OS 7 - Reflection
Leise klappert Geschirr hinter dem Tresen. Ein Angestellter räumt pfeifend Getränke in die Kühlschränke, ein anderer verteilt Aschenbecher auf den Tischen. Das Aroma von Kaffee weht ab und zu an mir vorbei und verschwindet durch das gekippte Fenster neben mir. Ich zähle meine wenigen Kröten und gönne mir eine erste Tasse.
Es ist später Nachmittag, noch nicht viel los in der Hotelkneipe. Aber in meinem Kopf leider auch nicht. Ich habe noch eine verdammte Woche Zeit, um den Plot und einen erstes Manuskript abzuliefern. Jetzt habe ich sogar zum allerletzten Hilfsmittel gegriffen und mich für drei Tage in einem kleinen Hotel am Stadtrand einquartiert. Normalerweise finde ich an solchen Orten schnell die schönsten, steilsten, absurdesten Inspirationen. Aber schreib mal einen satirischen Krimi, wenn dir nicht mal ein normaler Toter einfallen will. Ganz zu schweigen
von einem, der durch skurrile Umstände ums Leben gekommen ist, die sich komisch verwursten lassen. Hmpf.
Ich schaue hoch, weil die Tür aufschwingt. Zwei Leute kommen rein, lachen, bestellen am Tresen ein Bier. Meine Augen schweifen durch den urgemütlichen, etwas abgeranzten Raum, auf der Suche nach Ablenkung von meinem Dilemma. Von dem ich mich aber zu diesem Zeitpunkt nicht mehr ablenken lassen sollte, wenn ich im nächsten Monat meine Stromrechnung bezahlen will.
Mühsam reiße ich mich los von den ausgeblichenen Plastikblumen auf den Tischen, der antiken Zapfanlage, dem ziemlich abgeliebten Klavier in der Ecke hinter mir, das aussieht, als wäre als letztes in "Casablanca" darauf gespielt worden. Nur, dass keine schicke Lady daneben steht und "Spiels noch einmal, Sam." sagt. Und kein Humphrey Bogart aus dem Hinterzimmer kommt und meckert. Und ... ich mich schon wieder total ablenken lasse.
Also zwinge ich meine Aufmerksamkeit wieder auf das berühmte 'leere Blatt Papier' in Form meines einsam vor sich hin blinkenden Cursers auf der virtuellen weißen Fläche meines Notebooks. Also los!
- Setting
- Toter
- Mörder
- Motiv
- ein paar Verdächtige
- der selbe Kommissar-Clown wie immer
- ein absurder Plottwist
Wenn ich wenigstens das Genre wechseln könnte! Ich hätte mal sooo Lust auf Utopia. Oder Dystopia. Oder Fantasy. Im Moment würde ich sogar lieber ein Sachbuch für Kinder schreiben, als hier ohne Toten da zu hocken. Aber nein - als Autor eines satirischen Krimis entdeckt - für immer auf satirische Krimis festgelegt.
Nicht, dass ich mich nicht mehr auf die Straße trauen könnte, weil jetzt jeder mein Gesicht kennt. Ganz zu schweigen vom vollen Kühlschrank. Ich kann ohne Probleme meinen Namen in ein Formular schreiben, ohne dass mein Gegenüber dabei zusammenzuckt und in Ekstase verfälllt. Und auch mit einem Blick erfassen, was ich noch zu essen im Haus habe.
Ein viel beachteter Überraschungserfolg und zwei mittelmäßige Nachfolger machen weder satt noch einen Bestsellerautor aus mir. Ich hätte nie gedacht, dass ich so hartes Brot würde kauen müssen, und dass es so lange dauern würde, bis ich davon leben kann. Hoffentlich. Irgendwann mal. Jetzt jedenfalls noch nicht. Im Moment reicht es nicht mal für ein paar Kippen, die den klebrigen Mief aus meinem Hirn räuchern könnten.
Also los!
