¦Der Tag der Erkenntnis¦
1850
Das Heulen war wie eine Melodie, die tief ins Herz geht. Doch es war keine schöne Melodie. Es war ein Lied voller Kälte und Gier nach dem einzigen, was uns am Leben erhält. Die Nahrung, diese menschliche Nahrung, die zwar seit Urzeiten Legenden von uns verbreitet, aber nie wirklich an uns glaubten. Und das war auch gut so, wer würde schon gerne wollen, das man regelmäßig Jagd auf gigantische Wölfe machte?
Im Gegensatz zu vielen anderen Kindern des Mondes war ich ziemlich missgestaltet. Ich war eher Klein und zierlich als groß und furchteinflössend. Mein braunes Fell wuchs eher struppig über die zarte Haut. Meine gelben Augen leuchteten wie zwei Fackeln in der Dunkelheit. Meine Vorderbeine, die wie bei allen anderen Werwölfen in klauenartige Auswüchse endeten, schliffen kraftlos über den Boden. Meine Gedanken waren erfüllt von Hunger und Jagdlust, nur schwach erinnerte ich mich an meinen eigenen Namen oder die Tatsache, dass ich mein Leben hasste.
Ich ruckte mit dem langgezogen Kopf hin und her, während ich nach möglichen Spuren schnupperte. Ich war der Omega aus meinem Rudel. Und vorallem bei Vollmond machten es mir die Älteren nur allzu deutlich. Ich hatte Glück, noch nicht bei ihren wilden Kämpfen getötet worden zu sein, jeglich ein paar Narben zierten mich nun. Ich war eine Fähe, die nichts zu sagen hatte. Noch dazu war ich die jüngste und abgesehen von Nell und Delinca die einzige Frau. Ich würde nur allzugern in Mitleid baden, würde ich nicht gerade den köstlichen Duft eines Menschens war nehmen. Schon stürmte ich los, die Äste knackten als durch das Unterholz brach.
Wir waren keine leisen Jäger, dass erwartet auch niemand von uns. Dafür waren wir die hartnäckigsten aller Raubtiere. Einmal eine Spur aufgenommen jagen wir solange unser Opfer, bis es tot ist. Der Geschmack des Menschens erfüllte schon meinen Sinn, der mich weiter durch die Dunkelheit trieb, bis ich auf auf dem schlammigen Weg einer kleinen Landstraße landete.
Durch den Regen dank ich etwas ein, Dreck überzog meinen Pelz. Doch es war mir egal, schon entdeckte ich mein Opfer. Es war ein kleines Mädchen in einem Lumpen von Kleid, das braune Haar hing ihr stumpf über die Schultern. Sie drehte sich um, als mein Knurren die Nacht erfüllte. Noch ein paar Meter, dachte ich mir. Die kleine sah mich aus großen braunen Augen an, ihr Mund war zu einem Schrei geöffnet, der einfach nicht aus ihrer Kehle dringen wollte. Erst als mein stinkender Atem ihr zartes Gesicht streifte, entfuhr ihr ein Wimmern. Ich spürte wie ich mit meiner Pranke ausholte.
Und in der Bewegung verharrte. Ich sah mein Wolfsgesicht in ihren tränengefüllten Augen wieder gespiegelt. Und zum ersten Mal in diesem Zustand fiel mir ein wer ich war. Ich war Viorica. Ein rumänischer Werwolf. Ich wollte dies alles nie. Und nun würde ich gleich wieder töten. Und ich würde mich an meinem Mord nicht erinnern, außer ich schmeckte vielleicht morgen immer noch das Blut in meinem Mund, oder schleifte die Leiche mit mir in den Wald. Ein Ruck ging durch meinem Körper.
Was tat ich hier? Warum? Ich konnte mich nicht mehr fassen. Ich ließ die Klauen neben ihr in die Erde niederfahren und keuchte. Ich musste mich wehren, gegen den Drang wehren, der mich dazu animierte, dieses Mädchen zu zerfleischen. Ich musste bei Sinnen bleiben, die ich zum gerade erst zurück gewonnen habe. Ich grub die Klauen in die Erde und schwang den Kopf hin und her. Das Herz des Mädchens pochte so laut und im gleichen Takt wie meines. Endlich schien mein Opfer das Gefühl in ihren Beinen wieder zu finden, sie drehte sich um und lief los. Ich zitterte am ganzen Leib. Nur ein Sprung und ich hätte sie. Nein, ich darf nicht aufgeben, kämpfe Viorica, kämpfe, schrie ich innerlich, legte den Kopf in den Nacken und heulte Schmerz erfüllt auf. Es tat so weh, sich zu wehren und einerseits betete ich, daß endlich die Schmerzen endeten, andererseits wollte ich nichts mehr als das Gefühl zu behalten, einen Funken Menschlichkeit zu besitzen. Etwas stürmte an mir vorbei.
