35
»Felix«, hörte ich eine Stimme neben mir flüstern, »Wir sind jetzt da.« Ich schlug die Augen auf und sah in die Augen, eines strahlenden Sebastians. Müde rekelte ich mich auf meinem Sitz und wollte Sebastian einen Kuss auf die Wange geben, doch er zuckte zurück. Etwas verwirrt sah ich ihn an und er deutete mit dem Kopf hinter mich. Mein Blick schweifte in die Richtung und dort saß jemand. Etwas gekränkt war ich ja, aber ich konnte ihn nachvollziehen. Ist ja wirklich etwas anderes in der Öffentlichkeit.
Nach ein paar Minuten kam unser Zug am Münchener Hauptbahnhof an. Wir zwei stiegen gemeinsam aus und ich ließ den Blick über die Leute schweifen und da sah ich sie, meine Schwester. Schnell drückte ich Sebastian meine Tasche in die Hand und lief auf Alina zu. Sie lächelte mich an und öffnete ihre Arme. Ich drückte sie an mich und sie erwiderte meine Geste. »Ich hab' dich vermisst«, nuschelte ich gegen ihre Haare. Sie lachte und murmelte: »Ich dich auch Felix, ich dich auch.« Langsam lösten wir uns wieder voneinander und Alina musterte Sebastian lächelnd: »Und du bist also Sebastian.« »Der bin ich«, bestätigte er ihre Feststellung. »Ich würde dir ja jetzt meine Hand geben, allerdings hast du ja keine frei, deswegen tun wir jetzt so, als ob ich das getan hätte.« Sebastian nickte schmunzelnd.
»Wo ist denn Philipp?«, erkundigte ich mich, während wir zu dem Auto meiner Schwester gingen. »Nicht alle Leute haben am Wochenende frei«, war ihre Antwort. »Ähm, wer ist Philipp?« Sebastian sah uns beide verwirrt an. Ich musst lachen und meine Schwester nahm mir das Reden ab: »Er dacht dir noch nicht von Philipp erzählt? Das ist ja fast schon ein Verrat.« Sie tat entrüstet. »Philipp ist mein langwieriger Freund. Von deinem Freund auch als Bruder angesehen, weil er ihn kennt seit er noch in die Windeln gemacht hat.« Ein verstehendes Brummen kam aus Sebastians Richtung, was mich wiederrum zum Lachen brachte. »Was hast du denn gefrühstückt? Kichererbsen?« Belustigt wurde ich von meinen zwei Begleitern angeschaut. Ich konnte nicht aufhören und bekam langsam Bauchschmerzen davon. Nett, wie er war, übernahm Sebastian das Antworten für mich: »Na ja, er hat... Gar nichts gegessen, aber Kaffee getrunken. Oh, das könnte eine Erklärung sein.« Meine Schwester sah mich verstört an und murmelte: »Wenn du bei Alkohol auch so wenig verträgst, hast du ganz schön verschissen.« Daraufhin stiegen Sebastian und Alina in mein Lachen ein. Es war einfach diese Stimmung, die mich so unbekümmert sein ließ. Das Wissen, dass niemand kommen würde und mir sagen würde, ich hätte härter zu trainieren, oder, ich solle doch mehr für die Schule tun. Ich war hier mit zwei Menschen, die mir wahnsinnig wichtig waren, und niemand würde uns stören.
»Willkommen in meiner kleinen aber feinen Wohnung, fühlt euch wie zu Hause. Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und ließ mich auf die Couch fallen uns breitete mich aus. Ein Knurren meines Magens verriet, dass ich wohl bald etwas essen sollte. Das hatte ich auf der Bahnfahrt ganz vergessen. »Gut, dass ich daran gedacht habe und meine Kochkünste zum Besten gegeben habe.« Alina verschwand in ihrer Küche und gleichdarauf kam sie mit einem Topf voll mit Spagetti Bolognese wieder. »Ich hätte ja auch etwas anderes gemacht, aber Philipps Liebe zu diesem Essen hat das nicht zugelassen«, entschuldigte sie sich. »Du hast keine Kroketten gemacht? Das verletzt mich jetzt aber schon ein wenig«, gespielt trotzig verschränkte ich meine Arme vor meiner Brust. Es war ein unausgesprochenes Gesetz, dass es immer, wenn ich vorbei kam Kroketten gab. Es war nicht wirklich etwas Besonderes, aber diese kleinen Kartoffel-Dinger hatten es mir schon als kleines Kind angetan.
»Guck mal in den Backofen«, schmunzelte sie, »Ich hab' halt nur zwei Hände. Ach ja, bring direkt Teller mit und du Se...« Den Rest bekam ich nicht mehr mit, denn ich war sofort in den kleinen Raum, der fast schon zu klein war, um eine Küche zu sein, verschwunden und tatsächlich hatte sie Kroketten im Ofen.
Nachdem der Tisch gedeckt war und wir alle Essen genommen hatten, fing meine Schwester an Sebastian auszufragen: »Fangen wir mal an, da ich am Mittwoch ja unterbrochen wurde, müssen wir das jetzt nachholen. Also fangen wir einfach an: Was sind deine Hobbies?«
»Ähm, im Moment mache ich da nichts. Hat sich nicht ergeben seit ich in Stolberg wohne. In Hamburg habe ich allerdings Basketball gespielt und ja.« Überrascht sah ihn meine Schwester an. »Du bist gar kein Ursprungs Stolberger?« »Ne, ich bin vor ungefähr einem Jahr nach hier gezogen.« »Aha, na ja. Ich schätze Hamburg ist besser als das kleine Kaff.« Er lächelte nur: »Mir gefällt es jetzt besser.« »Was gefällt dir denn besser? In Stolberg ist alles so klein und so schwer mit dem Bus zu erreichen.« Meine Schwester sah ihn irritiert an. Er fing bloß wieder an am Bund seines Pullis zu spielen. »Ähm, wir können doch auch... über was anderes reden, oder?« Super gemacht, Felix. Ich schlug mir innerlich gegen die Stirn. Ich hatte es noch nie geschafft einen so schlechten Themenwechsel hinzulegen. Applaus.
Meine Schwester wirkte verwirrt, doch Sebastian sah mich erleichtert an. Ich wusste zwar nicht, warum er nicht darüber reden wollte, aber es sollte ihm gut gehen.
»Ok, ich hab' genug Fragen. Also: Wie habt ihr euch kennen gelernt?«, sie versuchte die Stimmung aufzulockern, doch diesmal verschluckte ich mich an meinem Essen. »Also, wenn Felix bereit ist, das zu erzählen«, er musterte mich lächelnd von der Seite. Unter Husten brachte ich hervor: »Du erzählst, so eine Peinlichkeit hau ich nicht selber raus.« Meine Schwester sah nun Sebastian interessiert an. Sie wollte wissen, ob sie sich über mich lustig machen dürfte oder nicht.
»Also, ich bin so abends gegen 1 Uhr unterwegs gewesen, weil ich nicht schlafen konnte und ich bin so durch den Wald geschlendert, da höre ich so schreie. Also keine Worte, sondern einfach nur ein lauter Ton.« Bei jedem Wort, das aus seinem Mund kam, sackte ich noch etwas mehr zusammen. Das war schon echt peinlich. »Also bin ich in die Richtung gegangen und na ja, es hat halt aufgehört, aber man hörte noch ein ersticktes Schluchzen. Ich bin da also hin und dann saß er da und er sah schon echt knuffig aus, aber das ist eine andere Sache. Ich hab' dann versucht ihn zu beruhigen und das hat tatsächlich geklappt, aber weil ich ihn nicht einfach da alleine lassen wollte, habe ich ihn mit zu mir genommen und auf dem Weg hat er sich richtig an mich geklammert. Ja, so haben wir uns kennen gelernt.« Mein Kopf hatte mittlerweile die Farbe eines Stopp-Schilts angenommen. Alina sah von ihm zu mir und wieder zurück. »Danke, Sebastian«, sagte sie ernster, als ich erwartet hatte, »Du hättest mich anrufen können, das weißt du, oder?« Es klang vorwurfsvoll. Ich nickte nur und wich ihrem Blick aus. »Warum warst du da?«, wollte sie nun wissen. »Das würde mich tatsächlich auch interessieren«, warf Sebastian ein. Beide ernteten einen bösen Blick von mir. »Nicht so wichtig«, zischte ich nur. »Nicht so wichtig, Felix? Du saßt nachts alleine, heulend in einem Wald und sagst, dass das nicht so wichtig ist? Jetzt sag schon«, erwiderte nun sie wütender. Sebastian hielt sich raus. Er wollte mich zu nichts zwingen. Als ich ihr nicht antwortete, sagte sie etwas ruhiger: »Ich will dir doch helfen können, Felix.« Ich sah sie nur an und die Tränen fingen an mir langsam die Wangen runter zu laufen. Überstürzt zog Sebastian mich zu sich und drückte mich an sich. Erleichtert erwiderte ich seine Umarmung. «Hey, Felix», hörte ich die Versuche Alinas mich zu erreichen, aber ich wollte das nicht. Ich wollte bei Sebastian bleiben und mich von ihm beruhigen lassen und das tat ich auch. Er strich über meinen Rücken und ich drückte mich an ihn. Er war einfach toll und eigentlich hätte ich ihn wahrscheinlich nicht verdient, doch er war anscheinend glücklich mit mir und das war alles, was zählte. Wenn er glücklich war, war ich es auch.
