Kapitel 9: Eine Abweichung
Katsuki war an dem Abend so gesprächig wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Aber auch ich verspürte bei seinen Erkenntnissen ein Brennen des Tatendrangs in den Adern. Eine Neugier, wie ich sie zuvor noch nie gespürt hatte. Ich wollte unbedingt wissen, wie das ZRP genau arbeitete und hing an Katsukis Lippen, als er von seinen Theorien erzählte.
Ich konnte nicht von mir behaupten, dass ich wirklich etwas davon verstand. Katsuki schien seit Jahren an der Materie interessiert zu sein und hatte sich tief in das Thema hineingearbeitet. Wahrscheinlich hatte er mit seinen Vermutungen bis jetzt immer hinter den Berg gehalten, doch ich hatte mit meinem Eingeständnis, dass ich bei meinem letzten Seelensprung das ZRP umgegangen war, sein Vertrauen vollkommen erlangt.
So saßen wir beiden auf meinem Bett und redeten in leisem Ton über Katsukis Theorien, auch wenn ich dazu nicht viel beitragen konnte, bis es später Abend war. Zuletzt saßen wir einfach nur noch stillschweigend nebeneinander. Beide einfach damit zufrieden in der Gegenwart von jemandem zu sein, dem man seine eigenen Gedanken anvertrauen konnte.
Schließlich räusperte sich Katsuki. Ich sah zu ihm, als er in seine Hosentasche griff und etwas hervorzog. Er hatte die Stirn gerunzelt, während er ein wenig damit hantierte. Dann streckte er die Hand nach mir aus.
Etwas verwirrt streckte ich ihm ebenfalls meine Hand entgegen, nicht sicher, was er von mir wollte. Doch Katsuki rollte mit den Augen, schob sie weg und griff nach meinem anderen Arm. Den Arm mit der elektronischen Tätowierung.
Sanft strich er noch einmal mit dem Daumen darüber. Dann offenbarte er, was er soeben aus seiner Hosentasche gezogen hatte.
Es war ein schwarzes Lederarmband. Es war relativ breit und besaß zwei Schnallen, mit denen es verschlossen werden konnte. Er hielt es über meine Tätowierung und lächelte zufrieden, als er feststellte, dass es sie geradeso überdeckte. Ich hielt den Atem an, als er das Armband um mein Handgelenk schloss und es probehalber ein wenig verschob, um zu prüfen, ob es die Tätowierung darunter tatsächlich verdeckte.
Als er damit fertig war, ließ er noch immer schweigend mein Handgelenk los und ich betrachtete das Armband genauer.
Es fühlte sich geschmeidig an, nicht so steif, wie man es manchmal von Leder kannte. An den Rändern war es schon ein wenig abgenutzt, aber wie das bei Leder manchmal so ist, besaß es dadurch fast noch mehr Charme. So etwas hatte ich noch nie getragen. Eigentlich entsprach es nicht wirklich meinem Stil. Obwohl es so schlicht war, strahlte es doch eine gewisse rebellische Aura aus, die ich nicht ganz greifen konnte.
Zumindest bis ich wieder aufsah und in Katsukis Augen blickte, die den gleichen Funken Rebellion austrahlten. Es war ein Armband, dass perfekt zu ihm passte.
„Ich weiß nicht, ob du sowas magst, aber das hatte ich noch. Ich ... habe es schon 'ne Weile getragen, deshalb sieht es etwas gebraucht aus. Aber ich dachte es ist sicherer, wenn du was hast, um die Tätowierung zu überdecken. Heute Mittag war sie einfach zu auffällig ..."
Ich starrte ihn an, unsicher was ich sagen sollte.
„Wenn du's nicht magst, gib es mir einfach zurück, sobald du etwas Besseres gefunden hast..."
Instinktiv presste ich mein Handgelenk an meine Brust. „Nein!", sagte ich etwas heftiger als beabsichtigt. Katsuki hob amüsiert eine Augenbraue, wegen meine überzogenen Reaktion. Ich atmete langsam aus und sagte dann etwas ruhiger: „Nein, es gefällt mir sehr gut. Wenn du nichts dagegen hast, würde ich es gerne behalten."
Katsukis hellen Lippen verzogen sich zu einem Lächeln. „Okay."