- Setting
- Toter
- Mörder
- Motiv
- ein paar Verdächtige
- der selbe Kommissar-Clown wie immer
- ein absurder Plottwist
Nach und nach betreten ein paar Leute die Kneipe, lassen sich an den Tischen nieder, trinken was, unterhalten sich. Bei dem einen ist die Frau weggelaufen, dem zweiten wurde sein Auto geklaut, der dritte würde am liebsten seine Schwiegermutter erschlagen, der vierte spielt Lotto, gewinnt aber nicht. Angenehm neutrales Hintergrundsummen untermalt meine Gedanken, ich mache erste Notizen. Der zweite Kaffee.
- Setting auf dem Land
- Toter Jüngling
- Mörder Dorfherr
- Motiv Neid und Macht
- Kernkompetenz Glaube ans Gute
- Hindernis Resignation der Leute, Machtstreben des Dorfherrn
X Tiefe Urwälder, einsame Dörfer, wilde Berge, dunkler Himmel, karges Brot. Drache fordert gegen Schutz jedes Jahr einen Jüngling, immer Sohn eines Dorfältesten.
Ein Junge von Geburt an anders. Arme Familie, aber: Strahlt von innen Licht und Zuversicht und eine ganz eigene Musik aus, die Menschen mit Hoffnung füllt.
X Drache sucht sich diesen Jungen aus (weil ein Vater, um seinen eigenen Sohn zu schützen, diesen Jungen vorschiebt), alle Hoffnung verloren. Dorf verändert sich. Aus Gemeinschaft wird festes Machtgefüge. Angst und Misstrauen, keine Musik mehr. Wird für tot gehalten.
X Betrügerischer Vater wird Herr des Dorfes, nur dem Drachen zu Diensten - Schreckensherrschaft, Drache kommt nicht mehr, ist 'nur noch' Druckmittel.
X Nach langen dunklen Jahren kommt Wanderer ins Dorf, singt, bringt Sonne mit, geht direkt zur ärmsten Hütte. Junge lebt!
- Was ist damals passiert?
- Wie hat er überlebt?
- Welche Folgen hat Rückkehr?
X Drache kommt, Herr versucht, Stellung zu halten, Drache hört aber nur auf Jungen. Wahrheit kommt raus, Herr wird in Schlucht gestürzt. Happy Ending.
Mit dem erleichterten Gefühl, endlich im Flow zu sein, klappe ich das Notebook zu, bestelle mir Pommes, beobachte die Leute, widme mich dem fettigen Magenfüller und - mit einem kleinen, zeitlichen Abstand - wieder meinen Notizen.
Ich fasse es nicht. Oh Mann, Namjoon! Nein, du schreibst jetzt kein modernes Märchen, du brauchst einen Toten und einen Tod und einen Töter. Deine heile Welt gibt es nicht! Ich stöhne leise auf, raufe mir die Haare, sehe meine Felle endgültig davonschwimmen.
So wird das nie was! Wohin sind mein unbekümmert frecher Humor, meine treffsicheren Nadelstiche, meine subtilen Zwischentöne?
Ich überlege, ob ich mich einfach abschießen soll, aber statt Schnaps ordere ich dann doch nur den dritten Kaffee. Ist auch billiger. Es dauert eine Weile, bis der kommt, denn inzwischen ist die Kneipe brechend voll. Alle Tische sind besetzt, alle Kellner flitzen hin und her. Rauchschwaden hängen in der Luft und geben mir wenigstens die Illusion einer eigenen Kippe.
Auch der Lärmpegel ist gestiegen - eine willkommene Ausrede für Ablenkung. Hinter mir das alte Klavier, vor mir der leere Bildschirm, um mich drumrum das pralle, aber leider höchst uninspirierende Leben. Ganz ohne Tod. Ich lasse meinen Kopf in meine Hände sinken und zweifle an mir selbst. Was um Himmels Willen hat mich vor acht Jahren auf die Idee gebracht, Schriftsteller zu werden? Welcher Teufel hat mich geritten, ausgerechnet in diesem Wespennest 'Verlagswesen' meinen Lebensunterhalt verdienen zu wollen? Keine Ahnung. Geklappt hat es jedenfalls nicht.
