Kapitel 1|Lunae
Der Schnee schmolz, als meine Füße ihn berührten, fast so, als würde er nur für mich seinen festen Zustand aufgeben, zu Wasser werden und langsam durch den kalten Boden sickern. Es war ein angenehmes Gefühl.
Hier im Wald war es still, bis auf das leise, vorsichtige Scharren einiger Tiere, die versuchten, unter der dicken Schneedecke etwas Essbares zu finden. Ich war oft hier, entweder, um mich abzukühlen, oder weil ich eine Auszeit brauchte, von Dorf, von dessen Bewohnern, uns ganz besonders von meiner Mutter. Es war eben schwer, als letzte Feuerherz in einem ganzen Dorf von Eisherzen lebte. Aber so war mein Leben. Schwer.
Alle Kinder meines Alters wussten, dass ich anders war, doch sie wussten nicht, was es genau war, das mich von ihnen unterschied. Wenn sie es wüssten, würden sie mich verraten, an den König. Man würde mich als Bedrohung sehen, obwohl das einzige, was ich beherrschte, das Schmelzen von Schnee war. Das unterschied mich zusätzlich von den anderen Kindern. Was sie alles mit ihren Kräften anstellen können, könnte ich mir nicht einmal erträumen.
Ich konzentrierte mich, versuchte, mir vorzustellen, wie das Feuer in meinem Herzen in meine Fingerspitzen fließt, sich den Weg dahin brennt, und aus meinen Fingern schießt, einen Feuerstrahl erzeugt. Doch das einzige, was geschah, war, dass der Schmerz in meinem Kopf ins unermessliche stieg und ein paar meiner Finger rauchten.
Es war frustrierend. Seit meinem fünften Lebensjahr, als alle anderen anfingen, ihre Kräfte zu nutzen und ich merkte, dass ich anders war, versuchte ich nun schon, mein inneres Feuer in den Griff zu bekommen. Doch nie hatte ich es geschafft. Ein paar mal hatte ich es schon zu einer kleinen Flamme gebracht, die jedoch einen Augenblick später wieder erloschen war.
Das Problem war, dass es mir ja auch niemand beibringen konnte. Es gab ja keine anderen Feuerherzen mehr, und die Kraft der Eisherzen funktionierte anders. Nicht, dass ich jemanden von ihnen fragen konnte; meine Mutter wollte nicht, dass meine Kräfte überhaupt in irgendeiner Form auftraten, und alle anderen durften nicht von mir wissen.
Von meiner Eigenartigkeit. Vom dem, das mich unterschied. Meinem Fehler. Denn genau das war ich in den Augen meiner Familie - ein Fehler. Ich wusste, dass es mir nicht gut tat, über so etwas nachzudenken, dass es mich wütend machte, und wie ich mir mein Leben lang schon anhören durfte, waren wütende Feuerherzen unberechenbar und am besten gar nicht existent.
Doch jetzt, wo ich so allein im Wald stand, über ebendiese Dinge nachdachte, in alles zu viel hineininterpretierte, uns immer wütender wurde, stieg mir die Wut zu Kopfe. Ich musste sie rauslassen, Diese unzubändigende, heiße, stürmische Wut.
Ich hob meine Hände gen Himmel. Und plötzlich passierte etwas.
Es war unbeschreiblich. Es war warm, hell, ich fühlte mich geborgen, sicher, beschützt.
Als ich die Augen wieder öffnete, sah ich, wie eine Art Feuersturm aus meinen Händen floss und wie ein Strudel um mich kreiste. Der ganze Schnee um mich herum war komplett geschmolzen und das Gras darunter schon verkohlt. An den Stellen, an denen mich der Feuersturm berührte, spürte ich keinen Schmerz. Nur noch mehr Wärme. Angenehme Wärme. Ich wollte, dass dieser Moment nie endete, und ich für immer hinter dieser schützenden Feuerwand bleiben konnte, doch genau in dem Moment, in dem ich dies dachte, knackte in unmittelbarer Nähe ein Ast, als wäre jemand oder etwas darauf getreten.
Augenblicklich war das Feuer erloschen und ich blickte direkt in das Gesicht von Cole, einem der anderen Kinder aus dem Dorf. Blankes Entsetzen spiegelte sich in seinem Blick, und ich war kurz davor mich umzudrehen um zu sehen, was er sah, vor was er so große Angst hatte, dich dann realisierte ich, dass er mich anstarrte. Er hatte Angst vor mir. Er musste mir in den Wald gefolgt sein und alles mit angesehen haben.
Ich wollte schon den Mund aufmachen, um irgendwas zu sagen, auch wenn es nur dummes Gestottere gewesen wäre, irgendwas, was ihn davon überzeugte, dass das, was er gerade gesehen hatte, nicht der Wirklichkeit entsprach, doch es war zu spät. Er rannte los, Richtung Dorf, wahrscheinlich drauf und dran, mich an die Soldaten zu verraten, die seit neuestem in jedem noch so kleinen Dorf stationiert waren, zu verraten und somit auch an den König. Bei der Vorstellung, was dann mit mir, mit meiner Familie, passierte, wurde ich erst weiß wie einst der Schnee, der um mich herum gewesen war, und dann so grün wie das Gras, bevor es verbannt ist.
In den ersten Sekunden stand ich einfach nur da, unfähig, zu handeln. Sollte ich einfach weglaufen und somit meiner Familie ihrem Schicksal überlassen, um meine eigene Haut zu retten? Nein, ich musste ins Dorf zurück. Ich musste hoffen, dass Cole es nicht den Soldaten erzählte, und wenn doch, musste ich wenigstens meine Familie beschützen und sagen, dass sie es nicht gewusst hätten. Also lief ich los. Plötzlich wurde mir eiskalt, ich fing am ganzen Körper an zu zittern. Vor Kälte und vor Angst. Ich hatte Angst vor dem Ungewissen.
Ob und was nun passieren wird.
Die Antwort wurde mir sogleich gegeben, den als ich gerade auf den weg ins Dorf einbog, kamen schon die fünf hier stationierten Soldaten schwer bewaffnet mit Eisschwerten sowie -schilden, Sperren und Bögen auf mich zugerannt, warfen sich auf mich, und das Letzte, was ich spürte, war ein stechender Schmerz an meinem Hinterkopf und danach wurde alles schwarz.
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