Kapitel 26
Kapitel 26
Vicky
Zum Glück ist meine Schicht vorbei. Es war ein langer Tag. Nicht nur ist uns die Espressomaschine kaputt gegangen, sondern auch der Ofen hat verrückt gespielt, sodass die Hälfte der Muffins verbrannt sind. Mr. Burge war so wütend. Aber es ist doch nicht unsere Schuld, wenn er sich nicht um die Instandhaltung und Wartung der Apparate kümmert. Er ist sowieso so gut wie nie hier. Wenn Ollie den Laden nicht für ihn schmeißen würde, wäre er schon längst pleite. Oder vom Gesundheitsamt geschlossen.
Apropos Ollie. Wo ist der eigentlich abgeblieben? Auf den Mischmopp gestützt sehe ich mich um, doch ich kann ihn nicht entdecken. „Ollie?" rufe ich, doch ich bekomme keine Antwort. Wehe, der lässt mich hier alles alleine machen, nur weil er mit Ben herumturtelt.
„Ollie?" rufe ich noch einmal und gehe in Richtung Küche. Ich schiebe die Tür auf. Und traue meinen Augen nicht. Ollie sitzt auf dem Boden, die Beine von sich gestreckt und tippt wild auf seinem Handy herum. Also das ist doch....
„Ollie!" Empört stemme ich die Hände in die Hüften. „Dass du und Ben jetzt ein Paar seid, ist ja gut und schön. Aber du könntest mir ruhig helfen, weißt du? Dann kommen wir beide früher nach Hause."
„Was?" Ollie schaut nicht einmal zu mir hoch.
„Dass. Du. Mir. Helfen. Sollst. Habe ich gesagt", zische ich und stupse ihn mit dem Schuh an. Ich will auch nach Hause nach diesem Tag und wenn wir zusammen anpacken geht es viel schneller.
Jetzt hebt Ollie den Kopf und sieht mich an. Seine Wangen sind gerötet und seine Augen funkeln. Uh oh. Ich will gar nicht wissen, was er sich mit Ben gerade schreibt. Doch er grinst mich an und sagt: „Jetzt weiß ich es. Ich weiß es jetzt, Vicky!"
„Was weißt du? Ollie, geht es dir gut?"
Er steht auf und wedelt mit seinem Handy vor meinem Gesicht herum. „Ich weiß jetzt, was ich als drittes backe, Vicks! Ich habe gerade das Lager aufgeräumt und da hatte ich einen Geistesblitz. Ich weiß es jetzt, ich weiß es jetzt!"
Er hüpft aufgeregt auf und ab und ich muss lachen. „Ganz toll, Ollie. Wurde auch Zeit, du hast nur noch eine Woche!"
„Ich weiß!" ruft er und grinst übers ganze Gesicht. „Aber jetzt weiß ich was ich mache und es wird perfekt. Hier, guck mal." Und wieder hält er mir sein Handy hin.
Ich nehme es und lese. Er hat keine Nachrichten an Ben geschrieben, sondern seine Backidee aufgeschrieben. Ich lese etwas von Karamell (immer gut), Nüssen (lecker), Schokolade (ist nie verkehrt) und Brandteig (was ist das denn?) und Butter und Eiern und Mehl und Honig. Ich habe keine Ahnung, was das werden soll, aber es klingt gut.
„Also, das hört sich lecker an, Ollie. Hast du das schon mal gebacken?" Ich gebe ihm das Handy zurück und sein Lächeln fällt ein wenig in sich zusammen.
„Nein, noch nicht. Aber es muss klappen, es muss einfach."
„Sicher wird es das. Wenn das einer schafft, dann du." Ich reibe ihm aufmunternd über den Arm. Ollie beißt auf seine Unterlippe, doch dann nickt er.
„Ja, du hast recht. Ich muss das gleich Ben erzählen."
„Nicht so schnell." Ich halte ihn am Ärmel fest, als er an mir vorbeihuschen will. „Zuerst hilfst du mir hier aufräumen."
Ollie lacht, dann gibt er mir einen Kuss auf die Wange. „Klar, tut mir Leid. Aber das ist so aufregend! Ich dachte schon, mir fällt gar nichts mehr ein."
„Weiß ich doch", antworte ich, dann drücke ich ihm den Wischmopp in die Hand. „Und jetzt wisch den Boden."
„Ja, Mam", sagt er, grinst und fängt dann endlich an, mir zu helfen. Manchmal ist Ollie wie ein Welpe, der aufgeregt hin und herspringt und seine Energie kaum bändigen kann. Ich frage mich, ob Ben weiß, worauf er sich da einlässt.
Ben
Worauf habe ich mich da nur eingelassen? Meine Küche sieht aus wie ein Schlachtfeld. Überall liegen Töpfe und Pfannen, Schüsseln, Löffel, Spachtel und Pinsel. Mehl liegt auf dem Boden, geschmolzene Butter ergießt sich über die Arbeitsplatte. Irgendwo liegt auch ein zerbrochenes Ei auf dem Boden, aber Oliver war so vertieft in das Backen, dass ich ihn nicht unterbrechen wollte, um es aufzuwischen. Vielleicht lasse ich es als Blooper im Video. Oder auch nicht, ich weiß noch nicht.
Ich habe keine Ahnung, was für eine Torte das werden soll. Oliver wollte es mir nicht verraten. Aber er backt schon seit zwei Stunden und es ist noch kein Ende in Sicht. Die Kamera nimmt alles auf und ich weiß jetzt schon, dass das eine Heidenarbeit wird, um das alles zu sichten, zu schneiden und dann an den genau den richtigen Stellen wieder zusammenzufügen.
„Wenn die Böden ausgekühlt sind", sagt Oliver und deutet darauf, „kann man anfangen, die Tränke darüber zu geben. Aber man sollte damit vorsichtig sein. Schließlich soll man den Haselnusslikör nur ganz leicht im Abgang schmecken. Er soll nicht überherrschend sein."
Oliver tupft mit einem Pinsel Likör auf die Böden, dann stellt er sie zur Seite und fängt an, Nüsse zu mahlen. „Man kann natürlich gekaufte Nüsse nehmen, wenn es schnell gehen muss. Aber ich finde, wenn man ganze Nüsse nimmt, sie zuerst kurz in einer Pfanne röstet und dann selber mahlt, schmeckt es intensiver."
Er trägt seine blaue Schürze, die trotz des Chaos immer noch fleckenlos ist. Vicky hat sie ihm schon vor Jahren geschenkt, das hat er mir erzählt. Und er hegt diese Schürze deswegen wie seinen Augapfel. Das macht ihn einfach noch sympathischer. Für Oliver zählen solche Dinge wie Geschenke, Freundschaft, Versprechen. Sie sind ihm wichtig.
Hinter der Kamera stehend, aus dem Licht, das nur für Oliver scheint, sehe ich ihm dabei zu, wie er eine dreistöckige Torte zaubert. Er vertut sich kein einziges Mal und er redet mit der Kamera, als ob er das schon sein ganzes Leben gemacht hätte. Dabei scherzt er und lächelt und obwohl er alle seine Schritte erklärt, klingt es nicht besserwisserisch. Oliver ist hierfür geboren. Jeder mit einem Funken Verstand kann das sehen. Im Fernsehen wäre er großartig. Mit seinen goldenen Locken, den grünen Augen und dem breiten Grinsen. Und seinem Engagement und Enthusiasmus. Harry Winter, zieh dich warm an.
„Tadaa!" sagt Oliver nach gut vier Stunden und dreht seine Kreation in Richtung Kamera. Er hebt den Blick und seine grünen Augen sehen mich an, nicht die Kamera. „Eine Earl Grey-Salzkaramell-Haselnuss Torte mit Butterscotch und Honig."
Eine Earl Grey Torte? Erst jetzt sehe ich richtig hin. Tatsächlich. Oliver hat die Torte mit Buttercreme eingeschmiert und auf der beigen Creme kleben kleine violette, gelbe, graue und schwarze Teekrümelchen. Oliver lächelt mich an. Dann schalte ich die Kamera aus.
„Du hast mich inspiriert", sagt er und deutet auf die Torte. „Ich hatte einfach keine gute Idee, aber dann habe ich daran gedacht, dass du Earl Grey magst und dann..." er zuckt die Schultern. „Kam mir diese Idee, einfach so." Er dreht die Torte. „Was sagst du?"
Was soll ich schon sagen? Mit zwei Schritten stehe ich vor ihm, zwischen uns nur die Arbeitsplatte und die Torte. „Sie sieht einfach großartig aus, Oliver. Die Jury wird sie lieben. Und ich auch." Und ich beuge mich vor und unsere Lippen treffen sich und es ist toll.
Gemeinsam räumen wir die Küche auf, dann dekorieren wir die Arbeitsplatte mit Tee, ein paar Nüssen und Honig, bevor ich die Kamera wieder anschalte. Mit einem großen Messer schneidet Oliver die Torte an und hält diese dann in die Kamera. Der Anschnitt ist sauber und akkurat.
Wieder schalte ich die Kamera aus. Wir haben alles gedreht, was wir drehen mussten. Ich schalte den Lichtring aus und klappe das Stativ zusammen. Draußen wird es schon dunkel.
„Willst du probieren?" Oliver schiebt mir den Teller mit dem abgeschnittenen Stück Torte zu. Ich nehme eine Gabel und versuche seine Kreation. Oh. Mein. Gott. Das ist herrlich. Cremig und nussig, mit einem Hauch Honig und Likör. Dazu das Tee Aroma, das ganz leicht durchkommt. Sie ist lecker.
Ich habe gar nicht gemerkt, dass ich die Augen geschlossen hatte. Als ich sie wieder öffne, sieht mich Oliver erwartungsvoll an. „Komm her", sage ich nur, dann nehme ich ein weiteres Stück Torte auf die Gabel und halte sie ihm hin. Olivers Lippen schließen sich um die Gabel und er leckt sich die Lippen. „Ist gut geworden," sagt er, dann beißt er sich auf die Unterlippe. Sein Blick trifft meinen.
Ist es auf einmal warm hier im Zimmer?
Ollie
Die Torte ist genau so, wie ich sie haben wollte. Aber jetzt wo ich das letzte Gebäck fertig habe, will ich etwas anderes. Ich will Ben. Den ganzen Tag schon kann ich an nichts Anderes denken. Sogar die Torte ist nur Nebensache. Wenn ich nicht die ganze Zeit über mit der Kamera geredet hätte, hätte ich nichts anderes getan, als Ben anzustarren. Heute trägt er Jeans, die seine Oberschenkel betonen und sein Henley Shirt lässt nichts für die Vorstellung übrig.
„Komm her", wiederhole ich Bens Worte, gehe um die Arbeitsplatte herum, die uns von einander trennt und vergrabe meine Hände in seinen Haaren. Sie sind so weich...ich könnte darin versinken.
Seine Lippen sind warm und er schmeckt nach der Torte. Sanft nehme ich seine Unterlippe zwischen meine Zähne und er seufzt. Seine Hände gleiten über meine Schultern, meinen Rücken, bevor er sie auf meine Hüfte legt. Ich presse mich an ihn. Ich will ihn. Jetzt.
Ben stöhnt an meinen Lippen und seine Finger packen fest zu. Er bewegt die Hüften und ich schwöre, dass ich gleich explodiere, wenn er damit weitermacht. Ohne ein Wort zu sagen schiebe ich ihn rückwärts Richtung Schlafzimmer. Er lässt mich gewähren, nestelt an dem Knoten der Schürze. Auf halben Weg zum Schlafzimmer zieht er sie mir über den Kopf und anstelle sie einfach auf den Boden fallen zu lassen legt sie über die Rückenlehne der Couch.
Fuck, ich glaube, ich liebe ihn wirklich.
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