23. Kapitel
Erwachen tat ich, als Shae mir unsanft ihren spitzen Zeigefinger in die Seite bohrte und ein: "Aufwachen, Prinzessin", in mein Ohr knurrte.
Ich fuhr aus meiner verdrehten Schlafposition hoch und wäre beinahe gegen die Stirn meiner Freundin geknallt, aber diese zuckte im letzten Augenblick noch zurück.
"Wow", Shae kniff ihre hellen Augen zusammen und musterte mich, als sei ich ein seltenes Ausstellungsstück in einem Museum, "Du siehst... toll aus."
Ich blinzelte mühsam, versuchte das Brennen meiner Augen zu ignorieren und linste zu ihr hinauf.
"Was meinst du damit?", krächzte ich.
"Nunja", Shaes Mundwinkel zuckten schelmisch nach oben, "Frankensteins Monster würde dich sicherlich gerne ehelichen."
"Sehe ich etwa so schlimm aus?", ich rieb mir über die Augen und streckte mich wie eine Katze.
Wirklich alles an mir tat weh, als hätte ich gestern zu viel Sport betrieben.
Shae antwortete nicht, sondern starrte stattdessen auf ihre Armbanduhr: "Du hast eine halbe Stunde Zeit, ehe der Unterricht beginnt. Wenn du duschen willst -und das solltest du- verpasst du das Frühstück."
"Ist mir nur Recht", erwiderte ich, strich mir eine filzige Haarsträhne aus der Stirn und stand auf, "Ich habe so oder so keinen Hunger."
"Und man würde dich begaffen wie ein besonders exotischer Papagei", fügte meine Freundin hinzu und ich verdrehte die Augen.
Das auch Shae, das auch.
"Ich gehe dann mal", Shae schob sich in Richtung Tür, "Beeile dich bitte. Herr Lutler mag es nicht, wenn man zu spät kommt."
Ich nickte bloß wortlos und wartete, bis sie über die Schwelle getreten war und die Tür hinter sich geschlossen hatte, dann sank ich wieder zurück auf mein Bett und vergrub mein Gesicht in den Händen.
Der Unterricht. Ja. Den musste ich noch irgendwie hinter mich bringen.
Am liebsten wäre ich einfach hier oben in meinem Zimmer geblieben und hätte mich versteckt. Versteckt vor den Blicken meiner Mitschüler, vor ihrem Getuschel und ihren Gerüchten.
Ich hätte den Unterricht einfach schwänzen und mir einen schönen Vormittag zwischen meinen eigenen vier Wänden machen können, aber Shae verließ sich darauf, dass ich erschien und ich wollte sie nicht enttäuschen.
Mühsam raffte ich mich also auf, ging ins Bad und zuckte zusammen, als ich mein verquollenes Gesicht im Spiegel sah. Tiefe Augenringe, einen kalkweißen Teint, verknotete Haare.
Ich hätte wirklich die Ideale Lebensgefährtin für Frankensteins Monster abgegeben!
Schnell wandte ich meinen Blick ab, zog meine verschwitzte Kleidung aus und schlüpfte unter die Dusche.
Das Wasser lief heiß und dampfen über meine Haut und ich blieb für gefühlte Jahre bewegungslos unter ihr stehen, die Augen geschlossen, und genoss das warme Wasser, welches auf mich hinab prasselte.
Dann, irgendwann später, stellte ich die Leitung ab, stieg aus der Dusche und wickelte mich in ein blütenweißes Handtuch ein.
Ich entwirrte meine Haare, rubbelte sie trocken und schlüpfte dann in einen schwarzen Pullover und eine ebenso schwarze Jeans. Die Farben untermalten zwar mein kränkliches Aussehen, aber das war mir in diesem Moment ziemlich egal.
Ich blieb einige Minuten lang vor dem Spiegel stehen, betrachtete mein totenbleiches Ich, suchte dann schließlich meine Schulsachen zusammen und verließ mein Zimmer.
~~~
Natürlich kam ich zu spät zum Unterricht.
Das jahrelange Duschen hatte um einiges mehr als eine halbe Stunde gedauert.
So unauffällig wie möglich öffnete ich die Tür des Klassenraumes und huschte an der Wand entlang zu meinem Platz.
Okay, unauffällig war es nicht gerade.
Wäre ich ein normales Mädchen gewesen, wäre ich sicherlich niemandem aufgefallen. Aber leider hatte sich das Wort normal seit ein paar Tagen gänzlich von mir verabschiedet.
Seit Freitag war ich kein normaler Mensch mehr und seit gestern konnte man mich selbst als Domitor nicht mehr normal bezeichnen.
Herzlichen Dank auch Joseph.
Okay, eigentlich konnte er ja nichts dafür. Es war schließlich seine Aufgabe Auren und Seelen zu lesen.
Aber dennoch, ich war wütend.
Wütend darauf, dass alle hier nun wussten, dass ich selbst als Domitor nicht normal war.
Ich schnaubte laut.
Alle Köpfe in der Klasse wandten sich zu mir um und ich senkte eilig den Blick auf meine Füße und stolperte zu meinem Platz.
"Sie sind zu spät, Ms Fury", tadelte mich Mr Lutler mit ärgerlichem Unterton, aber ich ignorierte ihn.
"Halbe Stunde, hm?", Shae schüttelte den Kopf, als ich mich neben sie fallen ließ, "Wurdest du von einem Zombie gebissen oder warum warst du so langsam?"
Nein, ein Zombie hatte mich nicht gebissen.
Dafür hatte ich mich aber gestern Nacht in Dunkelheit aufgelöst und war dem Liebesgott persönlich begegnet.
Oder besser gesagt Göttin.
"So ungefähr", erwiderte ich und starrte nach vorne, mied jeglichen Blickkontakt zu meinen Mitschülern.
"Das erklärt so Einiges", murmelte Shae neben mir und klapperte mit ihrem Stift auf dem Tisch herum, "Sieh zu, dass du wacher wirst. Wir haben später noch Training in der Arena und Mr Greenbird ist nicht gerade der Lehrer, der Anfänger verhätschelt."
Ich wollte fragen, was genau sie damit meinte und was mich in der Arena erwarten würde, aber in diesem Moment räusperte Mr Lutler sich von seinem Pult her und sah streng zu uns herüber.
Okay, sooo sträng jetzt auch wieder nicht.
Eben so streng, wie ein zu groß geratener Hamster gucken konnte.
Ich seufzte und wandte mein Blick auf die Tischplatte.
~~~
Der Unterricht zog sich hin wie klebriger Honig.
Ich schaltete mein Gehirn ab, kaum das Mr Lutler den Mund öffnete.
Wieso sollte ich auch zuhören?
Ich musste über etwas wichtigeres nachdenken und dafür brauchte ich ganz sicher keine Quadratgleichungen!
Amor.
Ihr Name kreiste in meinen Gedanken umher wie ein Goldfisch in seinem Glas.
Was hatte sie wohl mit ihren Worten gemeint? Was verdammt noch mal hatte sie mir sagen wollen?
Du glaubst zu wissen, wer du bist. Die Schneekönigin. Die, die dunkelste Aura von allen besitzt. Die Tochter von Henry Fury. Aber das bist du nicht. Du kennst dein wirkliches Ich nicht. Du hast es noch nie gekannt. Du musst es erst finden.
Egal, wie ich alles hin und her drehte, ich sah keinen Sinn darin. Ich wusste, wer ich war.
Ich wusste, was mein wahres Ich war.
Oder?
"Sag mal, schläfst du?", Shae wedelte mit einer Hand vor meinem Gesicht herum, "Bekommst du überhaupt etwas mit?"
"Hm", grummelte ich vor mich hin und richtete mich wieder auf.
Bis gerade eben hatte ich mit meinem Kinn auf meinem Heft gelegen und gedankenverloren Löcher in die Luft gestarrt.
"Ist irgendetwas passiert?", meine Freundin betrachtete mich misstrauisch.
Ich überlegte einen Moment lang, dann fragte ich sie leise: "Was würdest du tun, wenn du mitten in der Nacht einer Fremden begegnest, welche behauptet, du seist nicht du?"
Shae sah mich verwirrt an.
"Das ist doch totaler Irrsinn", sagte sie dann schließlich, "Ich meine, du bist du und ich bin ich. Wieso solltest du nicht du sein? Das ergibt doch keinen Sinn!"
"Und was ist, wenn es Sinn ergeben würde?"
Shae biss sich auf die Unterlippe.
Sie schien etwas sagen zu wollen, aber kein Ton drang über ihre Lippen.
"Shae?", ich blinzelte verwirrt, "Ist etwas?"
Meine Freundin schwieg.
Ein seltsamer, mir unbekannter Glanz breitete sich in ihren Augen aus, ehe sie murmelte: "Wenn es Sinn ergeben würde, dann solltest du dein wahres Ich suchen, Carol Fury. Und ich rate dir eine Sache: finde es."
Sie erhob sich und verließ mit eiligen Schritten den Klassenraum.
A/ N:
Heey! ^^
Ja, ich melde mich mal wieder zurück ;D...
Bei uns hat es seit heute morgen bis jetzt gerade eben total geschneit und es ist super Schlittenfahr-Wetter! Yeyy! (Und ja, ich finde Schlittenfahren in meinem Alter immer noch cool xD...)
Allerdings sitze ich gerade mit ner Grippe zu Hause (doppelt Yeyy! -.-) und deswegen habe ich mich entschlossen, an Fury etwas weiter zu schreiben. :D
Ich hoffe, euch hat das kleine Kapitel hier gefallen. ;)
Lg
Raven
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