Nach ein paar weiteren Minuten löste ich mich langsam von Sebastian. Er drückte noch ermutigend meine Hand, bevor ich mich Alina zu wand. Sie sah verletzt aus und als hätte sie auch mit den Tränen kämpfen müssen. Ich schluckte. «Also, ihr wollt es also unbedingt wissen?», stellte ich die Frage, auf die ich keine zustimmende Antwort bekommen wollte, doch wie erwartet nickte meine Schwester und auch Sebastian gab ein leises ‹ja› von sich. Geknickt sah ich auf den Boden. Wenn ich ihre Gefühle nicht verletzen wollte, musste ich es ihr erzählen. Mir blieb also nichts anderes übrig. «Na ja, ihr kennt doch diese Momente, wenn einem alles zu viel wird, oder? Das war halt so ein Abend und weil ich es wahnsinnig unangenehm finde von Mama oder Papa entdeckt zu werden, habe ich halt das Haus verlassen.» Alina sah noch nicht befriedigt aus und das war sie anscheinend auch nicht. «Und was genau wurde dir zu viel?», hakte sie weiter nach. «An dem Tag war Hannes bei mir und wir haben über was geredet, bzw. hat er mir etwas klargemacht, was mich eben beschäftigt hat.» Ich schaute die ganze Zeit auf meine Hände. Hoffentlich war meine Schwester mit dieser Aussage zufrieden. Es war mir unangenehm über meine Gefühle zu sprechen. «Jetzt hör doch auf um den heißen Brei herum zu reden. Wir werden mit Sicherheit nicht laut loslachen.» «Man, ich war einfach scheiße sauer auf mich selbst», rief ich gereizt. «Ich war sauer, dass ich immer perfekt sein will, dass ich nicht einfach leben kann wie ein normaler 15-jähriger, dass ich nicht bin wie Hannes, dass ich eben einfach nicht machen, was ich will, sondern das, was von mir erwartet wird. Und außerdem habe ich Sebastian vermisst.» Gegen Ende wurde ich immer leiser. Der letzte Satz war nur noch ein Flüstern. Alina sah mich leicht lächelnd an. «Warte mal kurz. Wir kannten uns doch noch gar nicht», meldete sich Sebastian neben mir zu Wort. «Hast du es immer noch nicht gecheckt? Ich war in dich verknallt, seit wir uns das erste Mal gesehen haben. In der Schwimmhalle. Und dann warst du einfach verschwunden. Ich konnte dich ja noch nicht einmal heimlich anhimmeln. Ich habe dich einfach nur jeden Tag auf dem Schulhof gesucht und du warst einfach weg. Für sechs Monate. Was meinst du, warum ich einfach so mit dir mit gegangen bin? So viel kriege ich auch noch hin, dass man nicht mit fremden Leuten mitgeht. Aber ich habe dich eben einfach vermisst wie ich noch nie jemanden vermisst habe. Was meinst du warum ich, als du zu mir gekommen bist, gesagt habe: ‹Lass mich nie wieder allein.›? Zu einem Fremden hätte ich das mit Sicherheit nicht gesagt.»
Sebastian sah mich die ganze Zeit an und nahm dann ohne auf meine Schwester zu achten mein Gesicht in seine Hände. «Weißt du eigentlich wie sehr ich dich eigentlich liebe?» Mit diesen Worten vereinte er unsere Lippen. Ein Feuerwerk der Gefühle brach in mir aus. Es war stärker als bei unseren bisherigen Küssen. Zu dem Fakt, dass Sebastian mir so nah sein wollte kam auch, dass er mir gerade seine Liebe gestanden hatte. Er hatte zum ersten Mal gesagt, dass er mich liebt. Ich hatte es zwar schon gewusst, aber es war etwas anderes es von ihm bestätigt zu bekommen.
Nach einem unendlich scheinenden Moment lösten wir uns voneinander. «Ihr seid ein wahnsinnig süßes Paar. Ich wünsche euch so sehr, dass ihr für Immer zusammen bleibt. Ich hätte mir wirklich niemand anderen vorstellen können, der besser zu dir passt, Felix», sprach Alina und sie meinte es ernst. Das sah ich ihr an und dafür war ich ihr einfach unglaublich dankbar.
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