Ein Gefühl der Erleichterung strömt durch meinen Körper, als Duke von seinem Baumstamm aufsteht und Liana an der Hand auf die Terrasse führt. Um ehrlich zu sein hätte ich den Blick seiner grauen Sturmaugen vermutlich auch nicht länger ertragen können, ohne dabei wie ein Kartenhaus in mir zusammenzufallen.
Ich kann mir selbst nicht erklären, warum meine Gefühle in Dukes Anwesenheit Achterbahn fahren, doch Fakt ist, dass mich noch nie zuvor ein Mann so sehr im Herzen berührt hat, wie er.
Wenn es die Liebe auf den ersten Blick tatsächlich geben sollte, dann bin ich mir sicher, dass ich sie gerade am eigenen Leib erfahre.
„Worauf wartest du noch, Harly?", reißt mich Kaylee mit ihrer fröhlichen Stimme in die Realität zurück. „Sonst bist du doch die Erste, die auf die Tanzfläche stürmt ..."
Ich seufze unzufrieden.
Normalerweise liebe ich es, mich zum Takt der Musik zu bewegen, aber der Anblick von Liana und Duke, die eng umschlungen ihre Körper aneinander reiben, lässt das Feuer der Leidenschaft in meinem Herzen zu Asche verbrennen.
Ich muss mich unbedingt von Duke fernhalten und versuchen, meine Gefühle für ihn abzuschalten.
Eigentlich ist es doch gar nicht möglich, sich in einen Menschen zu verlieben, den man gar nicht kennt, oder?
Bei Valentin hat es sehr viel Zeit gekostet, bis ich romantische Gefühle für ihn entwickelt habe. Fast drei Monate lang sind wir regelmäßig auf Dates gegangen und sind uns somit Stück für Stück nähergekommen. Erst als ich mir sicher war, Valentin wie ein offenes Buch lesen zu können, habe ich mich bei ihm fallen gelassen und meine Emotionen nicht mehr hinter meterhohen Mauern versteckt.
Warum zum Teufel ist es bei Duke anders? Wenn ich könnte, würde ich ihm sofort mein Herz offenlegen.
Ist es vielleicht nur sein Aussehen, das mich aktuell um den Verstand bringt?
Bevor ich noch tiefer in den Fluten meiner Gedanken ertrinken kann, schaue ich in Kaylees rehbraune Augen und antworte ihr schließlich: „Ich lasse Liana und ihrem Duke ausnahmsweise mal den Vortritt. Die Tanzfläche kann auch ohne mich auskommen."
Innerlich hoffe ich, dass Kaylee meine Ausrede akzeptiert, aber natürlich tut sie das nicht.
„So ein Quatsch", murmelt sie kopfschüttelnd. „Komm mit, Harly! Auf der Tanzfläche ist es ohne dich nicht dasselbe!"
„Aber Ariella-", setze ich verzweifelt an.
„Hör auf, Ari als Vorwand zu nutzen, um hierzubleiben. Keine Ahnung, was heute mit dir los ist, aber das Tanzen lenkt dich bestimmt ab." Das ist alles, was Kaylee sagt, ehe sie sich meine Hand schnappt und mich in Richtung Terrasse zieht.
Je lauter die Musik wird, umso öfter vibrieren Stromstöße des Unbehagens durch meine Venen.
Liana und Duke tanzen noch immer eng umschlungen auf ihrer Wolke Sieben. Ihre Lippen krachen ständig aufeinander und sind ein Spiegelbild ihrer Hände, die beinahe durchgängig auf Wanderschaft gehen.
Marley und Rocco haben sich mittlerweile ebenfalls auf die provisorische Tanzfläche gewagt. Im Gegensatz zu Liana und Duke halten sie aber genügend Abstand und tauschen keine Körperflüssigkeiten miteinander aus.
„Jetzt mach dich mal locker, Harly!", brüllt mir Kaylee über den wummernden Bass zu. „So angespannt kenne ich dich gar nicht. Brauchst du noch ein Bier?"
Sofort schüttele ich den Kopf, denn wenn ich zu viel Alkohol trinke, werde ich schnell sehr sentimental. Dann kann sich meine Stimmung teilweise alle drei Sekunden ändern.
Da ich Angst davor habe, Duke oder Liana meine Gefühle zu offenbaren, ist es von Vorteil, klar im Kopf zu bleiben.
„Ist ja gut, Kay. Ich versuche, nicht mehr ganz so angespannt zu sein, okay?"
Notgedrungen bewege ich mich zum Takt der Musik, allerdings fühlt sich mein Körper dabei so schwer wie Blei an, weshalb ich bloß von dem einen Fuß auf den anderen hüpfe.
