18. Kapitel
Ich schnappte nach Luft.
"Joseph!", Mrs Frostknight war erschrocken aufgesprungen und zu dem Schüler geeilt.
Während sie sich über ihn beuge, ihn versuchte wieder zu Bewusstsein zu bringen, viel mir auf, dass alle Gespräche im Klassenzimmer verstummt waren und jeder mich anstarrten, als sei ich gerade vom Himmel gefallen.
Oder der Hölle entsprungen.
Letzteres traf wohl oder übel besser zu.
Entsetzten sah ich in ihren Augen aufleuchten, gleich Warnlichtern.
Es dauerte, bis ein Mädchen aus Kates Clique den Mund wie in Zeitlupe öffnete und einen schrillen Schrei ausstieß.
Sie war die Einzige, die schrie.
Wahrscheinlich, da sie auch die Einzige war, die es realisiert hatte.
Joseph, der Aurenseher, hatte gerade verkündet, dass meine Seele finster war. Finsterer als die Nacht ohne Sterne und Mond.
Das hatte ganz sicher nichts Gutes zu bedeuten.
Überhaupt nichts Gutes.
Der junge Seher zu meinen Füßen gab ein heiseres Stöhnen von sich und blinzelte, öffnete seine unglaublich hellen Augen. Er schien verwirrt, als wisse er Nichts davon, was gerade geschehen war.
Erst jetzt bemerkte ich, dass es wieder in meiner Brust, genau an an der Stelle, wo sich der Sola Plexus befand, zu kribbeln begonnen hatte.
Oder um besser zu sagen: es hatte begonnen schmerzhaft zu pochen, wie bei einer Wunde, die gerade verheilte.
Mrs Frostknight fuhr das Mädchen, dass immer noch schrie- wie konnte man bloß einen so langen Atem haben?- an, sie solle gefälligst leise sein, dann wandte sie sich mit kaltem Blick mir zu.
Und damit meine ich einen wirklich kalten Blick, der selbst für ein Winterkind übertrieben eisig war.
Wie als könne sie mich mit ihren bloßen Augen in eine Schneestatue verwandeln, schoss es mir durch den Kopf.
"Fury", ihre Stimme klang hart, als bemühe sie sich, diese nicht beben zu lassen, "Gehen Sie zu der Schulleitung! Sofort!"
~~~
Das Büro der Schulleitung befand sich hinter einem Gewirr aus Gängen auf der Westseite des Hauses.
Als ich an der Tür aus massiven Eichenholz klopfte, hatte ich das Gefühl, mein Herz rutsche gerade ohne große Umstände durch den Boden hindurch in Richtung Hölle.
Es war sicherlich kein besonders gutes Zeichen, dass ich eine dunkle Aura, düsterer als die Nacht, besaß.
Was hatte ich nochmal über die Auren gehört?
Dass Domitor mit dunklen Auren eher zu bösen Taten verfielen als Domitoren, die hell und rein waren?
Rein und Hell.
Ich schnitt eine Grimasse und verspürte einen Würgereiz.
Mir kamen zahlreiche Geschichten in den Sinn, in denen nur die Reinen und Hellen gut waren und die mit der Dunkelheit in sich drinnen nur positiv gesehen wurden, wenn sie tot waren und somit keinen Ärger mehr machen konnten.
Rein.
Wie das schon klang. Als sei man augenblicklich ein schlechter Mensch, wenn man nicht rein war.
Das Wort widerte mich an und ich beschloss es ab jetzt so weit es ging aus meinem Wortschatz zu streichen.
Ein: "Herein", ließ mich aus meinen Gedanken fahren, ich drückte ohne groß zu überlegen die Türklinke herunter und stolperte in das Büro der Schulleitung.
Ob es ein Direktor oder eine Direktorin war, wusste ich nicht, da ich nie nachgefragt hatte.
Alle hatten die Person, die das Haus der Hekate leitete, bloß die Schulleitung genannt. Keine Andeutung auf irgendein Geschlecht.
Der Raum, in dem ich mich nun befand, war sehr groß und sehr hell.
Die Wand, die parallel zur Tür stand, war die Längsseite und bestand aus Glas, sodass die Sonne hell und strahlend ihre goldenen Finger in den Raum strecken konnte.
Ich musste blinzeln, ehe ich weitere Einzelteile des Schulleiterbüros erkennen konnte.
In den Ecken befanden sich schwere, weinrote Samtvorhänge, welche vom Boden bis zur Decke reichten und sicherlich dafür gedacht waren, an besonders sonnigen Tagen die Glaswand weitestgehend zu zudecken.
