Kapitel 19: In die andere Zukunft
Als ich mich von Nana verabschiedete und vor die Wohnungstür trat, lehnte Katsuki mit verschränkten Armen an der Wand. Vorsichtig sah ich ihn an. Als ich ihn vorhin gebeten hatte draußen zu warten, hatte er sauer und verstimmt gewirkt. Fast schon hatte ich damit gerechnet, dass er nicht auf mich warten würde und alleine nach Hause gegangen war. Zumindest aber glaubte ich, dass er mich mit seinem Blick vernichten und mich scharf anfahren würde.
Doch nichts dergleichen war der Fall. Katsuki wirkte ruhig, geradezu nachdenklich. Seine sonst so scharfen roten Augen blickten gedankenverloren in die Ferne. Als er mich bemerkte, flackerte sein Blick zu mir und eine kleine Falte bildete sich zwischen seinen Augenbrauen.
„Wollen wir nach Hause?", fragte ich zögerlich.
Katsuki nickte nur, stemmte sich von der Wand ab und ging mir voran den Flur entlang zur Haustür. Stirnrunzelnd folgte ich ihm. Ich wusste nicht wirklich, was ich von seinem Verhalten halten sollte.
Gemeinsam gingen wir zurück zum Wohnheim. Doch wir waren schon im Park angelangt, als Katsuki das erste Mal die Stille durchbrach.
„Du wirst mir wohl nicht verraten, was ihr beide besprochen habt, oder?"
Ich zog kurz die Schulter hoch. „Du weißt, dass ich dir nichts Konkretes über meine Mission verraten kann, da musst du mir einfach vertrauen." Dann überlegte ich kurz. „Aber ich wüsste nicht warum ich dir nicht das erzählen sollte, was Nana mir angeboten hat."
Katsuki sah mich von der Seite an und hob fragend eine Augenbraue. Ich atmete tief durch, ehe ich fortfuhr.
„Wie du weißt bin ich davon ausgegangen, dass mein zukünftiges Ich – bevor mir diese Sperre auferlegt wurde – etwas vorbereitet hat, um mir meiner Mission zu helfen. Ehrlich gesagt war ich ziemlich verzweifelt, als sie mir die Sperre auferlegt haben, da ich nicht wusste wie ich an die nötigen Informationen gelangen sollte ..."
Katsuki nickte ungeduldig und bedeutete mir fortzufahren. Und so versuchte ich das wiederzugeben, was Nana mir erklärt hatte. Ehrlich gesagt war mir all das ein wenig zu theoretisch und in meinem Kopf klang es noch immer nach purem Wahnsinn, aber Katsuki nickte bei meinen Ausführungen nur, als wäre ihm all das grundlegend nicht neu. Als ich ihm jedoch sagte, dass Nana mich mit einem Seelensprung in die parallele Zeitlinie schicken würde, schnaubte er doch überrascht.
„Glaubst du wirklich, dass sie das kann?", fragte er zweifelnd.
„Sie meinte es wäre ihr Fachgebiet, ich denke schon. Zumindest glaube ich nicht, dass sie es mir nicht angeboten hätte, wenn sie es nicht für möglich hielte. Oder nicht wüsste, wie sie es anstellen würde." Ich warf ihm einen kurzen Seitenblick zu. „Wieso? Hättest du ihr das nicht zugetraut?"
Er schnaubte. „Naja, ich meine ihr Name ist Nana." Ich warf ihm einen strengen Blick zu, doch Katsuki grinste nur amüsiert und zuckte mit den Schultern. „Aber wenn sie das sagt, dann schätze ich mal, glaube ich ihr auch. Hast du das Angebot angenommen?"
„Natürlich, was hätte ich denn sonst tun sollen? Es ist für mich die einzige Möglichkeit, um an Informationen zu gelangen! Ich werde schon morgen wieder hingehen ..."
Katsuki straffte die Schultern. „Ich komme mit." Überrascht sah ich ihn an, doch Katsuki sah stur geradeaus. „Ich möchte wissen, wie sie das macht. Außerdem ist mir wohler, wenn ich dabei bin."
Ich musste ein Lächeln unterdrücken, als ich den Rotschimmer auf Katsukis Wangen bemerkte.