Es ist mir furchtbar unangenehm, dass Duke nur wenige Meter von mir entfernt steht und seine Hände lustvoll über Lianas Kurven streichen lässt. Sein lüsterner Blick verrät, dass er ihr am liebsten die Kleidung vom Leib reißen würde.
Ich muss zugeben, dass ich Liana schon oft für ihr Aussehen bewundert habe, doch jetzt gerade verwandelt sich meine Bewunderung in Eifersucht.
Mit den blonden Locken, den blauen Kulleraugen, den niedlichen Sommersprossen, die über ihre Stupsnase tanzen, und den weiblichen Rundungen sieht sie wie ein Geschöpf des Himmels aus. Alles an Liana ist makellos und perfekt.
An diesem Abend trägt sie ein schwarzes Lederkleid, das ihre Kurven optimal in Szene setzt. Am Dekolleté befindet sich ein Reißverschluss, der so weit geöffnet ist, dass man einen ausgezeichneten Blick auf ihre wohlgeformten Brüste erhaschen kann.
Obwohl es mitten im Sommer ist und die Temperaturen selbst in der Nacht noch an der Zwanzig-Grad-Marke kratzen, trägt sie schwarze Stiefel, die ihr bis knapp über die Knie reichen.
In diesem Outfit könnte Liana auch problemlos auf einer Party aufkreuzen und dort allen männlichen Wesen den Kopf verdrehen.
Liana weiß ganz genau, wie sie ihre weiblichen Reize einsetzen muss. Vielleicht kann sie sich nicht ganz so gut bewegen wie ich, aber trotzdem schafft sie es, auf der Tanzfläche einer griechischen Göttin Konkurrenz zu leisten.
In diesem Moment wünsche ich mir, dass ich mehr wie Liana und weniger wie ich selbst aussehe.
Ob mich Valentin dann vielleicht nicht betrogen hätte?
Liana war schon in sehr vielen Beziehungen. Auch wenn diese nie länger als drei Monate gehalten haben, wurde sie kein einziges Mal betrogen. Immer war Liana diejenige, die die Männer mit einem gebrochenen Herzen in ihren Tränenfluten ertrinken lassen hat.
Der Blitz der Eifersucht weicht aus meinem Körper, als sich plötzlich Duke in mein Sichtfeld schleicht. Seine stahlgrauen Augen funkeln im Schein der Discokugel und verankern sich direkt mit meinem Blick zu einem Feuer der Leidenschaft. Ein freches Grinsen umspielt seine Lippen, als er meine Hand nimmt und mich einmal um meine eigene Achse wirbelt.
Am liebsten würde ich ihn fragen, wo Liana ist, doch das Kribbeln unter meiner Haut hindert mich daran.
Es ist ein unfassbar schönes Gefühl, Dukes weiche Finger zu spüren. Ich weiß, dass es kitschig klingt, aber seine Hand fühlt sich so an, als wäre sie extra nur für mich erschaffen worden.
Innerlich ohrfeige ich mich für diesen Gedankengang.
Wollte ich nicht eigentlich Abstand zu Duke halten?
„Lia hat mir erzählt, dass du eine gute Tänzerin seist", murmelt Duke so leise, dass ich ihn als Einzige verstehen kann. Marley, Rocco und Kaylee, die wild neben uns herumzappeln, schenken uns aber ohnehin keine Beachtung. „Du hast drei Minuten, um für mich zu twerken, bevor Liana von der Toilette zurückkommt. Die Zeit läuft, Harlow, also nutze sie gut!"
Im ersten Moment bin ich so perplex, dass ich Duke mit offenstehendem Mund anstarre.
Ist das sein Ernst? Er möchte, dass ich für ihn twerke, obwohl er eine Freundin hat? Und dann auch noch heimlich?
Langsam verblassen die Schmetterlinge in meinem Magen und machen Platz für einen Tornado des Zorns.
Duke ist gefährlich. Er symbolisiert das Feuer und liebt es, zu spielen. Wenn ich nicht aufpasse, verbrenne ich mich schneller an ihm, als mir lieb ist.
„Ich habe echt keine Ahnung, was du dir hiervon erhoffst, aber ich werde ganz bestimmt nicht für dich twerken!" Zum Glück klingt meine Stimme stark und selbstbewusst. Sie ist das Gegenteil von meinem Herzen, denn dieses schlottert vor lauter Nervosität aufgeregt hin und her.
„Schade", erwidert Duke sofort. „Ich habe gehofft, dich etwas besser kennenzulernen."
„Mich oder meinen Po?"
Dukes Grinsen wird so breit, dass ich befürchte, seine Mundwinkel könnten reißen. Blitze der Lust flackern in seinen grauen Iriden, als er raunt: „Beides. Vor allem aber fasziniert mich deine Art."
Diese wenigen Worte sorgen dafür, dass sich eine Gänsehaut über meinen ganzen Körper zieht. Mein Herzschlag verdoppelt sich, meine Gedanken fahren Achterbahn mit Loopings und ein Erdbeben erschüttert meine Seele.
Am liebsten würde ich Duke glauben, dass er mich als Menschen kennenlernen möchte, aber in Anbetracht der Tatsache, dass er eine Freundin hat, wäre es dumm, dieser Annahme zu folgen.
Für Duke werde ich immer nur das Kuss-Mädchen aus dem Supermarkt bleiben - nicht mehr und nicht weniger.
Apropos Supermarkt ... Ich muss ihn unbedingt darum bitten, unser kleines Geheimnis für sich zu bewahren.
„Hör zu, wir-" Noch bevor ich meinen Satz beenden kann, taucht Liana plötzlich wie aus dem Nichts neben Duke auf. Zum Glück sieht sie fröhlich aus und erdolcht mich nicht mit ihren Blicken.
Vorerst bin ich also in Sicherheit.
„So schnell findest du einen Ersatz für mich?", fragt Liana mit einem Schmollmund an Duke gerichtet. „Na ja, bei Harlow kann ich es dir nicht verübeln. Sie ist eine Granate auf der Tanzfläche!"
„Davon habe ich aber noch nicht sonderlich viel gesehen", entgegnet Duke direkt, während er seinen Arm um Lianas Taille schlingt. Vorsichtig zieht er sie zu sich, um ihr dann einen Kuss auf den Scheitel zu hauchen. „Zeig doch mal, was du draufhast, Harlow", provoziert er mich abschließend mit einem herausfordernden Grinsen.
Schon jetzt verfluche ich Duke dafür, dass er ständig versucht, mich aus der Reserve zu locken. Ich habe keine Lust, auf seine dämlichen Spielchen!
„Ich kann nicht so gut auf leeren Magen tanzen", erfinde ich eine Ausrede. „Außerdem muss man es sich erst verdienen, meine Tanzkünste zu sehen." Mit diesen Worten kehre ich Liana und Duke den Rücken zu und steuere stattdessen das Buffet unter der Glasabdachung an.
Bei den vielen Köstlichkeiten angekommen schnappe ich mir den Pizzateig und nehme diesen mit zum Lagerfeuer, wo Ariella unverändert in eine Decke gehüllt auf ihrem Baumstamm hockt. In ihren Augen, die auf die tanzenden Flammen gerichtet sind, schwimmen Tränen.
Ich weiß, dass Ariella eine sehr emotionale Person ist, doch meistens versteckt sie ihre negativen Gefühle in der Öffentlichkeit hinter Mauern aus Zement.
„Ari?", mache ich besorgt auf mich aufmerksam. „Ist alles okay?"
Erschrocken zuckt Ariella zusammen. Bevor sie ihren Kopf in meine Richtung dreht, wischt sie sich noch schnell mit der Handfläche über die Augen.
„Warum bist du nicht am Tanzen?", weicht mir meine Freundin mit einer Gegenfrage aus.
„Ach, irgendwie habe ich heute keine Lust, zu tanzen", zucke ich mit den Schultern. „Was sagst du zu Stockbrot?"
Ein Schleier der Sehnsucht schiebt sich über Ariellas Pupillen, während ihr Blick zu der Terrasse hinüberwandert. Marley, Rocco, Kaylee, Liana und Duke bewegen sich noch immer ausgelassen zu der Musik und grölen lauthals die Liedtexte mit. Dass sowohl Ariella als auch ich fehlen, scheint ihnen entweder nicht aufzufallen oder es ist ihnen egal.
„Heute ist es nicht dasselbe wie sonst", murmelt Ariella leise, ohne ihre Augen von der Tanzfläche zu lösen. „Ich habe mich wirklich darauf gefreut, Lianas Freund kennenzulernen, aber vielleicht wäre ein anderer Tag dafür besser geeignet gewesen. Unser alljährliches Lagerfeuer war immer unser Ritual, um in die Sommerferien zu starten. Heute fühlt es sich nur wie ein normaler Abend an und nicht wie etwas Besonderes. Wenn Marls und Lia sowieso nur Augen für ihre Freunde haben, hätte ich auch gar nicht kommen müssen."
Ich kann Ariella verstehen. In den vergangenen Jahren haben wir gemeinsam Stockbrot gemacht, uns lustige Geschichten erzählt, zusammen in Erinnerungen geschwelgt und bis spät in die Nacht Karten gespielt.
Dieses Mal ist es anders. Marley klettet an Rocco und auch Liana und Duke sind unzertrennlich. Im Grunde genommen haben sie ein Doppeldate auf der Tanzfläche mit Kaylee als Gast, während Ariella und ich wie zwei verlorene Seelen am Lagerfeuer hocken.
