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Gegenwart


Es war nicht mein Wecker, der mich aus dem Traumland riss, sondern ein Anruf, weil ich in der Regel nämlich keine Wecker stellte. Mein Tag begann dann, wann mein Körper es wollte. Oder wenn ich mit wem verabredet war oder plante, jemanden zu beschatten.

Murrend tastete ich nach meinem Smartphone neben mir auf dem Bett und blinzelte dem aufleuchtenden Display entgegen. Baby Daddy.

Ich drückte auf den grünen Hörer und schaltete den Lautsprecher an, während ich mir mehrfach über die Augen rieb. Alles fühlte sich irgendwie bleiern an. „Womit verdiene ich deinen Anruf?"

„Mit deiner Verspätung." Im Hintergrund hörte ich Besteck klirren, dann Josias' vom Mikrofon abgewandte Stimme. „Deckt für eine Person mehr. Onkel Jude isst mit uns."

Stimmt, da war ja etwas.

Ich warf einen schnellen Blick auf die Uhr. In spätestens einer halben Stunde mussten die Kinder zur Schule. Falls ich also noch ein paar frische Pfannkuchen abgrasen wollte, musste ich mich sputen. „Bin in fünf Minuten bei euch."

Er kappte die Verbindung ohne ein weiteres Wort, während ich mich aus dem Bett quälte, um meinen Pyjama gegen Alltagskleidung einzutauschen – bloß, dass ich bereits Alltagskleidung trug.

Verwirrt blickte ich an mir runter. Normalerweise schlief ich nie in Straßenklamotten, weil ich sonst das Bett frisch beziehen musste, sollte Josias bei mir übernachten. Gestern musste ich erschreckend müde gewesen sein. Oder erschreckend faul. Oder beides.

Egal. Ich huschte ins Bad, putzte mir die Zähne, wusch mir blind den Schlaf aus dem Gesicht und machte mich anschließend semi-frisch auf den Weg rüber zu Josias.


„Das erklärt, weshalb du dich verspätet hast." Josias kräuselte die Nase, kaum erblickte er mich. „Geh hoch in mein Schlafzimmer und bedeck' dich. Damit müssen die Kinder nicht bereits in der Grundschule konfrontiert werden."

Verwirrt schaute ich an mir herab. Ich trug ganz normale Kleidung – T-Shirt, Jeans, Sneakers, nichts, das irgendwie unpassend für ein gemeinsames Frühstück mit winzigen Menschen wäre. „Hm?"

Hm mich nicht an und beeil dich lieber. Das Essen wird sonst kalt." Er wandte sich ab, stoppte im Türrahmen zur Küche allerdings noch einmal, die Augen zusammengekniffen. „Ich hoffe, du hast dich danach wenigstens geduscht."

So langsam verstand ich gar nichts mehr, aber für Fragen gab er mir keine Möglichkeit mehr, weil er mich dieses Mal endgültig stehenließ.

Komisch.

Ich streckte meine Hände von mir, suchte sie und meine Arme nach Dreck oder Ähnlichem ab, aber da war nichts. Ich war sauber und meine Kleidung ebenfalls, wenn man von den Schlaffalten auf ihnen absah. Vielleicht hatte Josias einfach seine fünf Mysophobie-Minuten. Da war es weniger umständlich, seinen unsinnigen Aufforderungen nachzukommen, als sich mit ihm zu streiten. Deswegen ließ ich alle Gegenwehr bleiben und schlich mich an der Küche vorbei nach oben in sein Schlafzimmer.

Dort angekommen, schob ich die Tür möglichst leise auf und linste hinein. Im Bett lag ein von Kopf bis Fuß durch eine Decke in einen Burrito verwandelter Mensch. Das hieß, ich musste still sein, außer ich wollte mir einen minutenlangen Vortrag über Privatsphäre anhören, und darauf hatte ich gerade gar keine Lust.

Entsprechend geräuschlos huschte ich zum begehbaren Kleiderschrank ganz links, nebst dem Bett, wo mir dann jegliche Ungewissheiten bezüglich Josias' Verhalten genommen wurden, weil in der Mitte zwischen den Regalfächern und Kleiderstangen ein lebensgroßer Spiegel stand, der meinen Anblick eingefangen hatte.

Die gesamte linke Seite meines Halses war vom Schlüsselbein bis in den oberen Nacken hinein voller Blutergüsse. Voller Knutschflecken.

Ich glotzte mein Spiegelbild an, kratzte mir über die Haut, aber die Stellen verschwanden nicht.

Was, bitte, hatte ich gestern angestellt? Ich war doch allein in meinem Bett aufgewacht und auch allein eingeschlafen ... oder?

Ich fasste mir an die Schläfen.

Ich war hier gewesen, hatte Avi abgegeben und mich nochmal für ein, zwei Stündchen verquatscht, aber danach war ich direkt nach Hause gegangen, ohne Umwege. Ich hatte mich an meinen Computer gesetzt und mich nach interessanter Arbeit umgesehen. Aber ich hatte definitiv keinen anderen Mann oder eine Frau bei mir gehabt. Glaubte ich zumindest – aber die Kameras in meinem Haus würden mir das schon beantworten. Ich würde einfach nach dem Frühstück nachsehen, wer meine Haut so malträtiert hatte.

Ich löste meinen Blick wieder vom Spiegel, zog mir mein T-Shirt über den Kopf und ließ es auf den Boden fallen, bevor ich mich durch Josias' Kleidung wühlte und mir einen seiner schwarzen Rollkragenpullover überzog. Und weil's so schön war, tauschte ich noch zusätzlich meine Jeans gegen eine graukarierte Stoffhose ein, damit der werte Herr nicht darüber meckern konnte, dass ich unhygienisch bei ihm aufgetaucht war.

Ich schnaubte, kickte meine dreckigen Klamotten mit dem rechten Fuß in die Mitte des Schrankes, damit er sie später auch ja entdeckte und sich über sie aufregen konnte, und trat anschließend zurück in sein Schlafzimmer.

Jetzt waren wir wirklich komplett Zwillinge, bis ins kleinste Detail. Vor allem, weil der bescheuerte Pullover den Leberfleck an meinem Kehlkopf verdeckte, der rein körperlich unser einziges Unterscheidungsmerkmal darstellte.

Ich zupfte die Hose im Schritt zurecht und wandte mich kurz dem Decken-Burrito zu, weil er just in diesem Augenblick begann, sich zu rühren. Vorsichtshalber hielt ich kurz inne und wartete, bis die Bewegungen wieder stoppten, bevor ich auf Zehenspitzen an ihm vorbeitippelte. Wobei meine Nachsicht genau dann endete, als ich die Schlafzimmertür hinter mir ins Schloss zog. Die Treppen trampelte ich runter wie ein Elefant, bevor ich zu Josias und den Kindern in die Küche dazustieß.

„Onkel Jude!" Ares schnitt eine Grimasse, als er mich entdeckte. „Warum siehst du genauso langweilig aus wie Papa?"

Josias schaltete den Herd aus und wandte sich mit einem gestapelten Teller Pfannkuchen zu ihm um. „Möchtest du mir erläutern, was du damit meinst?"

„Damit meine ich, dass du voll cool bist." Ares grinste heimlich und klopfte mit der Unterseite seiner Gabel auf den Tisch. „Können wir jetzt endlich essen? Ich hab Hunger!"

„Erst, wenn alle am Tisch sitzen." Josias nahm daraufhin am Kopfende Platz. Unsere Sitzordnung hatte sich durch die Duplikate etwas geändert – jetzt konnte ich mich nicht mehr jedes Mal neben mein eigenes Original drängeln, weil da zwei Hochstühle mein Ziel blockierten. Da die gerade aber leer waren, weil ihre Besitzer ausnahmsweise schlummerten, beförderte ich sie aus dem Weg und beschlagnahmte den Stuhl zu Josias' Rechten, direkt neben Ares. Es war der Startknopf, der die Kinder sofort nach dem Gebäck-Berg greifen ließ.

„Wenn ich mit diesen Klamotten hier ins Lokal gehe und mich als dich ausgebe, denkst du, deine Angestellten kaufen mir das ab?" Ich rollte einen der Traubenzucker-Pfannkuchen zusammen, die Josias extra für uns separat von denen der Kinder fabriziert hatte, damit wir keine Magen-Darm-Probleme bekamen.

„Deine Verhaltensweisen unterscheiden sich zu sehr von meinen", sagte er und goss erst mir, dann sich selbst ein Glas Milch ein, bevor er die Getränke untereinander austauschte. Eine Angewohnheit, die wir uns auch in fünfzig Jahren nicht abgewöhnen würden.

„Schade", meinte ich und biss ab.

„Außerdem", er trank einen kleinen Schluck, „würde ich das Lokal niemals in einem Rollkragenpullover betreten. Das ist Freizeitbekleidung." Er stellte sein Glas wieder ab. „In dem Zusammenhang – mit wem hast du den gestrigen Abend verbracht?"

Ich rubbelte mir abwesend über die Stellen an meinem Hals, auf die Josias anspielte. Jetzt hatte ich zwei Möglichkeiten: ehrlich sein oder lügen. Die Wahrheit darüber, dass ich keine Erinnerungen an die Nacht besaß, würde jedoch höchstwahrscheinlich dazu führen, dass er mir heimlichen Alkoholkonsum unterstellte. Was für mich als trockenen Alkoholiker keine besonders schönen Auswirkungen hätte. Hausarrest mit fast dreißig war nicht sexy. Bei einer Lüge hingegen hätte ich keinerlei negative Folgen zu befürchten.

Die Entscheidung fiel mir nicht schwer.

„Mit einer netten, jungen Dame, die sich ihre halbe DNA scheinbar mit einem Wälz teilt." Ich schmunzelte. „Wobei ich zugeben muss, dass es währenddessen ganz angenehm war."

„Warum soll eine Frau zur Hälfte ein Fisch sein?" Ares blickte auf. Nutella tropfte von seinem Pfannkuchen. Und nicht nur von dem – er hatte es geschafft, sein komplettes Kinn mit der Schokolade einzusauen.

„Warum nicht?", antwortete ich und versuchte, einen Fisch nachzuahmen. „Sie sah wie einer aus."

Das schien Ares zu genügen. Er gluckste und stopfte sich die nächste Fuhre Teig in den Mund. Seit er dreimal wöchentlich zum Fußballtraining ging, war er zum menschlichen Mülleimer mutiert. Sobald er in die Pubertät kam, würde er Josias vermutlich die Haare vom Kopf fressen.

„Hör auf, dem Jungen irgendwelchen Unsinn beizubringen." Josias – im Moment noch mit Haaren – schnalzte mit der Zunge und benutzte ordentlich Messer und Gabel, damit kein Fett auf seine Finger kam, während ich mir besagtes Fett vom Daumen leckte und dabei mit den Schultern zuckte.

Der Rest des Frühstücks verlief gesittet mit Delilahs und Theresas Geplänkel darüber, was sie in der Nachmittagsbetreuung gemeinsam spielen würden, und Ares' Prahlereien bezüglich seines angeblich unfassbaren Talents als Stürmer.

Es war ein entspannter Morgen.


Zumindest war er das, bis ich wieder daheim ankam. Weil da ein Strauß knallgelber Sonnenblumen lag, keine zwei Meter von mir und der Eingangstür entfernt.

Ich zückte mein Handy und rief Josias an.

„Hast du etwas vergessen?" Seine Stimme klang leicht verzerrt, die Freisprechanlage in seinem Auto wurde vom Straßenlärm des morgendlichen Verkehrs geschmückt.

„Nein", antwortete ich bedächtig. „Ich habe nur eine Frage an dich."

„Die da wäre?"

„Onkel Juuuude!"

Ares." Josias klang entnervt, als er seinen Sohn für die Störung tadelte, bevor er sich wieder mir widmete. „Also, wie lautet deine Frage?"

Ich musterte weiterhin den Strauß vor mir. „Rein hypothetisch – würdest du mir jemals Blumen schicken?"

„Beziehst du dich hierbei auf Grabesschmuck, falls du wieder deine schmutzige Wäsche in meinem Schrank liegenlässt?"

Das war dann wohl seine Antwort.

„Okay." Ich zog die einzelnen Silben in die Länge, wie Ares es eben bei meinem Namen getan hatte. „Das war's schon. Fahrt vorsichtig."

„Was-"

Den Rest bekam ich nicht mehr mit, weil ich auflegte. Zwar hatte ich von Anfang an nicht daran geglaubt, dass die Blumen von ihm stammten, aber dafür war ich mir jetzt zu hundert Prozent sicher:

Jemand war bei mir eingebrochen. Was, zugegeben, minimal besorgniserregend war.

Vorsichtig umrundete ich die Blumen und schob mich mit ausreichend Abstand zu ihnen in die Küche. Die leer war, ganz ohne Einbrecher. Allerdings wog ich mich nicht in falscher Sicherheit und grapschte mir aus einer der Schubladen das größte Messer, das ich besaß, um wenigstens halbwegs bewaffnet den Rest des Hauses absuchen zu können. Natürlich hätte ich auch einfach die Polizei rufen können, aber aufgrund vergangener Vorkommnisse hatte ich kein gutes Verhältnis zum Hauptoberkommissar der hiesigen Truppe. Der wartete vermutlich immer noch auf einen guten Grund, meine vier Wände zu durchsuchen und auf Hinweise zu stoßen, die ihm bestätigen würden, dass ich Maxi auf dem Gewissen hatte. Auch wenn dieser Vorfall bereits ein paar Jährchen zurücklag. Also nein, die Polizei kam nicht infrage.

Sei's drum.

Ich drehte das Messer in meiner rechten Hand, verfestigte den Griff. Wer beschränkt genug war, bei einem Mörder einzubrechen, musste lernen, mit den Konsequenzen zu leben – oder mit ihnen zu sterben.

Möglichst diskret tastete ich mich zurück in den Flur. Sobald ich oben mein Büro gesichert und mich dort verbarrikadiert hatte, war die erste Hürde überwunden. Dort könnte ich ganz einfach über die zahlreichen Kameras in jedem Zimmer – außer dem Bad – nachverfolgen, ob sich noch jemand bei mir befand oder nicht. Je nachdem würde ich dann entsprechende Maßnahmen ergreifen, über die ich mir Gedanken machen würde, wenn er so weit war.

Also brachte ich Meter um Meter hinter mich, immer entlang der Wände, und hielt alle paar Schritte inne, um nach irgendwelchen verdächtigen Lauten zu horchen und mich umzusehen, aber nichts Auffälliges geschah. Nur der Kühlschrank brummte sachte in meinem Rücken vor sich hin.

Es war mir fast ein bisschen zu ruhig.

Ich warf einen letzten prüfenden Blick hinter mich, bevor ich einen Fuß auf die Dielen des ersten Stockwerks setzte. Die Türen zu den jeweiligen Zimmern waren geschlossen, genauso, wie ich sie hinterlassen hatte.

Na gut!

Ich hob das Messer etwas höher und sprintete über den abgedunkelten Flur hin zur Tür meines Büros – absolut nicht mehr leise. Irgendwo hatte ich einmal gelesen, dass wahlloses Geschrei andere Menschen verwirren konnte, also wollte ich mir dieses Wissen zunutze machen. Bloß war das vollkommen unnötig.

Als ich schreiend ins Büro stürmte, stand es leer. Nur meine vollgestopften Regale und mein Schreibtisch mit dem Rechner und den drei nebeneinander aufgereihten Bildschirmen befanden sich im Raum, sonst nichts und niemand.

Jetzt kam ich mir irgendwie ein bisschen affig vor.

Ich ließ das Brüllen wieder bleiben und sperrte mich eilig selbst ein, falls der Einbrecher sich woanders im Haus aufhielt und durch meine geistreiche Aktion nun bestens darüber informiert war, wo ich mich versteckte. Gleich danach schlitterte ich zu meinem Computer, fuhr ihn hoch und öffnete das Sicherheitssystem – nur um nochmal kurz in mich zu gehen.

Vielleicht waren die Blumen auch einfach von der Person, mit der ich scheinbar die Nacht über bis zu welchem Grad auch immer intim gewesen war. Vielleicht hatte ich heute früh so überstürzt das Haus verlassen, dass ich sie einfach übersehen hatte und sie sich die ganze Zeit über hier aufgehalten hatte, ohne einzubrechen. Bloß erklärte das nicht, wieso ich am Morgen danach Blumen bekam. Ich war zwar kein schlechter Liebhaber, aber das wäre doch etwas übertrieben. Und zu dieser Gleichung hatte ich noch nicht einmal meinen Gedächtnisverlust bezüglich der letzten Nacht addiert.

Alles äußerst seltsam.

Ich atmete tief ein und startete die Wiedergabe der Kameras im Zeitraffer ab dem Punkt, an dem ich gestern wieder nach Hause gekommen war. Zunächst schien alles wie gehabt, ich trank Milch und arbeitete meine Mails ab – bis ich aus meinem Büro in den Flur trat. Wo ich mich wenig galant und ohne fremdes Zutun auf die Fresse legte. Was definitiv nicht dazu passte, dass ich in meinem Bett aufgewacht war.

