Kapitel 3: Zero
Zero musterte mich von Kopf bis Fuß und ich zwang mich zu einem Lächeln. Sein intensiver Blick bescherte mir eine Gänsehaut. Einer seiner Mundwinkel zuckte in einem angedeuteten Lächeln nach oben, bevor er die Zigarette wieder an die Lippe setzte und den Blick abwandte.
„Hi ... Zero!", sagte ich schüchtern.
Zero schnaubte nur und schüttelte den Kopf, ehe er mich wieder ansah. "'Nen Ersti, huh? Wo hat der Kurzschluss dich denn aufgegabelt?"
Nur durch Kaminaris empörten Ausruf verstand ich, dass es sich bei dem „Kurzschluss" um ihn handeln musste. „Er ist mein Zimmernachbar!"
„Ich hab' ihm meine Tür ins Gesicht gerammt...", kicherte ich verlegen.
Zero sah wieder zu mir, ein angedeutetes Lächeln auf den Lippen. „Gut so."
Ich musste lachen und sah den empörten Kaminari entschuldigend an. Sero grinste ebenfalls breit, doch Mina, obwohl auch ihr das Lachen in den Augen anzusehen war, schien augenscheinlich mit etwas ganz anderem beschäftigt. Nachdenklich sah sie Zero an. Dann wanderte ihr Blick zu mir und ein verschmitztes Lächeln schlich sich auf ihr Gesicht, als sie meinen fragenden Blick bemerkte.
Doch ehe ich weiter darüber nachdenken konnte, fing Kaminari wieder an zu sprechen. „Zieh ihn nicht auf die dunkle Seite, Zero. Er ist doch noch so unschuldig!", jammerte er während er sich langsam von den Stufen erhob und sich streckte. „Ich muss mir das jetzt nicht länger anhören. Ich geh zurück in mein Zimmer. Man sieht sich Leute!"
Und mit diesen Worten stieg er die restlichen Stufen zum Eingang hoch und verschwand hinter der schweren Glastür.
„Er ist nicht wirklich sauer, oder?", fragte ich besorgt, als ich ihm hinterher sah.
Sero lachte und legte Mina einen Arm um die Schulter. „Mit Sicherheit nicht. Der ist von Zero noch ganz andere Sachen gewohnt." Amüsiert warf er dem Aschblonden einen Blick zu, der jedoch so tat als hätte er ihn nicht gehört.
Kurz sah ich ebenfalls zu Zero herüber, der den Blick stur geradeaus gerichtet hatte und einen weiteren Zug von seiner Zigarette nahm. Dann seufzte ich leise und fuhr mir durch die Haare. „Ich gehe auch zurück in mein Zimmer. Tag eins der Uni und ich bin jetzt schon fertig." Ich lachte verlegen und winkte den anderen kurz zu, ehe ich es Kaminari gleichtat und zu meinem Zimmer ging.
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Ich lag auf meinem Bett und starrte nachdenklich auf die 38 an meinem Handgelenk, als ich ein energisches Klopfen an meiner Zimmertür vernahm. Überrascht sah ich auf und zögerte einen Moment, ehe ich mich vom Bett erhob und auf die Tür zuging.
Im Türrahmen stand Zero. Die aschblonden Haare standen ihm vom Kopf, als wäre er kurz zuvor mehrere Male energisch hindurchgefahren. Sein Gesichtsausdruck zeugte von milder Genervtheit, als er sich wortlos an mir vorbeidrückte, um in mein Zimmer zu gelangen. Etwas verwirrt schloss ich die Tür wieder. Als ich mich umdrehte, hatte er sich bereits auf mein Bett geworfen und hatte die Arme hinter dem Kopf verschränkt, während er stur an die weiße Decke blickte.
Noch immer etwas überfordert mit der Situation setzte ich mich auf meinen Schreibtischstuhl und blickte ihn fragend an. Als er mich weiterhin ignorierte, räusperte ich mich zögernd. „Uhm ... wolltest du etwas Bestimmtes?"
Zero rollte mit den Augen und legte den Kopf ein wenig zur Seite, um mich anzusehen. „Ich wurde von den anderen geschickt, um dich rüber zu holen", sagte er gelangweilt.
„Und wollen wir dann nicht rübergehen?", fragte ich und stand auf.