Das Notebook ist längst zugeklappt, meine Arme darauf, on top mein Kopf, der sich nicht mehr rührt, weil es nichts mehr zu rühren gibt. Genug fremden Qualm geatmet, genug Hirn zermartert, genug am Leben gezweifelt. Würde ich beten, ich bäte um ein Wunder.
Es ist wieder ruhiger in der Kneipe, Stühle rücken, die meisten sind gegangen, wieder klappert leise Geschirr hinterm Tresen, allerdings stinkt es jetzt eher nach schalem Bier.
Ich sollte ins Bett gehen. Sechs Tage habe ich ja noch.
Die Tür klappert. Es ist aber niemand gegangen. Es ist jemand gekommen. Eine leise, tiefe Stimme fragt:"Darf ich?" Der Barmann scheint bestätigend genickt zu haben, denn nach einem ebenso leisen "Danke!" nähern sich müde Schritte. Sie gehen zum Klavier.
Gnade! Jetzt bitte nicht noch wirklich Casablanca!
Der altersschwache Klavierhocker knarzt, Füße scharren, Finger gleiten über die Tasten. Aber es kommen keine Töne. Stattdessen zündet sich der Fremde eine Zigarette an und verharrt regungslos hinter mir.
Nach einer halben Ewigkeit richtet sich die Stimme direkt an mich.
"Für dich auch in Ordnung?"
Mühsam blicke ich hoch, etwas benommen von der lange gebeugten Haltung, sortiere meine Augen und mustere den Fremden neben mir.
Dejavu. Ich habe das Gefühl, in einen Spiegel zu blicken. Mein Alter, mein heruntergekommenes Erscheinungsbild, meine Resignation in seinen Augen. Ich schreibe nicht, er spielt nicht. Sackgasse in einer billigen Hotelkneipe. Ich werde neugierig.
"Spielen? Klar."
Wenn er wenigstens noch spielen will, hat er vielleicht doch einen letzten Funken Hoffnung. Schlimmer kanns nicht werden.
Der Typ mustert mich noch einen Moment, dreht sich wieder zum Klavier, steckt sich die Kippe zwischen die Lippen, fixiert seine Hände auf den Tasten. Ich lasse meinen Kopf zurück auf die Arme sinken, bin jetzt tatsächlich gespannt, was kommt. Im Grunde ist mir egal, was - Hauptsache der Sturm in meinem Kopf lässt nach.
Sanft, zögernd erklingen die ersten Töne. Ich lasse mich augenblicklich fallen. Vor meinem inneren Auge sehe ich sein Gesicht. Konzentriert, mit geschlossenen Augen wie ich, in sich hineinlauschend. Ich kann keine Melodie erkennen, aber eine Stimmung. Melancholie. Jetzt wird die Musik irgendwie schneller, ziehend, fordernd, vielschichtiger. Dann bricht sie plötzlich ab, als wäre jemand mit Schwung vor eine Wand aus Beton gerannt. Leise wiederholt sich der Anfang. Müde. Traurig. Das Klavier verstummt.
Der ruhige Mann hinter mir atmet einmal tief durch. Wieder Stille. Füße rutschen. Geh nicht! Geh jetzt nicht weg, du hast meine Seele berührt! Ich muss doch noch den Text kennen, du kannst noch nicht gehen.
Zu meinem Erstaunen verlässt er nicht die Kneipe. Er setzt sich zu mir an den Tisch. Ich richte mich auf, strecke meinen Rücken durch, sehe ihn grade an, sehe seine lebendige Musik in seinen toten Augen lodern, warte ab.
"Auch eine?"
Er hält mir eine verbeulte Blechdose mit Selbstgedrehten hin. Ich nicke, nehme mir eine, lasse mir Feuer geben, nehme einen tiefen Zug. Ich kann meine Neugierde nicht zurückhalten.
