¦Der Vampir¦
1850 Wald zwischen Dacia und Ungarn
Wir standen uns Gegenüber. Umkreisten uns wie hungrige Tiere, tänzelten in eine andere Richtung, wichen zurück, oder gingen nach vorne. Ich hatte bisher nur einen Vampiren mit goldenen Augen gesehen. Doch nun stand ein Zweiter vor mir. Das Knurren aus meiner Kehle wirkte wahrscheinlich nur minder furchteinflößend, wenn man bedenkt, dass ich gerade ein junges Mädchen war und er ein ausgewachsener Vampir. Wir sprachen nicht, allein unsere Blicke reichten aus, um uns zu verständigen. In der Mitte der Lichtung lag der Körper eines Rehes, den ich gerade versucht hatte, mit bloßen Händen zu zerreißen, nachdem ich ihm das Genick gebrochen hatte.
Er hatte wahrscheinlich auch nach diesem Tier gestrebt, keine zwei Sekunden später war dieser Fremde aufgetaucht. Wir beide hatten das selbe Opfer gehabt, doch ich habe es erlegt. Mein erster Versuch, auf tierische Nahrung umzusteigen war nicht gerade gut verlaufen. Ich hatte das Gefühl, dass sich auch mein Gegenüber wehrte, weiter Menschen zu töten. Wenn ich nämlich einmal Richtig schnupperte, roch ich an ihm keine Reste vom Menschenblut, sondern nur Tierisches. Ich ging in die Hocke. In dieser Form war ich ihm unterlegen und es dauerte noch, bis die Sonne unterging. Doch vielleicht konnten wir das auch friedlich klären.
Der Vampir sah mich durchdringend an. Dieser Blick erinnerte mich an den von dem anderen mit den goldenen Augen. Ich ging ein paar Schritte zurück, soweit, bis ich zur Hälfte im Gestrüpp der Bäume hinter mir war. Er ging auf das Reh zu, hockte sich hin und begann zu saugen. Nach kurzer Zeit war er fertig, richtete sich auf, ging ein paar Schritte zurück, sah mich noch einmal an und verschwand dann. Ich ging zum Reh und machte mich über das Fleisch her, kaum war er weit genug weg. Es schmeckte ganz akzeptabel und mir ging der Fremde nicht mehr aus dem Kopf. Wir hatten allein durch Blicke beschlossen nicht zu kämpfen. Ich fand es unheimlich faszinierend, so etwas erleben zu können, schließlich waren wir genetische Todfeinde.
Als ich fertig war, verscharrte ich die Überreste und suchte mir einen Schlafplatz bei einem Steinfall. Dort richtete ich mir ein kleines Lager in einer Felsspalte her. Gras, Moos, der Mantel von Claud, ein paar Federn von Vögeln. Ich suchte nach wirklich allem, was einigermaßen gemütlich war. Meine Suche nach einer angenehm Unterlage führte mich bis zu einem Bauernhof am Rande des Waldes. Mit leisen Schritten näherte ich mich ihm und fand schnell den Dachboden mit dem ganzen Heu über dem Stall. Ich klaute mir einen Sack aus einer Kiste und begann Hände voll Heu hinein zu schaufeln.
Von unten ertönten Schritte, ich lauschte und vernahm die Anwesenheit von einer weiblichen Person, die die Kühe melken wollte. Innerlich fluchte ich. Ich wusste nicht, wie ich auf Menschen wirkte, auch wenn es hieß, wir seien nicht von ihnen zu unterscheiden. Sicher würden sie es nicht gut heißen, dass ich stahl. Ich sah wieder nach unten, die Frau fing gerade an zu melken. Ich schwang den Sack aus einer kleinen Luke zu meiner Rechten raus und kletterte dann selbst fast laut los ins Freie. Als ich auf Händen und Füßen vor dem Stall landete, erschreckte sich eine Kuh. Sie spürte wahrscheinlich, was ich war. Die Bäuerin fuhr herum, doch ich war bereits mit dem Heu auf und davon.
In meiner Felsspalte begann ich alles mit meiner Beute auszupolstern. Das Heu war angenehm zum Liegen. Aus all meinen Errungenschaften baute ich mir wie ein Vogel ein Nest. Und deckte mich mit Clauds großen Mantel zu. Was er wohl gerade tat? Ich wollte mir seine Wut nicht mal vorstellen. Ich schlief diese Nacht erstaunlich ruhig, ich ließ die Verwandlung aus und genoss das friedliche Gefühl, nicht mit einem blutgetränkten Hemd aufwachen zu müssen.