Ich sah entsetzt zu, wie eine große weiße Kreatur das kleine Mädchen in Stücke rieß. Ich sank auf den Boden, als er zu mir sah, die Zähne mit Blut verschmiert und dieses mörderischen Blick aufgesetzt. Das Herz der Kleinen war verstummt. Ich spürte zum ersten Mal Mitleid für ein Opfer unserer Zähne. Es war, als wäre ich aus einem Traum erwacht. Der weiße Werwolf kam auf mich zu und drückte mich mit einer Pfote noch tiefer in den Schlamm. Es war Claud, ein mieses Ding von Wolf, dass mein Leben als Omega noch erbärmlicher machte. Er stieß einen schrecklichen Laut aus, ich würde gegen einen Baum geschleudert.
Sein irrer Blick aus den schwarzen Augen war vernichtend. Dieser Blick war Beleidigung genug. Ich wagte es erst aufzustehen, als er sich abwandte um zu Fressen. Noch immer klammerte ich mich an das Gefühl, einen freien Willen zu haben, trotz des Vollmondes. Normalerweise vermied ich jede Verwandlung, doch der Vollmond Zwang uns schließlich doch dazu. Claud riss an den Überresten des Mädchens und achtete auf nichts anderes mehr. Selbst ich war jetzt nicht mehr interessant genug, was auch gut war.
So ergriff ich die Flucht in den Wald zurück. Ich achtete darauf leise zu sein, ich wollte mich nicht noch unnötig laut bemerkbar für den Beta machen. Ich sagte mir immer wieder meinen Namen auf und hielt diesen Verstand vorerst aufrecht. Ich wusste nicht einmal, ob ich den Abend überleben würde, wer weiß, ob Claud vielleicht heute besonders übellaunig war, und mir alle Rippen brechen würde. Ich schaffte es bis zu einem See zu kommen, dessen Oberfläche sich leicht im Wind kräuselte. Mein Abbild wurde leicht verzerrt, als ich mich im Wasser betrachtete, die gelben Augen funkelten wie zwei Kerzenflammen. Wie schrecklich ich aussehe. Ich habe mich noch nie zuvor als Wolf gesehen. Und jetzt wo ich es endlich kann, wünschte ich mir, mir wäre der Anblick doch erspart geblieben. Ich war nicht gut gebaut, eher mager, mit dem stumpfen Fell und den dem verfilzten Schweif erweckte ich den Eindruck eines Straßenhundes im Großformat, der ungewöhnlich große Vorderbeine mit Klauen hatte und lange Reißzähne.
Ich war nur etwa zwei mal so groß wie eine deutsche Dogge, meine Zähne waren kleiner und allgemein war ich schon ungewöhnlich schwach. Auch wenn ich immer noch mit meinem Kiefer oder den Klauen Genicke brechen könnte. Ich stieg ins Wasser und tauchte unter, um mich vom Schlamm zu waschen, ehe er mein Fell verklebte und unangenehm meine Haut zerscharpte. Mein Aussehen hatte mich eigentlich nie gekümmert, so wie die anderen. Es war nicht unüblich, das die Hälfte von uns mit Blut oder anderem besudelt war. Dementsprechend roch es auch. Erst als mein Fell wieder komplett sauber war, stieg ich aus dem kühlen Nass und begann wie ein Hund mich zu schütteln.
Das Wasser flog in alle Richtungen, ich fühlte mich ein klein wenig besser. Ich fuhr vorsichtig mit den Krallen durch mein Fell und glättete es, das beruhigte mich nicht nur, so denn half mir seltsamer Weise auch bei Sinnen zu bleiben. Ich bestand darauf sie zu behalten, egal wie sehr sich die Strahlen des Vollmondes in meinen Verstand zu bohren schienen. Mich dieser Kraft zu widersetzen kostete mich nicht nur alle Willenskraft sondern auch Körperliche, den es tat weh, als würde die Bestie in mir sich gegen ihr Gefängnis wehren, mit allem was sie hatte. Doch noch wollte ich nicht aufgeben.
