Schmelzer x Piszczek
Hier vorne noch ein kleiner Fakt: painoton hat diesen OS geheiratet und gibt ihre Besitzansprüche nicht ab.😂
Anmerkung:
AU -Spielt um 1888/89
In diesem Os werden polit. Meinungen auftauchen, welche ich natürlich nicht vertrete, die aber wegen des geschichtlichen Kontextes notwendig sind. Außerdem sind manche Fakten an den Os angepasst, also nicht geschichtlich korrekt. Genauso hatte ich nie Lateinunterricht, deshalb hoffe ich es passt so. Dennoch ist viel recheriert worden um ihn möglichst getreu darzustellen.
POV Marcel
Jetzt stand ich hier wieder in der Stadt, die ich liebte und atmete tief ein. Es ist wirklich so, dass man erst die bekannten Sachen zu schätzen weiß, wenn man länger ohne sie auskommen muss. Es fühlte sich gut an durch die Straßen zu wandern, welche man kannte. Ich mochte diesen Weg zu dem Ort, welcher meinen Lebensmittelpunkt darstellte sehr. Doch hatte sich die Stadt irgendwie verändert? Aber konnte das überhaupt sein, in nur einem Monat? Oder war ich es, der sie bloß mit anderen Augen sah? Sah sie anders aus, weil ich anders war, seit ich aus Berlin heimgekehrt war?
Während ich so nachdachte, zog ich meinen langen, dunkelbraunen Mantel enger um mich, da mich der kalte Novemberwind frösteln ließ. Nun stand ich vor dem wundervollen, imposanten Gebäude, dass so unendlich viel uraltes und neues Wissen barg, welches ich noch nicht für mich entdecken konnte.
Doch wie viel mehr könnte ich mit diesem Wissen bewirken, wenn ich eine geeignetere Ausstattung hätte? Wenn ich nicht im Kerzenschein operieren müsste mit der Angst, dass nicht schnell genug eine Neue angezündet werden würde und der Mensch schutzlos vor mir liegen würde, da er mir vertraut hatte. In einem solchen Moment wurden mir nicht einmal die neusten Kenntnisse der menschlichen Anatomie helfen, welche ich einst studiert hatte. Ich liebte meinen Beruf, nein meine Berufung anderen zu helfen, aber genau bei solchen Gedanken wurde mir wieder Bewusst, wie viel Risiko es doch mit sich brachte.
Da wurde ich dann doch aus meinen Gedanken geholt, als eine heftige Windböhe an mir vorbeizog und das nasse Laub um mich herum hoch schleuderte, sodass es kunstvolle Tänze vollführte, für die sonst niemand ein Auge zu haben schien. Mit klammen Fingern holte ich ungeschickt die goldene Taschenuhr meines Vaters aus der Tasche meiner sandfarbenen Weste und klappte sie mit einer Bewegung meiner rechten Hand auf, um zu schauen ob ich es noch pünktlich zum Schichtwelchsel schaffen würde da zu sein. Dabei rutschte mir eine meiner dunkelblonden Haarsträhnen in die Augen, die ich jedoch schnellstmöglich aus meinem Gesicht strich.
Ich lief nun auf das große, schmucklose Backsteingebäude zu, das sich viele viele Meter gegen Himmel streckte und durchquerte das starke Schmiedeeiserne Tor, welches durch den Wind quischte und auch das knirschen der Kiesel-Schlamm-Mischung unter meinen Lederschuhen übertönte.
Als ich den Kopf hob, sah ich all die altbekannten Gesichter wieder, die gebückt und hecktisch über den Hof von dem einen Ende des Hauses zum anderen rannten. Egal ob es der Herr Professor war, welcher wahrscheinlich gerade die finanzielle Schieflage unseres Institutes errechnete und wie er möglichst viel, ohne das es bekannt werden würde, abzweigen konnte. Oder ob es die junge Schwester war, welche gestresst von den Rufen der Oberin folgte. So trat ich in das Wirrwar von verschiedensten Menschen ein um ein Teil davon zu werden.
"Guten Morgen Herr Doktor. Auch wieder im Lande?" rief eine helle Stimme hinter mir. Eindeutig Schwester Ida , niemand sonst würde in diesem Ton mit einem Arzt sprechen. Dennoch mochte ich dieses freche Mädchen und so grüßte ich freundlich zurück. Sie war eine der wenigen Menschen bei dem Meinung, Anstand und Verstand nicht nur anerzogen oder geheuchelt waren. Viel zu oft hatte sie deswegen Ärger mit der Oberin und doch schien es ihr nichts aus zu machen. Sie blieb standhaft.
Spätestens eine halbe Stunde später stand sie wieder mit vor Tatendrang glitzernden Augen bei den Patienten und verbreitete gute Laune. Wie sehr wünschte ich mir ein wenig von ihrer Leichtigkeit? Naja, wir wussten beide, dass hinter unserem Rücken getuschelt wurde, dass wir kurz vor einer Verlobung stünden. Solches Dummgerede! Zwischen uns war nicht mehr und nicht weniger als eine gute, höfliche Freundschaft entstanden. Und das alles nur, weil wir beide noch niemanden geehelicht hatten. Nicht das sie nicht hübsch wäre, ganz im Gegenteil sogar, aber eine solche Anziehung, welche man für eine Ehe brauchte, konnte ich ihr gegenüber nicht empfinden. Seit Kurzem wusste ich auch wieso.
Seufzend wandte ich mich wieder dem Eingang des Gebäudes zu und drückte die schwere Klinke des Holzportals hinunter. Obwohl ich mir es nicht anmerken ließ, war dieser Gang jeden Morgen das Schlimmste für mich. Die Notaufnahme. Eigentlich sollte man meinen, ich wäre spätestens seit Berlin abgehärtet, aber das war mit Nichten der Fall.
Alle diese Gesichter sehen zu müssen, welche litten und man ihnen doch nicht helfen konnte. Diese Menschen waren zu arm, um eine Krankenkasse zu bezahlen und erst Recht zu arm, um die Behandlung aus eigener Tasche zu zahlen. So warteten sie oft Stunden hier im Eingang, in dem es kein Stück wärmer war als draußen, meistens sogar noch feuchter und in dem es nach altem Putz roch. Mit so viel Hoffnung waren sie gekommen, die doch enttäuscht wurde.
Nur noch trauriger waren die Tuberkulosekranken. Tuberkulose, eine Krankheit, die tausende von Menschen dahinraffte. Nach einer Infektion gab es kaum Heilungschancen. Deshalb wurden die meisten Menschen in Senatorien gebracht. Bei denen der einzige Unterschied war, ob man in einem Einzel - oder Mehrbettzimmer auf den Tod wartete. Zum Glück war diese Krankheit hier in Dortmund bei weitem nicht so ausgeprägt, wie in Berlin und doch jeder Patient war einer zu viel.
Es schien eigentlich sonst so, als sei es ein relativ normaler Morgen, die Notaufnahme war viel zu voll und ich versuchte mich durch die Menschenmenge zu quetschen, um in mein Büro zu gelangen.
Schließlich war ich ja nur ein Arzt und hatte nicht die Privilegien eines Herrn Professors, der es sich erlauben konnte den Hintereingang zu seiner Stube zu benutzten, um das ganze Elend nicht zu sehen.
Dann schlug die Tür auf und es kam mit den vielen Blättern gleich noch ein gutes Stück mehr Kälte in dem Raum. Zuerst hatte ich mir nichts dabei gedacht, bis eine Frauenstimme schrill aufschrie. Ich drehte mich also ganz langsam um, da ich mir ein Bild von der Lage machen wollte.
Ich wusste nicht wirklich, was ich erwartet hatte doch sicher nicht das. Ein Mann stand in der Menge, die jedoch um ihn herum einen großen Abstand hielt, was ich ihnen nicht wirklich verdenken konnte. Während ich noch wie erstarrt auf den Mann in grober Arbeiterkluft starrte, rief nun eine Frau "Nun kommen se schon Doktor und helfen dem armen Mann." Das stieß jedoch auf Gemüter der restlichen Wartenden von denen man nur ein "Uns geht es doch allen schlecht." oder auch ein "Jeder hier muss sich anstellen und warten also auch der. Als ob er was besseres wäre." Darauf hören tat ich jedoch nicht.
So schnell ich konnte hastete ich zu dem Mann, welcher gut ein paar Jahre älter als ich zu sein schien. Wie es sich herausstellte sollte ich gerade noch rechtzeitig kommen, denn kaum kam ich bei ihm an knickten ihm die Beine weg und er wäre auf den Boden geknallt, hätte ich ihn nicht geistesgegenwärtig aufgefangen. "Sie da hinten helfen sie mir mal ihn auf die Holzbank zu legen." wies ich einen Hausmeister an, der sich auch zwischen den Wartenden befand. Murrend und deutlich entgegen seines Willen kam er zu mir und nahm die Beine des Mannes, legte ihn dennoch sehr grob auf der Bank, woraufhin der Unbekannte schmerzerfüllt aufzustöhnte.
Ich fing an meine Weste zu öffnen und die Ärmel meines Hemdes hochzukrempeln, damit ich ihn besser untersuchen konnte. "Aber Herr Doktor Schmelzer, Sie wollen den armen Schlucker doch nicht behandeln? Was is'n der? Bestimmt nur en Aushilfsarbeiter aus Böhmen. Woher sollen der ne gescheite Krankenkasse oder gut erwirtschaftets Geld her ham hä? Dat können se nicht machen." versuchte er auf mich einzureden, aber abhalten ließ ich mich noch lange nicht. Das Gemecker der Menge brandete wieder auf, was ich jedoch nur als Hintergrundsummen wahrnahm. Also fing ich weiter an den Mann für die Untersuchung fertig zu machen. Doch als ich anfangen wollte ihm das alte, dreckige und zerlumpte Hemd aufzuknöpfen hielt er mich mit einer Armbewegung davon ab. "Ich will gehen." presste der Blonde, zwischen zusammengekniffenen Zähnen, hervor. "Ich bitte sie Herr...." wollte ich ihn überzeugen. "Piszczek." haucht er jetzt nur noch und ich konnte nun deutlich den böhmischen Akzent in seiner Stimme vernehmen. "Sie können sich doch noch nicht mal auf den Beinen halten, also lassen sie mich sie untersuchen." versuchte ich möglichst professionell mit dieser Situation umzugehen, welche selbst für einen Arzt recht ungewöhnlich war. "Hier das ist alles was ich habe. Geben sich mir einfach irgendwas dagegen. Ich muss zurück auf die Arbeit." keuchte er während sein Körpers sich bei jedem Wort schmerzhaft zusammenzog und legte mir zwar viele Pfennige in die Hand, die aber wenn überhaupt nur ungefähr eine Goldmark ergaben. Innerlich seufzte ,ich dafür bekam man ja noch nicht einmal ein Huhn zu kaufen.
So steckte ich ihm das Geld wieder in seine Tasche zurück. Ich merkte, wie mich seine Augen kritisch dabei beobachteten. "Entschuldigen Sie, wenn ich das so ausdrücke aber hierfür könnte ich ihnen nichts geben und das will ich auch nicht. In ihrem Zustand könnte ich sie nicht gehen lassen. Das würde den Eid des Hypokrates brechen. Wie bekommen das auch so hin." probiere ich ihn weiter zu überzeugen. "Ich will keine Allmosen! Ich bin ein eigenständiger Mann und ..." flüsterte er nur noch und schloss dann die Augen.
Verdammt, wieso hatte ich mich überhaupt auf diese Diskussion eingelassen, dachte ich, als ich fahrig sein Hemd aufmachte. Ich spürte wie er glühte und seine Haut von einem Schweißfilm überzogen war. Dieser Mann hatte eindeutig über achtunddreißig Grad Fieber. Ich fasste mit zwei Fingern an seine Halsseite um den Puls zu überprüfen. Das Ergebnis beunruhigte mich ungemein. Sein Puls war hoch, viel zu hoch als das es noch normal wäre. Des Weiteren tastete ich seine Bauchdecke ab und mir wurde heiß und kalt gleichzeitig. Die rechte Seite seiner Bauchdecke war zum bersten gespannt, was sich auch mit den Bauchschmerzen deckte, die ich während unserem Gespräch beobachtet hatte. Noch ein letzter Test. Ich öffnete leicht seinen Mund und sein Atem schlug mir entgegen. Dieser roch nach Erbrochenem. Nun war ich mir ganz sicher. Eine Appendicitis (Blinddarmdurchbruch).
Wenn ich nicht jetzt schnell etwas tat, war dieser Mensch in ein paar Stunden mausetot. Wie gerufen kamen gerade Schwester Ida, die Oberin und Herr Professor Peter den Gang entlang. "Oberin, Schwester bitte den Operationsraum fertigstellen." befahl ich mit bestimmter Stimme und deutete auf den mir fremden Mann. Als sich die beiden nun schnell an die Arbeit machten, hielt mich der Professor persönlich auf, bevor ich meinen Arztkittel holen konnte. "Schmelzer kann der Mann denn überhaupt bezahlen? Danach sah er nicht gerade aus." fragte mich der ältere Mann. "Nein Herr Professor." anwortete ich kurz und kühl. "Warum veranlassen sie es dann?!" stierte er mich an. Ich wusste, er würde wütend werden, sehr wütend. Sein Gesicht nahm eine rötliche Farbe an und seine Stirnader pochte bedenklich. Dennoch hatte ich ein Ass im Ärmel. "Sehr geehrter HerrProfessor, hierbei handelt es sich um einen akkuten Fall von Appendicitis und sie wissen, habe ich für diese Situation die neue Operationsmethodik von Doktor Behring selbst gelernt. Sie wissen natürlich auch, dass diese Methode bis jetzt nur in Berlin Anwendung gefunden hat. Was meinen Sie, wie sehr diese Operation dem Ansehen dieser Einrichtung zu gute kommen würde? Nicht nur dem, sondern auch ihrem Ruf, da sie meine Studien bewilligt haben und zudem denken Sie nur an die kommenden Subventionierungen des Kaisers." beendete ich meine Überzeugungungsarbeit, doch durchpusten konnte ich noch lange nicht. Meine Hände waren kalt und feucht vor Aufregung, schließlich ging es hier um ein Leben, das auf dem Spiel stand. Man merkte wie sehr es im Gehirn des Professors rumorte und wie ihn der Zwiespalt quälte. Das ging, gefühlte Stunden, so bis er sich ein "Na machen sie schon Schmelzer aber gnade Ihnen Gott, wenn sie versagen." abwürgte. Ich atmete nun tief ein und machte mich auf den Weg in das Ungewisse.
