14 - Sorgen ertränken
Auf der Tanzfläche angekommen, landet mein Blick sofort auf Liana.
Sie trägt ein enganliegendes Paillettenkleid, das nur knapp über ihren Hintern reicht und im Schein der Discokugel silbrig glitzert. Ihre blonden Haare wellen sich über ihre Schultern und bedecken einen Teil ihrer nackten Arme. Die himmelblauen Augen, für die jede Frau morden würde, hat sie mit Eyeliner und dunklem Lidschatten geschminkt, sodass sie einen starken Kontrast zu dem knallroten Lippenstift bilden.
Wie immer zieht Liana die Aufmerksamkeit aller Männer magnetisch auf sich.
Sie lässt sich vom Takt der Musik leiten, kreist schwungvoll ihre Hüften und zeichnet mit ihren Händen ihre weiblichen Rundungen nach.
Die schwarzen High Heels, in denen ihre Beine extrem lang aussehen, hinterlassen bei ihren Bewegungen klackernde Geräusche auf den Steinplatten und mischen sich unter den Beat der Musik.
Ich gebe es nicht gerne zu, aber mal wieder zucken tausende Blitze der Eifersucht durch meinen Körper.
Liana sieht nicht nur wunderschön und sexy aus, sondern bewegt sich auch so elegant und grazil wie eine Göttin.
Kein Wunder also, dass sich eine kleine Männertraube um sie herum gebildet hat und sowohl Jubelschreie als auch Pfiffe die Luft erfüllen.
Damit mein Neid wieder abklingen kann, wende ich meinen Blick von Liana ab und senke meinen Kopf stattdessen in die Richtung der Steinplatten.
Ich weiß, dass ich mich nicht mit meiner besten Freundin vergleichen sollte, aber manchmal wünsche ich mir, dass mich die Männer so sehr begehren würden, wie sie es bei Liana tun.
Ob Duke und ich wohl ein Paar wären, wenn ich mit Lianas Aussehen gesegnet worden wäre?
Zum Glück bleibt mir keine Zeit, diesen Gedankengang weiter auszuführen, denn in dieser Sekunde verebbt der Rocksong, zu dem Liana getanzt hat, und wird durch Cotton Eye Joe von der Band Rednex ersetzt.
Kreischend schnappt sich Kaylee meine Hand und zieht mich zu Liana, die noch immer von mehreren Männern umgeben ist. Einen Atemzug später gesellt sich auch Marley zu uns, die sich im Gegensatz zu mir ein trockenes T-Shirt von Rocco geborgt hat.
Tja, schon blöd, dass ich keinen Freund habe, von dem ich mir Anziehsachen stibitzen kann ...
„Seid ihr bereit, Mädels?" Kaylee schaut uns der Reihe nach an. Ihre rehbraunen Augen funkeln vor Freude und lassen ein Gefühl der Wärme durch meinen Körper strömen.
Es ist schön, Kaylee so losgelöst zu sehen.
„Klar!", antwortet Liana als Einzige. „Lasst uns den ganzen Kerlen hier die Köpfe verdrehen!"
Obwohl ich immer noch keine Lust habe, gemeinsam mit meinen Freundinnen zu tanzen, gebe ich mir einen Ruck und versuche mich von der Musik leiten zu lassen.
Normalerweise schwebe ich in ganz anderen Universen, wenn ich mich zum Takt der Musik bewege, doch jetzt gerade fühle ich mich wie ein Hummer auf dem Silbertablett serviert. Von allen Seiten prasseln Schreie und Pfiffe auf mich nieder, die Unbehagen in mir auslösen.
Ich weiß, dass ich gut tanzen kann – aber auch nur dann, wenn mein Herz mit Liebe und Leidenschaft gefüllt ist.
„If it hadn't been for Cotton-Eye Joe, I'd been married long time ago. Where did you come from, where did you go? Where did you come from, Cotton-Eye Joe?"
Sobald diese Worte ertönt sind und der instrumentale Teil einsetzt, beginnen wir mit dem Tanz.
Ich tippe zweimal mit meiner rechten Hacke nach vorne, ehe ich mein Bein zurückführe und zweimal mit der rechten Spitze auf den Boden trete. Danach setzte ich meinen Fuß einmal seitlich auf, nur um gleich darauf mein Bein so anzuwinkeln, dass ich es auf dem linken Oberschenkel ablegen kann, und mit der linken Hand meinen rechten Fuß berühre.
Im Takt der Musik tippe ich mit dem rechten Fuß nach vorne, dann führe ich mein Bein nach hinten, um mit der linken Hand die rechte Hacke anzutippen. Zum Schluss folgen ein Kreuzschritt nach rechts und eine Drehung.
Der Vorgang wird mit dem linken Bein wiederholt.
Da ich den Tanz wegen Kaylee schon gefühlte drei Millionen Mal getanzt habe, beherrsche ich die Schritte im Schlaf.
Jede Drehung sitzt und auch sonst unterläuft mir kein einziger Flüchtigkeitsfehler – jedenfalls so lange nicht, bis sich plötzlich Duke durch die Menschenmenge drängelt und nur zwei Meter von mir entfernt stehenbleibt.
Seine stahlgrauen Augen verfolgen jede Bewegung von mir und entfachen ein Feuer der Leidenschaft unter meiner Haut. Dass sich zusätzlich sein Meersalz- und Kiefernadelgeruch in meiner Nase festsetzt, macht es nicht einfacher für mich, konzentriert zu bleiben.
Ich versuche Duke auszublenden und mich voll und ganz der Musik hinzugeben, doch seine Blicke lassen meine Knie weich werden und eine Horde Elefanten durch meinen Magen trampeln.
Ohne es verhindern zu können, bleibt mein Blick an seinen Lippen haften. In der Sekunde, in der Duke seinen Mund mit seiner Zunge befeuchtet, drehe ich mich in die falsche Richtung und stoße ausgerechnet mit Liana zusammen.
„Harly!", beschwert sie sich sofort. „Pass doch auf!"
Mit einer flinken Handbewegung reibt sie sich den Dreck von ihren schwarzen High Heels, ehe sie sich wieder vollends von dem Lied tragen lässt und gemeinsam mit Marley und Kaylee weitertanzt.
Ich hingegen werde hinter Gitterstäbe der Nervosität gesperrt, sodass ich auf dem Absatz kehrt mache und mich durch die vielen Menschen, die mich wie einen Affen im Zoo beobachten, hindurchkämpfe.
Mein Herz schlägt mir bis in den Hals und schickt Stromstöße aus Übelkeit und Schwindel durch meine Venen. Obwohl ich noch keinen einzigen Tropfen Alkohol getrunken habe, verschwimmt meine Sicht zu einem Nebelschleier aus bunten Farbklecksen.
Das, was gerade auf der Tanzfläche passiert ist, war einfach nur peinlich!
Noch nie zuvor hat es jemand geschafft, mich so sehr aus dem Konzept zu bringen, dass ich meine Tanzschritte vergesse.
Hoffentlich hat niemand bemerkt – vor allem nicht Liana – dass ich diesen Fauxpas einzig und allein Dukes Sturmaugen zu verdanken habe.
Meine Füße tragen mich wie von selbst in Roccos Haus – so, als wären sie schon hundertmal hier gewesen. Abgesehen von dem Flur und dem Badezimmer sind alle Türen verriegelt. Auch die Treppe, die ins Obergeschoss führt, wurde mit Absperrband zugeklebt.
Normalerweise ist es überhaupt nicht meine Art, die Privatsphäre anderer zu missachten, doch jetzt gerade brauche ich einen ruhigen Ort für mich, an dem ich allein sein kann.
Wie es der Zufall so möchte, steht auf der ersten Treppenstufe eine angebrochene Flasche Whiskey. Auch wenn ich das malzige Zeug nicht mag, schnappe ich mir die Flasche und klettere dann über das Absperrband. Barfuß und noch immer klitschnass schleiche ich in das Obergeschoss, wo ich mich auf einem weißen Sessel niederlasse, der sich an einem Fenster im hinteren Teil des Flurs befindet.
Silberglänzendes Mondlicht kämpft sich durch die Vorhänge hindurch und erleuchtet die Wand neben mir, an der mehrere Fotos hängen.
Auf den meisten Bildern ist Rocco als Kind zu sehen. Damals hatte er einen Topfschnitt, ein paar Pfunde zu viel auf den Rippen, eine runde Harry Potter Brille und eine riesige Zahnlücke.
Wie Marley wohl reagiert hat, als sie die Bilder ihres Freundes zum ersten Mal gesehen hat? Bestimmt hat sie erst gelacht, aber dann die ganze Wand abfotografiert.
Je länger ich mir die Fotos von Rocco und seiner Familie anschaue, umso größer wird mein schlechtes Gewissen. Es ist nicht richtig von mir, in Roccos Privatsphäre einzudringen.
Ich stoße ein schuldbewusstes Seufzen aus und öffne dabei die Whiskeyflasche.
Obwohl ich ganz genau weiß, dass ich meine Gefühle nicht im Griff habe, wenn ich zu viel trinke, führe ich die Flasche langsam zu meinen Lippen.
„Prost, Harly!"
Mit diesen Worten nehme ich den ersten Schluck und verziehe sogleich angewidert mein Gesicht.
Beste Freunde werden der Whiskey und ich vermutlich nicht, aber für mein Vorhaben, mich zu betrinken, wird er reichen.