"Namjoon, gescheiterter Autor. Was machst du, wenn du grade nicht das tust, was du eigentlich gerne tun würdest?"
Ich deute auf das Klavier.
Er zuckt mit den Schultern.
"Yoongi, desillusionierter Rapper und Producer. In einem billigen Frack in teuren Bars belanglose Hintergrundmusik klimpern, damit die Leute abgelenkt sind und sich nicht gegenseitig die Gespräche belauschen."
"Verstehe."
"Und du?"
"Mit achtzehn aus einer Laune heraus einen satirischen Krimi über eine aktuelle politische Situation schreiben, gehypt werden, zweimal floppen - und danach wieder in der Bedeutungslosigkeit verschwinden."
"Verstehe."
Wir schweigen. Die Vokabeln dieses absurd anmutenden Dialoges hallen in meinem Kopf wider. Aus einer Laune heraus. Billig und belanglos. Floppen. Gescheitert. Ablenkung. Bedeutungslosigkeit.
Tja. Ironie des Schicksals. Mit diesem beschissenen Zustand bin ich offensichtlich nicht alleine. Na, da haben sich ja zwei gefunden ...
Yoongi ergreift wieder das Wort. Mit einem süffisanten, kleinen Lächeln spiegelt er meine Gedanken.
"Gescheitert. Klingt nach zerschellenden Träumen, verlorenen Zielen, resignierten Verzweiflungstaten und viel zu wenig Kohle. Reich mir die Flosse, Genosse."
Wir grinsen uns an. Wenn schon nicht gekonnte Satire, dann doch wenigstens noch einen zufälligen Rest von Galgenhumor.
"Gibt es einen Text zu deinem Song? Das hat mich echt neugierig gemacht. Du hast so unglaublich viel Gefühl in deiner Musik. Das klingt so ... authentisch. Was bedeutet dir das?"
"Gefühle? Ja. Viel zu viele manchmal. Dann möchte ich nur noch wegrennen."
"Das hab ich gehört, ja."
Irritiert zieht er eine Augenbraue nach oben, wirft mir einen ganz kurzen Blick zu, zieht zur Überbrückung des seltsamen Moments tief an seiner Kippe. Jetzt bin ich verblüfft. Sag bloß, der weiß nicht, wie seine eigene Musik, seine Lebensmelodie klingt!
"Aber authentisch? Keine Ahnung. Dieses Stück begleitet mich schon seit Jahren. Es steht immer zur Verfügung, bringt mich immer wieder zum Schwingen, es gehört zu mir. Einen Text hat es allerdings nicht."
"Schade."
"Kannst ja einen für mich schreiben."
"Solange du keinen satirischen Krimi von mir erwartest - warum nicht?"
Unser Grinsen wird breiter.
"Deal!"
Bei der nächsten Zigarette dreht Yoongi den Spieß um.
"Und? Wann ist Abgabe?"
Spannend! Gibt es für meinen desaströsen Zustand keine andere Deutungsmöglichkeit?
"Eine Woche. Warum fragst du?"
"So viel Verzweiflung schreit gradezu nach einer unhaltbaren Deadline."
Verlegen kratze ich mich am Hinterkopf und konzentriere mich auf das angebissene Äpfelchen auf meinem ehemals teuren, nun ziemlich veralteten Notebook.
"Na los - wo hängts?"
"An allem? Beziehungsweise ... an nichts. Ich habe nämlich tatsächlich noch nicht mal eine Ahnung eines Aufhängers für eine Idee. Ganz zu schweigen von einem Toten, einem Plot, einem Schluss oder gar einer homöopathischen Dosis von Satire. Nix. Nada. Niente."
"Das ist ... nicht so richtig üppig viel."
"Jupp."
"Dann suchst du vielleicht in der falschen Ecke von deinem Kopf?"
Fragend sehe ich ihn an.
