Kapitel 8: Ein Speicherpunkt
Die meisten Leute lernten in den ersten Wochen ihres Studiums neue Freunde kennen, genossen es, das erste Mal in ihrem Leben nicht mehr bei ihren Eltern zu wohnen und kosteten die neu gewonnen Freiheit aus. Das artete oftmals in überfüllten Semesteranfangs-Partys aus und einer rigorosen Vernachlässigung des eigentlichen Studiums, über die man sich am Ende des Semesters vor den Prüfungen ärgerte.
Auch ich konnte nicht von mir behaupten, dass ich mich voll und ganz auf mein Studium konzentrierte. Aber meine Gründe waren andere. Ich gehörte nicht zu denen, die jeden zweiten Morgen verkatert aufwachten und beschlossen die morgendliche Vorlesung „mal" ausfallen zu lassen. Ich war in den Vorlesungen, zumindest körperlich, wenn auch nicht mit voller Konzentration. Denn meine Mission beschlagnahmte einfach einen Großteil meiner Gedanken.
Doch obwohl meine Aufgabe einen Großteil meinen Gedanken einnahm, kam ich mir ihr um ehrlich zu sein nicht wirklich weiter. Denn neue Informationen zu beschaffen erwies sich als außerordentlich schwierig. Ich erwog Katsuki weiter über das ZRP auszufragen, doch ich brachte es meistens nicht über mich.
Nach Katsukis eindringlicher Befragung über meine Zukunftstage, hatte er nicht mehr viel preisgegeben. Zugegebenermaßen hatte ich ihm auch nicht wirklich viel erzählt. Ich hatte zwar meine Gründe dafür, schließlich betraf ihn meine Mission ganz direkt, aber das konnte er nicht wissen. Auf der anderen Seite vermutete ich, dass Katsuki ebenso seine Gründe hatte mit seinem Wissen nicht hausieren zu gehen.
Aber obwohl wir das Thema beinahe ausließen, verbrachten wir beide viel Zeit miteinander. Nach Katsukis Feststellung, dass ich ja doch „gar nicht so langweilig" war, hatte er mich damit überrascht mich auf dem Campus abzufangen, um mit mir gemeinsam zur Mensa zu gehen.
Zwar war er weiterhin dieser laute beinahe aggressive Hitzkopf, doch irgendwie gab es keinen Moment, in dem ich mich wirklich von seinen rüden Bemerkungen wirklich angegriffen fühlte. Vielmehr musste ich über seine meistens äußerst kreativen und bemerkenswert zutreffenden Kommentare lachen. Und immer öfter sah ich wie auch seine Mundwinkel zuckten, wenn er mich mal wieder zum Lachen brachte. Dieses angedeutete Lächeln war etwas, dass ich schnell mit jeder Faser meines Körpers liebte.
Es war viel zu früh, um jemanden wirklich zu lieben. Aber mein Tag in der Zukunft hatte mich verändert. Immer wenn er mich ansah und seine rebellische Fassade dabei ein wenig anfing zu bröckeln, erinnerte ich mich an Bilder aus der Zukunft, in der er diese Maske in meiner Gegenwart vollkommen ablegte. Die Liebe zu ihm war zu der Zeit so tief in mir verwurzelt, dass ich sie auch in meiner eigenen Zeit noch spürte.
Ich war mir bewusst, dass Katsuki nicht so fühlte. Oder es auch nur konnte, denn er war nicht in der Zukunft gewesen und hatte diese Erfahrung gemacht. Dennoch wusste ich, dass ich ihm auch nicht so egal war, wie er manchmal vorzugeben versuchte.
Unsere Mittagessen in der Mensa, waren schnell für mich die Highlights des Tages. In seiner Gegenwart vergaß ich gerne mal meine Mission, was ein wenig ironisch war, wenn man bedachte, dass es sich dabei nur um ihn drehte. Aber ganz vergessen konnte ich sie nie.
Vor allem, wenn ich bemerkte, wie Katsukis Blick regelmäßig auf meinem Handgelenk verweilte, um sich zu vergewissern, dass sie sich nicht wieder verändert hatten. Denn das hatten sie. Auch ohne, dass ich einen weiteren Seelensprung gewagt hatte. Es waren keine solch extreme Veränderungen, wie nach einem Sprung durch die Zeit, aber dennoch hatte ich manchmal einen Tag mehr oder weniger zu verzeichnen.
Als ich mich an diesem Tag in die hinterste Ecke der Mensa begab, wo Katsuki und ich immer saßen, war er schon da und schon stirnrunzelnd den verkochten Reis auf seinem Teller umher, als ich mich ihm gegenüber hinsetzte und ihn zur Begrüßung anlächelte.
Katsukis Mundwinkel zuckten nach oben, dann wanderte sein Blick fast schon routinemäßig zu meinem Handgelenk. Die Falte zwischen seinen Augenbrauen vertiefte sich.
„Du solltest dir angewöhnen dein Tattoo zu verstecken. Es ist verdammt nochmal ziemlich auffällig", sagte er ernst und schüttelte den Kopf, ehe er sich ein Bissen seines Essen in den Mund steckte. Er verzog das Gesicht und griff nach dem Paprikapulver.
Am Anfang dachte ich, er würde das besonders mögen. Aber es stellte sich heraus, dass er eigentlich nur gerne scharf aß und es die einzige Möglichkeit war ein wenig Würze in das Essen zu bekommen. Auch wenn das Pulver eigentlich alles andere als scharf war.
Ich blickte auf mein Handgelenk und ich zog den Ärmel meines Pullovers herunter, um es zu verdecken. Heute war es tatsächlich ziemlich verdächtig. Es schien fast so, als würde es zwischen zwei Tagen festhängen und sich nicht wirklich entscheiden können wie viele Zukunftstage mir zustanden. Die 2 von den Zwanzigern war deutlich zu lesen, doch die zweite Ziffer schwankte zwischen der zwei und drei und erzeugte so eine seltsam verblasste Kombination aus beidem.
Katsuki beobachtete meinen kläglichen Versuch das Tattoo zu überdecken und ich seufzte schnell frustriert, da ich es mir so sehr angewöhnt hatte meine Ärmel hochzuschieben, um die Hände freizuhaben, dass ich es instinktiv während des Essens immer wieder versuchte.
Er rollte mit den Augen. „So schwer ist das doch nicht, Idiot. Kauf dir ein Armband oder tu so, als täte dir dein Handgelenk weh und mach so eine Bandage drum. So wie du dich gerade benimmst, ziehst du nur Aufmerksamkeit darauf."
„Aufmerksamkeit worauf ziehen?", fragte Mina die wie aus dem Nichts neben uns aufgetaucht war. Auf dem kalten Fuß erwischt warfen wir ihr beide einen erschrockenen Blick zu, obwohl Katsukis Blick eher wie eine Morddrohung aussah.
Doch Mina lachte nur und stellte ihr Tablett neben uns ab. „Schon okay ihr beiden, ich wollte euch bei eurem Date nicht stören."
Ich errötete heftig, doch Katsuki schnaubte nur genervt. „Wenn du das nicht wolltest, wieso setzt du dich dann trotzdem zu uns?"
Mina tat so als hätte sie das tief getroffen und fasste sich ans Herz. „Willst du mir damit sagen, dass du mich nicht hier haben möchtest?" Noch während sie das fragte, stieß Sero zu uns stellte sein Tablett ebenfalls auf den Tisch.
Katsuki setzte zu einer Erwiderung an, doch ich stieß ihm gegen das Schienbein, um ihn zu bremsen. Mina und Sero waren unsere Freunde und ich mochte ihre Gesellschaft. Auch wenn ich nichts dagegen gehabt hätte mit ihm allein zu sein. Katsuki klappte den Mund zu warf mir einen stirnrunzelnden Blick zu, doch als ich ihn beruhigend anlächelte, rollte er nur mit den Augen und widmete sich wieder seinem Essen.
Die anderen beiden schienen diesen kurzen Austausch nicht bemerkt zu haben, oder sie ließen sich davon nichts anmerken.
„Wo ist Kami?", fragte ich, nachdem auch die beiden anderen mit dem Essen angefangen hatten.
Sero grinste zu mir herüber. „Der stellt irgend so einem Mädchen nach. Die ist zwei Semester über ihm und er hat sowas von keine Chance. Aber der Idiot will ja nicht hören."
Mina lehnte sich vor und sah ihn neugierig. „Ach ja? Kenne ich sie?"
Und so verbrachten wir den Rest des Mittagessens mit einem lockeren Gespräch über Kaminari und seine erfolglosen Versuche bei Frauen zu landen. Es war ausgesprochen amüsant, vor allem da Sero ihn schon vor dem Studium kannte und daher einige Geschichten zu erzählen hatte.
Die Ablenkung tat gut, bis ich auf einmal ein Tritt gegen mein Schienbein bekam. Ich zuckte zusammen du blickte zu Katsuki, der einen stirnrunzelnden Blick auf mein Handgelenk warf. Ich hielt in meiner Bewegung inne. Mal wieder war ich dabei gewesen gewohnheitsgemäß meine Ärmel hochzuschieben. Ertappt ließ ich den Saum jetzt wieder los.
Katsuki hatte recht. Ich musste mir deswegen etwas einfallen lassen.
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An diesem Abend klopfte Katsuki wieder an meine Tür. Ich war es fast schon gewohnt, dass er sich wortlos an mir vorbeidrängte und sich ohne Zögern auf mein Bett warf, weshalb ich ihm nur einen amüsierten Blick schenkte.
Es herrschte eine kurze Stille. Ich kannte Katsuki inzwischen gut genug, um zu wissen, dass er mich nicht ohne Grund aufsuchen würde. Der Aschblonde schien mit sich zu hadern.
„Ich weiß, es ist deine Angelegenheit und du hast klar gemacht, dass du mir nicht alles erzählen kannst. Aber ich verstehe es einfach nicht. Wie konntest du im Save Space an Informationen über die Zukunft kommen?", fragte er schließlich, leise und eindringlich. Den Blick hatte er an die Decke gerichtet.
Ich schloss kurz die Augen. Auch wenn wir in den letzten Wochen nicht über das ZRP oder ähnliches gesprochen hatten, war doch immer klar gewesen, dass das Thema uns beide beschäftigte. Und irgendwie war ich froh, dass Katsuki es zuerst anschnitt.
Ich zögerte nicht lange mit der Antwort, denn ich vertraute darauf, dass er die Informationen für sich behalten würde. „Zuerst war es nur ein Zettel. Ein Zettel mit einer Botschaft von meinem zukünftigen Ich."
Katsuki runzelte die Stirn. „Was für eine Botschaft?"
Ich biss mir auf die Lippen und schwieg.
Er seufzte und schloss kurz die Augen. „Du sagtest gerade zuerst. Zuerst war es nur ein Zettel. Was war es dann?"
Ich schluckte, denn ich war mir bewusst, dass meine nächsten Worte eine große Sache waren und ich wusste nicht wie Katsuki darauf reagieren würde. „Ich bin beim zweiten Mal nicht im Save Space aufgewacht", gestand ich langsam.
Katsuki richtete sich langsam auf und starrte mich an, die Augen weit aufgerissen. Dann ging ein Beben durch seinen Körper und auf einmal lachte er. Lauthals und rau. Es war ansteckend und auch ich stimmte in das Lachen mit ein.
Der Aschblonde rieb sich die Augen und wischte die Tränen weg, als er sich wieder eingekriegt hatte. „Fuck Eijirou. Du bist wirklich unglaublich. Dein zukünftiges Selbst ist ganz schön badass, wenn es das auf die Reihe bekommen hat. Scheiße ich bin beeindruckt. Du hast einfach auf das ZRP geschissen!"
Verlegen kratzte ich mir den Hinterkopf. Schließlich hatte ich all das noch gar nicht getan und wusste nicht ganz wie ich mit dem Lob umgehen sollte.
Katsuki grinste mich an. „Jetzt kann ich verstehen, weshalb sich deine Zukunftstage andauernd verändern, obwohl du zwischendurch keinen Seelensprung gemacht hast. Ha! Ich hab's gewusst, dass sie die Seelensprünge für ihre Berechnung brauchen!"
Ich runzelte die Stirn. „Wie meinst du das? Ich habe gedacht, meine Zukunftstage verändern sich dadurch, dass ich durch die Informationen, die ich erlangt habe, anders handle, als ich ursprünglich getan hätte?"
Katsuki setzte sich ganz auf und beugte sich verschwörerisch zu mir. „Das stimmt auch. Das erklärt warum sich deine Zukunftstage direkt nach deinen Seelensprüngen verändert haben. Es erklärt aber nicht, warum nach dem zweiten Seelensprung keine eindeutige neue Berechnung vorgenommen werden konnte. Deine Zukunftstage haben sich ja verändert, ohne dass du einen weiteren Seelensprung gemacht hast, nicht wahr? Das bedeutet, das ZRP braucht für die Berechnung deiner Zukunft die Seelensprünge! Aber du hast einen gemacht, ohne dass sie an die notwendigen Informationen kommen konnten!"
Ich starrte ihn überrascht an. Das gab auf verquere Weise alles seinen Sinn. „Was meinst du, was für Informationen sie dadurch sammeln?"
Katsuki zuckte mit den Schultern und lehnte sich an die Wand. Stirnrunzelnd fing er an mit den Fingern auf seinen Oberschenkeln zu trommeln. „Weißt du... früher, bevor ich das Wort das erste Mal geschrieben gesehen hatte, dachte ich immer es hieße Safe Space. Also ein sicherer Ort. Doch es heißt Save mit v. Es ist also eher mit Speicherpunkt oder -raum zu übersetzen. Ich dachte immer sie speichern quasi den Körper für den Seelensprung. Aber vielleicht steckt etwas ganz anderes dahinter..."
Mein Herz schlug vor Aufregung. Ich war mir bewusst, dass das alles Spekulationen waren, die sich auf ein paar Indizien stützen. Und dennoch spürte ich tief in meinem Inneren, das Katsuki da etwas Großem auf der Spur war.
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