Dann stand er auf und fuhr sich durch sein aschblonden Haare, sodass sie ihm noch etwas mehr vom Kopf standen, als üblich. Er gähnte herzhaft und streckte sich, was mich aus irgendeinem Grunde an eine müde Raubkatze erinnerte. „Bis morgen Eijirou. Ich geh' jetzt pennen."
Und mit diesen Worten verschwand er Richtung Tür, während ich ihm lächelnd nachblickte. Es war nicht das erste Mal, dass er mich beim Vornamen nannte. Meistens beließ er es bei „Shitty Hair", aber gerade, wenn wir beide alleine waren, schien ihm der vertrautere Name nichts auszumachen.
Breit grinsend ließ ich mich rücklings aufs Bett fallen und betrachtete das lederne Armband um mein Handgelenk. Wenn ich mich nicht schon vorher in ihn verliebt hätte, wäre ich es spätestens jetzt.
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Am nächsten Morgen weckte mich nicht mein Wecker. Völlig verwirrt rieb ich mir über das Gesicht und versuchte wach zu werden, während ich versuchte herauszufinden, was mich in dieser Frühe geweckt hatte. Mein Blick wanderte zur digitalen Uhr auf meinem Nachttisch, die 05:52 anzeigte.
Dann zuckte zusammen, als ich das laute eindrückliche Hämmern an meiner Tür hörte. Verwirrt und noch immer ziemlich übermüdet stolperte ich zur Tür und öffnete sie langsam.
Zumindest wollte ich sie langsam öffnen. Doch als ich den Riegel zurückschob und die Klinke hinunterdrückte, wurde die Tür energisch von außen aufgerissen, sodass ich ein wenig nach vorne stolperte, da ich die Klinke noch immer in der Hand hatte.
Ich wollte mich schon beschweren, doch als ich zu den Männern hochschaute, die vor meiner Tür standen, blieben mir die Worte in der Kehle stecken. Sie waren muskulös und trugen eine dunkelblaue Militär Uniform und jetzt wo ich das Logo kannte, erkannte ich es sofort als das Symbol der Spezialeinheit des ZRPs.
Vollkommen überrumpelt trat ich einen Schritt zurück, die Augen weit aufgerissen.
„Eijirou Kirishima?", fragte der erste Mann streng, während er mich von oben bis unten musterte. Er war ein Riese, breit gebaut und hatte feuerrotes Haar und ebenso rote Bartstoppeln zierten sein Kinn. Eine massive Narbe nahm den Großteil seine linken Gesichtshälfte ein.
Ein irrationaler Teil tief in mir schrie, ich solle verneinen und sagen ich sei wer anders. Doch das war unsinnig. Sie standen in der Tür zu meinem Wohnheimzimmer, wer sollte ich denn bitte sonst sein? In was für Schwierigkeiten ich auch steckte, ich machte es bestimmt nur schlimmer, wenn ich jetzt log. Also nickte ich langsam.
„Gut. Tut mir leid Junge, aber wir müssen dich mitnehmen", sagte der Mann zur linken des Riesen. Er war deutlich zierlicher, wenn auch alles andere als schlaksig. Blonde Haare, die ihm in kräftigen strähnen vom Kopf standen, umrahmten sein Gesicht. Unter buschigen, ebenso blonden Augenbrauen schauten mich scharfe mit Kajal nachgezogene Augen an.
Der Riese schnaubte, während er die Handschellen von seinem Gürtel nahm. „Was heißt hier ‚tut mir leid' Hawks? Er ist ein Verdächtiger, eine Abweichung, er hat dir nicht leid zu tun."
„Ach schau ihn dir doch an, Endeavor!", widersprach Hawks. „Er ist ein junger Bursche, sieht er für dich wirklich wie ein kriminelles Superhirn aus?"
Hawks und Endeavor? Verwirrt zog ich die Augenbrauen zusammen, wirkliche Namen waren das ja wohl nicht! Mein Blick wanderte zu den Namen, die auf die Uniformen gestickt waren. Auf der Brust des Riesen stand CN: Endeavor, während bei dem blonden CN: Hawks stand. Ich hatte mir, als ich die Uniformen von Katsuki und mir angesehen hatte nicht sonderlich viel Gedanken darüber gemacht, doch jetzt wurde mir klar wofür das CN stand. Code Name. Natürlich verwendeten Spezialagenten nicht ihren eigenen...
„Dreh dich um, Kleiner", befahl mir Endeavor. Zitternd tat ich wie geheißen und kurz darauf packten große Hände meine Handgelenke und führten sie zusammen. Mit einem endgültigen Klicken schloss sich das kalte Metall der Handschellen. Das Armband an dem einen Handgelenk schützte mich vor dem Einschneiden des Metalls, doch an dem anderen spürte ich jetzt ein schmerzhaftes Ziehen, als Endeavor mich am Oberarm packte und aus der Tür führte.
Das Zuschlagen meiner Tür ließ mich zusammenzucken, es war seltsam laut in dem hallenden Flur. Doch ich hörte kurz darauf wie sich hinter mir eine Tür leise öffnete. Während die Männer mich den Gang entlang geleiteten, drehte ich mich um.
Kaminari hatte seine Zimmertür geöffnet. Seine blonden Haare standen ihm vom Kopf, als wäre er gerade erst aufgestanden, was angesichts der Uhrzeit wahrscheinlich auch der Wahrheit entsprach. Er hatte den Mund geöffnet, als wollte er etwas sagen, eine besorgte Falte hatte sich zwischen seinen Augenbrauen gebildet. Doch in seinen goldgelben Augen, war ein Ausdruck zu sehen, den ich nicht kannte. Einer, der so anders war, als ich es von dem sonst so fröhlichen Jungen kannte.
Doch ich verlor Kaminari aus den Augen, als die Männer der Spezialeinheit mich um die Ecke des Flures und schließlich hinaus hinausführten.
Ich wurde zu einem Wagen geführt, der direkt vor der Treppe zum Eingang geparkt war. Die kühle Morgenluft erinnerte mich daran, dass ich nur meinen dünnen Schlafanzug trug. Schaudernd zog ich die Schultern hoch. Jeder der in diesem Wohnheim jetzt aus dem Fenster sah, würde sehen, wie mich die Spezialagenten abführten.
Hawks legte mir eine Hand auf den Kopf, während er mich auf die Rückbank drückte. Ich folgte gehorsam und zuckte zusammen, als die Tür hinter mir zugeschlagen wurde und mit einem endgültigen Klicken die Verrieglung der Hintertüren einsetzte.
Unruhig rutschte ich auf dem Sitz hin- und her. Meine Hände waren noch immer unbequem hinter meinem Rücken gefesselt, sodass ich mich nicht anständig anlehnen konnte. Hawks und Endeavor setzten sich auf die Vordersitze, die von mir durch ein Gitter getrennt waren. Kurz darauf fuhr der Wagen los.
Hawks und Endeavor fingen ein leises Gespräch an, doch ich hörte ihnen nicht zu. Ich sah aus dem Fenster und beobachtete, wie die vertraute Umgebung allmählich einer vollkommen fremden wich. Meine Gedanken rasten. Ich hatte natürlich eine Ahnung, warum man mich hatte abholen lassen, doch ich hatte nicht erwartet, dass sie mir tatsächlich so schnell auf der Spur sein würden. Ich hatte doch noch gar nichts getan!
Nach einer Fahrt, die sich auf der einen Seite wie eine Ewigkeit anfühlte, dessen Ende ich jedoch die ganze Zeit über gefürchtet hatte, parkten wir auf einem großen Industriegelände.
Hawks holte mich wieder aus dem Wagen heraus und ich ließ mich, den Blick zu Boden gesenkt, in eines der Gebäude mit Betonfassade hineinführen. Aus dem Augenwinkel sah ich an einigen Stellen das Logo des ZRPs.
Dann setzte man mich in einen kahlen Raum, löste meine Fesseln und ließ mich alleine. Die Stille, die mich umfing, war geradezu ohrenbetäubend. Ich atmete schnell und hektisch und fragte mich schon, was passieren würde, wenn ich hier eine Panikattacke bekäme. Doch in der gleichen Sekunde wurde die Tür aufgerissen und ein Mann trat ein.
Ich sah hoch und beobachtete wie der Mann auf einige Akten in seiner Hand blickte, während er sich mir gegenübersetzte. Er hatte goldblonde Haare, die er in einem losen Zopf zurückgebunden hatte. Als den Blick von den Akten löste, fixierten mich goldgelbe Augen.
„Eijirou Kirishima, wissen Sie warum Sie hier sind?"
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