"Du hast eben mit deinen wenigen Sätzen bei mir genau ins Schwarze getroffen. Du hast etwas in mir berührt, das jetzt schwingt. Irgendwas scheint da noch lebendig zu sein, auch wenn ich mich nicht so fühle. Ich kann nur nicht hören, was das bedeutet. Aber es hat mit meinem Song zu tun, dem noch nie jemand so genau zugehört hat wie du grade.
Gleichzeitig bist du jetzt nach nur einer halben Stunde seit meiner Ankunft etwa zehn Zentimeter größer auf deinem Stuhl, deine Augen sind wach, deine Stimme hat sich verändert. Irgendwas schwingt auf einmal auch in dir. Find es raus."
Plötzlich landen zwei große Pötte Kaffee und ein kleines Schlüsselbund zwischen uns auf dem Tisch.
"Viel Spaß noch beim Philosophieren, Jungs. Ich geh ins Bett. Yoongi, du weißt, wohin mit dem Schlüssel, wenn du dicht gemacht hast."
Der Kellner dreht sich um, schlurft zum Tresen, löscht einige Lichter und verschwindet in den Katakomben seiner Kneipe. Yoongi antwortet ihm nicht. Ich sehe mich staunend um. Der Raum ist völlig leer, unaufgeräumt und duster. Es ist so still, dass ich wetten würde, dass es hier keine Mäuse gibt - denn die würde ich hören. Außer der einen Wandlampe bei uns spendet nur der Mond mit ein paar Strahlen durchs Fenster etwas Licht. Matt schimmern weiße und schwarze Tasten am Klavier, ordentlich aufgereiht wie an einer Perlenschnur.
Yoongis Aufforderung überfordert mich. Was sieht er in mir? Was ist das überhaupt, wonach ich angeblich auf der Suche bin? Suche ich überhaupt nach irgendwas anderem außer einem brauchbaren Plott?
Ich seufze.
"Leichter gesagt als getan. Keine Ahnung, wonach ich suche. Wonach suchst du?"
Die Antwort kommt erstaunlich schnell.
"Nach meiner Stimme. Glaube ich. Meine Eltern hatten für meinen Wunsch, Musiker zu werden, nie etwas übrig. Immerhin haben sie mir aber schon früh ein gebrauchtes Klavier hingestellt. Den Rest habe ich mir selbst beigebracht, seit ich grade so die Nase über die Tasten strecken konnte. Aber das war immer nur Geklimper. Ich WEIß, dass Musik in mir schwingt, ich kann gar nicht anders. Aber ich habe nie Worte oder Gefühle dafür gefunden, die mich ausdrücken würden."
Ich muss ziemlich entgeistert aussehen, denn er schiebt schnell noch ein "Ich bin nicht so das Sprachgenie." hinterher.
"Machst du Witze? Kein Gefühl in deiner Musik? Da haben deine Eltern aber ganze Arbeit geleistet, dich zu entmutigen! Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal SO viel gefühlt habe wie vorhin."
"Okay - gefressen. Aber jetzt hör endlich auf, mir auszuweichen. Wann fühlst du, wo bist du im Herzen zu Hause, was lässt dich lebendig sein und atmen? Was war das für eine geniale Laune, die dir vor acht Jahren eine so treffsichere makabre Parodie auf unsere ach so wundervolle koreanische Gesellschaft entlockt hat?"
Oha - er kennt das Buch. Ist das jetzt gut oder schlecht? So lange er die beiden anderen nicht kennt ...
Keine Ahnung, wie ich grade kucke - Yoongi scheint jedenfalls in mich rein zu kucken. Yoongi kichert.
"Ja, das erste kenne ich. Und ich mache keine Witze. Wenn in MEINER Klimpermusik Gefühl steckt, dann in deinem Roman das pure Leben. Ich habe Tränen gelacht. Ich hätte mich damals am liebsten auf der Stelle hingesetzt und daraus eine Operette komponiert. Da steckt so viel Mut und Witz und treffsichere Beobachtung und pointierte Spitzfindigkeit drin. Was hat dir damals diese Flügel verliehen?"
Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Hinter all diesem schmeichelhaften Lob regt sich leise eine Sehnsucht. Regt sich die Ahnung, dass ER genau spürt, wo ICH suchen muss. Blöd nur, dass ich es nicht weiß.
"Kannst ... du noch einmal dein Lied für mich spielen?"
Yoongi mustert mich einen Moment lang, forscht in meinem Gesicht, scheint auf den Klang meiner Stimme zu lauschen. Mir wird bewusst, dass ich mich bei dieser eingehenden Prüfung nicht unwohl fühle. Es ist okay. Ich halte seinem Blick stand.
"Okay."
Der Musiker steht auf, macht die wenigen Schritte zum Klavier, setzt sich. Stille umhüllt uns für einen Augenblick.
Schon vor dem ersten Ton habe ich das Bedürfnis, diese Musik zu inhalieren. Ich sehe mich von oben, sehe mein Zögern vor dem leeren Bildschirm. Sehe mein Ringen um Worte. Sehe mein Aufbegehren, dann mein Scheitern an einer Wand aus Beton. Habe keinen blassen Schimmer, was sich dahinter verbergen könnte. Aber als der letzte leise Ton verhallt, weiß ich: ich will und werde mich damit nicht mehr abfinden. Ganz egal, was sich dahinter verbirgt - mit den Antworten auf Yoongis Fragen liegt dort auch meine Sprache begraben. Also muss ich da durch. Falsch. WILL ich da durch.
Wie durch einen Nebel nehme ich Yoongi wahr, der vor mir steht und lächelt.
"Sieht gut aus. Hat dann wohl gepasst."
Ich schüttele den Nebel aus meinem Kopf. Ich muss mich bewegen. Ich muss hier raus, in die Nacht.
"Bock auf einen Spaziergang?"
"Idee."
Er greift nach den Schlüsseln, lotst mich hinten aus der Kneipe, geht ziemlich zielstrebig durch die nächtlichen Gassen, immer ein bisschen bergauf, bis wir in einem Park auf einem Hügel angekommen sind. Ich lasse mich führen, von seinen Tönen in meinem Kopf und seiner Zielstrebigkeit, die ich selbst noch so gar nicht spüren kann.
"Kennst dich gut aus hier."
"Bin hier aufgewachsen."
"Dann steht dein erstes Klavier gar nicht weit von hier."
"Hm. Unten in der Kneipe."
Volltreffer! Was wird dieser erstaunliche Mann noch alles offenbaren?
"Lenk nicht schon wieder ab. Es geht grad nicht um mich."
Angekommen.
Die sternenklare Nacht wölbt sich über uns wie ein Zirkuszelt. Blätter rascheln in einer leichten Brise, Mondlicht wirft schwankende Schatten auf den Weg. Hier oben ist es auch ein bisschen dunkler als unten in der Millionenstadt, so dass die Himmelslichter gut zu sehen sind. Ich atme die Weite, spüre mich selbst, lasse mich fallen. Es ist, als ob dieser völlig fremde Mensch mir die Sicherheit gibt, mich hinter diese Wand aus Beton wagen zu können. Er wird mich auffangen, wenn ich falle. Falls ich falle. Also los!
Ich lege meinen Kopf in den Nacken, breite meine Arme aus, damit ich den Moment ganz erfühlen kann. Ich warte einfach ab. Vor meinem inneren Auge ersteht diese Betonwand unterm Sternenhimmel. Es gibt also ein Drüberweg.
Auf der Wand erscheinen Bilder. Aber sie sind nur schemenhaft. Ich kann sie nicht greifen, nicht erkennen, schon verblassen sie wieder. Ist der offene Moment vorüber? Das will ich nicht! Ich will verstehen. Ich will sehen und hören und riechen und schmecken und fühlen, wer ich bin. Hinter dieser Wand.
Was waren das für Fragen vorhin? Halt sie fest, Namjoon!
Wann fühlst du, wo bist du im Herzen zu Hause, was lässt dich lebendig sein und atmen?