Am nächsten Morgen bekam ich Hunger. Nicht aber auf Fleisch, sondern auf Brot und warme Milch. Als ich durch den Wald spazierte, wehten mir diese Gerüche entgegen, sie stammten von dem Bauernhof, den ich gestern bestohlen habe. Ich leckte mir über die Lippen und sah sehnsüchtig zu den Milchkannen, die vor dem Stall standen. Ich war schnell, vielleicht könnte ich mir eine stibitzen. Es wäre eine gute Abwechslung zu alldem Fleisch. Der Duft des Essens kam aus der Küche, das Fenster war offen.
Ich schlich mich auf den Hof hin zum Stall und wollte gerade eine Kanne nehmen, als die Haustür aufging. Wie eine scheue Katze hechtete ich in den Stall. Natürlich bereute ich das im nächsten Moment, den die Kühe muhten was das Zeug hält panisch und traten aus. Ich könnte sie gut verstehen, sie wussten was ich war. Verzweifelt sah ich mich um und verschwand gerade noch rechtzeitig in eine leere Box. Die Kühe schauten immer wieder in meine Richtung, was nicht gerade hilfreich war.
"Ich verstehe das nicht Mikesch, schon wieder sind die armen Tiere so panisch", sagte eine Frauenstimme und ich flehte, das sie nicht näher kam. Sie würde mich entgegen und vielleicht hätte dieser Mikesch eine Schrotflinte oder sowas. Damit würde er mich leicht erlegen. "Ich kann es auch nicht verstehen Abigail, vielleicht schleicht hier ein Fuchs oder Wolf rum, soll ich das Gewehr holen?", fragte ein Mann. Oh weia, bitte nicht. Er lag gar nicht mal so falsch mit seiner Vermutung.
Ich hörte, wie die Frau näher kam und drückte mich an die hinterste Wand der Box. Wie ich befürchtet hatte, verrieten mich die Blicke der Kühe, die Tür wurde geöffnet und die etwas mollige Frau mit den kurzen braunen Haaren trat ein. Sie war groß, hatte starke Arme und hatte zu dem grünen Kleid eine weiße Schürze umgebunden. Sie sah mich erstaunt aus graubraunen Augen an. "Oh Mikesch Liebster, du kannst das Gewehr wieder weg legen, es ist ein Mädchen", sagte sie über ihre Schulter und kam einen Schritt auf mich zu.
Ich sah mich panisch nach einem Fluchtweg um, doch die ruhige Reaktion der Dame überraschte mich. "Wie heißt du denn Kleine, du siehst ziemlich mitgenommen aus. Wo sind denn deine Eltern?", sie lächelte sanft und sie schaute sie aus natürlichen blauen Augen an. Ich hoffte, sie blieben auch Blau und wurden am Ende nicht noch dämonisch gelb. Allerdings fand es etwas übertrieben mich mit Kleine anzusprechen in diesem Fall, immerhin war ich sechzehn. Glaubte ich zumindest.
"Ach du bist ja völlig verängstigt. Warst du das gestern hier?", sie nickte in Richtung der Kuh, die ich gestern erschreckt hatte. Ich nickte reumütig. "Na komm, ich tue dir doch nicht weh", ehe ich mich versah, wurde ich auch schon in den Stallgang gezogen. Nun sah ich auch diesen Mikesch. Er war ebenfalls ein wenig dick, trug ein kariertes Hemd und hatte schwarze Haare. Seine Leinenhose steckte in Stiefeln aus braunem Leder und Stoff. "Oh, ein kleiner Gast", auf das runde Gesicht trat ein väterlicher Ausdruck. "Nach komm erstmal rein, du siehst dünn aus. Du kannst uns ja drinnen sagen wer du bist", bevor ich protestieren konnte, wurde ich schon in das Bauernhaus geschoben und an einen Tisch gesetzt. Dort richteten die beiden Bauern Brot, Butter und ein wenig Schinken an, dazu die köstliche warme Milch.