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Am nächsten Tag stand ich früh auf. Ganz in Gedanken bei dem Seelensprung, den ich heute vollziehen würde, hatte ich nicht viel geschlafen. Ich war aufgeregt und so voller Hoffnung. Gleichzeitig wusste ich aber, dass es sich als ein totaler Fehlschlag entpuppen könnte. Es könnte sein, dass es trotz Nanas Zuversicht nicht funktionierte und es konnte ebenso sein, dass ich einfach nichts fand. Ich hatte nur begrenzt Zeit und wenn mein zukünftiges Ich doch nichts vorbereitet hat oder die Zeit einfach nicht reichte, dann wäre auch alles umsonst gewesen.
Da meinen Kopf ein wenig klären musste, ging ich wieder eine Runde Joggen. Der tägliche Sport hatte meinen Körper inzwischen ganz schön in Form gebracht und eine gemütliche Runde durch den Park brachte mich kaum noch zum Schwitzen.
Als ich zum Wohnheim zurückkehrte traf ich Katsuki auf den Stufen vor dem Eingang. Das vertrauet Bild von Katsuki, der rauchend am Geländer lehnte, zauberte mir ein Lächeln auf das Gesicht. Seine Augen fanden meine, als ich die Treppe hinauflief und vor ihm zum Stehen kam.
Ein Mundwinkel zuckte nach oben, als er mich von Kopf bis Fuß betrachtete. „Alter, wenn du so weitermachst, wirst du breiter als hoch." Er zog amüsiert eine Augenbraue nach oben, bevor er einen weiteren Zug von seiner Zigarette nahm.
„Na immerhin durch Sport und nicht durch Essen." Verschmitzt kniff ihm in die Seite. Katsuki gab einen seltsam hohen Laut von sich, den er, nach dem Todesblick zu urteilen, den er mir zuwarf, sofort wieder bereute.
„Du Mistkerl. Willst du mir sagen, dass ich fett bin?" Die Falte zwischen Katsukis Augenbrauen vertiefte sich, als er mir einen drohenden Blick zuwarf.
„Um Himmels willen, nein!" Ich lachte auf. Es wäre auch geradezu absurd gewesen. Katsuki war weder so breit gebaut wie ich es momentan war noch sich schlaksig wie ich zu Beginn des Semesters. Er hatte breite Schultern und eine schmale Taille. Die Konturen seiner Brustmuskeln zeichneten sich unter seinem Shirt ab, aber er wirkte dabei dennoch eher agil und drahtig. Ich bemerkte, das ich ihn etwas zu intensiv angestarrt hatte und schaute verlegen weg.
Katsuki rollte mit den Augen und schüttelte etwas genervt den Kopf. „Geht es gleich los zu Nana?" Er drückte seine Zigarette aus und vergrub die Hände in den Hosentaschen.
Ich nickte. „Ja klar! Wir haben keine genaue Uhrzeit ausgemacht, aber ich denke es ist inzwischen nicht mehr so früh, dass es unangebracht wäre zu klingeln. Ich dusche nur ganz schnell und zieh mich um. Treffen wir uns hier in fünfzehn Minuten?"
„Tch, als ob ich hier solange auf dich warten würde. Ich komme mit zu dir." Er zog die Schultern hoch und zog schaudernd die Luft ein. Anscheinend kam er mit dem kalten Herbstwetter nicht so gut zurecht.
Ich erwähnte nicht, dass er genauso gut in sein Zimmer hätte gehen können, wenn es ihm zu kalt war und öffnete ihm stattdessen einfach die Tür zum Wohnheim. Denn, seien wir ehrlich, nichts wollte ich lieber, als ihn die ganze Zeit an meiner Seite zu haben. Daher gingen wir gemeinsam in mein Zimmer und Katsuki schmiss sich auf mein Bett, während ich im Badezimmer verschwand, mich duschte und umzog.
Kurze Zeit später liefen wir zusammen auf dem Weg zu Nana Shimura durch den Park. Ich war vor Aufregung ganz hibbelig. Nervös flackerte mein Blick über die bunt belaubten Bäume und über die Grünflächen. Die Umgebung, die sonst einen beruhigenden Effekt auf mich ausübte, schaffte es diesmal nicht mich wieder auf den Boden zu bringen.
Doch plötzlich war da etwas anderes. Eine leichte Berührung, die mir ein wohliges Kribbeln am ganzen Körper bereitete. Ich zuckte beinahe zurück, so überrascht war ich von der Geste. Denn Katsukis Finger strichen fragend über die Innenseite meiner Handfläche. Ich veränderte die Position meine Hand leicht, sodass wir unsere Finger miteinander verschränken konnten.
Ein warmes Gefühl stieg in mir hoch, als ich einen Blick zur Seite auf Katsuki riskierte. Seine Wangen waren gerötet und er sah stur geradeaus. Bei diesem Anblick machte sich ein Lächeln auf meinem Gesicht breit. Und auf einmal war ich nicht mehr nervös. Denn komme was wolle: Ich würde alles dafür geben diese Hand für den Rest meines Lebens halten zu können.
Als wir bei Nana ankamen, öffnete sie uns schwungvoll und mit einem strahlenden Lächeln auf dem Gesicht die Tür. „Hey ihr beiden!" Sie sah mich erwartungsvoll an. „Bist du bereit? Ich habe die ganze Nacht dran gesessen, um sicherzugehen, dass alles glatt läuft!"
Sie war geradezu euphorisch. Aber man konnte es ihr auch nicht ganz verdenken. Sie arbeitete seit Jahren an diesen einem Thema und konnte nun endlich einen Sprung in die Praxis machen.
An mir hingegen nagte wieder die Angst. Bei Betreten der Wohnung hatte Katsuki meine Hand losgelassen und die Nervosität kam voll und ganz zurück.
Nana hatte die Couch ausgefahren und auf dem Beistelltisch daneben standen einige Geräte, die ich nicht recht einzuordnen vermochte. Meine Augen jedoch blieben an den Spitzen hängen, die bereits aufgezogen und sauber nebeneinandergelegt auf dem Tisch lagen.
„Leg dich hin, Kirishima. Es ist bereits alles vorbereitet!", sagte sie freundlich, aber mit einem gewissen Funkeln in den Augen.
Zögernd setzte ich mich auf die Couch und warf einen hilfesuchenden Blick zu Katsuki. Ich vertraute Nana voll und ganz und glaubte auch daran, dass sie ihr Handwerk verstand, aber die Vorstellung mit der Seele in eine parallele Zeitlinie zu reisen, war nun einmal beängstigend.
Katsuki schenkte mir eins seiner seltenen Lächeln und setzte sich neben mich. Er nahm wieder meine Hand in seine und ließ sie auch nicht los, als ich mich schließlich hinlegte.
Während Nana mit den Gerätschaften hantierte, konzentrierte ich mich auf die Wärme von Katsukis Hand.
Und dann ging es los.
Nach der ersten Spritze fühlte ich mich seltsam leicht, beinahe benebelt. Die zweite wiederum war etwas ganz anderes.
Mein Herz fing an zu rasen und Farben vor meinen Augen verschwammen. Das einzige was ich noch wahrnahm war Katsukis Hand, während die Welt mir langsam entglitt. Panisch versuchte ich mich zu bewegen, wollte raus. Einfach nur zurück. Doch ich konnte nicht.
Und dann war da nichts. Leere.
Sekunden. Sekunden, die sich anfühlten, als würden sie eine Ewigkeit andauern, vergingen. Dann begann ich langsam wieder etwas zu spüren.
Erst war es kaum greifbar. Ich spürte Gedanken, Emotionen und eine gewisse Aufregung, die nicht ganz meine zu sein schien. Schließlich jedoch begann ich meinen Körper zu spüren. Vom Scheitel abwärts ging eine Welle hindurch und mit einem Schlag war ich wieder bei Bewusstsein.
Ich schlug die Augen auf. Ich lag auf kaltem gefliestem Boden und starrte auf ein hölzernes Tischbein direkt vor meine Nase. Mühsam richtete ich mich auf. Das erste was ich wahrnahm, war der Schmerz in meinem Knie und in meiner Schulter. Das zweite die halbvolle Cornflakesschüssel. Anscheinend war dieser Körper beim Frühstück vom Stuhl gefallen, als meine Seele in ihn eingefahren war.
Mein Blick wanderte durch die moderne Küche und ein erleichtertes Lächeln machte sich auf meinem Gesicht breit. Dieses Haus kannte ich bereits. Allem Anschein nach war ich genau dort, wo ich sein sollte.
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