Ich gebe es nicht gerne zu, aber wir alle entwickeln uns weiter und verschieben unsere Prioritäten. Jeder schlägt aktuell seinen eigenen Weg ein und versucht, sich neu zu orientieren.
Die High School ist zu Ende. Jetzt beginnt das richtige Leben.
Es ist naiv, zu denken, dass unsere Freundschaft für immer an oberster Stelle stehen wird. Spätestens, wenn wir alle einen Partner an unserer Seite haben und unsere eigenen Familien gründen, wird sich unsere gemeinsame Zeit minimieren.
Ich kann nur hoffen, dass wir uns nie komplett aus den Augen verlieren werden, denn Marley, Ariella, Kaylee und Liana zählen mit Abstand zu den wichtigsten Menschen in meinem Leben.
„Ich glaube, ich fahre jetzt nach Hause", unterbricht Ariella meine Gedanken, nachdem ich nichts auf ihre vorherigen Aussagen erwidere. „Ich muss morgen früh aufstehen, um weiter mit meinem Cousin Französisch zu lernen. Wie es aussieht, verpasse ich hier eh nichts Wichtiges."
„Also kein Stockbrot?", frage ich Ariella mit traurigem Unterton in der Stimme.
Tief in mir schlummert die Hoffnung, dass dieser Abend doch noch ein voller Erfolg werden könnte, allerdings bezweifele ich, dass sich das Schicksal ausnahmsweise mal auf meine Seite schlagen würde.
Ich muss einsehen, dass meine Erwartungen enttäuscht wurden - genauso wie die von Ariella.
„Nein, kein Stockbrot", bestätigt meine beste Freundin. Kaum werden ihre Worte vom Knistern des Feuers verschlungen, erhebt sie sich von dem Baumstamm und hängt sich ihre Handtasche über die Schulter. Ein deprimierter Ausdruck verschleiert ihre Augen, als sie mich fragt: „Soll ich mich noch von den anderen verabschieden oder haben sie sowieso keine Zeit für mich?"
Die Verletzlichkeit, die in Ariellas Stimme mitschwingt, zerreißt mir das Herz. Es tut mir furchtbar leid, dass sie sich so unwohl fühlt und schon nach knapp zwei Stunden wieder aufbrechen möchte.
Seit wir zur Schule gehen, hat Ariella kaum eine freie Minute für sich. Ständig steht sie unter dem Leistungsdruck ihrer Eltern und versucht, die perfekte Vorzeigetochter zu sein.
Abende wie diese sind ihre einzige Chance, zumindest für ein paar Stunden ein normaler Teenager zu sein. Ich kann nicht zulassen, dass ihr diese Chance kaputtgemacht wird!
„Weißt du was?" Ich schaue Ariella entschlossen an. „Wir verabschieden uns schnell und fahren dann noch zum Hafen, okay? Da ist heute Abend Fischmarkt. Ich glaube sogar, dass dort auch eine Newcomer Band spielt."
Als würden meine Worte Wunder bewirken, kämpft sich ein Strahlen zurück in Ariellas Augen. Außerdem zupft ein sanftes Lächeln an ihren Mundwinkeln.
„Wirklich?", hakt sie ungläubig nach. „Du kannst aber gerne noch bleiben, wenn du möchtest, Harly. Ich möchte dir nicht den Abend verderben."
Ein Blick zu Duke und Liana, die sich gegenseitig auffressen, genügt, um zu wissen, dass ich hier nichts mehr verloren habe. Etwas Abstand zu Duke hilft mir hoffentlich dabei, meine Gefühle zu ordnen und bestenfalls auszuschalten.
„Lass uns gehen, Ari!"
Gemeinsam mit Ariella schlendere ich auf die Terrasse. Dort versuchen wir uns irgendwie zu verabschieden, doch weder Marley und Rocco noch Kaylee und Liana lenken ihre Aufmerksamkeit auf uns. Sie sind so sehr in ihrem Element, dass sie nur noch die Musik wahrnehmen können.
Der Einzige, der uns bemerkt, ist Duke. Seine grauen Sturmaugen verweben sich mit meinen Pupillen und lassen mein Herz Salti schlagen.
Warum hat er so eine intensive Wirkung auf mich? Ich möchte das nicht!
Duke ist für mich tabu. Er ist immerhin der Freund meiner besten Freundin!
Es kostet mich all meine Kraft, den Blick von Duke abzuwenden und zu Ariella zu sagen: „Am besten schreiben wir einfach eine Nachricht in unsere WhatsApp-Gruppe, sonst stehen wir uns hier noch dumm und dämlich."
Ariella nickt. Dann steuert sie zusammen mit mir den Ausgang des Gartens an und beendet diesen Abend deutlich früher als erwartet.
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