Und da mir nach dem Erstlingswerk sofort die Puste ausging - was war vor der Zeit, und was hat sich zu diesem Zeitpunkt verändert?
Ich lasse erschöpft die Arme fallen. Will ich zu viel?
"Wo gehst du normalerweise spazieren? Nachts? Wenn du was in Bewegung setzen willst?"
"Im Ttukseom. Unten am Fluss. Aber da sieht man die Sterne nicht. Über der Betonwand."
"Betonwand. Aha. ... ... Denk mal laut."
Okaayyyy ... okay.
Ich schließe wieder die Augen. Ich leihe den Gefühlen, der Betonwand, der Sehnsucht und der Leere meine Worte, so gut ich kann. Ich spreche meine Fragen laut in die dunkle Nacht.
"Dein Song hat mich aufstehen und loslaufen lassen. Bis vor diese Wand. Und jetzt weiß ich nicht mehr ..."
Resigniert lasse ich die Schultern und die Stimme sacken. Hat das alles noch einen Zweck? Ich will aufhören. Verschwinden. Aber um aus dem Vertrag zu kommen, müsste ich mich freikaufen. Und dazu bräuchte ich einen Erfolg. Der nicht in Sicht ist. Weshalb ich ja raus will.
"Aber du weißt wenigstens wieder, dass du irgendwo hin willst. Red weiter."
Immer wieder - ein erstaunlicher Mensch. Er steckt weithin sichtbar selbst in einer Sackgasse, gibt nicht viel darüber preis, scheint keinen Bezug zu seinem eigenen, musikalischen Genie zu haben. Und lotst doch mich mit scheinbar spielerischer Leichtigkeit durch meinen Sumpf.
Deutlicher sehe ich die Wand. Erst noch überschaubar, niedrig. Wie hat das alles angefangen?
"Ich konnte wohl sehr früh sprechen, hatte Vergnügen am Spiel mit der Sprache, noch mehr an der Freude der Erwachsenen darüber. Ihr Lachen war mein Lohn. Lesen und Schreiben habe ich mir selbst beigebracht, das Erfinden von kleinen Reimen und Nonsens-Sätzen war mein liebstes Spiel.
Mein Großvater war Literaturprofessor, er war stolz auf mich, hat mich allen anderen Enkeln vorgezogen, hat sich viel mit mir beschäftigt und meinen kleinen, wachsenden Geist immer wieder herausgefordert. Ich habe es geliebt. ... Ich habe ihn geliebt. Gedichte, Aufsätze, Minigeschichten, die nach und nach länger wurden. Und immer das Gespür, was die Großen am Treffsichersten zum Lachen und Staunen bringen würde."
Still stehen wir miteinander in diesem Park, stumm, aber wach lauscht Yoongi meinen Worten, während ich Bilder auf meiner geistigen Wand vorüberziehen lasse.
"Meine Koreanischlehrer waren begeistert und begannen früh, mich an meinem Großvater zu messen. Das stachelte meinen Ehrgeiz an. Ich begann, seine Schriften zu lesen, ohne sie zu verstehen, schrieb fiktive Diskussionen mit ihm, aus denen ich als 'Sieger' hervorzugehen versuchte, studierte seine Sprache, die Macht seiner Worte. Ich wollte seiner würdig sein, und meine Noten bestätigten dies. Aber mein Inneres nicht. Ich fühlte mich immer zu klein, zu dumm, zu ungenügend im Vergleich, unterwarf mich seiner Größe. Der Anspruch trieb mich voran, und meine Ehrfurcht verbot es gleichzeitig, ihn zu übertreffen."
Vor meinem inneren Auge wächst die Wand in die Höhe. Tief in mir fühle ich die Zerrissenheit dieser Zeit, die Entfremdung vom kindlichen Spiel mit der Sprache, den Verlust meines Instinktes, die Demütigung durch meine vermessenen Ansprüche an mich selbst. Ich wollte mir und meinem Druck entkommen, statt mich selbst zu finden.
