Kapitel 34
Kapitel 34
Detektiv Wright
Der Fahrstuhl hält im zwanzigsten Stockwerk, die Türen öffnen sich und vor uns erstreckt sich ein mondäner Empfangsbereich. Dunkler Teppich, ein Empfangstresen aus weißem Holz, Chrom und Glas. Dahinter sitzt eine schlanke, gut gekleidete Frau mit einem Headset. Als sie uns sieht, steht sie auf und weist mit der Hand auf eine Doppeltür an der Seite. „Mr. Montgomery erwartet Sie bereits."
Ich nicke, dann gehe ich zur Tür. Montgomery Enterprises ist in einem modernen Hochhaus im Herzen von London gefestigt. Mein Partner Monroe und ich sind bereits durchleuchtet, abgetastet und durch einen Metalldetektor geschickt worden. Charles Montgomery überlässt seine Sicherheit nicht dem Zufall. Bei seinem Sohn dahingegen hat er diese Vorkehrungen nicht getroffen.
Monroe erreicht die Tür vor mir und zieht einen Flügel auf. Ich trete hindurch. Sofort wird mein Blick von den großen, bodentiefen Fenstern angezogen, die zwei Seiten des großen Raums begrenzen. Man hat einen meilenweiten Blick über London. Ich sehe die Themse, den Tower, das verdammte London Eye. Dann wandert mein Blick zu dem großen Schreibtisch aus dunklem Holz, der vor der Fensterfront steht. Dahinter sitzt Charles Montgomery. Wir haben zu Beginn der Ermittlungen bereits mit einander gesprochen. Ein durch und durch unsympathischer Mann.
Vor dem Schreibtisch sitzt ein älterer Mann, der bei unserem Eintreffen aufsteht. Groß, gut gekleidet, grauer Haaransatz. Auch ihn kenne ich schon. Er ist der Anwalt von Charles Montgomery. Ich nicke ihm zur Begrüßung zu. „Mr. McFarland", sage ich.
„Detektive Wright, Detektive Monroe", erwidert der Anwalt, dann deutet er auf eine lederne Sitzgruppe. „Setzen wir uns doch."
Wir setzen uns, doch Charles Montgomery gesellt sich nicht zu uns. Er stellt sich an eines der großen Fenster, mit dem Rücken zu uns. Unhöflich. Distanziert. Ich vermerke es in meinem Hinterkopf. Als weder der Anwalt noch Charles Montgomery das Wort ergreifen, beginne ich das Gespräch.
„Mr. Montgomery, die Entführer Ihres Sohnes haben Ihnen ein Ultimatum von 48 Stunden gestellt, um sich mit ihnen in Verbindung zu setzten. Von diesem Ultimatum sind bereits mehr als 30 Stunden verstrichen."
Ich sehe auf den Rücken von Charles Montgomery, doch er antwortet nicht. Bewegt sich nicht einmal. Deswegen fahre ich fort. „Die Entführer haben gedroht, dass Sie Gewalt anwenden werden, wenn die Frist fruchtlos verstreicht."
Als Charles Montgomery immer noch nicht reagiert, ergreift mein Partner das Wort. Seine tiefe, sonore Stimme hallt durch den Raum. „Zum jetzigen Zeitpunkt der Ermittlungen ist es unwahrscheinlich, dass wir Ihren Sohn rechtzeitig finden, bevor das Ultimatum abläuft."
Der Anwalt schlägt ein Bein über das andere und zupft einen imaginären Fussel von seiner Hose. „Mr. Montgomery ist sich des Ultimatums durchaus bewusst", sagt er, doch er sieht mir nicht in die Augen. Entweder ist er mit dem Kurs, den Montgomery fahren will nicht einverstanden, oder er hat etwas zu verbergen.
„Und wird er sich mit den Kidnappern in Verbindung setzen?" frage ich und beuge mich vor. „Denn die Kidnapper waren sehr deutlich in ihren Forderungen. Sie wollen persönlichen Kontakt zu Ihnen, Mr. Montgomery. Scotland Yard kann mit den Entführern verhandeln, aber das reicht denen nicht."
Wieder ist es der Anwalt, der antwortet. Doch diesmal hebt er den Blick und sieht uns an. „Ich denke wir haben bereits deutlich gemacht, dass Montgomery Enterprises nicht mit Entführern verhandelt. Das ist unsere Geschäftspolitik."
Wut steigt in mir auf und ich kann sie nur mit Mühe unterdrücken. Ich sehe zu dem Mann am Fenster. „Aber es geht hier um Ihren Sohn, Mr. Montgomery."
McFarland nickt bedächtig. „Ja, das ist uns durchaus bewusst. Aber wenn Montgomery Enterprises in einer solchen Angelegenheit einen Präzedenzfall schafft, in dem mit den Erpressern verhandelt wird, wird das unweigerlich Nachahmer auf den Plan rufen. Montgomery Enterprises ist nicht bereit, diesen Leuten Tür und Tor zu öffnen."
Monroe lehnt sich in seinem Sessel zurück und ich kann förmlich spüren, dass er jetzt gerne seine Meinung sagen würde. Aber wir brauchen Charles Montgomery's Kooperation. Wenn wir ihn jetzt vor den Kopf stoßen, wird er dichtmachen. Dennoch setze ich neu an. Ich muss einfach. Hier geht es nicht um Politik, sondern um das Leben eines jungen Mannes.
„Mr. Montgomery, es geht hier um das Wohlsein und im schlimmsten Fall das Leben Ihres Sohnes. Sie..." Doch ich kann nicht ausreden. Charles Montgomery's schneidende Stimme unterbricht mich.
„Wer sagt mir denn, dass Bentley noch lebt?"
Ich sehe kurz zu meinem Partner. „So lange wir nicht das Gegenteil kennen, müssen wir davon ausgehen, dass er noch lebt. Wir könnten von den Erpressern ein Lebenszeichen verlangen."
Charles Montgomery verschränkt die Hände hinter seinen Rücken und sieht weiter hinaus über die Stadt. Er erinnert mit an Lex Luther aus den Superman Comics. Ein Schurke. Eiskalt. Gefühllos. Ich balle die Hände auf den Knien zu Fäusten.
„Und wer sagt mir", sagt Charles Montgomery, ohne den Blick von der Aussicht abzuwenden, „dass Bentley mit diesen Leuten nicht unter einer Decke steckt?"
Wie bitte? „Wie kommen Sie darauf?"
Mein Partner schüttelt irritiert den Kopf. „Unsere Ermittlungen haben in der Hinsicht nichts ergeben."
Es ist der Anwalt, der antwortet. „Bentley hat in der Vergangenheit einige fragwürdige Entscheidungen getroffen. Es ist durchaus denkbar, dass er sich mit diesen „Entführern" (der Mann malt Gänsefüßchen in die Luft) verbrüdert hat."
Ich kann das nicht glauben. Alle Leute mit denen ich gesprochen habe, alles was ich über William Bentley Montgomery erfahren habe, bringt mich zu dem Schluss, dass er hier das Opfer ist. Monroe geht es nicht anders. Er beugt sich vor, die Ellenbogen auf die Knie gestützt.
„Von was für fragwürdigen Entscheidungen sprechen Sie?"
Von Charles Montgomery kommt ein Schnauben. Seine Schultern sind auf einmal angespannt, sein Rücken hart wie Stahl. Ich kann sehen wie er seine Finger streckt und krümmt, so als müsse er seine aufgestaute Energie irgendwie loswerden. Montgomery spielt nur den Gelassenen, schießt es mir durch den Kopf. Er ist genauso angespannt wie wir alle. Er kann es nur besser verbergen. Als er spricht, ist seine Stimme unnachgiebig, aber ich höre die Wut tief in ihm drinnen.
„Bentley hat mir den Rücken gekehrt. Er ist egoistisch, eigensinnig, starrköpfig. Ihm ist die Zukunft von Montgomery Enterprises völlig egal. Es geht ihm immer nur um sich. Seit drei Jahren hat er sich nicht mehr gemeldet, lebt sein Leben abseits jeder Norm und Moral. Und alles nur, um sich an mir zu rächen oder um mich zu kränken. Weiß der Himmel, was in seinem verdorbenen Kopf vorgeht. Tatsache ist aber", sagt Montgomery und dreht sich endlich zu mir um, „dass ich, und Montgomery Enterprises, meinem Sohn völlig gleichgültig bin. Und jetzt frage ich Sie, Detektive, warum sollte mir Bentley nicht auch völlig gleichgültig sein?"
Bevor ich mich stoppen kann stehe ich auf meinen Beinen. „Ihr Sohn wurde gekidnappt, weil Sie 800 Mitarbeiter ohne jede finanzielle Absicherung entlassen haben. Bentley badet Ihr Problem aus."
Jetzt erhebt sich der Anwalt und hebt beschwichtigend die Hände. „Detektive Wright, bitte mäßigen Sie sich. Wir sind hier nicht der Feind."
Doch, das seid ihr, denke ich. Montgomery lässt seinen Sohn in der Gefangenschaft der Kidnapper, obwohl die 50 Millionen Pfund nur Spielgeld für ihn sind. Und jetzt spielt er mit dem Leben seines einzigen Sohnes. Wegen Geld. Wegen Macht. Wegen gekränkter Eitelkeit.
Ich bin so wütend, dass ich für einen Moment nicht sprechen kann. Monroe wirft mir einen Seitenblick zu und ergreift das Wort. „Mr. Montgomery, um auf den Punkt der fragwürdigen Entscheidungen zurückzukommen. Was meinten Sie damit?"
Charles Montgomery sieht Monroe an, dann mich. Er hat sich wieder unter Kontrolle, ganz der Geschäftsmann. „Wenn Sie Ihre Arbeit gründlich gemacht haben, dann haben Sie sicherlich ermittelt, dass Bentley....sich in anderen Kreisen aufhält, als es für einen Montgomery angemessen ist."
„Sie meine, dass er schwul ist?" frage ich geradeheraus.
Der Anwalt hüstelt und Charles Montgomery verzieht das Gesicht, als ob er etwas Ekliges gerochen hätte.
„Wie gesagt", antwortet Montgomery, „er hat Entscheidungen getroffen, die ich nicht gutheißen kann."
„Und deswegen, wegen seiner sexuellen Orientierung, lassen Sie Ihren Sohn in der Händen der Entführer?"
Ich bin so geschockt, dass ich nicht einmal mehr wütend bin. Neben mir knackt Monroe mit den Fingerknöcheln. Seine Tochter ist lesbisch. Monroe würde jeden zu Staub zermahlen der seiner Tochter aus welchem Grund auch immer ein Haar krümmt.
„Bitte", sagt der Anwalt. „Das bringt und doch nicht weiter. Wir sollten uns darauf konzentrieren, was das Beste für Bentely ist."
„Das Beste für ihn wäre", sage ich und muss mich beherrschen, um nicht zu schreien, „wenn Mr. Montgomery endlich Kontakt zu den Entführern aufnimmt."
McFarland schüttelt bedauernd den Kopf. „Wie wir schon erklärt haben...."
Doch diesmal lasse ich ihn nicht ausreden. „Wenn Sie es schon nicht für Ihren Sohn tun, Mr. Montgomery, dann eben wegen der Presse. Was glauben Sie, was die Presse tun wird, wenn herauskommt, dass Sie sich geweigert haben, ein Telefonat zu führen, um Ihren Sohn zu retten? Sie müssen ja das Lösegeld nicht zahlen, wenn Sie nicht wollen. Aber ein Telefonat dürfte Ihnen das Leben Ihres Sohnes doch wert sein!"
Charles Montgomery und sein Anwalt unterhalten sich mit Blicken. Dann nickt der Anwalt. Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit, nickt Montgomery. Der Anwalt holt einmal tief Luft. „Na gut, wir werden mit den Entführern reden."
Gott sei Dank. Dann hat Ben Montgomery wenigstens noch eine Chance, heil aus dieser Sache herauszukommen. Ich setze mich wieder hin und hole meinen Notizblock heraus. Monroe verlässt derweil den Raum, um zu telefonieren, damit alles für die Kontaktaufnahme mit den Entführern vorbereitet werden kann.
„Dann sollten wir alles Notwendige besprechen", sage ich und fange an, die weiteren Formalitäten, Risiken und Chancen durchzugehen. Und die ganze Zeit kann ich nur daran denken, wie gerne ich Charles Montgomery eine reinhauen will, weil er seinen Sohn behandelt, als wäre er nichts weiter als ein nerviges Haustier. Schlimmer noch, als wäre er es nicht wert, gerettet zu werden.
Ollie
Acht Tage. Es sind jetzt acht Tage. In den Zeitungen steht nichts Neues. Sie drucken immer nur wieder das Foto von Ben mit der Zeitung. Sind keine Neuigkeiten gute Neuigkeiten? Heißt das, dass Bens Vater endlich mit den Entführern verhandelt?
Um mich abzulenken arbeite ich Tag und Nacht im Coffee Corner. Aber ich verwechsele Bestellungen, kassiere falsch ab, starre manchmal nur minutenlang die Wand an. Wenn Vicky und Susan nicht wären, um mir zu helfen, hätte mich Mr. Burge schon längst gefeuert.
Der Gedanke, dass Ben irgendwo ganz alleine eingesperrt ist, vielleicht verletzt, dreht mir den Magen um. Aber schlimmer ist der Gedanke, dass er nicht weiß, was er mir bedeutet. Und dass es mir Leid tut, was ich ihm an den Kopf geworfen habe. Wenn diese Sache schief geht (daran darf ich gar nicht denken!), wird er nie erfahren, dass er das Beste ist, was mir bisher im Leben passiert ist. Ja, fuck, ich weiß, dass wir uns erst ein paar Wochen kennen, aber so etwas wie bei Ben habe ich noch nie gefühlt. Und er weiß es nicht. Ich kann es ihm nicht sagen.
Wo bist du, Ben?
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