Ich stoppte den Zeitraffer, spulte ein gutes Stück zurück und zog synchron eine weitere Kamera auf meinen Bildschirm, um alle Bereiche des Flurs kontrollieren zu können. Dann ließ ich den Rest in normaler Geschwindigkeit weiterlaufen, bis ich keine vier Minuten später dabei zusah, wie auf Kamera Nummer Zwei eine in schwarz gekleidete Gestalt gemütlich die Treppen ins Obergeschoss erklomm. Hin zu mir.

Bist du zufällig ein bisschen müde? Das ist okay. Lass es zu."

Ich stierte die Gestalt an. Sie war groß – und damit meine ich groß! – und hatte eine Milde in der Stimme, die nicht dazu passte, wie sie sich mir beinahe spielerisch näherte, während ich auf Kamera Nummer Eins erneut Bodenkontakt herstellte.

Hoppla, nicht, dass du dir noch wehtust."

Sie – und ich ging davon aus, dass es ein Er war, dem Körperbau nach zu urteilen – blieb direkt vor mir stehen und ging in die Hocke. „Gute Nacht, Jude."

Ja, das war schlecht. Dieser Typ schien mich nicht nur zu kennen, sondern ebenfalls unter Drogen gesetzt zu haben, und das alles, ohne irgendwelche Hinweise für ein gewaltsames Eindringen in mein Heim hinterlassen zu haben.

Leider half diese Erkenntnis nicht bei der Identifikation des Mannes. Es gab eine schier endlose Liste von Personen, die mich allein aufgrund meines Jobs und meiner dort gesammelten und veröffentlichten Ergebnisse verabscheuten und mich allzu gerne leiden sehen würden. Und da alle meine Videoaufzeichnungen von oben gefilmt worden waren, konnte ich unter der tief in die Stirn gezogenen Kapuze höchstens die Umrisse des Gesichts meines Einbrechers erahnen. Selbst Heranzoomen nützte nichts.

Ich linste für einen Moment unwohl zurück zur Tür, checkte die Lage, und konzentrierte mich dann erneut auf meinen ungebetenen Gast. Der mich auf dem Bildschirm gerade sehr leichtfüßig in seine Arme hievte und in Richtung meines Schlafzimmers trug, wie ein Feuerwehrmann ein Opfer aus einem brennenden Haus. Wäre es nicht ausgerechnet meine Wenigkeit, die diesen Mist durchlebte, wäre das gar kein mieser Einstieg in einen Roleplay-Porno.

Okay, Fokus! Das Video lief weiter und zwang mich dazu, erneut die Perspektive zu wechseln, weil wir mittlerweile den Flur verlassen hatten. Weil wir das Schlafzimmer erreicht hatten und das bedeutete, dass-

Nein, eigentlich hatte ich keine Ahnung, was das bedeutete. Zwar hatte ich unübersehbare Knutschflecken überall auf meinem Hals, aber ich war vollständig bekleidet aufgewacht. Und mein Hintern und Rachen fühlten sich nicht missbraucht an, soweit ich das einschätzen konnte. Demnach war es mir ein Rätsel, worauf ich mich einzustellen hatte.

Dass der Kerl meinen Körper allerdings fürsorglich in die stabile Seitenlage bastelte und mit einem Ohr an meinem Mund und Zeige- und Mittelfinger an meinem Handgelenk meine Atmung und meinen Puls überprüfte, war trotzdem eine Überraschung. Genauso wie die Tatsache, dass er sich daraufhin neben mich legte, auf die Seite, auf der normalerweise Josias schlief, und ... nichts tat. Er verharrte einfach in seiner Position, rollte sich hin und wieder zu mir, saugte an meinem Hals herum und drehte sich im Anschluss sofort zurück auf den Rücken. Die ganze Nacht über. Erst gegen fünf Uhr morgens hatte er sich letzten Endes aus meinem Bett gestohlen und ohne Umschweife mein Haus verlassen. Bevor er abhaute, stellte er sogar noch sicher, dass die Alarmanlage funktionierte, damit ich es merkte, sollte sich jemand Zutritt verschaffen wollen, während ich einsam und verlassen vor mich hindöste. Irgendwie ironisch.

„Ha." Ich fuhr mir übers Gesicht. Der Kerl machte sich eindeutig über mich lustig. Ich hatte nicht tausende von Euros in meine Ausrüstung gepackt, nur damit er hier ein und ausging, wie es ihm passte. Er würde nicht-

Ich stockte, aus den Gedanken gerissen.

Die Uhr an den oberen Enden aller Bildschirme zeigte zwanzig vor Sieben, als zwei Dinge gleichzeitig geschahen – Kamera Drei zeigte, wie ich durch Josias' Anruf aufwachte, während Kamera Sieben mir vorspielte, wie sich ohne Auslösen des Alarms meine Haustür öffnete. Wie der gleiche Kerl von vor anderthalb Stunden sich eigenständig hereinließ. Mit einem Strauß strahlend gelber Sonnenblumen in den Händen.

Ich beugte mich vor, schwenkte mit den Augen zwischen den Aufzeichnungen hin und her, bis zu dem Moment, in dem ich die Treppen nach unten bestieg. Dem Moment, in dem der Kerl in die Küche verduftete und dort tiefenentspannt hinter der Wand wartete, bis ich den Flur durchquert hatte und nach draußen gelaufen war.

Für zwei, drei Sekunden war ich direkt neben ihm gewesen, er hätte nach mir greifen können, und ich hatte es nicht einmal geahnt.

Jetzt war die Situation nicht mehr länger schlecht, sie war gefährlich.

Langsam ließ ich mich nach hinten in meinen Bürosessel fallen. Vor lauter Aufregung hatte ich die ganze Zeit über gestanden, und es war mir noch nicht einmal bewusst gewesen.

„Scheiße", flüsterte ich und starrte weiter auf den Bildschirm, auf dem der Kerl nun sorgsam die Blumen dort positionierte, wo ich sie vor keiner halben Stunde gefunden hatte, ehe er einen kleinen, gefalteten Zettel unter ihnen versteckte. Seine letzte Amtshandlung, dann war er weg, als wäre er nie dagewesen. Und der Schnelldurchlauf zeigte mir, dass er seitdem auch nicht erneut aufgetaucht war. Ich war also in Sicherheit.

Fragte sich nur, für wie lange noch.

Ich sprang auf, kramte dabei in der Hosentasche nach meinem Handy und suchte schließlich die Kontaktdaten der Sicherheitsfirma heraus, die ihre Alarmanlage bei mir installiert hatte. Ich hatte gerade die Nummer gefunden, als ich im Erdgeschoss bei den Blumen angekommen war, und sie gewählt, als ich den Zettel unter ihnen umständlich mit einer Hand auseinandergefaltet hatte.

Darauf war ein Herz. Ein mit roten Wachsmalern ordentlich ausgemaltes Herz mit schwarzer Umrandung.

„Kundenservice von ISecureT – Home Security. Sie sprechen mit Annabelle Trist. Was kann ich für Sie tun?"

„Guten Tag", murmelte ich. „Judah Lindqvist, Kundennummer 775826, ich bräuchte recht zügig ein komplettes Systemupdate. Es gab Ungereimtheiten."

„Könnten Sie mir diese genauer beschreiben?"

„Bei mir wurde eingebrochen, und der Alarm wurde dadurch nicht ausgelöst."

Der Klang einer misshandelten Tastatur, dann wieder die Frauenstimme: „Das tut mir leid zu hören. Ich könnte Ihnen für nächste Woche Montag um zehn Uhr einen unserer Techniker vorbeischicken. Passt Ihnen der Termin?"

„Ich glaube, Sie haben mich nicht richtig verstanden. Ich möchte zügig ein Systemupdate. Zügig im Sinne von in der nächsten Stunde", sagte ich und hob die Blumen auf – als ein weiterer Zettel sichtbar wurde, der mit einem grünen Bändchen an dem Strauß selbst befestigt worden war. Ein Zettel mit neun Buchstaben und drei Zeichen, alle am Computer geschrieben.

Bis später! <3

„Es tut mir leid, aber einen früheren Termin kann ich Ihnen nicht-"

„Hören Sie", funkte ich dazwischen. „Ich kann nicht bis Montag warten, weil mir ein weiterer Besuch angedroht wurde. Wenn Sie also nicht schuld daran sein wollen, dass ich demnächst als Todesanzeige in der Zeitung lande, weil Sie zu faul waren, mir jemanden herzuschicken, dann sorgen Sie gefälligst dafür, dass sich bis spätestens heute Abend jemand um das Problem gekümmert hat."

Sie schwieg kurz, bevor wieder das Tippen ertönte. „Gegen zwölf wird einer unserer Techniker bei Ihnen vorbeischauen."

„Danke schön." Ich legte auf, ohne mir ihre Antwort anzuhören, und steckte mein Handy weg, den Blick auf die Sonnenblumen gerichtet.

Das roch nach ziemlichem Ärger.

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