13 - Umzingelt von Erinnerungen
Die kommende Woche vergeht wie im Flug. Im Heaven ist so viel zu tun, dass ich dauerhaft in Bewegung bin - am Mittwoch laufe ich mir sogar eine Blase an der Hacke - und keine Zeit bleibt, mich mit Duke zu unterhalten.
Obwohl wir also weniger Kontakt zueinander haben, werden meine Gefühle für ihn immer stärker.
Jedes Mal, wenn ich Duke sehe oder mich in seinen grauen Sturmaugen verliere, wird ein Feuer unter meiner Haut entfacht, das sich in meinem ganzen Körper ausbreitet. Die Elefantenherde in meinem Bauch zählt mittlerweile zu meinen engsten Freunden und wechselt sich regelmäßig mit dem Schmetterlingsschwarm ab.
Es klingt kitschig, doch sobald ich das Heaven betrete, suchen meine Augen immer zuerst nach Duke. Wenn sie ihn dann gefunden haben, strömt Wärme in mein Herz und hüllt dieses in einen Mantel aus Geborgenheit.
Nachts träume ich von Duke und tagsüber denke ich ununterbrochen an ihn.
Ich weiß wirklich nicht, warum ich auf dem besten Wege bin, mich Hals über Kopf in ihn zu verlieben, doch Duke hat mich verzaubert.
In dem Moment, in dem wir uns im Supermarkt geküsst haben, wurde unser Schicksal besiegelt - nur habe ich noch keine Ahnung, welches Ende unsere Geschichte nehmen wird.
„Hey Harly!", begrüßt mich eine angetrunkene Marley, als ich am Sonntagabend durch das Gartentörchen von Roccos Haus trete. „Wie geht's dir? Also mir geht es echt beschissen!"
Ein mitleidiger Ausdruck schleicht sich auf mein Gesicht, während ich Marley zur Begrüßung umarme.
Ihre karamellfarbenen Augen sind rot unterlaufen, ihre Wimperntusche ist verschmiert und sie riecht, als hätte sie in einem Schnapsfass gebadet.
Es ist gerade mal neun Uhr am Abend, doch Marley befindet sich schon jetzt auf dem besten Weg, morgen früh mit einem Filmriss und höllischen Kopfschmerzen aufzuwachen.
„Mein Herz tut so weh", jammert meine beste Freundin verzweifelt. „Ich will nicht, dass Rocco geht!" Im Einklang mit ihren Worten lösen sich ein paar Tränen aus ihren Augen, die wenig später wie verlorene Hoffnungsschimmer über ihre Wangen kullern.
Marley und Rocco sind erst seit ein paar Monaten ein Paar. Bisher haben sie glücklich auf Wolke Sieben geschwebt, doch aktuell befindet sich Marley im freien Fall.
Da Rocco noch nicht genau weiß, was er mit seiner Zukunft anfangen möchte, hat er sich vor ungefähr einem Jahr für ein Praktikum in Europa beworben - zu jenem Zeitpunkt waren Marley und er noch nicht zusammen. Erst hat er eine Absage erhalten - warum auch immer - bis er dann vergangene Woche einen Anruf erhalten hat und gefragt wurde, ob er noch immer Interesse an dem Praktikum hätte.
So, wie mir Marley die Situation geschildert hat, hätte Rocco keine einzige Sekunde gezögert und sofort zugesagt.
Schon in drei Tagen wird er nach Mailand aufbrechen und dort für ein halbes Jahr bei der italienischen Sportzeitung La Gazzetta dello Sport arbeiten.
Warum er sich nicht einfach eine Sportzeitung hier in der Nähe von Silver Fields sucht? Keine Ahnung.
Für meine beste Freundin ist auf jeden Fall eine ganze Welt zusammengebrochen, als sie uns am Donnerstag von Roccos Entscheidung berichtet hat.
„Ach Marls", seufze ich mitfühlend. „Die sechs Monate werden schneller vorbeigehen, als du denkst. Außerdem könnt ihr ja regelmäßig miteinander schreiben und telefonieren."
Marley schüttelt ihren Kopf. Immer mehr Tränen erkämpfen sich einen Weg an die Freiheit und bringen ihren Körper zum Beben.
„Und was, wenn Rocco in Italien ein anderes Mädchen kennenlernt und sich in sie verliebt?" Voller Panik schaut mich Marley aus ihren verweinten Augen an. „Ich bin dick und kann gar nichts gut. In Mailand laufen bestimmt nur Models rum, die sich dann alle an Rocco ranmachen."
„Rede nicht so einen Schwachsinn, Marls!", ermahne ich meine Freundin. „Rocco liebt dich - das sieht selbst ein Blinder mit Krückstock! Ihr werdet das schaffen! Und mach dich bitte nicht schlechter als du bist, ja?"
Tatsächlich sage ich diese Worte nicht nur, um Marley aufzumuntern, sondern weil ich sie todernst meine. Seit Rocco für sein letztes Schuljahr auf die Southwest High gewechselt ist, hatte er nur Augen für Marley.
Er liebt sie abgöttisch und würde sie niemals für irgendein Modepüppchen aus Italien fallen lassen.
Damit Marley die Abschlussparty ihres Freundes genießen kann und nicht permanent in ihren eigenen Tränenfluten ertrinkt, krame ich schnell ein Taschentuch aus meiner Handtasche hervor, um ihr die Glasperlen aus dem Gesicht zu wischen. Dann schnappe ich mir ihre Hand und ziehe sie weiter in Roccos Garten hinein.
Sowohl die Terrasse als auch die Rasenfläche sind mit unzähligen Menschen gefüllt. Lichterketten, Lampions und Scheinwerfer erhellen die Nacht und verwandeln den Garten in ein Lichterparadies.
Während einige Leute auf der Terrasse Beer Pong spielen, wird nur ein paar Meter davon entfernt das Spiel Flunkyball aufgebaut.
Wummernde Musik dröhnt aus den Lautsprecherboxen und nistet sich wie ein Bienenschwarm in den Herzen der tanzenden Menschenmenge ein.
Wohin mein Auge auch reicht: Überall befinden sich gutgelaunte junge Erwachsene, die für einen Abend all ihre Sorgen vergessen und ausschließlich für diesen Moment leben.
Mit einem sanften Lächeln auf den Lippen führe ich Marley zu dem Pool, der ungefähr mittig auf der Rasenfläche im Boden eingelassen wurde. Abgesehen von ein paar Konfettischnipseln und einem aufblasbaren Einhorn Schwimmring befindet sich niemand im Wasser.
„Erinnerst du dich noch an die Party, die Rocco letztes Jahr zu Beginn des Schuljahres geschmissen hat?", frage ich Marley. „Damals seid ihr gemeinsam in euren Anziehsachen in den Pool gesprungen. Du sahst so verdammt glücklich und unbeschwert aus, Marls ..."
Zu jenem Zeitpunkt war ich noch mit Valentin zusammen. Wir waren beide sehr betrunken und sind ebenfalls in den Pool gehüpft.
Ich werde nie vergessen, wie Valentins Handy plötzlich an die Wasseroberfläche geschwommen ist und er danach mehrere Wochen für ein neues Smartphone und eine wasserdichte Handyhülle sparen musste.
Ansonsten sind meine Erinnerungen an jenen Abend sehr verschwommen.
„Ich bin zwar nicht Rocco, aber ich würde auch mit dir in den Pool springen. Hier und jetzt", grinse ich Marley nun herausfordernd an. „Denk nicht an morgen, sondern genieße die Gegenwart. Lass uns einfach Spaß haben, okay?"
Ein paar Sekunden schaut mich Marley unentschlossen an, ehe sie nickt. „Okay." Ohne zu zögern streift sie sich ihre Schuhe von den Füßen und legt sowohl ihr Handy als auch ihren Schlüsselbund ins Gras.
Sofort tue ich es ihr gleich.
„Bereit?", frage ich Marley, nachdem ich unsere Finger miteinander verflechtet habe.
„Aber sowas von!"
Wir nehmen Anlauf, sprinten so schnell wir können auf den Pool zu, drücken uns vom Boden ab und fühlen uns für einen kurzen Augenblick schwerelos.
Mein Herz klopft aufgeregt gegen meine Brust und pumpt Adrenalin durch meinen Körper.
Bevor ich von dem eisigen Wasser verschlungen werde und sich meine Gedanken wie von selbst ausschalten, bilde ich mir ein, Liana und Duke in der tanzenden Menschenmasse zu erkennen.
Dukes stahlgraue Augen vernebeln mir die Sinne, als ich in der ewigen Freiheit treibe.
Es fühlt sich überraschend gut an, unter der Wasseroberfläche zu schwimmen. Meine Probleme geraten in Vergessenheit und auch Duke wird für den Bruchteil eines Atemzuges aus meinem Gedächtnis gelöscht.
Hier unten bin ich ganz allein. Hier hört die Welt auf, sich zu drehen.
Leider hält der magische Moment der Schwerelosigkeit nicht allzu lange an, da ich schon nach kurzer Zeit keine Luft mehr bekomme und mich deshalb wieder an die Wasseroberfläche kämpfen muss.
Marley ist auch schon aufgetaucht und grinst mich überglücklich an.
„Das hat gutgetan", jubelt sie euphorisch. „Danke, Harly!"
„Gerne", erwidere ich.
Natürlich ist mir bewusst, dass Marley in den nächsten Tagen und Wochen noch viele Tränen vergießen wird, doch jetzt gerade freue ich mich, dass sie in der Gegenwart lebt und sich nicht von der Zukunft in ein dunkles Loch treiben lässt.
Ein paar Minuten bleiben wir noch im Pool, ehe uns zu kalt wird und wir uns aus dem Wasserbecken hieven. Vermutlich geben wir dabei keine sonderlich elegante Figur ab und leisten stattdessen gestrandeten Fischen Konkurrenz.
Während sich Marley auf die Suche nach Rocco macht, tapse ich klatschnass in den hinteren Teil des Gartens, wo ein Lagerfeuer angezündet wurde. Abgesehen von zwei jungen Männern, die sich lachend miteinander unterhalten, befindet sich niemand dort.
‚Perfekt.'
Seufzend hocke ich mich auf einen Baumstumpf und wärme mich an den tanzenden Flammen auf. Lange bleibe ich allerdings nicht allein, denn schon nach wenigen Minuten gesellt sich eine weitere Person an das Lagerfeuer.
Der Geruch von Meersalz und Kiefernadeln verrät mir, dass es sich bei der Person um Duke handelt.
Na super ... Wer auch sonst?!
„Was ist denn mit dir passiert, Harlow?"
Ich drehe meinen Kopf zur Seite und werde sofort von stahlgrauen Augen, die geheimnisvoll funkeln, in Gefangenschaft genommen. Ein amüsiertes Grinsen zupft an Dukes Mundwinkeln und wird immer breiter, als er seinen Blick über meinen Körper wandern lässt.
Noch bevor ich ihm eine Antwort auf seine Frage geben kann, fügt er hinzu: „Netter BH. Den würde ich mir gerne mal aus der Nähe anschauen."
Völlig überrumpelt von dieser Aussage schaue ich an mir hinab und stelle fest, dass mein rosafarbenes Oberteil wegen des vielen Wassers durchsichtig geworden ist. Zum Glück habe ich mich nur für einen schwarzen BH und keine Reizunterwäsche entschieden ...
Obwohl mir Dukes intensiver Blick eigentlich unangenehm sein sollte, fühle ich mich begehrt. Das Feuer, das in seinen Pupillen lodert, zeigt mir, dass er mich attraktiv findet - vielleicht sogar sexy.
Am liebsten würde ich Duke sagen, dass er sich keinen Zwang antun soll und sich meinen BH gerne aus der Nähe anschauen darf, aber stattdessen frage ich ihn: „Was würde Liana wohl davon halten, dass du gerade mit mir flirtest?"
Für den Bruchteil einer Sekunde verrutscht Dukes Lächeln, ehe sich seine gewohnte Überheblichkeit auf seinem Gesicht ausbreitet.
Die Stimmung ist zum Zerreißen angespannt.
Im Hintergrund knistert das Feuer und zwischen uns sprühen die Funken.
Unsere Blicke nehmen einander gefangen und drücken sowohl Leidenschaft als auch Begierde aus.
„Gegenfrage", haucht Duke so leise, dass sich eine Gänsehaut auf meinem Rückgrat ausbreitet. „Was würde Liana wohl davon halten, dass du mich im Supermarkt geküsst hast?"
Es bedarf nur wenigen Worten und schon verbrennt das Feuer zwischen uns zu Asche.
Panisch schaue ich mich um, aber zum Glück scheint niemand Dukes Frage gehört zu haben.
Mit vor Angst rasendem Herzen zische ich: „Sei leise, du Idiot!"
Daraufhin lacht Duke belustigt. Das neckische Funkeln weicht währenddessen für keine einzige Sekunde aus seinen Augen.
„Jetzt mal Spaß beiseite, Harlow ... Am liebsten würdest du doch jedem erzählen, dass du mich geküsst hast, oder?"
Ich schlucke schwer.
Tausend Ameisen krabbeln unter meiner Haut, als sich Duke meinem Gesicht nähert und sich unsere Nasenspitzen ganz leicht berühren.
Sein heißer Atem kriecht schauernd über meine Lippen und treibt mich an den Rand der Verzweiflung.
Wie gerne ich mich jetzt zu ihm beugen und ihn küssen würde ...
Es kostet mich all meine Kraft und Selbstbeherrschung, mich von Dukes Sturmaugen loszureißen und ein gestammeltes „N-Nein" von mir zu geben.
Dass ich lüge, ist uns beiden bewusst.
„Denkst du noch oft an den Kuss?" Duke platziert seine Hand gefährlich weit oben auf meinem Oberschenkel. „Möchtest du, dass wir uns nochmal küssen?" Seine Iriden werden immer dunkler, bis sie dieselbe Farbe wie der Nachthimmel annehmen. „Aber dann so richtig und mit Zunge?"
Mein Hals ist staubtrocken.
Schweißperlen bilden sich auf meiner Stirn und fließen wenig später an meinen Schläfen hinab.
Mein ganzer Körper steht unter Strom und sehnt sich nach Dukes Berührungen. Ich möchte, dass er mich anfasst und mich mit seinen Lippen alles um mich herum vergessen lässt.
Nur noch wenige Millimeter trennen unsere Münder voneinander.
Die Verlockung ist so groß, dass ich für ein paar Sekunden meine Augenlider zuflattern lasse und mir den süßen Geschmack von Dukes Lippen in Erinnerung rufe.
Der Kuss im Supermarkt hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt. Seitdem kann ich nur noch an Duke denken und wünsche mir nichts sehnlicher, als ihm noch näher zu kommen.
Ich möchte mich Duke gerade entgegenbeugen, um ein Feuerwerk in meinem Magen auszulösen, da ertönt plötzlich eine fröhliche Stimme hinter mir.
„Ah, hier bist du, Harly! Ich habe dich schon überall gesucht!"
Als hätte ich mich an dem Feuer verbrannt, zucke ich schlagartig von Duke zurück, sodass ich beinahe von meinem Baumstamm falle. Gerade noch rechtzeitig bekommt Duke mein Handgelenk zu fassen und verhindert somit, dass mein Allerwertester den Boden küsst.
Mein Herz schlägt mir bis in den Hals und pumpt Wellen der Übelkeit durch meinen Körper.
Was zum Teufel ist hier gerade passiert?
Mein Hirn wird so sehr von rosaroten Nebelschwaden verschleiert, dass ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann.
Meine Augen sind vor Schock geweitet, als ich mich langsam umdrehe. Im ersten Moment habe ich Angst, dass Liana hinter mir stehen könnte, aber zum Glück ist es nur Kaylee, die lachend ihre Hand auf meine Schulter legt.
„Rocco spielt gleich extra für uns Cotton Eye Joe", teilt mir meine Freundin aufgeregt mit. „Komm schnell!"
Voller Tatendrang zieht mich Kaylee auf die Beine.
Seit sie vor vier Jahren durch einen Zufall den Tanz von dem Lied Cotton Eye Joe auf YouTube gefunden hat, zwingt sie mich auf jeder Party dazu, zu dem Hit von Rednex zu tanzen.
Auch wenn ich gerade überhaupt keine Lust habe, die Tanzfläche zu erobern, und lieber meine Gedanken sortieren würde, lasse ich mich von Kaylee in Richtung Terrasse ziehen.
Hauptsache ganz weit weg von Duke!
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