Zero schnaube. „Fuck nein. Ich ertrag die keine Sekunden länger." Jetzt sah er wieder an die Decke.
Ich schluckte und setzte mich wieder hin. Dann lächelte ich breit und kratzte mir verlegen den Hinterkopf. „Aber mich erträgst du, ja?"
Zero schloss die Augen und tat so als hätte er das nicht gehört. Doch ich hatte das Gefühl, dass er ein Lächeln unterdrückte. Gerade als ich dachte, er würde auf den Kommentar nicht antworten, fing er mit seiner rauen Stimme an zu sprechen. „Interpretier da nicht zu viel rein, Shitty Hair. Ich brauchte gerade nur eine Auszeit von den anderen Idioten."
Ich lachte und erhielt dafür einen kurzen amüsierten Blick von Zero, bevor er wieder die Augen schloss. Doch ich dachte gar nicht daran ihn in Ruhe zu lassen. Immerhin war er derjenige gewesen, der in mein Zimmer spaziert war und er war zu anders als alle Personen, die ich bisher kennengelernt hatte, als dass ich meine Neugier unterdrücken konnte. „Wieso nennt man dich eigentlich Zero?", fragte ich daher schließlich nach einigen Momenten der Stille.
Zero antwortete nicht direkt, sondern zog einfach einen Arm unter seinem Kopf hervor und streckte ihn mir entgegen. Etwas verwirrt sah ich ihn an, bis mein Blick an seinem Handgelenk hängen blieb. In der grünlichen elektronischen Tinte war scharf und endgültig eine Null geschrieben.
„Du hast null Zukunftstage? Keinen einzigen?", fragte ich verblüfft. Das hatte ich noch bei niemanden gesehen. Klar, es gab immer wieder Leute deren Eltern sich dagegen entschieden hatte ihr Kind beim ZRP zu registrieren, aber dass jemand registriert war und keinen einzigen Zukunftstag hatte war sicherlich ungeheuer selten.
Dann kam mir ein unangenehmer Gedanke. Könnte es nicht auch bedeuten, dass er nur wenig Zukunft hatte? Der Gedanke bedrückte mich und ich musste hart schlucken.
Zero musste meinen Gesichtsausdruck gesehen und richtig interpretiert haben, jedenfalls rollte er mit den Augen und sah mich an, als wäre ich begriffsstutzig. „Hör auf so fucking hart darüber nachzudenken, Shitty Hair. Mein zukünftiges Ich macht sich eben nichts aus der Propaganda des ZRPs. Besser so. Mir wär's lieber, wenn meine Eltern mich gar nicht erst registriert hätten. Aber damals hatte ich eben kein fucking Mitspracherecht."
Ich war noch immer nicht ganz überzeugt. „Sicher? Ich meine, ich will da nicht zu viel reininterpretieren, aber hast du dir deshalb nie Sorgen gemacht?"
Zero stöhnte, setzte sich auf und warf mir einen bohrenden Blick zu. „Ich will keinen dieser bescheuerten Zukunftstage. Und dass die Null auf meinem Handgelenk steht, bedeutet einfach nur, dass ich in Zukunft auch nicht anders darüber denke."
„Okay, okay", sagte ich und hob beschwichtigend die Hände. Doch anscheinend war das ein Fehler gewesen. Bei der Geste rutschten meine Ärmel ein wenig herunter und offenbarten mein eigenes Tattoo. Zero griff nach meinem Handgelenk und zog es so energisch zu sich heran, dass ich erschrocken scharf einatmete und fast von meinem Stuhl gezogen wurde. Kurz schlug mein Herz ungeheuer schnell, da er nun auf meine achtunddreißig Zukunftstage blicken konnte. Doch er konnte ja nicht wissen, dass bis zum vorherigen Tag dort lediglich eine Elf gestanden hatte. Dennoch verfluchte ich meine Unbedachtheit. Zwar wussten die Leute hier nicht, dass sich meine Zukunftszage so drastisch geändert hatten, aber es wäre unklug zu sehr auf sich aufmerksam zu machen.
Zeros Ausdruck war kaum zu lesen, als er mich wieder ansah und mein Handgelenk losließ. „Ernsthaft? Achtunddreißig? Fucking Systemopfer..."
