Prolog
Der Mann stieg an der nächsten Haltestelle aus der S-Bahn aus. Der anhaltende Regen durchnässte innerhalb weniger Sekunden seinen Mantel und er wollte nur noch nach Hause. Während er durch die kleinen verregneten Gassen Berlins eilte, überlegte er, wie er es seiner Tochter möglichst schonend beibringen könnte. Er würde mit seiner Tochter reden müssen. Nur, wie würde sie die Nachricht aufnehmen? Was, wenn... Bevor er seine Gedanken zu Ende bringen konnte, war er auch schon an dem großen Mehrfamilienhaus angekommen, in dem er mit seiner Tochter wohnte. Er atmete tief durch, dann schloss er die Tür zum Treppenhaus und anschließend die Haustür auf. Eine vertraute Stimme rief ihm entgegen. „Papa? Hast du was zu Essen mitgebracht? Ich hab tierisch Hunger!" Trotz der ernsten Situation schlich sich ein kleines Lächeln in sein Gesicht. „Hallo Joey, ich bin's! Ich fange gleich an zu kochen!" Er nahm seinen triefenden Mantel und hing ihn zum Trocknen über die Heizung, bevor er sich in die Küche begab, um das Abendessen vorzubereiten.
Zwanzig Minuten später deckte er den Tisch für zwei Personen. „Joey, Essen!" „Ich komme, Papa!" Ein paar Sekunden später saß sie schon am Tisch. „Mmh, lecker! Spaghetti Bolognese!" Sie schaufelte sich eine große Portion auf den Teller und streute reichlich Käse darüber. Auch ihr Vater nahm sich eine Portion. Nachdem sie eine Weile schweigend gegessen hatten, begann er das Gespräch. „Na, wie war die Schule?" „Ziemlich langweilig. Wir haben in der 2. Stunde unseren Mathetest von letzter Woche zurückbekommen. Ich mein, ich hatte 'ne 1- aber Angi hat den Test irgendwie versaut, denn am Ende kam 'ne 5 raus. Ich musste sie dann die ganze Pause und die nächsten Stunden mit ihrem Geheule ertragen und sie trösten. Naja, sie kommt schon drüber weg. Und wie war es bei dir auf der Arbeit so?" Joeys Vater schaute ins Leere. „Ganz gut" erwiderte er. Angi- schoss ihm durch den Kopf- das war Joeys Beste Freundin. Doch wie lange das wohl noch so bleiben würde?... „Papa! Was ist denn heute los mit dir? Du bist schon die ganze Zeit so abwesend!" Ihr Vater räusperte sich „Du hast ja Recht, Joey. Wir müssen reden." Joey sah ihren Vater schweigend an. Der holte tief Luft und begann: „Seit Mamas ... Tod gab es keine Nacht mehr, in der ich ruhig schlafen konnte, ohne mindestens einmal schweißgebadet aus einem Traum aufgewacht zu sein... Die Sache ist die, hier in Berlin gibt es einfach zu viele Dinge die mich an deine Mutter erinnern. Und das macht es mir nicht gerade leicht." „Ich weiß, Papa. Ich merke das doch auch. Aber was willst du mir damit sagen?" „Ich will Dir damit sagen," er machte eine kurze Pause, „dass wir ausziehen werden. Weit weg von Berlin, wo mich nicht jede Ecke an sie erinnert." Jetzt war es raus. Gespannt wartete er auf die Reaktion seiner Tochter. Zuerst saß sie einfach nur mit offenem Mund da. Dann gewann sie ihre Fassung wieder. „Aber Papa! Das kannst du doch nicht machen!" Ihr Vater hatte mit so einer Reaktion gerechnet. „Hör zu, Joey. Ich kann es verstehen, dass dir das nicht gefällt. Und es tut mir auch weh, dass ich dich da mit reinziehen muss. Aber es geht einfach nicht anders." „Papa, ich habe meine ganze Kindheit hier verbracht! Hier habe ich alle meine Freunde! Willst du, dass die Freundschaft zwischen Angi und mir einfach so zerbricht?!" Sie war richtig laut geworden. In ihren Augenwinkeln blitzten Tränen auf. „Nein, natürlich will ich das nicht! Und ihr könnt euren Kontakt doch immer noch aufrechterhalten. Mit WhatsApp und so. Aber du sagst doch selbst immer, du willst mich nicht so leiden sehen! Komm, bitte, Joey! Tu's für mich! Wir werden in ein großes Haus ziehen und du wirst an deiner neuen Schule mit Sicherheit neue Freunde kennenlernen!" Ihr Vater sah sie flehend an. Sie war hin- und hergerissen. „Lass mich bitte in Ruhe über alles nachdenkenJ, okay?" Mit diesen Worten stand sie vom Esstisch auf. Sie blinzelte heftig und verschwand in ihr Zimmer, während ihr Vater ihr mit hilflosem Blick hinterher sah.
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