Kapitel 20
Kapitel 20
Ben
Es ist weit nach Mitternacht als ich endlich die Tür zu meiner Wohnung aufstoße. Mein Zug hatte extrem Verspätung. Erst gab es ein Problem am Bahnhof Kings Cross, dann standen wir ewig lange irgendwo in der Pampa herum. Und als ich dann endlich am Bahnhof in Brighton war, war weit und breit kein Taxi zu finden. Also bin ich nach Hause gelaufen. Mitten in der Nacht und mit einer Reisetasche ist das wirklich kein Vergnügen.
Vom Bahnhof aus habe ich Oliver noch ein paar Nachrichten geschrieben, aber irgendwann hat er nicht mehr geantwortet. Vermutlich, weil die Party in vollem Schwung war. Ravi hat mir ein paar Fotos geschickt. Vickys Freundinnen, wie sie auf dem Balkon tanzen. Oliver, wie er Snacks verteilt. So was in der Art. Es sah aus, als ob sie alle Spaß haben. Ich wünschte wirklich, ich wäre dabei gewesen.
Verdammter Sebastian und verdammter Zug. Ich habe mich beeilt, aber es hat nicht sollen sein. Ein kleiner Teil in mir hofft, dass Oliver in meiner Wohnung auf mich wartet. Doch als ich die Tür aufschließe, weiß ich sofort, dass es vergebens war. Alles ist dunkel und still. Keine Party, kein Oliver. Leere Gläser und Schalen stehen auf den Tischen, Luftballons tänzeln über den Boden, als ich Richtung Schlafzimmer gehe. Es riecht nach Alkohol und Pizza. Mit ein ganz klein wenig Hoffnung öffne ich die Tür zu meinem Schlafzimmer, doch das Bett ist leer.
Müde mache ich mich fertig und schlüpfe ins Bett. Die Laken sind kalt aber sie riechen frisch gewaschen. Das versetzt mir einen Stich. Dann fällt mein Blick auf den Nachttisch. Dort steht...ein Kuchen? Ich setze mich auf und sehe genauer hin. Tatsächlich ein Kuchen. Mit lila Überzug und kleinen Schokoherzen auf dem Kuchenteller. Ist das...eine Aubergine?
Ach, Ollie...das tut weh, richtig weh. Er hat das hier für mich gebacken und ich war nicht da. Ich habe ihn enttäuscht. Schon wieder.
Ein letzter Blick auf mein Handy zeigt mir, dass ich immer noch keine Nachricht von ihm habe. Soll ich Oliver schreiben? Nein, die letzten acht Nachrichten sind alle von mir. Von ihm gelesen aber unbeantwortet. Er ist sauer auch mich. So viel ist klar. Und er hat ja Recht. Ich hätte heute Abend da sein sollen. Ich hatte es versprochen. Soll ich mich noch einmal über Text entschuldigen? Oder nicht? Oder doch?
Letztendlich ist es der Schlaf, der für mich entscheidet. Bevor ich nämlich weiß, was ich tun soll, schlafe ich ein.
Vicky
„Nein, mmhhhhmmmm", stöhne ich in das Kissen der Couch. Als es erneut klingelt, presse ich mir das Kissen auf das Gesicht. Es ist viel zu früh! Wer ist das denn? Geh weg! Doch wer auch immer es ist, geht nicht weg. Nein, er klingelt nochmal.
Aus Olivers Zimmer kann ich ein Grunzen hören, doch seine Tür öffnet sich nicht. Kein Wunder. Er war gestern so betrunken, dass Ravi und ich ihn praktisch nach Hause tragen mussten. Als es erneut klingelt, schmeiße ich das Kissen an die Tür. Doch dann stehe ich auf. Hilft ja nichts. Außerdem muss ich aufs Klo.
Ich schlurfe zur Tür und rücke auf die Gegensprechanlage. „Wer stört?"
„Ich bins, Ben", sagt eine mir wohlvertraute Stimme. Klar, hätte ich mir ja denken können. Ich drücke auf den Summer. Als Ben in die Wohnung tritt, deute ich auf die Küche.
„Mach mal Kaffee ja, ich verschwinde kurz im Bad." Und dann bin ich weg. Ich putze mir die Zähne und kämme meine Haare zu einem Pferdeschwanz. Mann, Oliver war richtig angefressen gestern, als Ben nicht aufgetaucht ist. Hat ein Bier nach dem anderen getrunken und dann noch so komische Schnäpse, die Ravi mitgebracht hat. Keine Ahnung ob er sich betrinken wollte, aber geschafft hat er es.
Als ich wieder aus dem Bad komme, riecht es wunderbar nach Kaffee. Ben bringt mir einen Becher ins Wohnzimmer, wo ich die Decke zusammenlege. „Ah, danke. Den brauch ich jetzt."
Ich setze mich und Ben steht einen Moment unschlüssig rum. Sein Blick gleitet zur Olivers Zimmertür, doch ich klopfe auf die Couch neben mich. „Komm, setz dich. Ollie schläft noch und den willst du jetzt nicht wecken."
Ben setzt sich. Dann nickt er zur Wohnungstür hin. „Da liegt ein Kissen im Flur..."
„Ja, weiß ich. Ist jetzt in Mode."
„Ah", macht er nur, dann schweigen wir einen Moment. „Ist Oliver sehr wütend auf mich?"
Ben sieht aus wie ein bedröppelter Pudel. Ich kann ihm ansehen, dass es ihm leidtut, dass er gestern zu spät war. Nach einem Moment überlegen schüttele ich den Kopf. „Er ist nicht sauer auf dich, nicht wirklich. Ich glaube er ist einfach frustriert über die ganze Situation." Mann, der Kaffee ist ein Traum. „Und er hat gestern einfach zu viel getrunken."
„Verstehe." Ben fährt sich durch seine dunklen Haare. Dann reicht er mir die kleine Geschenktüte, die er dabei hat. „Hier, für dich. War als Geschenk für das Stipendium gedacht, aber vielleicht dient es jetzt mehr als Entschuldigung."
„Och, das wäre doch nicht nötig gewesen", sage ich, doch ich reiße die Tüte an mich. Geschenke, Geschenke! Ich liebe Geschenke. In der Tüte ist eine Karte und eine kleine Schachtel. Zuerst die Karte. Sie zeigt einen Pinguin und darinsteht, dass Ben in meinem Namen eine Spende an den WWF getätigt hat. Und was für ein Betrag, Holla die Waldfee!
„Wow, Ben, das ist aber viel Geld."
Er wird ein klein wenig rot. „Sieh es als Wiedergutmachung von Montgomery Enterprises."
„Sneaky", sage ich, grinse und öffne dann die kleine Schachtel. Darin liegt ein schickes Armband mit maritimen Anhängern. Ich sehe einen Seestern, einen kleinen Leuchtturm und eine Robbe. „Oh, Ben, das ist aber hübsch."
„Freut mich, dass es dir gefällt." Er legt es mir an und ich betrachte es. Es ist wirklich hübsch.
„Danke, das wär aber nicht nötig gewesen." Ich umarme ihn zum Dank und er drückt mich ebenfalls.
Genau in dem Moment, in dem wir uns von einander lösen, geht Olivers Zimmertür auf. Er trägt nur Boxershorts, stolpert über den Flur ins Bad und knallt die Tür zu. Dann hören wir, wie er sich übergibt.
„Und das ist mein Stichwort, nach Hause zu gehen", sage ich, tätschele Bens Knie und packe meine Sachen zusammen. „Jetzt gehört er ganz dir."
„Äh, danke?" sagt er, doch er geht schon in Richtung Bad. An der Tür drehe ich mich noch kurz um und sehe, wie Ben an die Badezimmertür klopft. Dann gehe ich. Als ich im Bus auf dem Weg nach Hause sitze, streiche ich über das Armband. Ich hoffe nur, ich habe mich nicht getäuscht und Oliver ist wirklich nicht wütend auf Ben.
Oliver
Fuck, ich sterbe. Ganz eindeutig. Mein Magen hat sich verflüssigt und will meinen Körper verlassen. Allein der Gedanke reicht aus, dass ich wieder würgen muss. Ich spucke ins Klo. Mein ganzer Körper verkrampft und kalter Schweiß bricht mir aus. Das letzte Bier gestern muss schlecht gewesen sein. Und mein Kopf dröhnt....ich will sterben...
Dann legt sich eine kühle Hand auf meiner Schulter, bevor sie meinen Rücken auf und ab reibt. Seit wann ist Vicky so nett zu mir? Normalerweise schmeißt sie höchstens eine Packung Kopfschmerztabletten rein, wenn ich die Nacht gezecht habe.
„Alles in Ordnung?"
Ben, Ben ist hier. Oh, fuck, nein, fuck. Er soll mich nicht so sehen. Eine erneute Welle der Übelkeit überrollt mich und ich beuge mich vor. Doch es kommt nichts mehr hoch. Ich atme schwer. Bens Hand reibt immer noch über meinen Rücken. Fuck, das tut gut. Als ich sicher bin, dass ich mich nicht mehr übergeben muss, betätige ich die Spülung. Dann lasse ich mich auf den Boden sinken und lehne meinen Rücken an die Badewanne.
Mein Blick findet Bens. Er kniet neben mir und sieht mich besorgt an. „Alles in Ordnung?"
Ich glaube, das hat er schon mal gefragt. Ich reibe mir über die Stirn, dann nicke ich. „Kater."
„Verstehe", sagt Ben. „Kannst du aufstehen?"
Kann ich das? Fuck, meine Beine fühlen sich an wie Wackelpudding. Doch ich nicke und Ben hilft mir hoch. Ich spüle meinen Mund aus, putze die Zähne und will nur duschen, doch ich glaube, so weit bin ich noch nicht. Bevor ich etwas sagen kann, nimmt Ben meinen Arm und führt mich zum Bett.
Oh fuck, die Kissen sind so weich...seit wann sind die so weich? Uh...wann hab ich meine Augen zugemacht? Ich merke das erst, als ich sie wieder aufmache, weil Ben mit einem feuchten Waschlappen über mein Gesicht fährt. Oh, auch das fühlt sich gut an. Ich schließe meine Augen wieder. Das tut gut. Keiner von uns sagt etwas und nach einer Weile steht Ben auf. Er bleibt eine ganze Weile weg, dann kommt er wieder.
„Hier, ich habe dir Tee mitgebracht. Und was gegen die Kopfschmerzen."
Ich blinzele, dann setze ich mich auf. Der Tee ist schön stark. Ich spüle die Tabletten runter, dann rutsche ich ein Stück zu Seite. Ben versteht sofort und setzt sich auf das Bett neben mich. „Was ist gestern passiert?" frage ich. Dunkel erinnere ich mich noch, dass irgendwas mit dem Zug war. Aber mehr weiß ich nicht mehr.
Ben zwirbelt meine Bettdecke zwischen den Fingern. „Den ersten Zug habe ich verpasst. Und der nächste hatte Verspätung. Ich war erst gegen 12 am Bahnhof. Dann bin ich gleich nach Hause, aber ihr wart schon weg."
Dann sieht er mich an. Seine grauen Augen blicken sorgenvoll. „Es tut mir wirklich leid. Ich habe versucht pünktlich zu sein, aber alles hatte sich gegen mich verschworen. Erst Sebastian, dann der Zug...."
„Sebastian?" unterbreche ich ihn. Der Name kommt mir bekannt vor. Wo habe ich ihn schon mal gehört? Fuck, wenn mein Kopf nicht so weh tun würde.
Ben kaut auf seiner Unterlippe, ein sicheres Zeichen, dass er sich unwohl fühlt. „Sebastian ist mein Ex. Ich habe dir von ihm erzählt."
Oh Fuck. Stimmt. Sein Ex. Der Typ, der Ben immer runtergeputzt hat.
„Was hat dein Ex damit zu tun, dass du zu spät warst?" Das will ich jetzt wirklich wissen. Ben hat bisher nichts von seinem Ex erwähnt.
„Na ja", sagt er und fährt über die Bettdecke. „Er war auch auf der Gartenparty. Und er hat mich einfach nicht gehen lassen. Hat mich ständig irgendwelchen Leuten vorgestellt. Es war unmöglich, da höflich rauszukommen. Und als ich es dann endlich geschafft habe und am Bahnhof war, war der Zug gerade weg."
Ben macht ein missmutiges Gesicht.
„Huh", mache ich, dann nippe ich an dem Tee. Fuck, ich wünschte wirklich mein Kopf wäre nicht so mit Watte gefüllt. „Warum bist du nicht einfach gegangen? Scheiß auf Höflichkeit. Du hast versprochen hier zu sein." O-kay, das kam ziemlich anklagend rüber. Um meinen Worten ein wenig von der Schärfe zu nehmen, füge ich an: „Ich hab dich vermisst."
„Glaub mir, ich wäre viel lieber hier bei euch gewesen, als in London."
Das glaube ich ihm sogar. Doch diese Sache mit seinem Ex-Freund kann ich nicht so einfach stehen lassen. „Wie war es denn, ihn wiederzusehen?"
„Wen? Sebastian?" Ben hat die Augenbrauen hochgezogen, dann schnaubt er. „Ein Eye-opener, keine Frage. Ich glaube sogar, er hat sich gar nicht so viel verändert seit damals. Es ist eher so, dass ich mit dieser Welt nicht mehr viel anfangen kann."
„Das ist gut", sage ich und weil mein Kopf gleich in tausend Stücke zerspringt, lehne ich ihn an Bens Schulter und schließe die Augen. Ich fühle Bens Finger in meinen Haaren, doch meine Augen sind zu schwer, um sie wieder zu öffnen. Und während ich noch ein wenig dahin dämmere, bis die Kopfschmerztabletten wirken, denke ich über Ben und Sebastian nach. Muss komisch sein, seinen Ex nach so langer Zeit plötzlich wiederzusehen. Vor allen, wenn besagter Ex einem das Herz gebrochen hat.
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