Ich runzelte gekränkt die Stirn. Dass meine achtunddreißig Zukunftstage wenig damit zu tun hatten, dass ich ein großer Anhänger des ZRPs war, konnte ich jetzt schlecht sagen. Da die hohe Anzahl von Zukunftstagen irgendetwas mit der Mission meines zukünftigen Ichs zu tun hatten Katsuki zu retten, bedeuteten sie eigentlich eher das Gegenteil. Ich hatte mich widersetzt und eben nicht dem System gebeugt. Aber eigentlich stand ich momentan dem ganzen Zeitreise-Kram relativ neutral gegenüber und war der Meinung, dass diese Urlaubstage, die einem das ZRP ermöglichte, durchaus ansprechend waren.
„Was ist so verkehrt daran?", fragte ich und drückte mein Handgelenk an meine Brust, um es Zeros Blick zu entziehen. Ich mied seinen Blick, als ich fortfuhr. „Es geht hier nur darum ein wenig Luxus zu genießen. Was ist also so verkehrt daran, diese Möglichkeit zu nutzen?"
Zero verschränkte die Arme und sah mich abschätzend an. „Glaubst eigentlich alles, was man dir erzählt?" Etwas in meinem Stolz verletzt, warf ich ihm einen empörten Blick zu, doch er achtete gar nicht darauf. „Und außerdem: Was ist denn so fan-fucking-tastisch daran, in seinem eigenen alternden Körper zu wechseln?"
Ich verschränkte ebenfalls die Arme. Zero hatte da natürlich durchaus einen Punkt, den ich selbst auch schon bemängelt hatte. Schließlich war das genau der Grund gewesen, warum ich ziemlich lange gewartet hatte meinen zweiten Zukunftstag einzulösen. Aber ich schaltete auf stur. Nicht um das ZRP zu verteidigen, sondern weil ich das Gefühl hatte Zero hielt mich für einen Dummkopf, und das nagte an meinem Stolz. „Man muss nicht unbedingt in einen alten Körper wechseln. Ich war gestern erst im Save Space und ich war vielleicht gerade einmal Mitte dreißig und ziemlich gut in Form!" Ich hielt inne und hatte das Gefühl etwas zu viel gesagt zu haben.
Zeros Augen weiteten sich für den Bruchteil einer Sekunde, ehe wieder das altbekannte Stirnrunzeln auf seinem Gesicht einkehrte. Einen Moment Stille herrschte, in der er nachdachte. „Das heißt, dass du all deine verdammten achtunddreißig Zukunftstage in den nächsten ... schätzungsweise zehn bis fünfzehn Jahren aufbrauchst?", fragte er nachdenklich.
„Ich ... uhm was?", fragte ich perplex, in dem Gefühl irgendetwas außer Acht gelassen zu haben.
Ich erhielt daraufhin einen weiteren abschätzenden Blick, bevor Zero seufzte. „Hast du dich einmal damit beschäftigt, wie das ZRP die Zukunft berechnet?"
Ich runzelte die Stirn. „Nein. Ich bezweifle, dass ich etwas davon verstehen würde. Ist das nicht unheimlich komplex?"
„Das ist es. Die Zukunft ist nur halb so berechenbar, wie das ZRP uns weismachen möchte, aber dennoch schaffen sie es, sie in vielerlei Hinsicht vorauszusagen. Mir fehlen leider auch einige Kenntnisse, um es wirklich zu verstehen ... zumindest jetzt noch nicht." Er warf mir einen kurzen herausfordernden Blick zu, wie um mir klar zu machen, dass er nicht daran zweifelte eines Tages dahinter zu kommen. „Aber ich weiß, dass sie einige Variablen beim Zeitreisen einschränken, um-"
Ein Klopfen riss Zero aus seinem Vortrag. „Macht ihr da drinnen rum, oder warum kommt ihr nicht?", hörte ich Kaminari auf der anderen Seite der Tür lachend sagen.
Ich errötete heftig und stand schnell auf, um die Tür zu öffnen und nicht antworten zu müssen. Aus dem Augenwinkel sah ich, dass auch Zeros Ohren einen leichten Rotschimmer aufwiesen. Aber ich hatte das Gespräch nicht vergessen. Ich hatte das Gefühl, dass Zero mir gerade etwas Wichtiges erzählen wollte und ich musste herausfinden, was er über das Thema wusste.
Sein Wissen könnte hilfreich sein, um Katsuki zu retten ...
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