Während ich das Essen verzerrte, setzten sich die beiden an den Tisch und begannen mit den Fragen. "Also fangen wir noch einmal von vorne an. Wie heißt du?", fragte Mikesch. Ich schluckte runter: "Viorica" Abigail nickte langsam. "Und woher kommst du?", fragte sie und nahm meine blasse Hand, die mit Narben überzogen war, die sie kritisch betrachtete. "Aus Rumänien, wo her genau weiß ich nicht mehr. Ich habe so ziemlich alles vergessen. Auch wer meinen Eltern waren", ich sah beklommen auf die Tischplatte. Es machte mir viel aus, dass ich mich nicht einmal an die Personen erinnern konnte, die mich geboren hatten. "Du armes Ding, keine Sorge, hier kannst du sicher gut leben", die Frau klang fröhlich. "Ähm danke, aber ich glaube nicht, dass hier bleiben kann", protestierte ich und schüttelte den Kopf. Die Frau lachte herzlich. "Viorica, wenn du schon Heu von unserem Dachboden stiehlst, bezweifle ich, dass du gut zurecht kommst. Es wäre mir eine Freude dich in unserer Familie Willkommen zu heißen"
Ich war wie erstarrt, mein Blick huschte zwischen den beiden Personen hin und her. "Mutter, ich bin wieder zu Zuhause", ertönte in diesem Moment eine jugendliche Stimme von der Eingangstür. Ich fuhr herum und sah zu einem Jungen mit dunklen Locken und blasser Haut wie seine Mutter. Er war hübsch ohne Frage, doch sein Lächeln, das er mir schenkte, ließ mein Herz höher schlagen. "Ich wusste gar nicht, dass wir einen reizenden Besuch erwartet haben", er setzte sich neben mich. Sie sah sofort mit roten Wangen auf die Tischplatte. "Lavente, mein Junge, dass ist Viorica, unser Kuhschreck von gestern. Es würde dir doch sicher nichts ausmachen, wenn sie in deinem Zimmer schläft oder?", Abigail sah ihren Sohn an. Der lächelte immer noch und lachte leise. "Natürlich nicht", sagte er mit samtiger ruhigen Stimme und sah zu mir.
Ich hob nur kurz den Blick. Diese Familie war zu freundlich um wahr zu sein. Doch was gab es für einen besseren Schutz? Ich musste nur dann sehen, was ich bei Vollmond machte. Diese gutmütige Familie sollte nicht durch mich noch in Schwierigkeiten geraten. Ich sah nach draußen, als ein Fahrzeug mit Kutschenrädern auf den Hof fuhr. Die Pferde schnaubten und sahen in alle Richtungen. "Wer ist das?", fragte ich verwundert. "Bischof Josef Gelff", Levante schnaubte leicht. "Er ist ganz versessen darauf, seine Macht zu demonstrieren. Und er glaubt an Fabelwesen. Ich glaube, er benutzt sie nur als Mittel zur Macht", Lavente sah zu dem Mann ihm weißen Gewand, der nun auf die Haustür zu ging. Mikesch nickte grimmig und stand auf.
Mir wurde übel, es war auch sicherlich berechtigt angesichts der Tatsache, dass ein wahnsinniger Mann mit viel Macht herumlief und Mythen jagte. Wenn ich ihm auf einen Streifzug begegnete, würde er sofort das Dorf aufhetzen, in dem er den Bischoff machte. Ich drückte mich an die Lehne des Stuhles, als er herein kam und uns kritisch musterte. Vor allem ich fiel in seinen Blickwinkel, höchstwahrscheinlich, weil ich neu war. "Guten Morgen. Ich bin hier, weil ich darauf aufmerksam geworden bin, dass ihr öfters die Kirche vernachlässigt", stellte er fest, er klang zynisch und so, als ob es ein Verbrechen wäre, das mit dem Tode bestraft wird. "Wir hatten die letzten zwei Sonntage keine Zeit, viel Arbeit vor den Stürmen", brummte Mikesch schlecht gelaunt.
Der Bischoff richtete sein Gewand. "Gott hat uns an diesem Tag frei gegeben und auch ihr werdet die Kirche achten", stellte der Mann kritisch fest, "Und wer bist du? Ich habe dich noch nie zuvor gesehen" "Das ist eine Freundin von uns. Sie wird hier einziehen und bei der Arbeit helfen", sagte Abigail schnell und stellte sich fast schützend vor mich. Der Bischoff sah argwöhnisch aus, doch dann entspannten sich die kantigen Gesichtszüge. "Nächsten Sonntag, du auch", sagte er nur und ging wieder aus dem Raum, nicht ohne Mikesch noch einen verächtlichen Blick zuzuwerfen.
Abigail seufzte leise und nahm Lavente in den Arm, ehe ich mich versah, geschah mit mir das gleiche und ich keuchte erschrocken auf. Abigail hatte einen starken Griff. "Der Typ ist doch verrückt, es gibt keine Fabelwesen und seine Kirche ist auch der letzte Ort, wo ich hin will. Kommt, ihr zwei, würde es dir was ausmachen und zu helfen Viorica? Wir haben viel Arbeit", fragte Mikesch mich und ich schüttelte den Kopf. "Ich helfe gerne", meinte ich schlicht und lächelte gezwungen. Dieser Bischoff konnte mir gefährlich werden, auch wenn er nur ein Mensch war. Mikesch lächelte dankbar und ich ging mit der kleinen Familie nach draußen in den Hof, Mikesch besorgte mir Arbeitskleidung.
Ich und Lavente sollten Strohballen zu den Ställen bringen. Ich fasste gerade in die Riemen eines der Kolosse und hob ihn hoch, als mir einfiel, dass ein normaler Mensch und schon gar nicht ein Mädchen wie ich, so etwas schaffte, wie diese rund dreihundert Kilo auf die Schultern zu stemmen. Ich setzte ihn wieder ab und begann ihn, wenn auch etwas zu schnell Richtung Ausgang zu schieben, wo Lavente gerade sich Handschuhe anzog. Er sah mir erstaunt hinterher und ich verlangsamte mein Tempo, als ich nun über die harte Fläche den Stallbelag für die Kühe zu ihrem Stall schob.
Lavente kam kurze Zeit später nach. "Gut gemacht", sagte er etwas unsicher und ich hätte schwören können, dass er auch vorhin gesehen hatte, wie ich das Ding hoch gestemmt habe. So versuchte ich die ganze Zeit möglichst alles menschlich anzupacken. Die Kühe waren glücklicherweise alle auf der Weide, so gab es keine große Aufregung, als ich das Stroh im Stall verteilte und zusah, wie Mikesch und Abigail den Mist wegbrachten. Obwohl sie mich erst seit heute kennen, war ich schon ein Teil ihrer Familie. Zusammen erledigten wir die mühsame Arbeit und brachten danach die Kühe zurück in den gesäuberten Stall, wobei sie bei mir eher hektisch flüchteten.
Aber noch ein Tier konnte mich wohl nicht ausstehen. Es war die Hündin Belka, der mit seiner Besitzerin Bianca gerade um die Ecke kam, als ich Lavente half, Futter für die Tiere in eine Schubkarre zu häufen. Sie war klein und von zierliche Statur, sie trug ein Kleid aus weißen Stoff und Stiefel aus feinem Leder, das Mädchen, nicht Belka. Als sie sich vorstellte, bemerkte man die Arroganz nur allzu gut. Ich schnaubte innerlich vor Verachtung. "Und was machst du hier Bianca?" Mikesch kippte eine Ladung Futter in die die Schubkarre. Das Mädchen schmollte. "Ich wollte dich nur mal besuchen, Belka auch, nicht war meine Süße", sie sah zu ihrer Fußhupe, der mich mit hohen Tönen, die ich für ein Knurren hielt, belästigte und versuchte, nach meinem Bein zu schnappen. Ich knurrte leise und zeigte die Zähne, Belka winselte und versteckte sich hinter dem Bein seiner Besitzerin.
"Das ist schön und gut, doch wie du siehst haben wir hier zu tun. Komm Viorica, die Kühe haben Hunger", wir schoben die Schubkarren los. "Ist das deine Freundin? Ich meine, sie ist...", Bianca beschrieb eine seltsame Bewegung mit der Hand. "Sie ist nicht von hier, aber ich muss sagen, du bist nicht von schlechten Eltern. Ich sage dir was, ein Kleid und die perfekten Schuhe, dann wirst du garantiert der Dorfschwarm werden. Natürlich nach mir", sie hielt mit uns Schritt zu meinem großen Bedauern.
"Kein Interesse, ich stehe nicht so auf Kleider, sind sehr unpraktisch", meinte ich mit einem fiesen Lächeln und stieß beinahe schon beiläufig im Vorbeigehen einen Rechen um, der sich mit seinen Zacken in dem Kleid von Bianca verhakte und es zerriss. "Ohh wie ungeschickt ich bin, aber was erwartet man auch von einem Mädchen wie mir, das Bauernsachen trägt", sagte ich mit falschen Bedauern in der Stimme und lachte. Bianca sah entsetzt auf ihr Kleid, dann zu Lavente, der los prustete. "Tut mir leid Bianca, aber dein Gesicht ist einfach nur zu komisch. Komm Vic, ich will später noch die alles zeigen", er winkte mich mit und ließ Bianca stehen, die rot angelaufen war. Ich grinste einerseits über den Spitznamen und andererseits über diesen verdatterten Ausdruck in Biancas Augen, weil Lavente es nicht interessierte, welch Schmach sie gerade erlitt.
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