Ich vernahm ein fernes Heulen und machte mich auf den Weg, dass Rudel rief und ich musste kommen, ob ich wollte oder nicht. Der Weg war weit und beschwerlich, ich spürte wie meine Haut sich zusammen zog, auch meine Knochen schrumpften wieder, kaum ging der Vollmond am Horizont unter. Langsam lief ich wieder strauchelnd auf zwei Beinen und ging zu einer Baugruppe, unter den hervorstehenden Wurzeln einer Eiche war eine Kiste mit Sachen.
Ja, ich hatte nichts an, unsere Sachen zerrissen bei der Verwandlung immer, so hatte ich inzwischen etwas immer irgendwo gelagert, sobald Vollmond oder eine verpflichtende Verwandlung war. Ich fror, kaum war das Fell verschwunden, so war ich heil froh, als ich in eine Jacke gekuschelt den Rückweg zu der alten Burg antreten konnte. Wenn ich Glück hatte, durfte ich mir ein Feuer dort machen. Mit dreckigen Schuhen und langen Schritten trat ich auf das riesige Gemäuer zu, die Tür war offen. Die kalte Morgenluft bauschte meine Haare auf, ich zitterte leicht. Doch bald hatte ich die Flügeltüren erreicht und trat ein.
Ich zitterte leicht und lief den kurzen Weg die Treppe hoch zu dem Hauptsaal. So sehr ich am Liebsten jetzt nur noch schlafen würde, ich hatte die Pflicht hier zu erscheinen. Auf einem zerstörten Thron, der mit Krallenspuren überzogen war, hockte der Alpha. Neben ihm seine Gefährtin Nell, die ziemlich wenig trug, ihre besten Stücke waren gerade so verdeckt von Stofffetzen, allgemein war ihr Kleid sehr zügig, sie kniete neben dem Thron sprach alle möglichen Komplimente aus, während sie wie eine Katze von ihm über den Kopf gestreichelt wurde. Einfach nur widerwärtig, dachte ich mir. Delinca war von ähnlichem Kaliber. Sie hockte auf dem Schoß von Victor, der sich immer in einen schwarzen Wolf verwandelte und fuhr über seine nackte Brust. Sie waren beide bei ihrer Verwandlung um die fünfundzwanzig gewesen schätzte ich. Ich war die Jüngste, Kleinste und Schwächste hier, eine Fähe ohne Gefährten, einen anderen Platz als den des Omega würde ich hier nie vertreten. Die beiden anderen Frauen verließen die Burg so gut wie nie. Jeden Tag hielten sie als Lustobjekte her und ließen sich bedienen, sie genossen ihre Behandlung inzwischen. Delinca sah zu mir herüber, als ich eintrat. Sie sprach kein Wort, doch sie schien es allein mit ihrem Blick genügend zu bemängeln, das ich nicht wie sie angezogen war. Meine Kleidung bedeckte fast meinen ganzen Körper und unterstützte keine Erregung der männlichen Gesellschaft hier.
Der Alpha Ivan blickte zu mir herab und bleckte die Zähne. "Du bist zurück Omega Viorica", bellte er durch den Saal, ich war an diesen verachtenden Unterton gewöhnt. Auch er bemängelte immer, dass ich in seinen Augen nicht passend herum lief. Und auch, dass ich jegliche Bemühungen der Männer hier verwehrte, mich als ihre Gefährtin zu bekommen. Die Kämpfe waren anstrengend und brachten viele Wunden mit sich. Doch noch schaffte ich es diesen grauenhaften Schicksal zu entkommen, dass die beiden anderen durchlebten. Meistens damit, dass ich sie dazu brachte, ihre Lust an Menschen auszulassen, die sie anschließend töteten.
Wenn ich so darüber nachdachte, fand ich mich selbst in diesem Punkt wieder Mal widerwärtig. Wie konnte ich nur sowas tun? Diese armen Frauen hatten nie jemanden was getan und doch verurteilte ich sie jedes Mal sozusagen dazu, als Tagesbeschäftigung zu enden, wenn ich mich gegen die Entjungferung von einem der Werwölfe wehrte. Es gab eine Regel, die mich schützte, so wie Nell und Delinca zu sein. Solange ich mich wehrte, eine Gefährtin zu werden, durfte man mich nicht auf diese Weise anfassen oder für seine Gelüste ausnutzen. Diese Regel war einer der wenigen, die hier existierten und ich bangte darum, dass Ivan die irgendwann ungültig machte. Ich sah es in den Augen von den anderen hier. Sie wollten ihren Spaß haben.
Ich würgte innerlich bei der Vorstellung und stellte mich in eine dunkle Ecke, um auf die anderen zu warten. Insgesamt waren wir ein neunundzwanzig Wölfe, damit waren wir das größte Rudel von Rumänien. Zusätzlich lebten hier momentan auch zwei Sklaven, aber sie würden bald sterben. Das sah man ihnen an, ihre Besitzer kümmerten sich nicht wirklich gut um sie. An die Wand gelehnt dachte ich über das Geschehene nach. Ich hatte es geschafft während des Vollmondes meine Sinne zu behalten, kaum hatte ich in die Augen des kleinen Mädchen geblickt. Das war ein Wunder, ich hatte nie den Eindruck, dass dies ein anderer je geschafft hatte. Diese Bestie in seinem Inneren zu besiegen und sich sogar an seinen Namen erinnern zu können. Dennoch sollte ich mich deswegen noch lange nicht besonders fühlen, denn wo war dieser Wille die letzten Jahre geblieben? Diese kurze Zeit der Besinnung machte nichts ungeschehen, was ich alles getan habe. Das musste ich immer bedenken.
"Ich habe eine Ankündigung zu machen", erhob der Alpha seine Stimme, als endlich wieder alle versammelt waren. Sofort war es ruhig, keiner bewegte auch nur einen Muskel. "Ich möchte um den Platz als Alpha mit Claud kämpfen. Dieser hat mich heraus gefordert. Der Kampf findet in drei Tagen statt, doch Claud", er sah zu dem breitgebauten Beta herüber. "Als Alpha musst du eine Gefährtin haben. Und du darfst dir keine nehmen, die bereits die eines anderen ist. Das heißt, du musst spätestens bei dem Kampf um meinen Platz eine hier im Rudel anerkannte Werwölfin an deiner Seite haben, die sich nicht gegen deinen Einfluss wehrt. Sonst wirst du als unechter Anführer aufgrund deiner fehlenden Führungsqualitäten gegen über einer Frau anerkannt und als untreues Geschöpf, da ein Alpha nur mit seiner Fähe verkehren darf. Damit muss dir niemand Respekt erweisen, es sei denn, du hältst den Termin ein", Ivan legte den Kopf schief und knurrte bedrohlich.
Schon spürte ich seinen Seitenblick auf mich gerichtet. Die Verwandlung war schmerzhaft, viele überstanden sie gar nicht. Allein gebissen und nicht gleich zerfleischt zu werden, war so oder so jedes Mal schon ein Wunder. So gab es nicht viele, die trotz des Bisses zu Werwölfen wurden. Allerhöchstens zur Mahlzeit. Claud würde nur mit größten Glück es schaffen, eine Frau zu verwandeln, den seine letzten drei waren gestorben, das war erst letzte Woche. Er versuchte es schon die ganze Zeit, denn schon seit Längerem gierte er nach dem Platz des Alphas. Und jeder kannte die Bedingungen, die Regel der Gefährtin als Beweis für seine Führungsqualitäten. Nell hatte sich auch kurz vor der Zeremonie mit Ivan eingelassen in Hoffnung, dann wie eine Königin behandelt zu werden. Viele haben an den Sieg von unserem jetzigen Alpha geglaubt, er hatte großes Talent.
Ich hätte zwar nichts dagegen, ein paar Schläge und gierige Blicke weniger zu bekommen, doch das würde bedeuten, dass ich die Ewigkeit als Lustobjekt für Claud herhalten müsste und genauso untergebend und widerlich handeln müsste, wie Nell und Delinca. Da war mir mein Platz als Omega ohne Gefährte tausendmal lieber. Natürlich würde man mich an dieser Stelle nun fragen, warum ich nicht das Rudel verlasse. Darauf steht der Tod, weil es als Verrat gilt. Und weil Ivan mein Erschaffer war, wenn auch mehr unabsichtlich, war ich an dieses Rudel gebunden.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro