August 2009
Hier wird's jetzt ein bisschen toxisch zwischen Judah und Josias, aber das ist nötig. Für später.
Viel Spaß!
Keine zwei Meter von Josias' und meiner Picknickdecke entfernt saßen drei Mädchen auf ihrer eigenen Decke, minimal älter als wir, und kicherten herum, während sie Efraim dabei beobachteten, wie er die Leiter zum Fünfersprungbrett hinaufkletterte, und er verschlimmerte ihr Gekicher zusätzlich, als er oben angekommen in unsere ungefähre Richtung winkte.
Ich zog meine Knie an die Brust und schlang meine Arme um sie. Zwar trug ich extra noch eine enganliegende Shorts unter meiner Badehose, aber ich traute meinem Körper nicht. Der spann in letzte Zeit besonders gerne dann herum, wenn ich es nicht gebrauchen konnte. Und Efraim in Badeklamotten, wie er in der Luft eine Schraube schlug und dann kerzengerade ins Wasser eintauchte, war einer dieser unbrauchbaren Momente.
„Geh ins Becken. Ich passe auf unsere Sachen auf." Josias lag neben mir, ohne Sicherheits-Unterhose, und genoss die Sonne auf seiner dick mit Lichtschutzfaktor fünfzig eingeschmierten Haut.
Ich versuchte, an möglichst widerliche Dinge zu denken. „Wieso soll ich ins Becken?"
„Weil du aussiehst, als wolltest du."
Gut, dass er nicht wusste, wie falsch er damit lag.
Ich wollte verneinen, aber Efraim zerstreute meine Gedankengänge – indem er aus dem Pool stieg. Mit Wassertropfen, die ein Wettrennen von seinen Haaren bis zu seiner Taille veranstalteten.
Man sah an jeder Faser, dass er mehrmals wöchentlich im Verein trainierte. Man sah es sogar sehr, sehr gut.
„Also?" Josias hob kurz seine Sonnenbrille von den Augen – die er nicht trug, um cool auszusehen, sondern um seine Augen vor UV-Schäden zu bewahren – und musterte mich, während ich mich anstrengen musste, meine Aufmerksamkeit zurück auf unser Gespräch zu lenken.
„Ich will noch warten, bis die Sonnencreme richtig eingezogen ist", log ich und rückte fix ein Stück zur Seite, als Efraim auf uns zusteuerte, damit er neben mir genug Platz hatte. Oder vielleicht auch, damit er nicht in Versuchung geriet, sich woanders hinzusetzen. Zu den Mädchen beispielsweise. Weil er mein bester Freund war, und ich mir darauf definitiv etwas einbildete.
Josias nickte mir zu. „Das ist vernünftig."
Nach diesem Satz war ich vorerst aus seinem Verhör entlassen, bis Efraim den Abstand zu uns überbrückt hatte.
„Hast du mir zugesehen?" Er ließ sich tatsächlich auf die von mir freigeschaufelte Fläche fallen und schüttelte zeitgleich sein Haar aus, die Lippen zu einem kilometerbreiten Grinsen verzogen. „War meine Haltung gut, als ich ins Wasser rein bin?"
Ich öffnete den Mund, doch Josias nahm mir die Antwort ab, bloß auf eine Weise, auf die ich nicht geantwortet hätte: „Menschen, die nach Komplimenten angeln, sind erbärmlich."
„Toll." Efraims Grinsen blieb standhaft. „Und ich finde Typen erbärmlich, die 'nen Blowjob ablehnen, weil sie Angst haben, dass ihr Schwanz dadurch dreckig werden könnte."
Stille, aber ich spürte schlagartig Josias' Blick, wie er mir Krater in die Schädeldecke brannte, ehe er meinen Kopf ruckartig in seine Richtung drehte, damit ich ihm nicht ausweichen konnte. „Möchtest du begründen, was ihn", er spuckte das Wort aus, „zu dieser Aussage motiviert hat?"
Ich sah ihn trotz der Finger, die an mir zerrten, nicht an, sondern direkt an ihm vorbei zu einem alten Mann mit Bierbauch, der abenteuerliche Dehnübungen machte. Hatte den netten Nebeneffekt, dass es meinen Schritt wieder normalisierte. „Du hast mit den Beleidigungen angefangen, da brauchst du dich nicht wundern, wenn er zurück-beleidigt."
„Das ist nicht, worauf ich hinauswollte, und das weißt du."
Ich schürzte die Lippen. „Du hast nie erwähnt, dass ich die Geschichte niemandem erzählen soll."
Sein Griff um mein Kinn verstärkte sich. „Ich dachte, das versteht sich von selbst."
„Wir sind so", Efraim drängte sich in unser Sichtfeld und präsentierte uns seine rechte Hand, dessen Zeige- und Mittelfinger er überkreuzt hatte, „miteinander. Da ist halt kein Platz für Geheimnisse. Ich weiß alles. Jedes noch so kleine, dreckige Detail."
„Ach?" Josias sprach in einer Tonlage, die es nun doch schaffte, meinen Fokus allein auf ihn zu richten. „Jedes Detail, sagst du?"
„Richtig." Efraim beugte sich zu ihm vor, presste ihre Stirne gegeneinander und sorgte damit dafür, dass Josias von mir ablassen musste. „Jedes. Dreckige. Detail."
„Oh, dann bist du bestimmt ebenfalls darüber im Bilde, dass Judah-" Josias brach ab, als er mein hektisches Kopfschütteln im Hintergrund bemerkte. Gerade noch rechtzeitig, ehe er Efraim an der Schulter von sich drückte. „Wenn ich es mir recht überlege, möchte ich mich nicht auf dein Niveau herablassen."
„Keine Chance, jetzt bin ich neugierig." Efraim kniff die Augen zusammen. „Worüber bin ich angeblich nicht im Bilde?"
Aber Josias erhob sich, statt weiter darauf einzugehen. „Im Gegensatz zu Judah bin ich nicht so", er ahmte Efraims Geste von gerade eben nach, „mit dir, also sehe ich keinen Grund, dir irgendetwas zu verraten." Dann wandte er sich mir zu. „Ich gehe mir eine Pommes holen. Soll ich dir eine mitbringen?"
Ich nickte. Gut, dass sein Ego nicht größer war als sein Drang, mich zu beschützen. Worunter auch zählte, mir den einzigen wirklichen Freund, den ich hatte, nicht wegzunehmen. Immerhin war es fraglich, ob ich es erneut schaffen könnte, einen zu finden. Einen, der nicht komisch wurde, wenn ich die verschiedenen Gesichtsausdrücke durcheinanderbrachte, sondern darüber lachte, als wäre es normal.
Ich wollte ihn nicht hergeben müssen.
„Mach drei draus. Ich will auch eine." Efraim ließ sich wieder neben mich plumpsen.
„In dem Fall wirst du wohl aufstehen und dir eine besorgen müssen." Josias verschränkte die Arme vor der Brust. „Aber vielleicht ändere ich meine Meinung ja, wenn du mich um Vergebung bittest."
Schnaubend griff Efraim nach der Sonnenbrille, die er mir vor seinem Ausflug ins Wasser ins Haar geschoben hatte, und setzte sie sich auf. „Bitte lieber den Verkäufer darum, sich vor der Zubereitung die Hände zu waschen, damit keine furchtbar ekligen Bakterien deine armen, hilflosen Pommes kontaminieren."
Josias war schlecht darin, sich mit Efraim zu streiten. Vielleicht war das mit einer der Gründe, warum er ihn nicht ausstehen konnte. Auf jeden Fall musste sein Mittelfinger herhalten, weil ihm kein guter Konter mehr einfiel.
Efraim quittierte das mit einem Glucksen. „Fünfhundert zu Null für mich", meinte er und widmete sich endlich mir, als Josias außer Hörweite drüben bei der Pommes-und-Currywurst-Bude angelangt war. „Hast du dich schon eingecremt? Sonst heulst du nachher wieder rum, dass dir alles wehtut."
„Vor über einer halben Stunde." Ich stoppte, überlegte. Und klügelte einen Plan aus. „Nur meinen Rücken nicht."
„Was natürlich extrem schlau ist, wenn man genau mit dem zur Sonne sitzt." Er rollte mit den Augen, schnappte sich den blauen Jutebeutel, den er bei unserer Ankunft neben Josias' und meinen Rucksack am Kopfende der Decke geparkt hatte, und kramte von dort eine weiße Tube Sonnencreme heraus. „Komm her, ich rette dich vor deiner eigenen Dummheit."
Komischerweise brauchte es gar nicht seine Hände auf meiner Haut oder zumindest die Vorstellung davon, um den Zustand meines Schrittes erneut zu ent-normalisieren, sondern bloß das Geräusch, das die Tube machte, als er ihren Inhalt in seine Handfläche quetschte.
Hastig drehte ich mich um, meine Vorderseite vor seinen Blicken verborgen, und rückte unauffällig ein paar Sachen zurecht. Ich war noch nicht richtig fertig, als seine Finger bereits meinen Nacken fanden. Eine kühle Berührung, die sich ausbreitete, meine Wirbelsäule hinab, meine Rippenbogen entlang und über meine Schultern hinweg.
Es waren die kürzesten und längsten zwei Minuten meines Lebens.
„So!" Er klatschte mir ein letztes Mal grob gegen die Schulterblätter, packte die Tube wieder in seinen Jutebeutel und machte es sich anschließend hinter mir auf dem Bauch bequem. „Weck mich, wenn du mit dem Essen fertig bist, dann gehen wir zusammen schwimmen."
„Okay." Ich wartete noch einen Moment ab, bevor ich zu ihm linste, aber er hatte die Lider geschlossen, die Gefahr war also gebannt und ich konnte mich zum ersten Mal heute gemütlich ausbreiten. Allerdings musste ich meine gemütliche Position dann doch recht schnell wieder aufgeben, weil Josias mit unserem Snack auftauchte. Und im Liegen zu essen, was scheiße schwer, da verschluckte ich mich ständig.
„Hier." Er drückte mir eine Pappschale mit Pommes gegen die Brust.
Ich nahm sie entgegen. Enttäuscht. „Ohne Ketchup?"
„Eine Packung enthält fast sechs Gramm Fructose. Das verträgst du nicht, du hast vor kurzem erst zwei Kiwis gegessen."
Ich schmollte. „Aber die waren noch nicht mal reif."
„Das ist unerheblich." Er hockte sich zu mir auf die Decke und spießte sowohl bei mir als auch bei sich selbst jeweils eine Pommes mit einer Holzgabel auf. „Guten Appetit."
„Mh", machte ich und steckte mir die erste Fritte – ohne Gabel – in den Mund, bevor ich eine zweite unter Efraims Nase hielt. „Hunger?"
Blitzschnell waren seine Augen nicht mehr geschlossen. Genauso wenig wie sein Mund, in den er etwas verrenkt hineindeutete. „Füttern."
Also fütterte ich uns beide, immer abwechselnd, bis in der Schale Ebbe war und er langsam zurück ins Traumland sickerte.
„Nicht satt", murmelte er dabei. „Aber glücklich."
„Wir können nachher noch eine essen." Ich musterte ihn. Er hatte sechs kleine Narben links von seinem Rückgrat am Übergang zur Hüfte. Sie kam von dem Mal, als wir gewettet hatten, wer es schneller mit Inline-Skates einen Hügel nach unten schaffte. Wie so oft hatte er gewonnen, dafür aber nicht mehr bremsen können, sich irgendwie überschlagen und war am Ende gegen einen morschen Holzzaun gedonnert. Ich hingegen war heile geblieben.
Trotzdem hätte ich lieber gegen ihn gesiegt, selbst wenn es die paar Schrammen bedeutet hätte.
„Oder sieben." Er gähnte. „Gib mir zehn Minuten, dann können wir ins Wasser."
„Mhm." Ich stellte meine Pappschale beiseite und rutschte zu Josias rüber. Seine war nämlich erst ungefähr zur Hälfte leer. „Teilen wir uns den Rest deiner Pommes?"
„Obwohl du schon eine Portion hattest?"
„Effy hat mitgegessen", erklärte ich und wollte mir eine seiner Fritten nehmen, als er die gesamte Schale außerhalb meiner Reichweite beförderte.
Ich blinzelte. „Warum tust du das?"
„Weil du aus reinem Selbstverschulden weiter Hunger hast." Er schob sich demonstrativ eine Pommes zwischen die Lippen. „Jetzt musst du mit den Konsequenzen leben. Zumindest", er brachte die Schale nun doch wieder vor sich und damit zwischen uns, „würde ich das sagen, wenn du nicht mein Bruder wärst."
Ich lachte und langte sofort zu. Wäre auch untypisch gewesen, wenn er mir Essen verweigert hätte, immerhin war er derjenige, der mir, seit ich denken konnte, immer die Hälfte seines Tellers gegeben hatte, wenn Mama und Papa mal wieder keine Lust gehabt hatten, sich um mich zu kümmern. Oder sich absichtlich nicht um mich gekümmert hatten.
„Du kannst gerne alles haben." Josias aß eine letzte Fritte, bevor er mir seine Schale ganz überreichte.
Das ließ ich mir nicht zweimal sagen und stopfte mir gleich mehrere gleichzeitig in den Mund. Es dauerte keine drei Minuten, bis ich fertig war und Efraim mit dem Fuß anstupste. „Hab aufgegessen."
„Cool, die zehn Minuten sind aber noch nicht rum." Damit schnappte er nach dem Unterarm, auf den ich mich gerade stützte, und riss ihn unter mir weg. „Also leg dich hin und sei ausnahmsweise mal still."
Es passierte so schnell, dass ich es nicht rechtzeitig schaffte, mich abzufangen, und auf die Seite krachte, mit dem Gesicht in Josias' Richtung, der seltsam mürrisch dreinblickte.
„Hör auf, ihm Dinge vorzuschreiben", meinte er.
„Weil nur du das darfst?" Efraim kicherte. Ich konnte seinen Atem in meinem Nacken spüren. „Außerdem wollte ich ihm damit gar nichts vorschreiben – ich wollte einfach nur in Ruhe mit ihm kuscheln." Während er sprach, schlang er einen seiner Arme um meine Hüfte, zog mich an sich. „Oder bist du auch der Einzige, der mit ihm kuscheln darf?"
Ich war zwar nicht klein, aber in dieser Position fühlte ich mich ziemlich winzig.
Es war ... aufregend.
Josias rümpfte die Nase. „Du kuschelst ihn nicht, du belästigst ihn."
„Tue ich das?" Efraim lachte, ich fühlte das sachte Brummen auf meine Knochen übergehen. „Vielleicht sollten wir beide lieber Jude selbst fragen, ob er sich belästigt fühlt, anstatt das über seinen Kopf hinweg zu entscheiden – also, belästige ich dich?"
Ich schüttelte bestimmt den Kopf. Er sollte ja nicht auf die Idee kommen, von mir abzurücken. „Ne."
„Siehst du?" Efraim drückte mich zur Belohnung noch eine Spur fester. „Alles einvernehmlich."
Daraufhin schnalzte Josias mit der Zunge, während ich mich auf die Wärme in meinem Rücken konzentrierte.
Hoffentlich vergaß Efraim, dass wir eigentlich zusammen schwimmen gehen wollten.
„Deine Eltern ergeben maximal keinen Sinn." Efraim ließ Fox mit seiner Waffe Laser auf Pikachu schießen. Dieses Mal spielte er solo, während ich ihm zusah.
„Was meinst du?" Ich nuckelte an meinem Wasser. Ich hatte einen winzigen Schuss Orangensaft hineingeschummelt, als keiner hingesehen hatte.
„Na", er fluchte, als Pikachu auswich und ihn mit seinem Donnerschock traf, „wieso mögen sie deinen Bruder, aber dich nicht?"
„Er wurde zuerst geboren, am zwanzigsten Januar, und ich ein paar Minuten später am einundzwanzigsten."
„Und?"
„Und", ich grübelte kurz, „mich hätte es ja eigentlich nicht geben sollen. Es war nicht geplant, dass Josias sich teilt und ich entstehe."
„Das ist übertrieben dämlich." Er schnaubte. „Ich meine, woher wollen sie wissen, ob du nicht zuerst da warst? Nur weil er zufällig vor dir rausgepresst wurde, heißt das ja nicht, dass er auch allgemein vor dir existiert hat. Vielleicht hast du dich ja geteilt und Josias ist entstanden."
„Ich weiß nicht." Ich zupfte an ein paar losen Fäden seines Teppichs herum. „Auf jeden Fall ist das der Grund, warum mich Mama und Papa nicht mögen."
„Schwachsinn." Er schüttelte den Kopf und schmiss seinen Kontroller beiseite, als Fox von der Kampf-Landschaft geschleudert wurde und dadurch sein letztes Leben verlor. „Aber meine leiblichen Eltern sind genauso bescheuert." Er ließ sich aus dem Schneidersitz nach hinten kippen, starrte an die Decke. „Sie waren nicht mal ein Paar, als sie mich bekommen haben, und, ich glaube, deswegen wollten sie mich nicht, ähnlich wie bei dir, nur dass ich keine anderen Geschwister habe. Oder in kurz: meine Bio-Ma hat sich nie richtig für mich interessiert und mein Vater war zu beschäftigt damit, ständig irgendwelche Weiber abzuschleppen."
Ich beobachtete ihn. Er sah nicht traurig darüber aus. „War Imani eine von denen, die er abgeschleppt hat?"
Er hob die rechte Hand und streckte mir seinen Daumen entgegen. „Imani war in meiner Grundschule die Direktorin. Papa und sie haben sich bei einem Gespräch kennengelernt, zu dem er antanzen musste, weil ich eines der Klassenzimmerfenster eingeschlagen habe, und das hat dann darin", er holte die zweite Hand hinzu, formte mit ihr einen Kreis und durchlöcherte ihn mit dem Zeigefinger der anderen, „geendet, schätze ich, weil sie paar Monate später plötzlich meine Stiefmutter war. Am Anfang hatte ich übelst keinen Bock drauf, aber sie hat sich krass Mühe gegeben, weißt du? Sie ist zu all meinen Trainingsstunden und Wettkämpfen gekommen und so Zeug. Das war schon irgendwie nett." Er ließ beide Arme fallen und schwang sich zurück in die Hocke. „Papa hätte mir das alles aber fast wieder kaputtgemacht, weil er sie ja unbedingt betrügen musste, also habe ich mich schnell von ihr adoptieren lassen, bevor sie von seinen Fremdgeh-Aktionen erfuhr. Und nach der Scheidung bin ich dann einfach bei ihr geblieben. Das war die bessere Alternative – vor allem jetzt, wo er im Knast hockt. Ohne sie hätte ich wahrscheinlich ins Heim gemusst."
Ich nickte. Das ergab Sinn. „Und wieso hast du damals die Scheibe eingeschlagen?"
Er schmunzelte schief. „An was du dich immer aufhängst." Bevor er mit den Schultern zuckte. „Hatte meinen Hausschlüssel im Klassenzimmer vergessen und den brauchte ich eben. Wäre sonst eine Nacht auf der Straße für mich geworden."
„Wollte dir denn kein Lehrer den Raum aufmachen?"
„Da war keiner mehr anwesend. Ich bin nach dem Unterricht noch ein paar Stunden bei einem Freund gewesen und hab dann erst vor meiner Haustür gemerkt, dass ich keinen Schlüssel hatte, also musste ich mit dem Bus zurück zur Schule, und bis dahin war dort schon alles abgesperrt. Ich musste sogar über den Zaun klettern, um überhaupt aufs Gelände zu kommen."
„Achso." Damit waren meine Fragen beantwortet, also griff ich nach dem Kontroller. „Bin ich jetzt dran?"
„Klar." Er wälzte sich auf den Bauch. „Nimmst du wieder Kirby?"
„Immer." Ich klickte den rosa Klumpen an und suchte mich durch die Farbvorschläge. „Aber dieses Mal in Gelb."
„Judah?" Es klopfte an der Tür, bevor Imani sie öffnete und hereintrat. „Dein Bruder sucht nach dir."
Überrascht sah ich zu Josias. „Was ist los?"
„Es ist nach zehn und morgen ist Schule." Er trat an Imani vorbei ins Zimmer und hin zu mir, griff nach meinem Handgelenk. „Wir müssen schlafen gehen."
Die Uhrzeit hatte ich gar nicht im Blick gehabt.
„Okay." Ich stemmte mich zurück auf die Beine und wandte mich Efraim zu. Meine Knie fühlten sich vom langen Sitzen total steif an. „Bis morgen."
„Du kannst auch hier pennen." Er sah mich auf eine Weise an, die mir mit Sicherheit etwas sagen sollte, aber das tat sie nicht. „Das darf er doch, oder, Mama?"
„Wenn deine Eltern nichts dagegen haben", Imani lächelte mich an, „kannst du sehr gerne bei uns übernachten."
Ich hatte noch nie bei irgendwem übernachtet. Ich war noch nie länger als einen halben Tag, aber vor allem keine Nacht von Josias getrennt gewesen, selbst damals nicht, als ich mir in einem Experiment beide Beine gebrochen und eine Woche in Krankenhaus hatte verbringen müssen. Wir hatten einfach so lange einen Aufstand veranstaltet, bis die Schwestern und unsere Eltern dazu gezwungen gewesen waren, uns wieder zusammen zu bringen.
„Mm, nein." Ich schüttelte den Kopf. „Ich schlafe zuhause, aber danke."
„Warum nicht?" Efraim runzelte die Stirn. „Lässt er dich nicht?"
„Es ist seine eigene Entscheidung." Josias zog mich ruckartig an seine Seite. „Du bist ihm eben nicht derart wichtig, wie du es dir einredest."
„Ach ja?" Efraim stand ebenfalls auf und kam auf uns zu. „Bist du dir da sicher?"
„Ja, bin ich." Josias schnaubte verächtlich und trieb mich zur Tür hin. „Wir gehen."
„Nein, er bleibt!"
Um ein Handgelenk Josias' Finger, um das andere Efraims. Ich war verwirrt.
„Efraim!" Imani legte ihm eine Hand auf die Schulter. „Was soll denn das? Wenn Judah nicht bei uns schlafen möchte, muss er das nicht."
„Aber er will bei uns schlafen. Sein kontrollsüchtiger Bruder erlaubt es ihm nur nicht."
Das war falsch. In Wahrheit war ich ohne ihn nämlich einfach nicht komplett. Was auch ziemlich logisch war, wenn man mal darüber nachdachte. Schließlich hatten wir uns aus ein und derselben Eizelle entwickelt. Wir waren ein Ganzes, das sich aus Versehen gespalten hatte. Also waren wir auch nur dann wieder vollständig, wenn wir beieinander waren.
„Lass ihn los." Imani sah mit einem Mal sehr ernst aus, so ernst, dass es Efraim tatsächlich dazu brachte, seinen Griff zu lösen. Wenn auch scheinbar widerwillig.
„Aber irgendwann schläfst du bei mir", murrte er.
Josias gab mir keine Zeit für eine Zu- oder Absage, er schob mich aus dem Zimmer und die Treppen hinunter. Dabei hielt er mein Handgelenk weiterhin unnachgiebig umklammert. Auch dann noch, als wir längst der Hauptstraße zu unserem Haus folgten.
„Was der sich wagt." Josias stampfte bei Laufen. Im Gegensatz zu seinem Verhalten im Schwimmbad war das wiederum gar nicht typisch für ihn. „Kennt dich seit etwas mehr als zwei Jahren und denkt, er könnte sich zwischen uns drängen." Er stoppte. Abrupt. Ich stolperte sogar gegen ihn. „Niemand wird sich jemals zwischen uns drängen, hörst du?"
Ich stützte mich an ihm ab, um mein Gleichgewicht wiederzugewinnen, bevor ich ihn mit gehobenen Brauen beäugte. „Das weiß ich doch."
„Ich will es dir nur gesagt haben – wenn du dich jemals für ihn anstatt für mich entscheidest", er starrte mir mitten ins Gesicht, formvollendet ausdruckslos, „dann bist du nicht mehr länger mein Bruder."
Ich verstand nicht, weshalb er sich überhaupt Gedanken darüber machte. Es war selbstverständlich, dass er für mich immer an erster Stelle stehen würde. Aber zumindest verstand ich, dass dieses Gespräch von Bedeutung war.
Also nickte ich. „Du musst dir echt keine Sorgen machen, Josie. Mir wird niemals jemand wichtiger sein als du."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro