"We are only seven"
Ein ganz herzliches Dankeschön an Erin und Ria von Creativity_Square für die Anregung, mich mal wieder an einem Oneshot zu versuchen. Ich fühle mich immer geehrt, wenn ich zu solchen Projekten eingeladen werde. Dieser OS wurde kurz nach Weihnachten 2020 in vier Teilen im BTS-Weihnachts-OS-Buch auf ihrem Account zum ersten Mal veröffentlicht.
Ich wünsche viel ... hm. "Spaß" ... - Na, sagen wir mal - ich freue mich, dass Du meine Geschichte liest!
Wie immer ist alles kursiv Geschriebene Gedanken-Karussell des Protagonisten.
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Das Aufstehen fällt genauso schwer wie das ins Bett gehen. Erst will ich nicht schlafen, weil mich diese furchtbaren Bilder heimsuchen. Dann kann ich nicht aufstehen, weil ich die ganze Nacht mit dem tückischen Tod gekämpft habe. Ich habe Freunde und Feinde sterben sehen. Ich habe unendliches Leid in der Zivilbevölkerung gesehen. Und jetzt starren mich jede Nacht diese Augen an. Wütende Augen, weinende Augen, verlorene Augen, rachsüchtige Augen, desillusionierte, resignierte, ängstliche, gequälte Blicke. - Und brechende Augen.
Dieser Krieg war schlimmer als alle anderen Kriege, die die Menschheit jemals zuvor angezettelt hat. Kein Mensch wollte Krieg. Aber wir sind wohl nicht in der Lage zu lernen aus dem Dreißigjährigen Krieg in Europa, dem Bürgerkrieg in den Vereinigten Staaten, Auschwitz, Pearl Harbour, Hiroshima, Korea, Vietnam, Ruanda, dem Balkan und Syrien.
Jeder wusste, dass der nächste Weltkrieg der letzte sein würde. Gift, Hunger, Krankheiten, Waffen, die in der Lage sind, den Pazifik zu überqueren und dort passgenau ein einprogrammiertes Ziel zu erreichen. Was haben wir alles erfunden, um uns gegenseitig zu vernichten für nichts und wieder nichts. Jetzt liegt die ganze Welt in Trümmern, ganze Landstriche und Länder sind durch Radioaktivität auf Jahrhunderte hinaus unbewohnbar. Wir haben es fertig gebracht, die halbe Menschheit auszurotten.
Für diesen geschundenen Planeten ein Segen. Aber für die übrig Gebliebenen? Ein Fluch! Ich glaube, es gab keinen Mann und in vielen Ländern auch keine Frau zwischen 20 und 50 auf der ganzen Welt, die nicht in den erschreckend kurzen neun Monaten dieses alles vernichtenden Krieges eine Waffe in der Hand hatten. Und auch benutzt haben. Und viel zu oft mit dem Leben bezahlt haben. Wie sinnlos! Denn mit Messern und Gewehren war dieser Krieg nicht zu gewinnen. Sie alle waren nichts als Kanonenfutter.
Heute ist Sonntag. Das macht es noch schwerer. Mühsam zwinge ich mich aus dem Bett und danke wie jeden Morgen, dass ich noch auf meinen eigenen zwei Beinen rumlaufen, alles sehen und hören und meine Hände rühren kann. Mir ist schmerzhaft bewusst, dass das absolut nicht selbstverständlich ist. Wie viele haben zwar nicht ihr Leben, aber doch ihr Augenlicht, ihre Beweglichkeit oder gar ihren Verstand verloren. Ich kann noch arbeiten. Und ganz vielleicht werde ich sogar irgendwann wieder singen. Oder tanzen. Wenn es jemals wieder sowas wie eine Musikindustrie in Korea geben wird.
Wenn ich zurück denke an all die vielen Diskussionen unter den ARMY's und bei uns im Entertainment, wer von uns wann und mit wem oder auch nicht den Militärdienst ableisten würde. Oder sollte. Alles Makulatur. Von einem auf den anderen Tag wurde uns die Entscheidung abgenommen. Alles, was laufen konnte, wurde in die Grundausbildung geschickt und dann ab an die Front. Wir Sieben wurden sofort auseinander gerissen und haben geheult wie die Schlosshunde aus Angst umeinander, als wir uns verabschieden mussten.
Namjoon kam zum Nachrichtendienst - gegnerische Codes knacken. Jin - das war so absurd! Und demütigend. Es hat ihm so weh getan. Ihn haben sie tatsächlich zum simplen Koch gemacht. Jimin und Yoongi haben im Nullkommanix im nächsten Panzer gesessen, weil sie so klein sind. Dass Yoongi da in der Enge im Tagesrhythmus Panikattacken bekommen hat, hat die einen Dreck geschert. Hobi ist schon in der Grundausbildung mindestens einmal am Tag ohnmächtig geworden, weil die Angst ihn von den Beinen gerissen hat. Den haben sie schließlich in den San-Bereich gesteckt und eine High-Speed-Krankenpfleger-Ausbildung machen lassen. Und Tae? Tae ist bei seinem ersten Einsatz in einen Giftgasangriff geraten und vorübergehend erblindet. Ausgerechnet er! Unser Künstler. Unser Ästhet. Er hat Glück im Unglück gehabt. Er kam in eine Reha im Landesinneren, und die haben es tatsächlich geschafft, sein Augenlicht zu retten. Seine Einheit - wurde nur drei Tage nach seinem Unfall in Grund und Boden gebombt.
Und ich? Hab mich geschämt, dass mir meine Aufgabe sogar Spaß gemacht hat. Ich war bei einer Fliegerstaffel, als fliegender Begleitschutz. Zum Glück musste ich in den ganzen neun Monaten keine einzige Bombe auf irgendwas werfen. Aber ich habe oft genug gesehen, wie Kameraden mit ihren Maschinen abgestürzt sind, weil ich es nicht geschafft habe, sie davor zu bewahren. Sssssssssssss. Puff. Vorbei.
Und ziemlich bald gab es überhaupt keine Möglichkeit mehr, mit irgendjemandem den Kontakt zu halten. Das ist vielleicht das Schlimmste. Meine Familie ist durchgekommen. Jimins Familie auch, das konnte ich rausfinden. Aber ich habe immer noch keine einzige Spur von einem der anderen. „We are only seven" - man, wie lange ist DAS her!
Zum Frühstücken habe ich mal wieder keine Lust. Ich zwinge mich trotzdem zum Essen, damit ich nicht irgendwann umkippe. Ich ziehe irgendwas an und fahre los - wie jeden Tag spätestens nach meinem Dienst - zum zentralen Amt für Vermissten-Meldungen. Wie tausende andere im Land, auf der ganzen Welt, stehe ich mir die Beine in den Bauch und warte darauf, dass ich an einen der Publikums-Terminals dran komme. Immer in der Hoffnung, dass irgendwann einer der ersehnten Namen auf dem Bildschirm aufflackert - mit einer Adresse, die weder auf einem Friedhof noch in einer Klapse ist. Das Blöde an der Warterei ist, dass dann sofort wieder das Kopfkino anspringt.
Der Krieg ist erst ein Jahr her. Aber der Frieden davor, der scheint schon fünfzig Jahre her zu sein. Ich weiß kaum noch, wie eine Bühne aussieht, geschweige denn, wie es sich anfühlt, da oben zu stehen und in die strahlenden Gesichter von hunderten von Fans zu schauen. Aber ich weiß sowieso nicht, ob ich da jemals wieder hin will. Ohne die anderen ... Wie soll ich jemals wieder albern sein ohne Tae? Wen soll ich denn ärgern, wenn nicht Jimin wegen seiner Größe? Wen soll ich bewundern für seine wohlgesetzten Worte, wenn nicht Namjoon? Wem sollte ich meine Lyrics geben, wenn nicht Yoongi? Ich hab überhaupt keine Lust mehr auf Menschen so ganz ohne unseren Fake-Maknae Jin. Wer soll meine Bewegungen kontrollieren und korrigieren im Training, wenn nicht Hobi?
Nach einer Stunde hat sich die Schlange endlich so weit bewegt, dass ich nicht mehr draußen im Schnee festfriere sondern wenigstens drinnen weiter warten kann. Noch anderthalb Stunden später stehe ich vor einer der Konsolen und fange an, die Namen meiner „Brüder" in die Suchmasken einzutippen. Namjoon - Fehlanzeige. Jin - Fehlanzeige. Yoongi - Fehlanzeige. Hobi - das Programm flackert. Und zögert. Ich spanne mich an. Bitte, bitte keine Todesmeldung! Nicht er!
Nein! Keiner von ihnen. Keiner von ihnen soll hier in der Rubrik „Vermisst" oder „Gefallen" auftauchen. Ich würde es nicht ertragen. Sie sind meine Väter und Brüder und Freunde. Sie haben mich geformt, seit ich dreizehn Jahre alt bin. Sie haben mich ertragen und angefeuert und alles gelehrt, was ich kann. Konnte ...
Der Bildschirm beruhigt sich, und nach einer Sekunde schwarz erscheint eine Anzeige. Jung Hoseok, geboren am 18.2.1994 in Gwangju/Südkorea. Krankenpfleger bei der Artillerie. Verwundet am ... Genesungsurlaub bis ... in ... Stationiert in ... In Ehren entlassen mit dem Blablabla-Kreuz erster Klasse. Jetzt wohnhaft in ... Mir verschwimmt alles vor den Augen. Ich kann es nicht fassen. Sollte ich tatsächlich einen von ihnen gefunden haben? Hobi! Noch halb blind vor lauter Tränen fotografiere ich den Bildschirm ab und renne völlig unkoordiniert auf die Straße.
Hobi. Er lebt! Endlich habe ich einen von euch gefunden!
Erst, als ich außer Puste an einer roten Ampel anhalten muss - dass es hier überhaupt zwischen den Trümmern noch funktionierende Ampeln gibt! - kann ich wieder klar sehen. Seine Adresse ... ist in Seoul. Er ist hier! Schnell gebe ich die Adresse ein in einer Map von Seoul und renne einfach los. Ich muss mich jetzt bewegen. Sonst dreh ich durch!
Das ist gar nicht so weit. Früher wäre ich das in einer Stunde gejoggt. Zu blöd, dass fast alle U-Bahnen durch Bombeneinschläge verschüttet sind. Aber vielleicht erwische ich einen Bus, der wenigstens halbwegs in die richtige Richtung fährt?
Ich hechte zwischen Trümmern durch, die immernoch überall in der Stadt zu sehen sind, jage durch einen Park, der ziemlich baumlos ist, weil die verarmten Menschen das Holz zum Kochen und Heizen gebraucht haben. Ein Stück kann ich tatsächlich mit einem Bus fahren. Dann bin ich auch wieder bei Atem und renne weiter. Seitenstechen? Egal! Ich MUSS zu Hobi. Sofort!
Erst ganz allmählich sickert in mein Bewusstsein, dass der vielleicht gar nicht zu Hause ist.
Hoffentlich! Hobi, du MUSST zu Hause sein!!! Ich brauche dich. Jetzt! Wenigstens dich! Nicht wieder Weihnachten alleine zwischen Trümmern feiern. Nicht wieder alleine eine Silvesternacht durchheulen. Bitte - sei zu Hause!
Schließlich komme ich in eine Siedlung mit kleinen Reihenhäusern, die relativ von den Bomben verschont geblieben ist. Schnell finde ich die Straße, orientiere mich und suche nach der richtigen Hausnummer.
Da!
Das Gartentor quietscht bestialisch. Aber es ist Musik in meinen Ohren im Vergleich zu dem pfeifenden Geräusch fallender Bomben. Hier stehe ich nun. Vor mir zwei Klingelknöpfe. Daneben zwei unauffällige Namensschilder. „Jung". "Kim".
Nu drück schon auf die Klingel! Was hält dich davon ab??? Wovor hast du Angst? Er wird dich erkennen! Er hat ein Drittel seines Lebens mit dir verbracht. Na - los!
Ich muss mich zwingen, meine Hand zur Klingel zu bewegen. In dem Moment, wo mein Zeigefinger fast am Knopf angekommen ist, öffnet sich von alleine die Haustür einen Spalt breit, und eine himmlisch vertraute Stimme flüstert.
"Ist da jemand? Bitte lassen Sie mich in Ruhe!"
„Hobi? Ich bins. Bitte mach auf. Ich habe so lange nach dir gesucht!"
Drinnen fällt etwas klirrend zu Boden. Die Türkette klappert, die Tür wird aufgerissen, und mit weiten, starrenden Augen steht Hoseok vor mir.
„Jeongguk? Bist du das?"
Weinend und lachend und schluchzend und jubelnd liegen wir uns in den Armen. Es dauert eine ganze Weile, bis wir uns wieder fassen.
„Darf ich reinkommen?"
„Wehe, du gehst hier jemals wieder raus!"
Wie lange habe ich dieses ansteckende Lachen nicht mehr gehört? Ist das tatsächlich nicht mal zwei Jahre her? Ich werde es niemals vergessen!
Vorne ein steiles Treppenhaus. Daneben eine schäbige Wohnungstür. Ein winziger Flur. Ein Bad, eine Küche und ein Raum. Das ist jetzt Hobis Reich. Alles ist sehr ordentlich und sehr bunt. Bunt wie unsere verrückte Truppe. Bunt wie unsere brennende Sehnsucht nacheinander. Hobi kocht uns einen Kaffee und deckt ein paar Kekse auf. Wir setzen uns ganz nah aneinander aufs Sofa. Als könnte einer von uns verschwinden, wenn wir nicht genug aufpassen.
„Du - sag mal ... Hast ... hast du was von den anderen gehört? Ich konnte einfach keinen finden. Heute bist du zum ersten Mal in der Kartei der Vermissten-Stelle aufgetaucht. Ich bin fast den ganzen Weg gerannt, weil ich so Sehnsucht hatte."
Bange warte ich seine Reaktion ab. Und - er nickt.
„Ich hab auch lange nicht alle gefunden. Aber Jin ist hier in der Stadt. Er arbeitet als Koch in einer Notunterkunft. Er ist ... sehr verändert. Der Clown ist ihm brutal aus dem Wesen gebombt worden. Aber wir sehen uns jeden Tag. Bis vor kurzem war ich auch in dieser Notunterkunft, und seit ich hier bin ... Er hat mir diese Wohnung vermittelt. Er selbst wohnt nämlich obendrüber. Er lebt. Und er ist gesund."
Wieder kommen mir die Tränen.
Jetzt sind wir schon drei. Das wäre doch gelacht, wenn wir die anderen nicht auch noch finden würden. Wenigstens eine Auskunft. Irgendeine Antwort gegen diese grausame Ungewissheit!
„Warst du schon zu Hause bei deinen Eltern in Busan? Und hast du vielleicht was von Jimin gehört?"
Ich muss leider den Kopf schütteln.
„Ja, ich war natürlich gleich nach dem Krieg zu Hause. Ich wollte ja wissen, ob es allen gut geht. Aber Jimin ist leider bisher dort nicht angekommen. Unsere Eltern stehen miteinander in Kontakt. Ich wüsste das sonst schon."
Traurig senkt Hobi den Kopf.
„Irgendwie ... vermisse ich Jimin ganz besonders. Beinahe, seit ich denken kann, habe ich mit ihm ein Zimmer geteilt. Das letzte, was ich gehört habe, war, dass Jimin und Yoongi in der selben Einheit gelandet sind. Hoffentlich konnten sie einander ganz lange eine Stütze sein."
Eine Weile schweigen wir. Dann erzählen wir uns, wie es uns beiden ergangen ist. Und schließlich, was wir jeweils schon aufgestellt haben, um die anderen zu finden. Da klingelt Hobis Handy. Er schaut aufs Display und flüstert schnell noch:"Jin!", bevor er dran geht. Ziemlich schnell macht er ziemlich große Augen.
„Echt? ... Geht es ihm gut? ... Wie, er erkennt dich nicht!?! ... Wir kommen sofort! ... Wer ‚wir' ist? Jeongguk ist vor einer Stunde hier aufgetaucht. ... Ja! Leibhaftig und gesund. Bis gleich!"
Er sprintet zu seiner Garderobe im Flur, springt in seine Jacke, brüllt mir hastig was zu.
"Namjoon! Aber er hat wohl sein Gedächtnis verloren. Komm!"
Und rennt raus. Im Laufen wirft er mir einen Motorradhelm zu. Wir steigen auf eine alte, aber ziemlich große Maschine, ich halte mich an seinem Oberkörper fest, und schon sausen wir in die inzwischen hereingebrochene Dämmerung. Bald ist es ganz dunkel. Hobi fährt zielstrebig und schnell in einen Stadtteil, wo früher ganz viele typische Touristenhotels standen. Vor einem dieser Hotels hält er an.
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„Die meisten Hotels, die den Krieg überstanden haben, sind jetzt Notunterkünfte, weil die vielen Zimmer und die Großküchen sich dazu eignen. Komm, wir gehen durch den Hintereingang. Dann müssen wir nicht diskutieren."
Hobi führt mich um das große Gebäude herum zum Liferanteneingang. Dort klopft er an ein Fenster ...
Irre! Das ist der Anfangsbeat von „Idol". Erinnerungen! Das waren unsere ganz großen Zeiten. Billboard, die Love Yourself-Tour, Riesige, ausverkaufte Stadien. Map of the soul. Wir alle hatten uns endlich, endlich nach Jahren der Quälerei einigermaßen gefunden, waren gefestigt und konnten so richtig auspacken, was in uns steckte. Jimin mit ‚Black Swan'. Tae mit seinen Solo-Songs für K-Dramen und so. Unsere selbst gebaute Scheibe ‚BE'. Ich vermisse sie alle so sehr ...
Der Liferanteneingang öffnet sich, und ehe ichs mich versehe, habe ich einen euphorischen Jin um den Hals hängen. Dann schiebt er mich ein Stück von sich weg und schaut mich von oben bis unten an, als wäre ich das achte Weltwunder.
„Komm rein. Lass dich ansehen! Kommt, Namjoon ist an der Bar. Vielleicht erkennt er uns, wenn wir zu mehreren vor ihm stehen."
Wir folgen ihm durch die Katakomben des Hotels und kommen durch eine Seitentür neben der Bar raus. Viel ist hier nicht los. Die meisten Bewohner sitzen jetzt wahrscheinlich im Speisesaal und essen, was Jin ihnen gezaubert hat. Und da sitzt er und hält sich an einem Glas Wiskey fest.
Namjoon. Unser Leader. Unser Hirn. Unser Philosoph. Was habe ich dich und deine unglaubliche Geduld vermisst! Was musst du gelitten haben, dass du den Weg gewählt hast, lieber alles zu vergessen? Ich weiß gar nicht, ob ich dir wünschen soll, dass deine Erinnerung zurück kommt. Dann kennst du uns wieder. Aber was wird da noch alles hochkommen? Vielleicht wäre das noch grausamer als dieses Vergessen. Ich kann ja selbst ein Lied davon singen ...
Jin geht hinter die Bar, Hobi und ich setzen uns still rechts und links von Namjoon auf die Barhocker. Mit vollkommen leeren, ausdruckslosen Augen schaut er uns an. Und unsere Hoffnung auf ein Erkennen zerplatzt wie kleine Seifenblasen.
„Kenn ich euch Komiker?"
Bewegungslos vor Entsetzen über dieses furchtbare, leere Starren sitzen wir neben ihm und bekommen beide kein Wort raus. Er ordert bei Jin den nächsten Whiskey, bekommt aber gar nicht mit, dass der ihm einen gehörigen Schuss Wasser druntermischt.
Unsere Blicke scheinen ihm unangenehm zu sein.
„Ja, ich weißssss - ich bin besssoffen. Was soll man auch anderes tun - hicks! - alssu saufen. Alles is wech. Alles. Sogar mein ... Verstand. Ich weiß nich, wer ich bin, wer ich mal war, und ich habe keine Ahnung, wer ich irgendwann mal sein soll."
Ich kämpfe gegen die Tränen an.
Was ist aus dir geworden, Namjoon? Wer bist du jetzt, wenn du nicht unser einzigartiger Namjoon bist? Wie können wir dir nur helfen? Du darfst nicht saufen! Das macht doch alles nur noch schlimmer. Wenn ich nur helfen könnte!
Jin beißt die Zähne zusammen. Er hat das ja vorhin schon erlebt. Hobi laufen jetzt wirklich die Tränen übers Gesicht. Aber ich bin nicht bereit, so schnell aufzugeben.
„Jin, was hast du alles schon versucht? Was hast du ihn gefragt oder ihm erzählt? Gab es irgendeine Reaktion von ihm?"
Jin schüttelt den Kopf.
„Ich habe vor allem Namen genannt, wichtige Momente aus unserer gemeinsamen Zeit erwähnt. Da war nichts. Gar nichts."
Hobi hebt den Kopf.
„Hast du auch gesungen? Ich mein' - was verbindet uns so sehr wie die Musik? Was kam ehrlicher aus seiner Seele als seine Texte und Melodien?"
Wieder schüttelt Jin den Kopf. Diesmal aber mit staunenden Augen.
„Ich Trottel. Da hab ich gar nicht dran gedacht!"
Plötzlich zögere ich wieder.
Ich weiß gar nicht, ob das gut ist, wenn wir ihn hier dazu bringen, sich an irgendwas zu erinnern. Das ist hier total öffentlich. Wer weiß, was dann passiert? Wir sollten rausfinden, wo er wohnt. Und ihn nicht aus den Augen lassen. Vielleicht dauert es nur eine Weile.
„Jin, weißt du, wo er wohnt?"
„Hier. Hier im Haus. Seit gestern. Ich hatte gestern frei, deshalb hab ich ihn erst heute entdeckt. Ich bin ganz froh drum. So kann er uns nicht wieder aus den Augen geraten. Hier ist er gut aufgehoben, wird ärztlich betreut, und wir können ihm langsam wieder auf die Beine helfen. Der Arzt meinte, er sei zwar in Uniform, aber ohne Dienstmarke aufgefunden worden. Darum war er auch ganz froh, dass ich ihm sagen konnte, wen er da eigentlich vor sich hat."
Hobi und ich nicken und halten uns krampfhaft an den Wassergläsern fest, die Jin uns hingestellt hat. Allein der jämmerliche Anblick von Namjoon reicht, um nie wieder nach einem Tropfen Alkohol zu fragen.
Jin schaut mich an.
„Mensch, Jeongguk, du glaubst nicht, wie froh ich bin, dich heile zu sehen. Jetzt fehlen uns nur noch ..."
Er verstummt. Hobi seufzt.
„Yoongi, Jimin und Taehyung. Und zumindest unsere Twins sind bisher nicht bei ihren Eltern aufgetaucht."
„Hm. Und ich konnte auch alle drei nicht in der Vermissten-Datei finden. Hobi ist heute morgen da zum ersten Mal aufgeploppt. Aber ich werde nicht aufhören zu suchen. Ich habe euch drei innerhalb von einem Tag gefunden. Das ist mehr, als ich jemals gehofft hatte. Und ich werde nicht nachlassen, bevor ich nicht weiß, was mit den anderen drei ist!"
So überzeugt und überzeugend ich damit klinge. Vielleicht wird es noch Jahre dauern, bis wir weitere Spuren finden. Vielleicht wird Namjoon nie wieder bei klarem Verstand sein. Vielleicht stehen wir eines Tages an Gräbern ... Stop! Nicht aufgeben!
Ich schüttele den furchtbaren Gedanken ab.
„Ich glaube, es ist am besten, wenn du dich langsam mit ihm anfreundest. Vielleicht kannst du ihn ein bisschen stabiler kriegen dadurch. Dann lädst du ihn nach Hause ein. Und dort machen wir dann den Musik-Test. Wir haben bei uns dreien alles dabei. Rap, Gesang und Tanz. Bei dir und Hobi hat er den geschützten Rahmen, falls es ein nicht so schönes ‚Erwachen' geben sollte."
„Wo wohnst du denn eigentlich?"
„In Hongdae. Über einer Kneipe. Nicht grade förderlich für erholsamen Schlaf. Aber den kann ich sowieso nicht mehr buchstabieren. Die Bilder ..."
Die beiden nicken. Sie wissen ganz genau, wovon ich rede.
„Bei uns in der Reihe sind noch mehrere Wohnungen frei. Vielleicht ..."
Jin lässt seinen Satzanfang in der Luft hängen. Ich setze mich grader hin.
„Sofort! Ich bin Busfahrer geworden. Nach irgendwelchen Führerscheinen fragt ja zur Zeit keiner. Jedenfalls habe ich ein erstaunlich vernünftiges Gehalt. Könnt ihr das mal für mich rausfinden? Das Alleinsein macht mich verrückt."
Was bin ich froh, dass ich mich heute morgen aus dem Bett gequält und zu der Vermissten-Stelle geschleppt habe! Dieser Abend macht so viel Hoffnung. Und wenn wir nie wieder zusammen auf eine Bühne gehen. Einfach, dass wir uns haben, dass wir uns stärken und stützen können, wird das Geschenk des Lebens sein.
Hobi und ich bleiben nicht mehr lange. Ich tausche mit Jin Nummern aus, und Hobi fährt mich nach Hause. Zu meinem Wohnloch über einer runtergekommenen Kneipe in Hongdae.
„Danke, Hobi. Ich wäre jetzt noch ewig gelaufen. Und ich muss morgen früh um 5.00 Uhr wieder in meinem Bus sitzen."
„Oje - so früh!"
„Jo. Meine Kollegen lieben mich dafür. Ich fahre immer die Frühschicht, weil ich dann meinen Träumen entfliehe. Wenn ich tagsüber schlafe, sind die Bilder nicht so oft und nicht so intensiv."
Wir nehmen uns noch einmal sehr fest in die Arme.
„Ich bin unglaublich froh. Jetzt wird es aufwärts gehen."
„Ich auch. Danke fürs Bringen. Gute Nacht!"
Ich warte, bis Hobi um die Ecke ist, und steige dann meine Hinterstiege rauf. In dieser Nacht schlafe ich zwar mal wieder zu kurz, dafür aber so tief und traumlos wie ... das letzte Mal vor dem Krieg.
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Witzig. Keine Ahnung, wann ich das letzte Mal beim Weckerklingeln sofort und freiwillig die Augen aufgeklappt habe. So ausgeruht habe ich mich ja schon ewig nicht mehr gefühlt! Ich muss grade mal checken, zu welchem Bus-Depot ich heute muss. ... Ach ja, das ist gut. Nicht so weit. Also auf! Und es wär doch gelacht, wenn wir die anderen drei nicht auch noch finden würden! Jedenfalls kann ich mich jetzt endlich auf Weihnachten freuen. Die anderen werden sicher nichts dagegen haben, dass wir uns zumindest zum Teil sehen an dem Tag. Und wenn ich dann sogar da hinziehen kann - das wäre ein Traum!
Gut gelaunt und gut gefrühstückt mache ich mich auf den Weg. Nur wenige Menschen fahren so früh Bus. Aber die müssen ja auch irgendwie zu ihrer Arbeit kommen. Ich mag meine frühen Runden. Mittags um 14.00 Uhr ist Schluss, und der Rest des Tages gehört dann mir. Es ist noch eine Woche bis Weihnachten. Ich piepe Jin und Hobi an und wünsche ihnen noch eine schöne zweite Tageshälfte. Dann gehe ich wieder bei der Vermissten-Stelle vorbei, stehe Schlange, gebe umsonst die drei fehlenden Member ein und trolle mich nach Hause.
Wenn ich dran denke, dass die anderen sich früher immer beschwert haben, dass ich nie auf Textnachrichten antworte ... Ich muss schon manchmal eine ziemlich egoistische Plage gewesen sein. Aber das passiert mir nicht wieder! Ich vermisse die anderen und unsere gemeinsame Arbeit dermaßen, dass es weh tut. Selbst wenn wir niemals wieder auf einer Bühne stehen werden - wenn die anderen nur um mich sind, dann ist die Welt für mich wieder in Ordnung.
Zu Hause empfängt mich der Besitzer der Kneipe im Treppenhaus.
„Herr Jeon? Ich muss grade mal mit Ihnen reden. Es ist ..."
„Guten Tag. Was gibts?"
„Ich ... werde zu meinen Verwandten nach Chongwan ziehen. Sie brauchen meine Hilfe. Darum habe ich das Haus zum Verkauf angeboten. Sie müssen also damit rechnen, dass der neue Besitzer Ihre Wohnung anderweitig nutzen möchte. Ich weiß natürlich noch nicht, wann es so weit ist, aber ich dachte ... Ich dachte, dann können Sie sich schonmal darauf einstellen. Es wird ja auch nicht leicht sein, was neues ..."
Er verstummt und schaut mich nicht an. Er weiß, WIE schwer es ist, im zerbombten Seoul ein Dach über dem Kopf zu finden. Ich kann ihn jedoch gleich wieder beruhigen.
„Das passt ganz gut. Ich habe vermutlich etwas in Aussicht. Ich habe nämlich heute drei meiner alten Freunde wieder gefunden und könnte vielleicht in die Nähe von Zweien davon ziehen. Machen Sie sich also bitte kein schlechtes Gewissen."
Erleichtert verzieht er sich wieder in seine Kneipe, und ich gehe hoch in meine Miniwohnung.
Ich fühle mich so anders als gestern Morgen. Welch ein Geschenk! Ich habe eeeeeendlich wieder ein Ziel. Eine Hoffnung! Oh, und ich muss unbedingt Jin fragen, ob Namjoons Eltern schon Bescheid wissen, dass er aufgetaucht ist.
Als erstes rufe ich Hobi an. Er arbeitet in einem Krankenhaus, wo sich erst seit ein paar Monaten sowas wie Normalität eingestellt hat. In den ersten Monaten nach dem Krieg muss das die Hölle gewesen sein. Erst jetzt ist das wieder ein normales Krankenhaus, wo auch was anderes passiert, als seelisch und körperlich kaputte Soldaten zusammenzuflicken. Er ist von seinem Frühdienst auch schon wieder zu Hause.
„Jung Hoseok?"
„Hallo, Hobi. Hier ist Guk. Mein Vermieter hat mir grade eröffnet, dass ich wahrscheinlich demnächst ausziehen muss. Wie war das noch mit den Wohnungen in eurer Straße?"
Hobi fängt an zu lachen.
„Im Nachbarhaus wird nächste Woche was frei. Da wohnt ein steinalter Mann. Er hat vor einer Weile einen Neffen gefunden. Und der holt ihn jetzt zu sich, weil er sich eigentlich schon lange nicht mehr selbst versorgen kann. Ich war manchmal drüben. Und ich hab auch für ihn eingekauft. Ich geh gleich nachher hin und frage nach. Tür an Tür wär' schon genial!"
Als nächstes rufe ich Jin an, aber der scheint noch zu arbeiten. Also spreche ich ihm eine Nachricht auf.
„Hi, hier ist Guk. Sag mal, hat schon jemand Namjoons Eltern benachrichtigt, dass er gefunden wurde? Vielleicht holt ihn ja auch DAS wieder aus dem Loch. Jedenfalls hätte er dann ein Zuhause."
Eine Stunde später hat Jin Pause und ruft mich an.
„Ich hatte dem Arzt die Kontaktdaten gegeben in der Hoffnung, dass die noch stimmen. Der hat die Eltern gefunden, und die sind natürlich sofort heute angerauscht gekommen. Aber Joonie hat auch sie nicht erkannt. Im Gegenteil. Er hatte fast sowas wie Angst und hat sich geweigert, mit ihnen zu gehen. Er ist also noch hier. ... Die Mutter tut mir leid. Sie hat sich unglaublich damit gequält."
Ich glaube, das wäre für mich auch schwer zu verdauen. Ich war ja schon geschockt, dass er mich nicht erkannt hat. Und ich bin "nur" ein Freund.
Und wie mache ich jetzt weiter mit der Suche nach den anderen? Wenn ich doch wenigstens an PD oder irgendeinen Manager von BigHit rankäme! Das Gebäude ist total zerstört. PD soll fleißig am Wiederaufbau arbeiten, sagen die Gerüchte. Aber ich habe ihn bisher weder zu Gesicht noch an die Strippe gekriegt. Ich hab keine Ahnung, wo er mit den Resten von BigHit untergekommen ist. Vielleicht sollte ich da mal weiter machen. Es könnte ja sein, dass sich einer von denen bei PD gemeldet hat, um irgendwie einen Job zu haben und am Wiederaufbau mitzuarbeiten. Aber wie finde ich jetzt PD???
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Zwei Tage später grübele ich noch immer über diesem Problem. Ich bekomme wahrscheinlich die Wohnung neben Hobi, ich schlafe besser, ich habe auf einmal Freude an meiner Arbeit und lächele die Fahrgäste an, die mir bisher schnurzpiepegal waren. Ich freue mich darauf, dass wir tatsächlich zusammen Weihnachten feiern wollen. Eine Idee, wie ich PD finden kann, habe ich noch immer nicht. Immerhin habe ich sieben Monate lang versucht, irgendwie Leute von BigHit zu finden. Aber das Entertainment schien mitsamt aller Mitarbeiter zu Staub zerrieben und in alle Winde verstreut. Nichts zu finden, nichts zu machen! Da hab ich aufgegeben.
In der winzigen Hoffnung, dass PD in den letzten Monaten nun doch geschäftstüchtig wie immer eine vernünftige Adresse und zumindest ein Rumpf-Marketing aufgebaut hat, stürze ich mich mal wieder ins Internet. Und siehe da - vor fünf Monaten war da noch nichts. Aber jetzt ... Eine Adresse, eine Homepage, Weverse läuft wieder. Und dann bleibt mir fast das Herz stehen.
Jimin! Jimin ist als Solokünstler geführt!!! Wieso ums Verrecken ist der nicht in der Vermissten-Datei eingetragen????? Wieso ist der nicht zu seinen Eltern gegangen? Wieso ... Egal! Jimin ist da. Und es scheint ihm zumindest körperlich nichts zu fehlen, sonst wäre er nicht als Tänzer und Sänger aufgeführt.
Mit fliegenden Fingern wähle ich die angegebene Nummer.
„Kein Anschluss unter dieser Nummer. Bitte rufen Sie die Auskunft an."
Sch...! Von wann ist denn DIESE Ansage! Eine Auskunft gibts doch gar nicht zur Zeit. ... Da ist 'ne Mailadresse.
Ich warte ein paar Minuten auf eine Antwort. Aber da kommt nur ein Rücklauf wegen „is nich". Das darf doch nicht wahr sein! Adresse? Also direkt!
Ich melde mich bei Hobi, der holt mich sofort ab, und wir brettern mit seinem Motorrad zu der angegebenen Adresse. Nur, um dort vor einem Bauzaun und Absperrungen und Warnhinweisen zu stehen, weil das Gebäude offensichtlich einsturzgefährdet ist.
„Scheiße!"
Hobi nimmt kein Blatt vor den Mund und pfeffert wütend seine Motorradhandschuhe gegen die Bretter.
„Und jetzt?"
„Einmal drumrum gehen. Vielleicht ist irgendwo ein Hinweis."
So schnell gebe ich nicht auf. Wir machen uns auf die Socken und umrunden das gesamte Gelände. An der Rückseite des abgesperrten Gebäudes ist ein großer Hof. Der Zaun ist hier auch nicht so hoch. Im Hof stehen einige Container. Alles sehr schmucklos, aber funktional. Ob die ... Hobi spitzt die Ohren.
„Da ist Musik! Los, lass uns zusehen, dass wir da reinkommen!"
Wir folgen weiter dem Zaun, bis wir an einem großen Tor ankommen. Dort sitzt in einem Pförtnerhäuschen ein Wachmann und döst vor sich hin. Erst, als wir den dritten Stein gegen die Scheibe geworfen haben, wird er wach und kuckt uns böse an.
„Kennst du den von früher?"
„Nö, das muss ein Neuer sein."
Ich fange hektisch an zu winken. Es dauert eine Weile, bis der Typ SO genervt ist, dass er rauskommt.
„Verschwinden Sie!"
„Nö. Tun wir nicht. Wir sind Jungkook und J-Hope von BTS, und wir werden JETZT da rein gehen."
Der Mann macht schon auf dem Absatz kehrt, und ich sehe unsere Felle davonschwimmen, da kommt ein Auto auf die Schranke zu, um den Hof zu verlassen.
„Hobi! Das ist Sung-Deuk!!"
Wir reißen uns die Mützen und Schals von den Köpfen, damit er uns erkennen kann, und springen fast auf die Motorhaube drauf. Sung-Deuk erstarrt hinter dem Steuer, der Wachmann bellt uns an. Es ist ein ziemliches Durcheinander.
Aber dann kommt wieder Leben in unseren Lieblings-Choreografen. Er springt aus dem Auto und nimmt uns beide auf einmal in die Arme.
„Hoseok! Jeongguk! Ihr seid am Leben! Und ihr habt her gefunden. Kommt rein!"
Er wirft dem verdutzten Pförtner seinen Autoschlüssel zu, weil seine Karre ja hier am Tor im Weg steht, und zerrt uns förmlich in einen der Container. Er reißt eine Tür auf.
„Jimin! Schau mal, wer hergefunden hat."
Er gibt den Blick auf uns frei.
Jimin war wohl grade dabei, einen Song einzusingen. Er sieht uns, reißt sich die Kopfhörer von den Ohren und stürzt sich auf uns. Und er schafft es doch tatsächlich, uns beiden gleichzeitig einen Koala zu verpassen!
An Gelenkigkeit war er schon immer nicht zu überbieten ...
Wir klammern uns weinend aneinander fest und möchten am liebsten nie wieder loslassen.
„Wo kommt ihr denn jetzt auf einmal her, Jungs?"
„Von draußen?"
„Idiot!"
„Bei der Arbeit."
Unser Weinen geht in Gelächter über. Jimin sprudelt förmlich über.
„Kommt mit, Jungs. Wir gehen SOFORT zu PD. Fragt nicht, was wir in den letzten Monaten alles aufgestellt haben, um euch zu finden. Warum seid ihr nicht viel eher gekommen?"
„Weil wir BigHit nicht gefunden haben? Und weil ihr beide nicht in der öffentlichen Vermissten-Kartei steht? Schonmal auf die Idee gekommen?"
Jimin kuckt verblüfft.
„Öhm. Wieso? WIR werden doch nicht vermisst?"
„Selber Idiot! Ihr werdet vielleicht von uns vermisst??? So ein ganz klitzekleines Bisschen?"
Ich fasse es nicht. Eigentlich ist Jimin doch sonst nicht auf den Kopf gefallen. Die Vermissten-Kartei wird seit dem ersten Tag ihrer Existenz beworben wie bekloppt, damit sich möglichst viele Leute wiederfinden. Das KANN er nicht nicht erfahren haben! Und dass PD nicht auf diese Weise nach seinen Künstlern gesucht hat, glaube ich auch nicht. Na, Hauptsache, wir haben uns wieder. Hobi strahlt ja wie ein Honigkuchenpferd beim Anblick seines früheren Zimmergenossen.
Wir sind zu einem anderen Container gelaufen, Jimin klopft an, und dann treten wir einfach ein. PD sitzt hinter seinem Schreibtisch. Er sieht uns, schießt hoch von seinem Stuhl und streckt seine Hände nach uns aus. Also gibt es erstmal wieder tränenreiches Gruppenknuddeln.
„Hoseok. Jeongguk. Wie wunderbar, euch heile wiederzusehen! Wie habt ihr jetzt hergefunden?"
„Ich hab die Homepage entdeckt. Vor der Ruine vorne wollten wir schon aufgeben. Aber da hat zum Glück meine Hartnäckigkeit gesiegt. Aber - die Telefonnummer und die Mailadresse auf der Homepage funktionieren nicht."
„Gut zu wissen."
PD seufzt.
„Und? Wisst ihr noch von irgendjemand sonst?"
„Hm. Ich hab Jin gefunden. Guk hat mich gefunden. Und Jin ... hat Namjoon gefunden."
Hobi ist am Ende sehr leise geworden.
„Was ist mit Joonie?"
Jimin klingt sofort total besorgt.
„Er ... hat vollständig seine Erinnerungen an irgendwelche Menschen oder Ereignisse aus seinem früheren Leben verloren. Jin ist Koch in der Notunterkunft, wo Namjoon jetzt hockt. Er wird versuchen, mit Joonie warm zu werden, damit wir ihm vielleicht wieder auf die Sprünge helfen können. Seine eigenen Eltern hat Namjoon nicht erkannt. Und leider hat er wohl angefangen zu trinken."
Da fällt mir noch was ein.
„Sag mal, Jimin. Warum hast du dich eigentlich bei deinen Eltern noch nicht gemeldet?"
„Ging bisher nicht. Erstmal war ich noch vier Monate in Kriegsgefangenschaft, bis die ersten Austausch-Abkommen geschlossen waren. Dann hab ich am Anfang versucht, mit Yoongi zu seinen oder meinen Eltern zu kommen, aber da durfte ja noch niemand irgendwo hin. Und seitdem ..."
„Yoongi???"
Jimin lächelt.
„Ja, Yoongi. Er ist hier."
Dann wird er wieder ernst.
„Aber er ist so traumatisiert von der Enge in den Panzern und dem Drill und der ständigen Bedrohung und der Gefangenschaft. Er ... er lässt niemand an sich ran außer mir, weil ich eben die ganze Zeit bei ihm war. Wir wohnen hier auf dem Gelände in einem der Container. So muss er sich praktisch nicht bewegen oder unter Leute gehen. Er ist jetzt Producer, feuert einen Song nach dem nächsten raus für mich und die anderen. Und nebenbei rotzt er sein nächstes Mixtape hin. Wir haben alle die Hoffnung, dass er sich damit ein bisschen die Last von der Seele schreiben und schreien kann und hinterher wieder etwas stabiler ist.
Ich schreibe regelmäßig Briefe an seine und meine Eltern in der Hoffnung, dass die wenigstens ankommen. Seine Eltern antworten auch immer. Aber zu meiner Familie konnte ich noch keinen Kontakt aufnehmen. Die Telefonnummer ist tot. ... Vielleicht ... leben sie auch nicht mehr."
Ich gebe Jimin eine Kopfnuss.
„Schon wieder Idiot! Sie sind wohlauf, suchen dich wie die Stecknadel im Heuhaufen und heulen sich regelmäßig bei meinen Eltern aus."
Sturzbachartig schießen Jimin die Tränen aus den Augen. Hobi nimmt ihn einfach in die Arme und hält ihn eine Weile fest.
Hobi schaut auf die Uhr.
„Mist! Ich hab Nachtdienst und muss vorher nochmal nach Hause!"
„Na, dann lass uns Nummern tauschen und fahren. Ich hab immer Frühdienst. Ich komme morgen wieder. Ich sage Jin Bescheid, und du kannst ja versuchen, Yoongi darauf vorzubereiten."
Wir verschwinden ziemlich schnell, damit Hobi mich noch zu Hause absetzen kann. Dann braust er davon, damit er noch rechtzeitig zur Arbeit kommt.
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Jetzt fehlt nur noch Taehyung. Unser Regenbogenfreund. Bei all dem Glück, dass wir wieder zu sechst sind - Namjoon und Yoongi geht es auf gut koreanisch beschissen. Und Taehyung ist noch nicht wieder aufgetaucht. Und ich weiß langsam wirklich nicht mehr, wo und wie ich noch suchen soll.
Wir vier, die wir normal bei Verstand sind, genießen unsere Gemeinschaft sehr. Wir haben uns gleich am nächsten Abend bei Jimin und Yoongi getroffen. Und wir haben beschlossen, dass wir Weihnachten bei Jin und Hobi feiern wollen. Jin wird langsam mit Namjoon warm. Ob er ihn aber überreden kann, mit ihm zu uns zu kommen, ist fraglich. Jimin wird nur für ein paar Stunden dazu kommen, weil er Yoongi nicht so lange alleine lassen will. Der kann zwar nichts mit Weihnachten anfangen und wird deshalb wohl einfach wie jeden Abend in seiner Arbeit abtauchen. Aber es geht ihm eben deutlich schlechter, wenn Jimin zu lange nicht da ist.
Ich fahre weiter meinen Bus und bringe hinterher jeden Tag ein bisschen mehr von meinem Hausstand zu Hobi. Zwei Tage vor Weihnachten dann kann ich umziehen. Der Neffe des alten Mannes lässt mir die meisten Möbel da. Die Wohnung hat sogar zwei Zimmer, weil das Haus ein bisschen breiter ist. Am liebsten würden wir sofort die Wand durchbrechen, damit wir beieinander sein können. Aber erstmal geht das auch so. Und wir sind ja auch nur Mieter. Stattdessen lehnen wir unsere Türen raus in die winzigen Gärten nur an. So können wir schnell mal eben rüberhuschen, wenn uns danach ist.
Irre! Einfach irre! Vor einer Woche habe ich kaum aus dem Bett gefunden vor lauter Lethargie und Resignation.
Jetzt sind wir wieder sechs, und natürlich will PD sowohl Jin und Hobi als auch mich sofort wieder unter Vertrag haben. Auch um Namjoon will er sich kümmern. Irgendwann muss es doch einen Weg geben, ihm zu helfen! Und ich würde so gerne für übermorgen irgendeine Art „Weihnachtsbaum" auftreiben. Und den schmücken. Mit was auch immer. ...
Hm. Da ist doch dieser kleine Weihnachtsmarkt in Hongdae. Da kommen echt Massen. Die Leute haben alle Hunger nach Normalität und nach Vergessen und nach Kultur. Vielleicht suche ich da mal nach ein paar „Utensilien".
Ich habe nach dem Frühdienst das Auto meines Vermieters geliehen und die letzten Sachen hergebracht. Jetzt bin ich wie wild am Putzen und Möbelrücken. Bald ist meine Wohnung sowas wie gemütlich. Also mache ich mich auf zum Weihnachtsmarkt. Ich muss ja eh das geliehene Auto dort wieder abliefern. Ich schlendere zwischen den wenigen Hütten umher und schaue mich um. Es schneit wieder, es dingelt überall Weihnachtsmusik durcheinander. Es duftet nach Zimt und Mandeln. Ich steuere einen Stand mit Weihnachtsschmuck an und kaufe einfach einige rote Kugeln und eine Packung Strohsterne.
Ein paar Stände weiter ist eine Hütte mit Mützen, Schals, Handschuhen und Socken. Ich bleibe unschlüssig stehen. Aber für jeden von uns ein Paar warme Socken wär schon schön. Dann liegt wenigstens IRGENDWAS unterm Baum ... Ich gehe auf die Auslage zu und mache eine Vollbremsung. Da liegen doch tatsächlich Socken mit unseren BT21-Figuren drauf! Ich könnte ausflippen vor Freude. Stattdessen kaufe ich lieber die Socken.
Also - wer hat welche Schuhgröße? Hier ist ein Koya, ein RJ. Da - unter meinem Cookie liegt Mang. Gleich daneben finde ich Chimmie, Shookie - und Tata.
Autsch! Hm. Soll ich? Blöde Frage - natürlich! Ich will einfach die Hoffnung nicht aufgeben. Ich WILL Taehyung finden. Und ihm dann diese Socken geben können.
Ich greife in den passenden Größen von jeder Figur ein Paar, auch von Tata. Ich bezahle alles und stecke die Geschenke glücklich in meinen Rucksack zu den Kugeln und Strohsternen. Als ich zu Hause damit ankomme, kommt Hobi grade total erschossen von seinem Dienst nach Hause. Aber er strahlt mich über den Gartenzaun an und hält - zwei krüppelige Weihnachtsbäume hoch.
„Schau mal. Der Händler wollte die wegwerfen. Der eine ist unten kahl, der andere oben. Vielleicht können wir die so ineinander tüddeln, dass ein vollständiger Baum dabei rauskommt."
Wir lachen uns kringelig und treffen uns gleich auf unseren Terrassen, um das auszuprobieren. Jin schaut von oben aus dem Fenster und schüttelt nur den Kopf.
„Wartet, ich komm runter."
Mit vereinten Kräften und ziemlich vielen Kratzern an den Händen schaffen wir es tatsächlich, die beiden dürren Stämme aneinanderzubasteln und die Äste so zu sortieren, dass das Ganze wie ein voller Baum aussieht. Den stecken wir dann in einen Eimer voller Sand und freuen uns wie die Schneekönige.
Bei einer Flasche Bier, brüderlich geteilt, beraten wir anschließend, was wir noch alles brauchen. Oder - zumindest gerne hätten. Am Ende verabreden wir, dass Jin fürs Essen zuständig ist. Hobi wird versuchen, ein paar Kerzen aufzutreiben, Geschirr und Besteck von uns allen zusammen werden für die Gruppe reichen. Und ich werde morgen Mittag den Baum schmücken, wenn Hobi und Jin noch im Dienst sind. Zum Glück haben die beiden auch Frühdienst. So können wir den ganzen Nachmittag und Abend miteinander verbringen. Und für eine Weile wird auch Jimin dazu kommen. Er hat Yoongi von uns erzählt. Und er sagt, dass Yoongi das erste Mal seit fast zwei Jahren gelächelt hat. Da sind uns allen sofort wieder die Tränen gekommen.
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Raus aus den Federn - heute ist Heilig Abend. Ich freue mich wie Bolle auf die Jungs. Hoffentlich kommt Namjoon mit! Es könnte ihm so gut tun, mit uns zusammen zu feiern. Schade, dass Yoongi sich nicht überwinden kann. Aber was nicht ist, kann ja noch werden. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so glücklich gewesen bin!
Es ist eigentlich noch mitten in der Nacht, als ich zum Depot aufbreche, um meine heutige Schicht zu fahren. Mein Herz ist leicht, und ich kann wieder daran glauben, dass das Leben, mein Leben, unser Leben irgendwie weiter geht. Ich strahle heute jeden einzelnen Fahrgast an, wenn sie einsteigen, und rufe ihnen ein „frohe Weihnachten" nach, wenn sie wieder aussteigen. Am Ende meiner Schicht übergebe ich den Bus mitten in der Stadt an einen Kollegen und spaziere Richtung nach Hause. In einer Fußgängerzone lasse ich mich treiben und spiele mit den Schneeflocken, die schon den ganzen Tag vom Himmel fallen. Bis ich auf einmal Musik höre.
Was ist das denn? Das ist doch ... Das ist ... Singularity! Und da singt auch einer. Ich fress'n Besen, wenn ... Das ist Taes Stimme! Die kann natürlich auch vom Band kommen, aber das muss ich erst mit eigenen Augen sehen. Wenn es doch nur ... Bitte, bitte, Gott, wenn es dich gibt. Lass es Tae sein!
Ich zögere nicht lange und wühle mich zwischen den immer noch ziemlich vielen Menschen durch, immer dem Klang nach. Da sehe ich einen Ring von Passanten. Gnadenlos quetsche ich mich nach vorne durch. Und - nein, die Stimme von Tae kommt nicht vom Band. Er ist es selbst.
Er sieht furchtbar runtergekommen aus. Fast, als ob er obdachlos wäre. Er ist auch furchtbar mager und ungewöhnlich blass. Aber es ist eindeutig unser geliebtes Alien, das da steht mit einem alten Kleiderständer und sein Lied performt. Seine Stimme ist leise ohne Mikrophon. Aber sie hat immer noch diesen erdigen, vollen Klang wie früher. Ich warte einfach ab, bis er fertig ist.
Anhaltender Applaus belohnt seine Darbietung. Als nächstes stimmt er 4 o'clock an. Mir laufen schon wieder die Tränen übers Gesicht. Wir sind wieder sieben! Als das Lied auf den ersten Rap von Namjoon zusteuert, googele ich hastig den Text. Und dann falle ich einfach ein. Taes Kopf fliegt hoch, er verstummt, seine Augen suchen die Menge ab. Ich mache ein paar Schritte in den Kreis hinein. Schließlich stehen wir uns einfach gegenüber und singen und rappen gemeinsam Taes allerersten Solosong. Wir nehmen uns an den Händen, und ich wünsche mir nur noch, dass dieses Lied niemals endet.
Die Zuschauer begreifen gar nicht, was sie da sehen. Aber für uns gibt es kein Halten mehr. Kaum ist der letzte Ton verklungen, fallen wir uns in die Arme.
„Endlich! Endlich sind wir wieder Sieben!"
Tae stutzt und schiebt mich ein Stück von sich weg.
„Sieben? Heißt das ... Hast du ..."
„... die anderen alle gefunden. Ja. Innerhalb der letzten sieben Tage. Sie sind alle wieder da. Nicht alle gesund. Aber alle wieder da."
Tae treten erneut die Tränen in die Augen.
„Geht es Jimin gut? Und wie geht es den anderen? Erzähl!"
Schnell verbeugt er sich ein paarmal vor den Leuten, sammelt seinen Hut mit Münzen ein und schaut mich erwartungsvoll an.
„Wo wohnst du, Tae? Wir feiern heute Abend zusammen Weihnachten und Wiedersehen. Kommst du mit?"
Tae grinst sein schmerzlich vermisstes Kastengrinsen.
„Ich? Deshi run, run, run! Ich wohne in einem alten Eisenbahnwaggon und habe üüüüüberhaupt keinen Bedarf, da heute noch hinzulatschen. Wo gehts lang?"
Während wir in unsere kleine Reihenhaussiedlung laufen, erzählen und erzählen und erzählen wir.
Nachdem Tae aus der Reha entlassen worden war, hatte er sich durchs Land geschlagen. Er wollte nach Daegu. Nach Hause. Aber durch die Wirren des Krieges ist er nie dort angekommen. Er hat sich schließlich durchgejobbt bis Seoul. Und hier hat er sich mit Straßenmusik über Wasser gehalten. Für ein festes Dach über dem Kopf hat es aber nie gereicht. Und das werden wir sofort heute Nacht ändern!
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Hobi ist schon da, als wir ankommen, und freut sich wie ein Schneekönig, dass ich jetzt sogar auch noch Tae im Schlepptau habe. Dann lassen wir Tae einen Moment Zeit, um zu duschen, geben ihm saubere Klamotten und was zu essen. Anschließend schmücken wir gemeinsam den Baum. Jin piepst durch, dass er es tatsächlich geschafft hat, Namjoon zum Mitkommen zu überreden, und gibt einen hohen glücklichen Quietscher von sich, als ich einfach nur sage:"Jin? Wir sind wieder sieben."
„Ich fliege, ich eile!"
Jimin will um 20.00 Uhr kommen. Yoongi arbeitet viel nachts. Da wird er Jimin nicht so sehr vermissen.
Pünktlich kurz vor 20.00 Uhr steht das wunderbar duftende Essen auf dem Tisch in Hobis Zimmer. Wir haben alle Stühle und unser Geschirr zusammen getragen und warten nur noch auf Jimin. Da brummt Hobis Handy. Er liest laut vor, was Jimin ihm geschrieben hat.
„Hobi, bitte vorsichtig sein. Ich habe Yoongi dabei. Wir stehen vor der Tür, aber er braucht Abstand, er hat Angst, dass er es nicht aushält."
Wir schauen uns an und können es nicht glauben. Nur Namjoon versteht natürlich die Tragweite nicht.
Hobi geht zur Tür und öffnet. Er bleibt ganz ruhig und spricht leise.
„Jimin, Yoongi. Wie schön, dass ihr da seid. Kommt rein!"
Dann kommt er einfach wieder ins Wohnzimmer und lässt Jimin machen. Es dauert eine Weile, aber dann sind sie beide drin. Yoongi schaut uns scheu an und klammert sich an Jimins Hand. Der wiederum sieht Tae, und ihm fallen bald die Augen aus dem Kopf.
„Wo habt ihr DEN denn jetzt noch hergezaubert?"
Stumm geht Tae zu Jimin hin und nimmt ihn fest in die Arme. Jin hat derweil noch einen Stuhl von oben geholt und ein Gedeck mehr aufgelegt.
„Leute, kommt. Das Essen wird kalt."
Wir sortieren uns auf die Stühle. Jin zündet die Kerzen auf dem Tisch an und bittet uns, zuzugreifen.
Was für ein Wunder! Jetzt sitzen wir doch tatsächlich alle gemeinsam um diesen Tisch. Ich weiß gar nicht, wo ich zuerst hinsehen soll. Da. Jimin kümmert sich so rührend um Yoongi, damit der die Enge mit uns aushält. Und Namjoon sitzt auf seinem Stuhl wie ein lebendiges Fragezeichen. Er isst kaum was. Er schaut die ganze Zeit im Kreis! Vielleicht ...
Nach dem Essen bringen wir das Geschirr in die kleine Küche, drehen dann unsere Stühle um und setzen uns in einen Halbkreis um den Weihnachtsbaum. Eine Weile sagt niemand etwas. Erst nach und nach kommen leise Gespräche in Gang. Es ist, als könnten wir alle noch nicht fassen, dass wir tatsächlich zu siebt heile hier sitzen. Dass Frieden ist und BTS wieder zusammen in einem Raum.
Alle bis auf Namjoon und Yoongi erzählen ihre Geschichte seit dem Tag, an dem wir uns trennen mussten. Yoongi sitzt stumm dabei, hindert Jimin aber nicht daran, auch von ihm zu erzählen. Und immer noch ist Namjoon seltsam angespannt und beobachtet uns sehr genau. Hobi und ich erzählen, wie wir vor einer Woche angefangen haben mit dem „Member-Sammeln". Dann schweigen wir wieder eine ganze Weile. Jeder hängt seinen Gedanken nach.
Schließlich gebe ich mir einen Ruck.
„Könntet ihr euch mal alle die Augen zuhalten? Ich habe noch eine kleine Überraschung."
Alle bis auf Yoongi halten sich die Augen zu, und ich sehe manches Lächeln. Schnell hole ich die ganzen Socken aus der Tüte und lege sie vor jedem passend unter den Baum. Als ich die Tata-Socken vor Tae hinlege, schießen mir die Tränen in die Augen. Yoongi schaut mir zu, sagt kein Wort, lächelt nur, als ich die Shookie-Socken ablege. Und dieses Lächeln ist so schön wie der Vollmond über dem Han-River.
„So. Ihr könnt die Augen wieder aufmachen."
Es gibt viel Hallo, als die anderen die Socken entdecken. Tae zieht sie sich sofort grinsend an. Jimin und Jin fangen an zu blödeln und ihre Figuren nachzumachen. Hobi schlägt die Hände vors Gesicht. Ich lege ihm meinen Arm um die Schultern. Yoongi nimmt seine Socken von Jimin an und drückt sie an sich. Und Namjoon starrt auf die Socken auf dem Boden vor ihm und fängt an zu zittern. Ich beobachte ihn sehr genau, während ich leise ein Weihnachtslied anstimme, das wir mal bei einer Weihnachtsshow gesungen haben.
Ich fange einfach an, weil das sowieso mein Part war. Tae setzt das fort, auch Jimin und Jin schalten sofort. Dann steigt Hobi ein. Zaghaft höre ich zum ersten Mal wieder Yoongis wunderschönen, tiefen Bass. Immer noch beobachte ich Namjoon. Der bückt sich nun auch nach den Socken und dreht sie zwischen seinen Händen. Und dann geht ein Verstehen über sein Gesicht. Er entspannt sich. Und singt gemeinsam mit uns das Lied zu Ende. Wir fassen uns an den Händen und halten uns ganz fest.
Ganz still ist es einen Moment lang. Dann fängt Namjoon an zu sprechen. Und ich höre sofort an seiner Stimme, dass er den inneren Schalter umgelegt hat.
„Wie schön, dass wir alle zusammen feiern. Ich weiß zwar nicht, wie ich hierher gekommen bin. Das letzte, was ich erinnere, ist, dass uns durch einen Bombeneinschlag die Decke unseres Bunkers auf den Kopf fiel. Aber jetzt bin ich hier. Und ihr alle seid hier. Und das tut gut.
Jetzt sind wir wirklich wieder Sieben. Jetzt kann uns nichts mehr trennen!
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3.1.2021
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