🌧🌧🌧
„Harlow?!", dringt eine besorgte Männerstimme wie durch Watte gedämpft zu meinen Ohren hindurch. Kurz darauf spüre ich Hände an meinem Körper, die mich schütteln und mich dazu zwingen, meine Augenlider zu öffnen.
Alles um mich herum ist dunkel und verschwommen. Es riecht nach Alkohol und einer leichten Brise Pfefferminze.
In der Ferne höre ich Gelächter und Musik, zwischendurch auch das Zersplittern von Glas.
„Wir haben dich die ganze Zeit gesucht!", ertönt wieder die Männerstimme, der ich kein Gesicht zuordnen kann. „Was machst du hier oben?"
Ich zucke die Schultern.
Um ehrlich zu sein habe ich keine Ahnung, wo ich bin und was mit mir passiert ist.
Mein Kopf dröhnt wie ein Presslufthammer, mir ist schwindelig und ich spüre, wie sich mein Abendessen langsam meine Speiseröhre hinaufkämpft.
Völlig orientierungslos schaue ich mich in der Dunkelheit um. Zwar erkenne ich die Umrisse einer Person, die vor mir hockt, doch meine Sicht ist so verschleiert, dass ich nicht sehen kann, um wen genau es sich dabei handelt.
Vielleicht um meine Väter? Oder um Cyrus?
Ich kneife meine Augen zusammen, damit sich meine Sicht schärfer stellt, doch mein Versuch bleibt erfolglos. Stattdessen verstärkt sich bloß das Hämmern hinter meiner Schädeldecke, weshalb ich mir stöhnend an die Schläfen fasse.
„Kann es sein, dass du total dicht bist?"
Ein Hicker, der nach Whiskey und Pizza riecht, entflieht meinen Lippen.
Wieder geht mein Blick auf Wanderschaft – in der Hoffnung, irgendwo ein Stück Pizza zu finden – nur um sich kurz darauf in der Finsternis zu verlieren.
„Harlow! Guck mich mal bitte an!"
Mein Kopf schwenkt in die Richtung, in der ich die Männerstimme vermute. Sobald ich die Konturen eines Menschen sehe, nähere ich mich der Person, bis unsere Köpfe auf einmal geräuschvoll aneinander krachen.
„Autsch!", fluche ich.
Auch mein Gegenüber scheint sich weh getan zu haben, denn die Silhouette verschwindet in der Dunkelheit.
„Hey! Bleib hier!", beschwere ich mich sofort. „Ich will Pizza haben!"
Meine Hände fuchteln wild in der Luft herum, bis sie nach ein paar Sekunden flauschige Locken zu spüren bekommen.
„Duke?", frage ich hoffnungsvoll.
Ich habe keine Ahnung, warum sich mein Herzschlag auf einmal beschleunigt, doch die Gedanken an stahlgraue Sturmaugen treiben meinen Puls immer weiter in die Höhe. Hitze steigt in meinen Wangen auf und auch in meiner Körpermitte wird ein Feuer entfacht.
Begierde und Lust kämpfen so lange miteinander um die Oberhand, bis sie sich am Ende auf ein Unentschieden einigen.
„Nein. Ich bin's ..." Die Männerstimme zerschlägt meine Hoffnung und sorgt somit dafür, dass sich Tränen in meinen Augen bilden.
Ich bin enttäuscht, denn die einzige Person, die ich gerade sehen möchte, ist Duke.
Er soll mich in seinem Arm halten, mir Küsse auf den Scheitel hauchen und mir eine Geschichte aus seiner Kindheit erzählen.
Mehr will ich doch gar nicht ... Nur Duke!
„Rocco."
„Hä?", mache ich.
Es dauert einen Moment, bis der Nebel in meinem Gedächtnis verblasst und sich ein Mann mit grünen Augen und schwarzen Wuschellocken vor mein inneres Auge schleicht.
„Marleys Freund?"
Die Person, die vorgibt, Rocco zu sein, nickt.
„Kannst du aufstehen und laufen, Harlow?"
„Pf", zische ich. Was ist das denn für eine blöde Frage? Natürlich kann ich aufstehen und laufen – ich bin ja schließlich nicht an meinem Stuhl festgeklebt worden, oder?
Eingeschnappt drücke ich mich von dem weichen Polster ab und möchte schon triumphierend mein Kinn in die Höhe recken, als mein Kopf plötzlich beginnt, Karussell zu fahren.
Alles um mich herum dreht sich und explodiert in grellen Neonfarben.
Ich sehe Sternchen und fühle mich wie ein glibberiger Berg Wackelpudding.
Der Schwindel ergreift Besitz von meinem Körper und zwingt mich letztendlich dazu, mich wieder rückwärts in den Sessel plumpsen zu lassen.
Halleluja, was war das denn? Bin ich etwa im Freizeitpark gelandet?
„Gott, Harlow", stöhnt der angebliche Rocco. „So betrunken habe ich dich noch nie erlebt. Was ist denn los, hm?"
Ich spüre eine warme Hand, die mir über die Schulter tätschelt. Automatisch keimt in mir der Wunsch auf, dass Duke derjenige sein soll, der neben mir sitzt und mich berührt.
„Unser Kuss ...", nuschele ich. „Ich wusste doch nicht, dass-" Mitten im Satz halte ich inne.
In dieser Sekunde werde ich von so einer gigantischen Welle der Übelkeit überrumpelt, dass ich würgen muss und mich dann direkt in meinen Schoß übergebe.
„Scheiße!", flucht der Mann neben mir. „Warte hier auf mich, okay? Ich bin sofort wieder da."
Ich nicke.
Leider ist diese Bewegung viel zu abrupt, sodass ich mich ein weiteres Mal übergeben muss. Dieses Mal landet das Erbrochene allerdings nicht in meinem Schoß, sondern läuft an meinen nackten Beinen hinab.
„Igitt", ekele ich mich vor mir selbst.
Kaum habe ich mich geschüttelt, wird die Dunkelheit um mich herum erhellt. Der echte Rocco – also Marleys Freund – kommt vor mir zum Stehen und drückt mir einen Zahnputzbecher, der mit Wasser gefüllt ist, in die Hand.
„Hier. Trink!", befiehlt er mir, bevor er mit einem Tuch mein Erbrochenes wegwischt.
Da ich riesigen Durst habe und den pelzigen Geschmack von meiner Zunge loswerden möchte, schütte ich den Inhalt des Bechers in nur einem einzigen Zug herunter.
„Das war lecker!", grinse ich zufrieden. „Bekomme ich mehr davon?"
Rocco schaut mich unschlüssig aus seinen grünen Augen an. Ich weiß nicht, ob ich mir das nur einbilde, aber irgendwie sieht er besorgt aus – und auch ein bisschen genervt.
„Ich will nicht, dass Lia mit Duke zusammen ist", teile ich Rocco meine Gedanken mit. Weil mich sein überraschtes Stirnrunzeln irgendwie provoziert, füge ich hinzu: „Sie will doch eh nur von ihm gebumst werden!"
Ich kann beobachten, wie sich Roccos Augen bei meiner Wortwahl weiten.
Ein paar Minuten scheint er zu überlegen, was er auf meine Aussage erwidern soll, bis er schlussendlich meint: „Ich habe echt keine Ahnung, was da zwischen dir und Duke läuft, aber pass auf, dass du dich nicht am Feuer verbrennst, Harlow! Er ist mit Liana zusammen und wirkt auf mich ehrlich gesagt wie ein Herzensbrecher. Du hast jemand Besseren verdient!"
Sofort schüttele ich den Kopf, denn ich will nur Duke haben. Alle anderen Männer sind mir egal!
Rocco seufzt einmal. „Mit dir zu diskutieren, würde jetzt eh keinen Sinn ergeben. Wo ist eigentlich dein Handy, Harlow?"
Puh ... Das ist eine gute Frage.
Ich taste so lange über meine nasse Hose, bis ich etwas Eckiges in meiner linken Potasche spüre. Sofort ziehe ich den Gegenstand hervor und überreiche Rocco im nächsten Atemzug stolz mein Smartphone.
„Wollen wir ein Selfie machen?", frage ich ihn aufgeregt.
„Nein", lässt Rocco meine Hoffnung wie eine Seifenblase zerplatzen. „Ich werde jetzt deinen Vater anrufen."
„Hä? Warum?" Ich runzele misstrauisch die Stirn. Meine beiden Väter gehen steil auf die 50 Jahre zu. Ihre wilden Partyzeiten haben sie also schon lange hinter sich gelassen. Seitdem Cyrus und ich bei ihnen leben, machen sie lieber entspannte Cocktailabende, anstatt feiern zu gehen.
„Dein Vater soll dich abholen."
Noch immer verstehe ich nur Bahnhof.
„Aber es macht doch gerade so viel Spaß, Roccolein", schmolle ich. „Ich will nicht nach Hause! Höchstens in Dukes Bett ..."
Leider kann ich Rocco nicht mit meinem Hundeblick erweichen, denn er tippt ungestört auf meinem Display weiter.
Das Erste, was ich morgen früh tun sollte, ist unbedingt einen Sperrcode einzurichten ...
„Du musst schlafen, Harlow. Und zwar in deinem eigenen Bett!", murmelt Rocco mit einem besorgten Seitenblick auf mich, während er sich das Handy ans Ohr hält.
Wie es scheint, endet dieser Abend für mich, noch bevor er überhaupt richtig angefangen hat ...
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