Natürlich nicht.

Der Chef trägt scheinbar die selbe dunkelblaue Krawatte wie bei unserem letzten Gespräch, doch dieses Mal sind seine Augen nicht mehr so klar und undurchdringlich. Dunkle Schatten liegen unter seiner verquollenen, roten Glaskörpern.

„Miss Walker", beginnt er wie beim letzten Mal das Gespräch. „Ich hoffe, Sie haben die Zeit hier genossen." Ich lächele ironisch und balle meine Hände zu Fäusten. Ich darf jetzt nicht die Nerven verlieren. Nicht. Jetzt. „Ja, der Aufenthalt war bis jetzt in Ordnung", lüge ich und quäle mir ein noch breiteres Lächeln auf die Lippen, dass es fast schon wehtut.

„David ist ein guter Aufpasser, da bin ich mir sicher", pflichtet mir der Chef bei und lehnt sich leicht in Richtung der Kamera, sodass seine roten Augen noch mehr hervortreten. „Wussten Sie, dass Davids Mutter mit Ihrer leiblichen Mutter befreundet war?"

Ich reiße meine Augen voller Unglauben auf und mein Herzschlag scheint einen Moment auszusetzen. Meine leibliche Mutter? Die, die ich nie kennengelernt habe, da ich seit ich denken kann, im Waisenhaus gelebt habe? Als ich noch im Waisenhaus gelebt habe, habe ich oft über sie nachgedacht. Habe mich gefragt, wieso die gestorben ist und, ob sie mich geliebt hätte. Nachdem ich aber von meiner Adoptivmutter adoptiert wurde, habe ich aufgehört über meine leibliche Mutter nachzudenken. Sie ist für mich ein abgeschlossenes Kapitel.

Plötzlich ist meine Wut verflogen und ich spüre die riesige Neugier in mir wachsen. Was zur Hölle hat meine Mutter mit dieser Organisation zu tun? Ich mustere den Chef, um jede Information zu bekommen, die ich kann.

„Meine Mutter?"

„Ja, Ihre Mutter. Aber bevor Sie fragen – Nein, sie war nicht Teil dieser Organisation. Sie war lediglich mit Davids Mutter befreundet, bevor David ... zu uns kam."

Mein Magen spielt verrückt, als ich versuche, mir auszumalen, was mit Davids Mutter passiert ist, sodass er zu dieser Organisation gegangen ist. Davids kantiges Gesicht blitzt in meinen Gedanken auf. Es ist kühl und unlesbar. Seine Augen sind stets dunkel, aber in manchen Momenten strahlen sie kaum merklich auf. Wie bei den Waldspaziergängen, mit denen ich immer belohnt wurde, wenn ich ihm etwas über meine Seele erzählt habe. Oder beim Fechten. So kalt er auch scheinen mag ... er scheint verletzt zu sein. Denn er hat all seine Erinnerungen verloren.

„Wer ... war meine Mutter?", frage ich und verfluche mich innerlich für die Verletzlichkeit in meiner Stimme. Auch wenn ich weiß, dass sie tot sein muss, da ich im Waisenhaus gelebt habe, trage ich noch einen winzig kleinen Funken Hoffnung in mir, dass der Chef jetzt sagt, sie würde noch leben.

Der Chef scheint mein hoffnungsvolles Gesicht zu bemerken, denn ein gespielt bedauerndes Lächeln erscheint auf seinen Lippen.

„Es tut mir sehr Leid für Sie, wirklich. Sie... sie erlag ihrem Hirntumor."

Das ist er. Der Satz, der all meine Hoffnung, all meine Kraft innerhalb einer Sekunde zerfetzt. Zersplittert als wäre diese Hoffnung aus Glas. Meine Mutter? Tot. Meine Adoptivmutter? Ebenfalls tot. Die Eine wegen einem Tumor. Die Andere durch die Hände einer anderen kriminellen Organisation, die seltene Bakterien in die Luft gesetzt hat.

Meine Hände zittern so heftig, dass ich nicht anders kann als sie entgeistert anzustarren. Und als wären meine Nerven nicht bereits am Ende, fährt der Chef mit seinen Worten fort.

„Sie kam zu uns, um uns um Hilfe zu bitten, doch nicht einmal unsere besten Medikamente konnten ihr helfen. Wie Sie bestimmt schon wissen, hat meine Organisation sehr viele Wissenschaftler und Hilfsmittel zur Verfügung und natürlich wollten wir Ihrer Mutter helfen. Doch leider, leider hat es nicht funktioniert."

In seiner Stimme ist kein Hauch von Mitgefühl. Ekel macht sich in mir breit, denn dieser abscheuliche Mensch ist es nicht wert, Mensch genannt zu werden.

Genauso wie ich ... Ich bin auch ein Monster.

Augenblicklich erinnere ich mich an Davids gestrige Worte, die er mir zugeflüstert hat, ehe er dieses Haus betreten hat.

Du denkst du wärst ein Monster, Eileen? Dann kennst du mich nicht."

Und obwohl es das nicht sollte, helfen mir diese Worte. Sie geben mir Kraft. Denn ich bin nicht alleine. Auch David ist von Selbsthass erfüllt. Auch er ist ein Monster.

„Bei David hat es damals funktioniert. Die Operation, meine ich", erzählt der Chef, beinahe schon in einem Plauderton. Mit neuer Kraft hebe ich den Kopf und zwinge mich stark zu sein, während ich den Worten lausche.

Welche Operation? David hatte eine Operation?

„David hatte einen ähnlichen Tumor wie Ihre Mutter. Doch seiner war weniger hartnäckig und konnte dauerhaft entfernt werden, auch wenn er durch die Operation Großteile seines Langzeitgedächtnisses verloren hat."

Jetzt verstehe ich es. Es ist, als hätte etwas in meinem Kopf klick gemacht. David hat keine Erinnerungen mehr, weil er ... einen Hirntumor hatte. Genauso wie meine Mutter. Nur, dass er überlebt hat. Und sie nicht.

Ehe mein Gefühl der Stärke wieder zerbricht, hebe ich trotzig den Kopf. „Wieso erzählen Sie mir das?", frage ich mit fester Stimme, woraufhin der Chef zu grinsen beginnt. „Vielen Dank für die nette Einleitung. Denn diesen Punkt wollte ich gerade ansprechen. Natürlich wundern Sie sich, wieso ich Ihnen alles ausplaudere und Ihnen alles erzähle, was Sie interessiert. Das hat eine ganz einfache Erklärung – Ich habe gute Laune."

Misstrauisch runzele ich die Stirn. Gute Laune? Das ist der Grund für seine Offenheit? Doch natürlich ahne ich bereits, dass seine gute Laune nichts Gutes bedeuten kann.

„Nun, ich bin einzig und allein aus dem Grund gut gelaunt, da Sie ab morgen endlich Ihren Zweck erfüllen können."

Meinen...Zweck erfüllen? Was ist denn "mein Zweck"?

Als könnte der Chef meine Gedanken lesen, lacht er leise auf. „Keine Sorge, morgen informieren wir Sie über die Einzelheiten." Ein seltsamer Ausdruck erscheint auf seinem Gesicht, er blickt mich so entschlossen, so hoffnungsvoll an. Als würde ich sein Leben verändern können.

Die Organisation hat mich nur wegen meiner Seele und meiner Gabe entführt. Das ist der einzige Grund, weshalb ich hier bin.

Der Chef schüttelt den Kopf und der seltsame Gesichtsausdruck verschwindet, als wäre er nie da gewesen. Unschuldig lächelt er mich an. „David wird Sie auf dem Laufenden halten. Genießen Sie den Tag."

Ehe ich etwas erwidern kann, schaltet sich der Bildschirm aus und ich bleibe zurück, vor einer weißen, kahlen Wand. Atemlos starre ich an die Stelle, an der vor wenigen Sekunden noch der Mann zu sehen war, der meine leibliche Mutter gekannt hat.

Ich bin überfordert. Mit all diesen Gedanken und Erinnerungen. Es ist einfach zu viel.

Was wird morgen mit  mir geschehen? Was ist "der Zweck", den ich erfüllen soll?


***

Meine Füße schweben schon beinahe über dem Boden, so schnell renne ich. Meine Herz pocht wild in meiner Brust und ich spüre den Adrenalinkick, der mich anspornt, noch schneller zu rennen. Ich weiß nicht, ob ich überhaupt in diesen Gängen alleine herum rennen darf.

Vermutlich nicht. Aber nach dem Gespräch mit dem Chef konnte ich mich nicht mehr halten. Und da David nicht gekommen ist und die Tür nicht abgesperrt war, habe ich mir einfach das Recht genommen den Raum zu verlassen. Ich werde es sowieso nicht schaffen, aus dem Haus zu fliehen, warum sollte ich mich dann nicht wenigstens innerhalb des Hauses frei bewegen dürfen?

Einige Menschen gehen an mir vorbei, während sie mir misstrauische Blicke zuwerfen. Auch wenn ich die meisten von ihnen einfach nur ignorieren will, kann ich nicht anders als fast alle Vorbeigehenden genau zu mustern. Es gehen Männer und Frauen, junge und ältere Menschen vorbei. Bei jedem weiteren Schritt wächst in mir der Unglauben.

Das können nicht alles kriminelle, böse Menschen sein. Die meisten von ihnen sehen nicht so aus, als könnten sie jemanden verletzen.

Immer wieder überkommt mich die Versuchung, in ihre Seelen einzudringen. Zu erfahren, wieso sie hier sind. Doch sie wissen, wo Nora lebt. Ich kann Noras Leben nicht aufgrund meiner Neugier aufs Spiel setzen.

Zischend und flüsternd schlängelt sich meine Seele dicht an mir entlang und setzt mich einem unbeschreiblichen Druck aus. Es ist so schwer. So verdammt schwer sich zurückzuhalten. Mein Blick schweift erneut über die Menschen.

Nein. Das sind keine bösen Menschen. Niemals im Leben sind das alles Menschen, denen es gefällt zu verletzen. Wieso sind sie hier?

Lies sie. Zeig ihnen die Wahrheit. Dring in ihre Seelen ein und zerbrich sie. Stück für Stück. So wie du zerbrochen wurdest.

Ich will schreien. Ich will mir meine Seele aus dem Leib schreien, und zwar wortwörtlich. Meine Seele soll fort, für immer. Atemlos halte ich an und schließe die Augen. Schmerzverzerrt halte ich mich an einer Wand fest, während meine Kopfschmerzen wachsen.

Lies sie. Zerstöre sie.

Ich will alleine sein. Hier sind zu viele Menschen, zu viele Seelen, die meine Gier nur größer machen. Dunkelheit, Stille und Einsamkeit. Das brauche ich jetzt.

Oder David. Er ist alles in einem, denn in seiner Anwesenheit verkriecht sich meine Seele tief in mein Inneres, aus Angst vor Davids verlorener Seele. In seiner Anwesenheit kann ich durchatmen und die Qual vergessen.

Ich muss mich jetzt beruhigen. Meine Kopfschmerzen werden stärker, meine Augen fühlen sich, als würden sie in Flammen stehen. Meine Seele zerstört mich. Angst packt mich und ich beginne wieder zu rennen. Blindlings stürme ich durch die vollen Gänge, drängele mich durch Menschentrauben, die sich versammelt haben.

Meine Luftröhre schnürt sich zu, die Wände kommen näher. Überall Menschen. So viele Menschen. Ich schnappe nach Luft, vergeblich. Panik kriecht in mir hoch und wäre ich nicht von unzähligen Menschen eingekesselt, würde ich wahrscheinlich auf dem Boden zusammenbrechen.

Meine Gedanken schreien, so laut, dass ich mir die Ohren zuhalten muss. Sie schreien so schrecklich, dass ich kein Wort verstehe.

Ich habe Angst. Ich werde erdrückt. So viele Menschen. Ich taumele umher, werde gedrückt und weitergeschubst. Wie blind durchdringe ich die Menschenmenge, ohne Rücksicht auf andere. Ich habe nur ein Ziel – Ich muss hier raus. 

Und plötzlich ist da Luft. Die Menschenmenge lichtet sich, wie ein dichter Wald, der geschmeidig in eine weite, helle Wiese übergeht. Erleichtert lasse ich die Luft durch mich durchströmen und will schon beinahe lachen, als mein Blick zufällig über die Stelle vor mir schweift.

Das Lachen bleibt in meiner Kehle stecken und ich blicke mich um, als würde sich jemand einen Streich erlauben. Doch die Menschen hinter mir, die mir vorhin noch das Gefühl der Einengung gegeben haben, sehen genauso schockiert aus wie ich.

Langsam gleitet mein Blick zurück zu dem Fleck vor mir und alles verschwimmt vor meinen Augen. Mein Mund trocknet mit einem Mal aus und ich spüre, wie sich mein Magen beinahe umdreht. Die Erleichterung, die mich überkommen hat, als ich endlich der Menschenmasse entkommen bin, ist wie weggeblasen.

Die Menschen um mich herum tuscheln, ich höre Rufe und entsetzte Aufschreie. Alle Augen sind auf den Fleck vor mir gerichtet, niemand will glauben, dass diese Bilder wahr sind.

Nur wenige Meter vor mir liegem zwei leblose Körper. Ein Blutrinnsal sickert dunkelrot über die einzelne Steinstufe. Glasige Augen starren tot an die Decke, die Hälse sind seltsam verdreht.

Meine Beine beginnen unkontrolliert zu zittern und obwohl ich danach flehe, von dieser Ansicht erlöst zu werden, kann ich den Blick nicht von den beiden Menschen loszureißen. Sie sind tot. Zweifellos. Julietts Stimme erschallt aus der Ferne, ihre Rufe klingen befehlend und furios. Die Blutspur fließt langsam auf mich zu, es ist nur ein dünnes Rinnsal, und doch packt mich eine enorme Angst.

„Komm, Eileen. Wir gehen jetzt", erklingt Davids Stimme, dicht bei mir und Erleichterung strömt durch mich, als ich mich in seine Richtung umdrehe und seine gelassenen Augen sehe. Zum Glück ist er da. Zum Glück holt er mich hier raus. Meine Seele erschrickt und zieht sich zurück, ängstlich und eingeschüchtert.

Ich nicke heftig und versuche ruhig einzuatmen. David ist hier. Es wird alles gut.

„Wer war das?", fragt ein Mann neben uns.

„Wer hat Patrick und Miles getötet? Wer?", ruft ein anderer. Ein Tumult bricht aus und unzählige Stimmen sprechen wild durcheinander.

„Das werden wir gleich herausfinden." Das ist Julietts Stimme. Sie ist nicht mehr weit weg, drängelt sich wahrscheinlich gerade durch die Masse an Menschen. Und irgendetwas sagt mir, dass ich nicht direkt vor den zwei Leichen stehen sollte, wenn Juliett hier auftaucht. Sie scheint sowieso schon einen riesigen Hass auf mich zu haben, ich möchte sie nicht auch noch dazu bringen, mich des Mordes zu verdächtigen.

Auch David scheint diesen Gedanken zu haben, denn sein Gesichtsausdruck scheint den Bruchteil einer Sekunde alles andere als beruhigt zu sein und seine Augen funkeln besorgt. Doch dann nickt er mir zu und fasst mich an meinem Arm. Ich zucke zusammen, denn seine Finger sind kalt. Aber ein Blick in seine Augen genügt. Er bringt mich hier weg. Dann bin ich sicher. Vor den grauenhaften Bildern. Vor Juliett. Und vor meiner Seele.

Hastig eilen wir durch einen weniger überfüllten Gang. Ich habe schon lange die Orientierung verloren und habe keine Ahnung mehr, wo wir uns befinden. Doch David scheint es genau zu wissen, denn er führt uns zielstrebig durch die Korridore. Er hat meinen Arm bereits losgelassen, jedoch spüre ich noch die Kälte, an der Stelle, die er berührt hat. Es ist eine angenehme Kälte, die auf der Haut ein Prickeln hervorruft. Noch im selben Moment, würde ich mich am liebsten für diesen Gedanken ohrfeigen.

„Wohin laufen wir?“, frage ich neugierig und hole zu David auf. „Ich zeige dir etwas“, erwidert er und dreht sich zu mir. Ich bin überrascht, wie lebendig seine Augen funkeln. Sie sind nicht düster, nicht kalt. Nein, sie brennen.

Unwillkürlich muss ich lächeln, weshalb ich den Blick schnell abwende. Gerade ist jemand gestorben, es ist nicht der Zeitpunkt, an dem ich lächeln sollte. „Hier ist es“, sagt David schließlich und deutet auf eine schmale, getönte  Glastür, durch die blasse Sonnenstrahlen gelangen.

Mit einem Stoß öffnet David die Tür und bedeutet mir, durch sie hindurchzugehen. Einen Moment zögere ich misstrauisch, doch dann schiebe ich all meine Zweifel beiseite und trete in das Licht.

Einige Sekunden blinzele ich in das grelle Licht, um meine Augen, die tagelang in der Dunkelheit gehockt sind, an die Helligkeit zu gewöhnen. Und diese frische Luft... wie ich sie liebe. Ich genieße sie, jeden Atemzug, denn ich bekomme, koste ich aus, als wäre er ein wertvolles Geschenk. Schließlich lasse ich mein Blick über die Aussicht schweifen und spüre augenblicklich ein Ziehen in meiner Brust. Ich habe Heimweh. So schreckliche Heimweh. Und diese Aussicht erinnert mich an zu Hause. 

Es ist wunderschön. Der Balkon, auf dem wir uns befinden, ist nur sehr klein, doch der Blick auf die Stadt lässt alles so groß, so unendlich wirken. Die Nachmittagssonne liegt sanft auf den Häusern der Stadt, ich entdecke einen Kirchturm, dessen Glocken gerade viertel vor vier schlagen. Ich kann am Horizont sogar die Berge erkennen, sie heben sich kaum von der Sonne ab, da sie im Licht fast schon blutrot wirken. 

Ich trete an das Geländer des Balkons und atme tief durch. Eine frische Brise weht mir durch die Haare, trägt einen Hauch Bergluft mit sich. Meine Haare werden durcheinandergewirbelt und stehen wie wild von meinem Kopf ab. Ich sehe jetzt wahrscheinlich aus wie ein gerupftes Hühnchen, aber das ist mir egal. Bei der Vorstellung beginne ich zu lachen. Erst jetzt bemerke ich, wie ich es vermisst habe so frei zu lachen. Dieses Gefühl der Leichtigkeit habe ich lange nicht mehr verspürt.  Mein Lachen ist so ausgelassen und ehrlich wie noch nie und ich sehe, dass sich auch auf Davids Lippen ein Lächeln bildet, als er zu mir ans Geländer tritt. 

„Schön, nicht?“, fragt er und ich nicke zustimmend. Hier könnte ich den ganzen Tag stehen, wenn es nach mir ginge. Hier und in dem Fecht-Zimmer. Wenn ich das tun dürfte, wäre der Aufenthalt hier fast schon erträglich. Aber eben nur fast. Denn ich befinde mich immer noch in dem Haus von Kriminellen und werde gezwungen, Menschen mithilfe meiner Seele auszuhorchen. Und ab morgen werde ich auch andere Dinge tun müssen. Wenn ich doch nur wüsste, was für die Dinge das sind...

Ich schließe die Augen und gehe meinen Gedanken nach. Die Stille ist friedlich und angenehm, der Duft erinnert mich an die Berge. Ich bin früher häufig in die Berge gefahren, meine Adoptivmutter hat sie geliebt. Meistens haben wir eine kleine Hütte gemietet, die so winzig war, dass wir nur eine zierliche Küche und einen engen Schlafraum zur Verfügung hatten. Es war so wunderschön. Ich erinnere mich daran, wie Nora und ich draußen immer herumgetobt sind. Wir haben Wettrennen gemacht, die Nora immer gewonnen hat, und haben gespielt, dass wir unsere Hütte vor Rittern verteidigen müssen. 

Augenblicklich denke ich an Nora. Was sie jetzt wohl gerade tut? Hat sie versucht mich anzurufen, hat sie vielleicht schon bemerkt, dass ich entführt wurde? Sucht die Polizei bereits nach mir?

Wahrscheinlich nicht. Vielleicht sitzt Nora gerade vor dem Rapsfeld, nicht weit von ihr Zuhause. Vielleicht denkt sie gerade an mich, während sie die zarten, gelben Blüten betrachtet. Langsam beruhige ich mich und schaffe es, alles Negative aus meinem Kopf zu verbannen. Ich vergesse die zwei Leichen, die ich vor wenigen Minuten anblicken musste, ich vergesse meine Seele, ich vergesse diese verdammte Organisation. Ich denke an nichts anderes als das Rapsfeld, die Berge, die Natur.

„Woran denkst du gerade, Eileen?“ Verwundert blicke ich zu David, der mich aufmerksam mustert. „Was... Wieso?“, frage ich irritiert. „Woran denkst du gerade?“, wiederholt er seine Worte. „Du hast gerade gelächelt und sahst so glücklich aus.“ Prüfend sehe ich ihn an, um herauszufinden, ob er die Frage ernst meint.

„Ich habe gerade an ein Rapsfeld gedacht“, erwidere ich schließlich, ohne mich von David abzuwenden. „Ich mag die gelben Blüten. Und ich liebe das Gefühl vor einem riesigen Feld zu stehen, während die Sonne untergeht. Dann sieht es so aus, als würde die ganze Welt in Flammen stehen. Alles ist dann in rotes Licht getaucht. Es ist so wunderschön.“

Ich entdecke ein winziges Lächeln auf Davids Lippen, während er mir lauscht. Ich fühle mich so entspannt. Und friedlich.

„An was hast du denn gerade gedacht?“, frage ich David neugierig und streiche mir über die Haare. Einen Moment lang kneift David seine Augen ein wenig zu, doch dann entspannt er sich wieder und lehnt sich nachdenklich gegen das Geländer. „Ich habe mich gerade gefragt, welche Augenfarbe du hast“, meint er, als wäre es das Normalste der Welt. Ich lache belustigt auf, doch David lässt sich nicht beirren. „Ich habe mich gefragt, ob sie grün oder blau sind, aber ich glaube“, sein Blick bohrt sich in meine Augen und ich spüre eine Röte meine Wangen hochkriechen, „ja, ich bin mir ziemlich sicher, dass es blau ist.“

„Es ist grau“, korrigiere ich ihn. Stirnrunzelnd wendet er sich ab. „Einigen wir uns auf grau-blau-grün“, schlägt er grinsend vor und ich lache. „Ok, dann eben grau-blau-grün.“

Wir schweigen und genießen die Aussicht. Die Stille ist so unglaublich angenehm, dass ich am liebsten für immer hierbleiben würde. Ich weiß nicht, wie lange wir hier stehen, so nah beieinander, und doch sind unsere Gedanken weit  entfernt von einander. Es könnten Stunden sein, vielleicht sind es aber auch nur fünfzehn Minuten. Als die Sonne langsam beginnt unterzugehen, spüre ich Davids Blick auf mir.

Die Erde wird in rotes, warmes Licht getaucht und beweist mir einmal mehr, dass für mich rot die wunderschönste Farbe der Welt ist. Ja, ich liebe die Farbpalette an Rottönen, in der die Welt abends, beim Sonnenuntergang erstrahlt. Mein Herzschlag dröhnt aufgeregt in meiner Brust, ich spüre meinen Puls bis in meinen Kopf.

Mein Blick huscht zu David, seine Augen sind auf etwas in der Ferne fixiert. Er wirkt so entspannt, so gelassen, als würde er in diesem Moment nichts um sich herum wahrnehmen. Als er zu mir sieht, stiehlt sich ein kleines, kaum merkliches Lächeln auf unsere Lippen.

Seine dunklen Augen strahlen, das Rot der Sonne wird in ihnen reflektiert. Sie brennen.

Ich kann nicht aufhören zu lächeln, während ich ihm in seine funkelnden Augen blicke. Mein Herzschlag ist so schnell, viel zu schnell.

„Schau“, flüstere ich atemlos. „Die Welt steht in Flammen.“

Doch damit meine ich nicht die Welt. Nein, nicht die Welt strahlt in meinen Augen.

Sondern David.

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