Furchtlos
Es ist Nacht. Tiefschwarze Nacht liegt über der Straße. Die Dunkelheit würde es jedem schwer machen etwas zu erkennen. Das es auch noch neblig ist, hilft nicht das Gelände um einen herum sichtbarer zu machen. Kein Licht ist zu erkennen, keine Straßenlampe zu sehen. Die ruhige Nacht wird nur durch vereinzelte Geräusche unterbrochen: Die Kirchturmuhr läutet, es ist 23 Uhr. In der Ferne hört man das Jaulen eines Hundes und kurz darauf das Geräusch einer erschrockenen Katze. Sonst ist alles ruhig und unsichtbar auf der geteerten Straße.
Sicherlich ist es nicht der geeignete Ort für die junge Emily. Ein Rotschopf von zehn Jahren in ihrem dunkelgrünen Kleid, welches bei dieser Dunkelheit kaum zu erkennen ist. Aber sie hat keine Angst. Mit sich trägt sie ihren kühnen Freund Mr. Schnuffel, einen pinken Stoffhasen, den ihr ihre Oma vermacht hat. Unvorsichtig und hopsend bewegt sich das Mädchen entlang der Straße, die Stille gebrochen durch ihr fröhliches Summen des Kirchenliedes ihrer Gemeinde. Ihre sorgfältig geflochtenen Zöpfe schwingen mit jedem Schritt, den sie macht, mit, genau wie die schlaffen Ohren von Mr. Schnuffel.
Emily scheint furchtlos. Sie ist auf dem Weg nach Hause, nachdem sie bei ihrer Großmutter war. Sie biegt um die Ecke in eine weitere finstere Gasse hinein, als sie plötzlich ein drohendes Knurren hinter sich hört. Doch Emily hat keine Angst. Sicherlich hat der Dackel von Mrs. Camperfield, eine alte Dame, die hier im Erdgeschoss lebt, nur mal wieder einen Schnupfen. Emily hüpft weiter. Fröhlich. Unbeschwert. Plötzlich stößt sie gegen etwas Hartes und stürzt zu Boden.Mr. Schnuffel fliegt ihr aus der Hand und landet in einer Pfütze. Emily fällt hin und schlägt sich ihr Knie blutig. Dann ist der Hund über ihr. Geifer tropft von seinem Maul auf ihre Stirn. Die großen Pfoten drücken sie zu Boden und die Krallen bohren sich in ihre Schultern.
Emily lacht. War sie auch erst überrascht, nun lacht sie, als sie den großen Bernhadiner ihrer Eltern erkennt. Schon beginnt Teddy ihr Gesicht abzuschlecken. Immer noch lachend steht sie auf und begrüßt ihn. Dann erst fragt sie sich, wo er plötzlich her kommt, denn bis nach Hause ist es noch immer ein ganzes Stück. Ratlos schaut sie sich um, aber niemand ist zu sehen. Sie bückt sich und hebt Mr. Schnuffel auf. Doch plötzlich stockt sie. Die Stolperfalle taucht in ihrem Gesichtsfeld auf und Emily erkennt menschliche Konturen. Das Gesicht ist nicht zu erkennen, denn es zeigt nach unten. Die Arme sind nach rechts und links ausgestreckt und die Beine sind ein wüster Knäuel weiter unten. Voller Furcht schaut sie zwischen Teddy und dem Mensch hin und her. Hat ihr Vater sie mit Teddy gesucht? Sie sollte schließlich schon vor Stunden zu Hause sein. Noch einmal beugt sie sich nach unten. Die Ungewissheit ist unerträglich. Mit einem Ruck dreht sie den Mann auf den Rücken. Zischend verlässt der angehaltene Atem Emilys kleinen Körper. Erleichtert lehnt sie sich nach hinten. Es ist nicht ihr Vater. Niemand den sie kennt, aber er hat Teddys Leine in der Hand. Da Emily den Mann weder aufwecken noch tragen kann, legt sie nur ihr Jäckchen über ihn und läuft nach Hause.
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