Ich lief schnellen Schrittes in Richtung meines Büros und trat so schwungvoll ein, dass der Messingknauf gegen die Mauer krachte. Ich hielt nur kurz Ausschau nach dem weißen Operationskittel, den ich mir schnell überwarf und schon in der Bewegung des Rausgehens wurde ich gestoppt. Der Professor stand vor mir. War er mir gefolgt? Großartig Gedanken machen, konnte ich mir jetzt auch nicht mehr, da er mich schon ansprach. " Herr Schmelzer Sie werden in wenigen Minuten in unserem Lehrsaal operieren. Ich möchte möglichst viele Zeugen dieses Momentes beisammen haben. Derweilen werden sich unsere neuen Studenten einen Eindruck davon verschaffen können, was mit nur genug Eifer alles möglich ist. Zudem würde ich sie darum bitten den entzündeten Appendix (Blinddarm) unseres Patienten möglichst schnell als Anschauungsobjekt von den Schwestern Konservieren zu lassen." informierte er mich gelassen und ohne jegliche Gefühlsregung. Ich fand es zwar etwas moralisch bedenklich, was er vor hatte aber was sollte ich tun. Ich musste mich seinen Vorderungen beugen, wenn ich diesem Mann das Leben retten wollte. Das war meine Aufgabe in diesem Moment und zwar meine Einzige.
So rannte ich schon fast die vier Stockwerke hinauf zu dem gößten Studienraum dieses Institutes. Mit kurzem Erschrecken wurde mir hier bewusst, was ich überhaupt tat. Ich hatte keinerlei Erfahrung auf diesem Gebiet. Vielleicht war es doch etwas übertrieben, aber ich hatte Herrn Behring nur genaustens auf die Finger geschaut und ihm assestiert, doch selbst ausgegübt hatte ich die Operation noch nie. Meine Hände zitterten und mir wurde ganz anders in meiner Magengegend. Bevor ich um die nächste Ecke biegen würde und vor dem Saal stehen würde, blieb ich stehen. Ich stützte mich an der Wand ab und meine Finger klammerten sich an sie, sodass ich spürte wie der Putz langsam unter ihnen wegrieselte.
Beruhig dich, Marcel. Dieser Mensch wird sterben, wenn du nichts tust, also gibst du ihm eine Chance doch noch weiterleben zu können. Dieser Gedanke brachte mich runter und ich konzentrierte mich rein darauf, was ich in dem letzten Monat gelernt hatte. Es lief wie ein Film in meinem Kopf ab und ich ging jede noch so kleine Bewegung noch einmal durch. Als ich mir nun endgültig sicher war, machte ich mich auf dem Weg zu der Eingangstür des Saals, wo vor mich Schwester Ida erwartete.
"Wurde schon die Anästhesie (Nakose) vollzogen?" versicherte ich mich jetzt wieder voll fokussiert. "Natürlich. Darum hat sich noch die Mutter Oberin gekümmert, nur leider ist diese im Moment anderweitig gerufen worden. Ich werde wohl heute attestieren müssen." antwortete sie schüchtern. "Stellt das für sie ein Problem dar Fräulein Meyer?" Schnell schüttelte sie den Kopf, sodass eine ihrer braunen Locken aus ihrem strengen Dutt löste. "Sehen Sie für mich auch nicht, also werden wir das schon schaffen." machte ich ihr und ich musste es eingestehen auch mir selbst Mut. Ich griff nach der Klinke der Tür, straffte meine Schultern und betrat den großen Saal.
Das helle schon sichtlich abgenutzte Pakett knarzte unter meinen Schritten auf. Meinen Blick ließ ich über die doch überschaubare Menge meiner potenziellen Zuhörer schweifen. Viele davon kannte ich noch aus meiner eigenen Studienzeit. Es waren zum Großteil Söhne reicher FamilienX von denen erwartet wurde entweder Medizin oder Jura zu studieren, ob sie nun Talent besaßen oder nicht und von persönlichen Qualitäten ganz zu schweigen. Doch wenigstens war dies ein Abschlussjahgang von dem ich ein gewisses Interesse erwarten konnte.
Der Raum war von dem Kreidegeruch der Schiefertafel hinter mir und den medizinischen Essenzen geprägt, die schon bereit standen. Ich räusperte mich um die Aufmerksamkeit der noch redeten Studenten auf mich zu ziehen.
"Meine Herren gehe ich richtig davon aus, dass Ihnen ist bekannt, weswegen sie sich so kurzfristig hier eingefunden haben." begann ich mit autoritärer Stimme zu reden. Allgemeines Nicken war die Folge. "Sehr gut meine Herren, dann können wir ja gleich anfangen." Eine Hand erhob sich. Nicht dieser Mensch. Er war ein unfassbar verzogener Mann, aber ich riss mich zusammen und deutete ihm an zu sprechen. "Ich denke, ich spreche für uns alle, wenn ich sage, dass wir den Herrn Professor erwartet hätten und wie soll eine Operation ohne Patient stattfinden?" fragte er mit einem süffisanten Lächeln auf den Lippen. Leises Gekicher kam aus der hinteren Reihe.
"Das werde ich Ihnen gerne erklären Herr Nebe. Ich werde diese Operation durchführen, da ich sie selbst erst vor kurzem von Herrn Doktor Behring erlernen durfte und zu ihrer zweiten Frage muss ich zugeben, ich bin enttäuscht von ihnen. Als Student der Medizin müssten sie wissen, dass eine Operation weit vor dem Patienten beginnt. Erst muss das Besteck kontrolliert und die Unterarme gewaschen werden. Das ist Grundwissen." Als ich daraufhin keine Antwort erhielt, fragte ich noch ein paar Fakten der Anatomie ab. Bis der Böhme von Schwester Ida hereingeschoben wurde.
Diesen stolzen und wiederspenztigen Menschen so da liegen zu sehen, bescherte mir ein ungewohntes Gefühl, welches ich jedoch schnell bei Seite wischte. Er lag auf dieser Metallliege auf einem weißen, gestärkten Laken. Jetzt wurde es ernst.
"Hier meine Herren erkennen sie die Wirkung der Anästesie unter der Verwendung des Mittels Chlorophorm. Hierbei wird ein mit der Flüssigkeit getränktes Tuck auf die Nase des Patienten gehalten bis die ersten Erschlaffungserscheinungen auftreten. Bei dieser Anwendung liegt die Wahrscheinlichkeit einer gelungenen Nakose bei über 80 Prozent, weshalb wir sie auch hier anwenden. Ich denke ihre Kenntnisse über die Symptomatik müssen nicht geklärt werden. Also gehen wir gleich dazu über die Bauchdecke des Patienten abzutasten. Wie sie hier erkennen können ist er Bauch hart und prall, was für unsein sehr gutes Zeichen darstellt, da jetzt noch eine Operation möglich ist. Falls der Bauch nach dieser Verhärtung wieder in den weichen Zustand zurück kehren sollte ist der Appendix aufgebrochen und die dabei entstandenen Sektete sind in den Bauchraum ausgetreten. Dann kann kein Eingriff mehr helfen."
Neben dem Erklären führte ich die Handgriffe vor und dieses komische Gefühl kam wieder auf. Doch konzentierte ich mich mich weiter. Anfangs flattern mir noch die Hände, doch mit jedem weiteren Satz wurde ich immer sicherer. Im Hintergund hörte ich Füller über Papier kratzen.
"Nachdem wir das festgestellt haben, geht es weiter, indem wir auf der rechten Seite des Unterbauchs den Wumfortsatz des Dünndarms ertasten. Er liegt meist in diesem Bereich." Ich zeigte einen Raum von etwa zwanzig Zentimetern. "Jetzt, nachdem wir die Ursache lokalisiert haben, können wir mit dem Schnitt beginnen. Schwester, das Skalpell bitte." wandte ich mich an Fräulein Ida, die mir sachgemäß das Instrument reichte. Aufschauen tat ich nicht mehr. Meine volle Kontzentration lag auf dem Mann vor mir.
"Jetzt schneiden wir einen sauberen Schnitt von circa fünzehn Zentimetern in Richtung der Leisten, da der Vortsatz alleine eine größe von fast zehn Zentimetern aufweist." erläutere ich weiter, während ich das Skalpell anlegte und den Schnitt ausführte wobei rubinroten Blut austrat.
"Schwester, bitte das Tuch." befahl ich schon fast, woraufhin sie das Blut wegwischte. "Hier an diesem Appendix ist sehr gut die Entzündungsmerkmale eines Organs zu erkennen. Nun wird ein sauberer Baumwollfaden genommen und an der Schnittstelle von Dünndarm und dem Vortsatz angesetz. Er wird überkreutzt und festgezurrt um den Blinddarm abzubinden." In dieser Situation war ich so vertieft in meiner eigenen Konzentration, sodass ich die Umwelt um mich herum komplett ausblendete.
"Unterricht leicht ausklingen, indem ich noch kurz den Blinddarm durch die Reihen gehen ließ, bevor er von Schwester Ida konserviert wurde.
Kaum war ich aus dem Saal getreten und hatte meinen Kittel ausgezogen spürte ich eine Eiseskälte in meinem Magen. Ich dachte an die nächsten vierundzwanzig Stunden meines Patienten. Diese würden entscheident sein. Aus irgendeinem Grund fühlte ich jetzt doch so anders, wie bei all den vielen Operationen, die ich davor durchgeführt hatte.
Eine leiser Seufzer entwich mir, als ich meine beiden Ellbogen aufstützte und meine Hände in den Haaren vergrub. Es war zum wahnsinnig werden. Meine Petrollampe musste ich schon vor einiger Zeit entzünden, da sich der Schatten der Nacht über Dortmund gelegt hatte. Nur ich saß noch an meinem großen Kiefernholzschreibtisch und brütete über Aufzeichnungen.
Mein Tag war lang gewesen, erst hatte ich die eine Operation durchgeführt und saß seit dem an meinen Unterlagen. Viele denken, ich müsse doch müde sein aber nein nicht der Anflug von Müdigkeit konnte ich spüren. Ein kleiner oder eher zu großer Gedanke hatte sich in meinem Gehirn festgesetzt. Es war nicht mehr normal, wie sehr sich diese Person meine Gedanken belagerte, sodass mich noch nicht einmal die Fachschriften davon ablenken konnten. Obwohl, wenn ich genau nachdachte, könnte das Wohlergehen dieses einen Menschen über mein ganzes zukünftiges Sein als Arzt entscheiden. Was wenn mir diese Operation wirklich geglückt ist? Die Folgen wären kaum greifbar für mich. Also war dieser Anfall von Fürsorge normal. Denke ich.
Los lassen tat mich die Frage danach, wie es ihm ginge nach weiteren Stunden sinnlosen Starrens auf Papier, wobei die einzelnen Buchstaben und Wörten zu einen sinnfreien Brei verschwammen, immer noch nicht, weshalb ich mich auf den Weg in den Patiententrakt machte, der für besser betuchten Mitbürger unserer Stadt eingerichtet worden war. Es verschaffte mir ein wenig Hoffnung, dass seine Genesung weiter voranschreiten sollte. In diesem Bereich war der Zugang zu Medikamenten und sauberen Verbandsmateriealien um einiges leichter. Irgendetwas entspannte sich in mir, was sich seltsam und ungewohnt anfühlte. Ich war verwirrt von mir selbst.
Auf einmal trat eine Person in den Lichtkegel meiner Lampe und ich erschrak heftig. Ich wollte nicht unbedingt gesehen werden, was zwar nicht an der Uhrzeit lag, welche für meine Verhältnisse noch wirklich normal war, aber zu dieser Zeit befand ich mich in meinem Büro und nicht auf dem Krankenhausflur. Doch als ich die Stimme wieder erkannte war meine Anspannung verflogen. Es war Fräulein Ida. Die Oberin war anscheinend immer noch unterwegs und sie hatte ihre Schicht übernommen.
"Herr Schmelzer, was machen Sie denn um diese späte Stunde noch hier?" Ich fühlte mich unwohl ihr zu antworten und räusperte mich, bevor ich zu einer Antwort ansetzte "Ich habe bis eben noch weiter studiert und wollte mich nur kurz nach meinem Patienten erkundigen." Es war eine wirklich seriöse Antwort, die ich selbst mir in dieser Situation nicht zugetraut hätte. "Na das ist aber auch verständlich. Ich bin wirklich gespannt, wie es ihm ergeht, denn er leidet seit mehreren Stunden an starkem Schüttelfrost, hohem Fieber und Schweißausbrüchen. Ich habe bis jetzt alles in meiner Macht stehende getan, um es zu senken aber nichts will bis jetzt anschlagen." meinte sie bedrückt. "Das kann vorkommen. Es ist nicht ihre Schuld , ich vertraue ihnen da ganz." erwiderte ich angespannt. Jegliche prositiven Gedanken waren verschwunden. Natürlich stimmte das was ich Schwester Ida erklärt hatte, jedoch kam es ganz auf das Ausmaß an, ob es nun als gefährlich einzustufen war oder nicht. "Möchten Sie noch zu ihm? Aber ich würde sie dann bitten auf Ruhe zu achten schließlich liegen hier noch weitere Patienten." holte sie mich aus meinen Gedanken zurück in die Gegenwart. Ich nickte daraufhin nur knapp, was sie dazu veranlasste ihre Stirn ungläubig zu runzeln. Ich merkte, dass sie anscheinend meine veränderte Haltung bemerkt haben musste und diese kritisch zu hinterfragen schien. Trotzdem brachte sie mich, ohne noch ein weiteres Wort zu verlieren, an das Bett des Mannes, welcher mir heute morgen zum ersten mal begegnet war.
Es war ein mulmiges Gefühl so vor ihm zu stehen. Meine Augen betrachten ihn genaustens von seinen so weich aussehenden, leich verrusten Haaren über sein bleiches und von Müdlichkeit gezeichtes Gesicht, welches trotzdem noch seine sanften Züge behalten hatte, bis hin zu seinen rauen von Arbeit und Wetter gegerbten Händen. Das alles und unsere kurze Unterhaltung, wenn man es so nennen mochte, machten ihn für mich zu einem Menschen, den man nicht vergessen konnte.
Ich gab für mich zu, dass mein Interesse nicht nur aus einer rein beruflichen Sicht zu werten war. Dieser Mann übte eine viel weitreichendere Faszination auf mich aus. Ich mochte es schon immer neue Menschen kennenzulernen, besonders wenn diese einen eigenen, speziellen Charkter hatten. Ich realisierte, dass mich das genau reizte. Ich wollte diesen Menschen näher kennen. Noch nie war dieses Verlangen so groß und erfüllend in mir aufgetreten. Ich betrachtete ihn länger und meine Sorge wuchs nach meinen ersten Gedanken ins unermessliche. Immer wieder schüttelte es seinen viel zu dünnen Körper und Tropfen von Schweiß rannen ihm die Schläfen herunter. Wenn er jetzt schon seit Stunden so fieberte, konnte ich mich glücklich schätzen ihn egal in welchem Zustand hauptsache lebend morgen noch hier zu haben.
Als ich Schritte hinter mir hörte, legte sich auch schon eine kleine, zierliche Hand auf meine Schulter. "Sie sollten sich ausruhen. Sie waren den ganzen Tag auf den Beinen. Ich kümmere mich schon um ihn und wenn etwas sein sollte sende ich einen Boten zu ihnen." hörte ich die mir vertraute weibliche Stimme hinter mir eindringlich sagen. Etwas darauf antworten tat ich nicht, denn ich wusste sie hatte Recht und ich kämpfte dagegen an hier an diesem Bett bleiben zu wollen. Ich drehte mich um doch nicht ohne vorher seicht mit meinen Fingerspitzen über seine Handinnenfläche gefahren zu sein und ging in Richtung des Ausgangs. Jetzt nur noch aufgewühlter, als davor und mit einem durchleuchtenden Blick im Rücken.
Kaum war ich in meiner Wohnung angekommen, drehten sich meine Gedanken immer weiter. Wieso wollte dieses komische Gefühl aus meinem Magen einfach nicht verschwinden? Es war sogar noch schlimmer geworden, seit ich bei dem mir unbekannten war. Wie konnten diese paar Momente so viel in mir auslösen? Gedankenverloren drehte ich den Hebel der Petroliumleuchte auf meinem Nachttisch aus. Nun war es stockdunkel und ich lag immer noch wach und viel zu aufgewühlt in meinem Bett. Ich schaute überlegend in das dunkele Schwarz was sich über mir befand. Ich mochte diesen Menschen aus irgendeinem Grund so sehr, dass mich seine Gestalt bis in den Schlaf verfolgte.
Konnte es etwas mit Berlin zu tun haben? Aber nein, das war völliger Schwachsinn. So etwas ging hier in dieser "kleinen" Stadt zumindest in Relation zu Berlin nicht. Verdammt, wenn es wirklich so war, wie ich dachte, konnte es mich meinen Beruf kosten. Doch das war eh alles dummes Geschwusel, dass sich mein übermüdetes Gehirn hier ausdachte. Nach den paar Tagen das konnte nicht sein. Und selbst wenn wäre die Möglichkeit, dass er anders empfindet und es Publik machte viel zu groß. Zutrauen tat ich es ihm nicht wirklich, aber wer konnte Menschen schon in den Kopf und in die Seele schauen? Das schaffte noch nicht einmal die Medizin. Nach weiteren Stunden in deren Verlauf sich der Himmel schon leicht hellblau färbte, fiel ich in einen unruhigen Schlaf.
Die nächsten Tage verliefen wieder nach dem selben Alltgstrott, dem ich seit der Beendung meines Studiums nachgegangen war. Aufstehen, sich für die Arbeit fertig machen, Patienten behandeln und nach der Schicht die neusten medizinischen Kenntnisse erörtern. Das alles hatte mir den Ruf als eigenbrödlerischer Stubenhocker eingebracht. Ausmachen tat es mir jedoch nichts.
Ich fand es nicht erstrebenswert sich jeden Abend in irgendeinem Variete zu vergügen und dieses nur zu wechseln, wenn eine Liaison die andere ablöste. Natürlich gab es auch Treffen dieser Art, welche weniger verwerflich waren. Wer konnte schließlich etwas dafür, wenn man sich nicht in die Person verliebte, welche die Eltern meist noch weit vor Beendingung der Jugend standesgemäß ausgesucht hatten? Wenn man sich dann verliebte, hatte ich einiges an Verständnis dafür. Doch stimmte es mich traurig, wie oft so etwas vorkam. Doch noch öfter waren diese Ausflüge bei Nacht nur außerehelichen Vergnügungen verbunden mit viel Alkohol für eine Nacht gedacht. Zum Glück konnte ich von mir selbst behaupten nie in eine der beiden Situationen geraten zu sein, auch wenn beide Male nur knapp.
Wie gesagt, ging ich diesem Ablauf nach, doch eines hatte sich seit jenem Tag geändert. Immer bevor ich den Weg in meine Wohnung antrat, schaute ich bei meinem Unbekannten vorbei. Jedes mal, wenn ich ihn besuchte, wuchsen meine Sorgen immer mehr. Er fieberte schon seit gut einer Woche, zwar immer mit Tagen an denen es ihm besser zu gehen schien, doch Tags darauf war das Fieber wieder in ungeahnte Höhen vorgedrungen. Es war zum verzweifeln, bald war selbst ich mit meinem Latein am Ende. In den letzten Tagen hatte sich sogar die Naht an der Haut angefangen zu nässen, weshalb die Schwestern alle zwei Stunden den Verband wechseln mussten. Ich saß jede Nacht einige Stunden bei ihm. Ich wusste, das würde die Gerüchte über den verrückten Doktor anheizten, der noch nicht einmal verheiratet war, während andere Männer in meinen Alter schon verwitwet waren und zum zweiten mal geheiratet hatten. Obwohl ich doch eine so gute Partie wäre.
Es war mir ein inneres Bedürfnis bei ihm zu sein. Dieser Mann kam zu mir damit ich ihm helfen sollte, also würde ich ihn auch nicht alleine lassen, egal wie es um ihn stand. Es half natürlich aucht nicht, dass er in diesem Zustand keine Nahrung zu sich nehmen konnte und so seine Kräfte immer mehr schwanden. Ich kannte ihn zwar noch nicht lange, aber in einer Sache war ich mich absolut sicher, dieser Mann war eine starke Person, ein Kämpfer. Deshalb glaubte ich daran, dass er gesund werden würde und sprach ihm gut zu, wenn ich bei ihm und niemand in der Nähe war. Ich fühlte ich aus irgendeiner verqueren Weise mit ihm verbunden. Vielleicht bildete ich mir das alles nur ein, aber vielleicht auch nicht. Das letzte mal als ich bei ihm gewesen warf hatte sich das Fieber wieder gesenkt und die Schweißausbrüche waren deutlich abgeklungen. Doch mehr Hoffnung schürte es nicht, zu oft hatte sein Zustand in den letzten Tagen geschwankt. Doch dann sollte der Tag kommen.
Schwester Margarete, eine hagere kleine Frau mit leicht gerümmten Rücken, die schon an die sechzig Jahre alt sein mochte, überbrachte mir die Nachricht. Der rationale Teil meines Hirns hatte schon damit abgeschlossen und doch war dort irgendein Gefühl der Hoffnung, welches tief aus meinem Inneren zu kommen schien.
In den letzten Tagen war sein Zustand gleichbleibend schlecht gewesen und doch war ich jeden Abend zu ihm gegangen. Und heute stand es fest. Er war wieder bei bewusstsein. Seine Werte waren noch nicht im normalen Bereich, doch er hatte die Augen aufgeschlagen.
Kaum hatte ich die Worte aus dem Mund der Schwester vernommen, griff ich nach meinem Kittel und rannte an ihr vorbei um schnellstens auf die Station zu gelangen. Ich wusste gar nicht mehr, wen ich alles umgerannt oder angerempelt hatte. Mein Blick war gerade starr und wahrscheinlich etwas seltsam, aber es gab im Moment nur diese eine Sache für mich. Ich wollte wissen, wie es ihm ging.
So stand ich mehrere Minuten später schwer atmend, geschwitzt und meine Hände in meine Seiten gepresst vor Schwester Ida, welche mich sehr genau musterte. "So lasse ich Sie ganz sicher nicht zu einem Patienten." stellte sie mit einer Stimme klar, die keinen Wiederspruch duldete und schob mich auf einen Stuhl. Sie ging kurz, kam aber wieder mit einem Glas Wasser zurück. "Sie beruhigen sich jetzt erstmal und trinken das. Immer diese aufgeregten Ärzte, aber dann das Gleiche Unsereinem ankreiden." meinte sie zu mir obwohl sie das Letzte wohl eher zu sich selbst sagte. Aber was ich ihr lassen musste war, dass ich mich wirklich nicht mehr so erschöpft fühlte. Ich wollte jetzt zu meinem Patienten. Nach einer Aufforderung folgte mir Fräulein Ida nun sichtlich besser gelaunt.
Nun lag er so da auf dem Bett, als wäre ich nie weg gewesen, seit meinem letzten Besuch. Gut sein Fieber war fast vollständig abgeklungen und damit auch alle Folgeerscheinungen. Doch was immer noch extrem zu erkennen war, war seine deutliche Erschöpfung. Seine Haut hatte einiges an Farbe verloren, was wiederum seine Augenringe nur noch viel dunkler, ja fast schon schwarz, wirken ließ. Zusätzlich wurde dieser Eindruck durch seinen dünnen und so zerbrechlich wirkenden Körper unterstrichen. Ich musste es mir in diesem Moment unfassbar stark verkneifen, ihm mit meiner Hand sanft über die Wange zu streichen. Woher dieses Verlangen auf einmal kam war mir ein Rätsel. Anscheinend öffnete er durch unser Eintreten seine Augen und sah mich direkt an.
Dieses warme Blau seiner Augen faszinierte mich sofort. Es war, als würde ich in seiner, nein unserer Welt, gefangen sein. Nach maximal zwei Sekunden wendete er seinen Blick dem Boden zu und unterbrach so unsere Verbindung. Alleine diese paar Sekunden ließen mir einen Schauer über den Rücken fahren. Das war seltsam. Viel zu seltsam.
Jedoch konnte ich mich, auch dank Schwester Ida, wieder auf meine Aufgabe, als Arzt konzentrieren. Erst erläuterte sie mir sie die letzten Befunde von ihm, bevor ich anfing seine Wunde zu kontrollieren und ihm nach seinem Empfinden zu fragen. "Ich fühle mich etwas schwach und die Naht schmerzt noch etwas. Außerdem ist mir oft noch ein wenig schwindelig bei Bewegungen." erhielt ich als Antwort. "Na das hört sich doch positiv. Der Schwindel und die Schwäche werden wohl noch etwas bleiben, schließlich hat ihr Körper in den letzten Tagen einiges mitgemacht. Ihre Wunde scheint auch auf dem Weg der Besserung zu sein, zumindest ist die Entzündung fast gänzlich abgeheilt. Für die Schmerzen werde ihnen die Schwestern gleich etwas bringen. Trotz Alledem müssen Sie noch in etwa zwei Wochen bei uns bleiben." stellte ich ihm den Sachverhalt vor. Er hörte mir geflissentlich zu, ließ jedoch bei der Nennung seines noch ausstehenden Aufenthaltes die Schultern hängen. Aber wer konnte ihm das auch verübeln?
Als ich ihn noch fragte ob er noch etwas geklärt haben wollte, war Schwester Ida schon gegangen. Wohl um ein Schmerzmittel vorzubreiten. Meine Frage jedoch wurde von ihm mit einem höflichen "Nein danke Herr Doktor." beantwortet. Dabei fiel mir auf, wie schön, tief und melodisch seine Stimme trotz des Akzents klang. „Zu gerne bedanken." sprach er seine Gedanken aus und ich sah ihm an wie wichtig es für ihn zu sein schien. Gleichzeitig bildete sich ein fester Kloß in meinem Hals und ich wurde zittrig. Ihm die Wahrheit sagen? Auf keinen Fall, was würde er denn dann denken. Also erwiderte ich nur ein neutrales "Tut mir wirklich sehr leid, aber da kann ich ihnen nicht weiterhelfen." Es versetzte mir jedoch einen Stich seinen nun leicht getrübten Blick zu sehen bevor ich das Kankenzimmer verließ.
Die nächsten paar Tage sahen wir uns nur bei der täglichen Visite auf seiner Station, die ich leitete, da unser Oberarzt auf einem Kongress und somit nicht anwesend war. Zum Glück hielten mich in dieser Zeit die jungen Ärzte so auf Trapp, dass ich gar nicht dazu kam, mir Gedanken über das komische Gefühl, dass sich in seiner Nähe immer einstellte, zu machen. Doch heute würde es anders sein, es war jetzt eigentlich kurz vor Feierabend und dennoch wollte ich nochmal eine genaue Kontrolle der Verheilung bei ihm durchführen. Ich vertraute eigentlich meinen Kollegen und doch wollte ich mich von seinem kontinuierlich verbesserten Zustand überzeugen. Gleichzeitig durchzog mich eine immer größere Nervosität.
In seinem Zimmer angekommen, war das seltsame Kribbeln im meinem Magen nicht mehr aufzuhalten. Er nahm mir jedoch die Angst, indem er mich ähnlich unsicher ansah, obwohl ich es mir nicht erklären konnten, wieso das bei ihm der Fall sein sollte. "Guten Abend Herr Schmelzer, was wollen Sie denn heute Abend noch hier?" fragte er mich überrascht und ich sah ihm an, wie viel Überwindung es ihn kostete mich anzusprechen. "Ich wollte mich nur selbst einmal von ihrem Gesundheitszustand überzeugen." Daraufhin nickte er nur und schob sich den Kittel vom Bauch. Mit gelernten Griffen tastete ich seinen Bauch ab und trug meine dazugehörigen Unterlagen ein, die ich mir vorher aus dem Schwesternzimmer besorgt hatte.
Es schien wirklich alles soweit gut zu sein. Ich spürte jedes einzelne Zucken seines Körpers, das zu geichen Teilen von meinen zugegebenermaßen kalten Händen und von der Operationswunde stammten. Ich ließ ihn nach den Untersuchungen sein Oberteil anziehen und ich tröpfelte mir Alkohol in meine Hände, so wie ich es vor und nach Behandlungen immer tat. Ich glaubte an Professor Kochs Theorie von winzigen Lebewesen, die diese vielen Krankheiten übertrugen. Auch deshalb wurde ich als Spinner abgetan und musste mir den konzentrierten Alkohol selbst kaufen, doch ich tat es gern. Ich wollte nicht an dem Tod meiner Patienten Schuld sein und wenn es sich doch als falsch herausstellen sollte, konnte ich immer noch aufhören, aber bis jetzt war mir das Risiko zu groß. Während ich so gedankenverloren die Flüssigkeit in meinen Händen verrieb, merkte ich, wie mich zwei wunderschöne Augen beobachteten.
"Ist noch etwas, Herr Piszczek?" hakte ich nach ein paar Minuten nach und wandte mich ihm zu. Was ich dort sah ließ mein Herz komischerweise viel schneller schlagen. Seine Augen waren anscheinend fest an seine Bettdecke geheftet und seine Wangen waren leicht errötet. Irgendwie doch niedl...nein. Wieso dachte mein Kopf so etwas? Wieso drehte er jetzt durch?
"Wissen Sie, mir hat das mit dem Menschen, der anscheinend bei mir war, keine Ruhe gelassen und habe herumgefragt. Niemand wollte mir helfen außer dieser netten jungen Schwester mit den braunen Locken, welche hier relativ oft Dienst hat." murmelte er vor sich hin und doch so laut genug, dass ich ihn verstand. Ich stockte verdammt sie würde doch nicht...." Diese meinte die wären jeden Abend hier gewesen. Oh Gott, ich hoffe, Sie fühlen sich nicht in ihrer Privatsphäre gestört, es muss schließlich einen Grund haben, wieso Sie es mir nicht sagen wollten. Aber das Einzige was ich will, ist mich bei Ihnen bedanken." sprach er zum Schluss etwas verunsichert. Mein Kribbeln, das sich eigentlich beruhigt hatte, brandete erneut und umso heftiger auf.
Ich war zuerst überfordert mit dem, was ich jetzt sagen oder tun sollte, sodass ich eine Zeitlang still und starr da stand, wobei in mir eine merkwürdige Mischung aus Gefühlen hohe, wilde Wellen schlug. Ich merkte auch, dass er anfing nervös seine Händ zu biegen und noch mehr Röte in sein Gesicht stieg. Schließlich dachte ich Angiff ist die beste Verteidigung und antwortete ihm. "Wissen Sie, das was ich getan habe, ist nichts wofür sie sich zu bedanken bräuchten. Ich verneinte es erst, da ich nicht wusste, wie Sie darauf reagieren würden, trotz ihrer Dankbarkeit. Das was ich hier tue ist für mich meine Arbeit und Passion. Ich möchte meinen Patienten helfen und besonders, wenn sie sich in einem so schlechten Zustand befinden, wie Sie einst." versuchte ich mich zu erklären und mein Blick schweifte auf den grau gefliesten Boden. Ich wollte seine Reaktion nicht sehen.
"Sie hätten sich keine Gedanken zu machen brauchen. Ich empfinde einfach nur tiefste Dankbarkeit Ihnen gegenüber, aber ich bin froh sie unter diesen Umständen gefragt zu haben. Sie sind ein bemerkenswerter und besonderer Mensch für mich nachdem ich ihre Version gehört habe." sagte er noch etwas leiser, als sei ihm das alles in diesem Moment unfassbar peinlich. "Ich fühle mich geehrt, aber ich würde nicht sagen, dass ich besonders bin eher anders. Aber wenn ich das bemerken darf, haben sie bei mir auch einen bemerkenswerten Eindruck hinterlassen...." gab ich ehrlich zu und merkte, wie sich nun meinerseits ein leichter Rosaschimmer auf meinen Wangen zeigte. "Natürlich nur positiv." setzte ich hastig hinten an. Was soll er schließlich von mir denken? "Ja jemand Besonderes sind Sie." flüsterte er und ich denke nicht, dass ich es hören sollte. Ich erhob jedoch daraufhin meinen Blick und sah ein Lächeln, welches mich in noch nie gekanntem Maße faszinierte. Dazu noch dieses besondere Schimmern in seinen Augen machte das alles nicht besser. In diesem Augenblick hatten wir im Stillen eine Übereinkunft getroffen.
Von nun an sahen wir uns jeden Abend, bevor ich meinen Weg nach Hause antrat. Wir redeten frei und gelassen über unsere Leben, welche so unterschiedlich und doch so ähnlich waren. Wir hörten einander genau zu, wussten aus dem Instinkt heraus, wie wir mit dem anderen umzugehen hatten. Es fühlte sich jeden Abend so an, als würde ich mein Zuhause verlassen und mich nicht auf den Weg dahin machen. Es war wieder eine Sache mehr, welche mir Kopfschmerzen bereitete. Ich hatte so etwas noch nie erlebt und es war nicht logisch und rational wie mich dieser starke, selbstbewusste und doch zurückhaltende Mann beeinflusste. Wir redeten oft auch über schwierige Themen, wie seinen Verlust der Heimat, die er wegen Armut verlassen hatte oder über meine vielen Zweifel, was denn nun richtig sei und was nicht. In solchen Momenten redeten wir nie viel, sondern schwiegen meist, wenn der andere erzählt hatte. Das war tröstend und heilend zugleich. An anderen Treffen lachten wir lautstark, wenn wir uns Kindheitserinnerungen erzählten oder er mir versuchte seine Muttersprache beizubringen, woran ich absolut kläglich scheiterte. Dabei fühlte ich mich so frei wie ein Vogel, der einfach nur seine Flügel im Wind auszubreiten brauchte um glücklich und er selbst zu sein. Es vergingen wunderbare Wochen, doch bald würde er entlassen werden, was mich auf der einen Seite unglaublich für ihn freute, doch mindestens genauso sehr spürte ich ein latentes, schmerzendes Drücken in der Gegend meines Herzens, wenn ich daran dachte, hier nach mein Leben wie davor weiterführen zu müssen.
Darüber nachdenkend saß ich an meinem Schreibtisch tief gebeugt über meinen Unterlagen, die Patronen schon verbraucht und die Hände verkrampft, versuchte ich mich weiter zu konzentrieren. Gestört wurde ich erst durch ein zaghaftes Klopfen an meine Tür. Genervt und gleichzeitig verzweifelt raunzte ich ein "Herein." Mir war es in diesem Moment so egal, wer vor dieser Tür stehen würde. Dann hörte ich jedoch die Tür erst zaghaft knarzend aufgehen und es traten langsame Schritte über die Türschwelle. "Eh Verzeihung, ich wollte Sie wirklich nicht stören.." begann eine verunsicherte, aber mir wohl bekannte Stimme zu sprechen. "Tuen Sie nicht, aber ich hatte ihnen doch gesagt, Sie sollen das Bett noch nicht verlassen wegen der Narb..." ich unterbrach mich selbst, als ich die hängenden Schultern und roten Augen des Blonden erkannte. So am Boden zerstört hatte ich ihn noch nie gesehen, was eigentlich auch kein Wunder war, denn so lange kannten wir uns nun auch wieder nicht. Dennoch schockierte es mich zutiefst. "Ja das habe ich auch abgewägt, aber nach diese Nachricht heute wusste ich nicht, wo ich sonst hin sollte." sprch er mit rauer Stimme, die verriet, dass er wohl die ein oder andere Träne vergossen haben musste.
Ich stand von meinem Schreibtischstuhl auf und war mit schnellen Schritten bei ihm um seine Hand zu ergreifen. Es war wie ein Reflex und ich hatte zuerst Angst, er würde sich wehren, doch als er meine Hand fest umklammerte fühlte ich mich bestärkt darin das Richtige zu tun. "Was ist denn passiert?" fragte ich möglichst einfühlsam und strich gefühlvoll über seinen Handrücken. "Ich habe meine Stellung verloren, weil ich so lange nicht arbeiten konnte. Ich hatte meiner Familie doch versprochen es in Berlin zu etwas Besserem zu bringen und sie zu unterstützen. Dann weiß ich doch auch gar nicht, wie ich Ihnen die Operation bezahlen soll. Und ja das werde ich tuen, ich bin ein arbeitender Mann, der keine Allmosen braucht." stellte er klar, obwohl seine Stimme immer noch unfassbar traurig klang. Ich musste mich zusammenreißen nicht doch zu schmunzeln, was mehr als unangebrach gewesen wäre, denn das war so typisch für den Mann, welchen ich so zu schätzen gelernt hatte.
Ich könnt ihm einen Ausweg bieten, aber würde er ihn annehmen oder ablehnen, weil er es komisch fand, aber es würde alle Probleme lösen, naja fast alle. Ich entschied mich dann doch ihm mein Angebot zu unterbreiten. "Also wenn Sie wollen, könnte ich Ihnen helfen." fing ich noch etwas unsicher an. "Ich bräuchte einen Diestboten in meinem Haushalt und bezahlen würde ich auch nicht schlecht. So haben Sie wieder eine Arbeit, Geld und können ihre, zugegebener Maßen unnötigen, Schuldgefühle beseitigen." erläuterte ich ihm meinen Vorschlag und drehte mich dabei in Richtung des Fensters, da ich schon erwartete, dass diese Unterredung ein ganz anderes Ende nehmen würde als gedacht. "Aber das kann ich doch nicht annehmen, Sie haben schon so viel getan..."stammelte er doch ich brachte ihn schon zum Schweigen indem ich einfach weiter redete. "Sie sind kein normaler Patient, einem Solchen hätte ich nie dieses Angebot gemacht. Ich mag dich wirklich sehr, Lukasz." Ich blickte weiter in den Abendblauen Himmel Dortmunds. Viel zu aufgeregt war ich, um ihm in sein Gesicht zu sehen. Meine Hände, welche ich tief in meinen Anzugtaschen vergrabrn hatten, zitterten wie Espenlaub. Schritte, zaghafte Schritte ließen mich aufhorchen. Und schon stand die für mich wunderbarste Person neben mir und hatte die Macht darüber meine Gefühle in die höchsten Höhen oder dunkelsten Tähler zu führen.
Auf einmal spürte ich eine eine raue und kleine Hand, welche sich mit meiner verband. Mein Herz schien unnatürlich hohe Sprünge zu machen und mein Magen explodierte nur so von den kribbligen Gefühl darin. Ich hatte ihn eben extra bei seinem Vornamen genannt, denn das hatten wir vorher noch nie getan, doch in dieser Atmosphäre erschien es mir genau richtig. Ich senkte meinen Blick wieder zu ihm herunter, da der Seine auf mir lag. Seine Augen fixierten meine und sie verschwammen zu einem Einzigen. "Ich mag dich auch sehr, Marcel." hauchte er mir entgegen und ehe ich mich versah, lagen seine samtenen Lippen auf meiner Wange. In diesem Moment war mein Körper nur noch erfüllt von aber Milliarden von Endorphinen. So konnte ich nicht anders und legte meinen Arm mit ein wenig Abstand um seinen Torso. Er jedoch schmiegte sich nah an meine Seite und sah zu mir herauf. "War das jetzt ein Ja?" vergewisserte ich mich noch ein letztes mal, ob er das alles hier auch als richtig empfand.
Als Antwort drückt er sich, soweit es noch möglich war, enger an mich. Diese kleine Geste machte mich so unfassbar glücklich, dass ich ihm einen kleinen zarten Kuss auf seinen Scheitel gab, woraufhin er sich mir entgegenstreckte. Als wir nun länger Arm in Arm dort, von dem Mond silbern beschienen, standen verflog das Gefühlschaos und machte einer allumfassenden und wärmenden Ruhe in mir Platz. Das meinten also alle in Berlin mit dem Gefühl Frieden mit sich selbst zu schließen. Und ich durfte das auch noch mit diesem besonderen Mann in meinem Arm erleben.
Holla Leute😊,
heute Mal ein ganz anderer OS. Ich würde mich deshalb sehr über eure Meinung in den Kommentaren freuen👀
Wenn er euch gefallen hat, soll ich noch mehr von solchen historischen OS schreiben? Und wenn hier oder in einem neuen Buch?
Ja ich bin mir der Länge des OS bewusst sorry not sorry😂
Ansonsten hoffe ich ihr habt einen entspannteren Onlineunterricht als ich☺️
Alles Liebe eure Elfe❤️
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