An den Wänden standen Bücherregale aus dunklem Holz, welche bloß mit gähnender Leere gefüllt waren.
Ich runzelte die Stirn.
Okay, das war seltsam.
In der Mitte des Raumes stand ein gut fünf Meter langer und zwei Meter breiter Schreibtisch aus schwarzem Marmor und hinter diesem Schreibtisch standen zwei Drehstühle, beide besetzt.
Auf ihnen saßen -mir klappte beinahe die Kinnlade herunter- zwei Kinder.
Vielleicht gerade mal sechs Jahre alt.
Ihre Augen waren milchig weiß und ihre Haare golden gelockt wie die von Engeln.
Ein Junge und ein Mädchen.
In Anzug und Kleid, wie man sie immer auf diesen kitschigen Kinder-Hochzeitshows im Fernsehen sah.
Die Kinder hatten herrschaftlich die kurzen Ärmchen so gut es eben ging auf die Lehnen ihrer Drehstühlen gelegt und sahen mich direkt an, als würden sie nicht blind sein, sondern sehen können wie ein Raubvögel.
Vermutlich hatte ich durch mein Stolpern genügend Lärm erzeugt, sodass sie ohne große Mühe wussten, wo ich stand.
"Carol Fury", der Junge war der Erste, der sprach und ich zuckte beim klang seiner alten und kratzigen Stimme zusammen.
Kurz überlegte ich, ob ich einen Hofknicks versuchen sollte, da mich das Auftreten dieser Kinder irgendwie an das von Königen aus zahlreichen Mittelalterfilmen erinnerte, aber das hätte sicherlich genauso katastrophal wie mein Raumbetreten geendet, also unterließ ich es.
"Ja?",meine Stimme zitterte leicht und ich verfluchte mich selber.
Man! Das waren doch nur Kinder! Kleine Kinder, welche ich sicherlich mühelos gleichzeitig hochheben konnte.
Das waren keine alten Könige oder was weiß ich.
Das waren bloß sechsjährige-
"Sehr respektvoll bist du aber nicht gerade", die Stimme des Mädchens klang genauso alt wie die des Jungen und dies beunruhigte mich immer mehr, "Wir sehen vielleicht jung aus, aber das Äußere täuscht oft."
Am liebsten hätte ich gefragt, wie alt sie tatsächlich seien, aber ich biss mir auf die Zunge.
Jetzt bloß keine Fehler machen!
Das war schließlich die Schulleitung und die konnte mich schwubbsdiewubbs aus diesem Haus werfen.
Und Gedankenlesen sicherlich auch, wenn ich das Kommentar des Mädchens richtig deutete und sie meine Reaktion nicht von meiner Stimme abgelesen hatte. Sehen konnte sie schließlich nicht.
Also auf keinen Fall denken!
Die Kinder kicherten.
Jap, sie konnten ganz sicher Gedanken lesen!
Ich presste die Lippen aufeinander, als würde das verhindern, dass meine Gedanken rasten.
Das Kichern der Kinder wurde lauter zu einem richtigen Lachen, sodass mir das Blut in den Kopf schoss und langsam aber sicher Wut in mir zu kochen begann.
"Hört auf!", zischte ich und versuchte wieder eine möglichst normale Gesichtsfarbe zu bekommen.
Vergeblich.
Dann begann es auch wieder in mir zu kribbeln, wieder zu pochen und ich verfluchte mich.
Sofort verstummten die Kinder und ihre milchigen Augen wurden ernst, soweit blinde Augen eben ernst werden können.
"Carol Fury", sagte der Junge wieder und beim Klang seiner so alten Stimme fuhr mir ein Schauer über den Rücken, "Wir sind die Schulleitung von diesem Haus der Hekate."
Ich schwieg.
Das hatte ich mir irgendwie von ihrem Verhalten und der Tatsache, dass sie die einzigen Personen außer mir in diesem Raum hier waren, her gedacht. Wirklich eine nützliche Information. Ich war doch nicht hohl wie Kate oder Bethany Smith!
Ups. Meine Gedanken!
Das Mädchen runzelte die Stirn und ich sah, wie ihre kleinen, pummeligen Finger zuckten, als unterdrücke sie den Drang, mir das Genick zu brechen.
Ich presste die Lippen fest aufeinander, sodass ich das Gefühl bekam, dass ich jeden Tropfen Blut aus ihnen hinaus drückte.
"Wir sehen alles", der Junge ignorierte gekonnt die Reaktion des Mädchens, hatte sie aber ganz sicher mitbekommen, "Wir sehen alles, was in der Schule geschieht."
Alles? Herrgott auch die Toiletten und die Schlafzimmer?
Ich entspannte meine Lippen wieder und sah, wie das Mädchen nun leicht grinste.
Anscheinend schon. Stalker.
Das Grinsen wurde nur noch breiter.
Ähm ja. Irgendwie hatte dieses Mädchen extreme Stimmungsschwankungen.
Das Grinsen erkaltete schlagartig.
Wie gesagt.
Diesmal lächelte der Junge. Liebevoll, wie ein stolzer Großvater seine Enkeltochter anlächeln würde -wenn das bei einem Sechsjährigen irgendwie ging-, ehe er fortfuhr: "Wir haben also auch den Vorfall in deiner Klasse mitbekommen. Den Vorfall mit Joseph. Nicht den mit Cilian natürlich."
Ich starrte ihn an. Meine Wangen wurden nur noch röter.
Klar, wenn er alles an dieser Schule sah, dann hatte er sicherlich auch mein Gespräch mit Prince Charming mitbekommen, aber was interessierte ihn das überhaupt? Wieso musste er Idioten-Cilian erwähnen?
"Weil es sehr amüsant war", sprach das Mädchen und es dauerte, bis ich begriff, dass sie Cilian meinte.
Verdammte Gedankenleser!
"Schön", presste ich also zwischen zusammengebissenen Zähnen hinzu, "Und was ist? Wollt ihr mich nun wegen der Sache mit Joseph als Hexe verbrennen?"
"Wegen deiner dunklen Aura?", fragte der Junge und zog die Brauen in die Höhe.
"Nachtschwarz", verbesserte das Mädchen ihn und das Kribbeln in mir wurde nur noch stärker und drängte nur so danach, endlich freigelassen zu werden, "Düster, dunkel."
Danke, dass sie mich an Josephs Worte erinnerte!
Das machte es jetzt auch nicht leichter!
"Wie auch immer", lenkte der Junge meine Aufmerksamkeit wieder auf sich, "Wir haben es wie gesagt mitbekommen und auch wenn vielleicht viele Schüler und Lehrer nun glauben werden, du seist die absolute Teufelsbrut, so kann ich dir sagen, dass wir das nicht glauben.
Auren und Seelen zeigen nur die Richtungen an, in die der Domitor theoretisch gehen könnte. Ob er gut oder böse ist, sagt das jedoch noch lange nicht aus und da du die Tochter einer so bedeutenden Frau bist,"- ich war irgendwie froh, dass er nicht den Namen meiner Mutter nannte- "möchten wir dich weiterhin wie jeden anderen Schüler und Domitor schätzen. Es könnte nur sein, dass dich die Lehrkräfte besser im Auge behalten und dass Anfangs der Eine oder Andere misstrauisch dir gegenüber ist, aber das wird sich legen.
Beweise, dass die dunkle Aura nicht dein wahres Ich ist und dass du weder dem Bösen verfällst noch ungute Gedanken hegst."
Und was wäre, wenn ich nicht die Tochter meiner Mutter wäre? Würden sie mich dann verstoßen?
"Natürlich nicht", das Mädchen schüttelte den Kopf, "Aber wir glauben, dass du sehr mächtig sein wirst und deswegen ist es unsere Pflicht, dich auf dem richtigen Weg zu halten. Egal, wie dunkel deine Aura und deine Seele ist, sie sind noch unbefleckt und solange das so bleibt, ist alles gut."
"Ich darf also keine Menschen umbringen?", ich zog eine Augenbraue in die Höhe und fügte dann mit dramatischer Stimme hinzu, "Meine Seele mit unschuldigen Blut besudeln?"
Natürlich hatte ich das nicht vor, es war mir einfach so herausgerutscht, ehe ich genauer überlegen konnte.
"Du darfst das nicht tun, was man unter böse versteht", erwiderte das Mädchen knapp.
Und was passierte, wenn ich mich nicht daran hielt?
"Wir werden sehen, was wir mit dir machen, wenn du versagst", der Junge sah mich abschätzend an, "Aber ich denke, du weißt genau, was dann geschehen wird."
Das Mädchen machte ein ekelhaftes Knack-Geräusch mit ihrem Hals, sodass mir übel wurde, dann schwangen die Drehstühle der Kinder herum und ich war entlassen.
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