"Alles Schreiben schien aufgesetzt, fremdbestimmt, ich fand mich selbst darin nicht. Also ging ich mit dreizehn einen drastischen Schritt. Ich verbrannte alles, was ich jemals geschrieben hatte, und schwor mir, nie wieder auch nur ein Wort zu schreiben, das nicht ein Lehrer von mir forderte."
"Eieiei. ... Und schade."
"Warum? Es war ein Befreiungsschlag. Den genauen Auslöser erinnere ich nicht. Den Kontaktabbruch zu meinem Großvater schon."
"Autsch!"
"Die folgenden Jahre waren geprägt von glatten Formulierungen, guten, aber toten Noten und dem Versuch, meiner Identität als 'Enkel', meinem Image zu entkommen. Das ergab skurrile Situationen, wenn ich dank meiner Sprachfähigkeiten das Werben der Lehrer zerlegte, indem ich sprachgewaltig bewies, dass ich diese Fähigkeiten nicht hatte. Sie sind immer wieder drauf reingefallen. Ich selbst auch. Hat richtig Spaß gemacht. Und - denke ich heute - in mir heimlich lebendig gehalten, was ich doch so unbedingt abtöten wollte."
Yoongi dreht sich rum und sieht mich direkt an.
"Dann bitte erlöse mich von der Ungewissheit, warum Du noch ein paar Jahre später dieses geniale Ding hingezaubert hast. Nach deiner geistigen Zwangsjacke war diese Satire ja gradezu eine Entfesselung Deiner Persönlichkeit. Dein Leben selbst klingt wie eine Satire!"
Abermals sehe ich mich auf der Wand - von hinten, am Schreibtisch, über Bücher, Formeln, Diagramme gebeugt, Lernen für den Schulabschluss. Mein Verstand bekam Flügel, mein Körper, alles war auf Lernen und Bestehen gepolt. Futter. Futter für den hungrigen Geist.
"Naja - entfesselt war zunächst nur der Hunger nach Wissen. Ich habe gelernt wie ein Bekloppter für den Highschoolabschluss, und als die Prüfungen rum waren, konnte der Kopf nicht aufhören zu rödeln. Ich habe da nicht begriffen, was für eine Chance sich mir bot. Ich habe nicht plötzlich wohlwollend auf mich und meine Talente geschaut, ich habe mir definitiv nicht den 'ganz großen Wurf' vorgenommen. Ich hab mich bloß unsäglich gelangweilt und nichts mit mir anzufangen gewusst."
Yoongi sagt nichts dazu. Ich schaue in den Sternenhimmel, frage mich, wie viel vom folgenden ich bewusst entschieden habe, und wie viel stattdessen einfach passiert ist.
"Dann kam der Skandal. Um bankrotte Eltern, Schülerselbstmorde, Korruption, Erschleichen von Prüfungsaufgaben, Lehrer zwischen Überforderung und Zynismus, und einen Minister, der alles wusste und alles hat laufen lassen. War DAS ein Aufstand! Auch zynisch war, dass mein hungriger Geist aus all dem diese Satire gestrickt hat. Ich habe das nicht entschieden. Ich habe das nicht geplottet. Ich habe nur die Gelegenheit ergriffen, die Langeweile zu vertreiben, mich wie seit Monaten täglich an meinen Schreibtisch gesetzt und einfach drauflos geschrieben."
"Haste dich am Ende selbst überlistet."
"Naja - runterschreiben bewirkt noch nichts. Allerdings hab ich das dann ausgedruckt. Für mich. Zum Korrekturlesen. Mein Großvater war zu Besuch, hat das Manuskript gefunden - und hat es ohne mein Wissen eingeschickt. Die Reaktion des Verlags hat mich so überrollt, dass ich ab da weder gedacht noch gefühlt habe. Noch bevor mein Studium begann, war das Ding in den Schaufenstern und hat angesichts der skurrilen Blüten, die der echte Skandal mittlerweile trieb, eingeschlagen wie eine Konfettikanone. Von da an war es für mich einfach nur noch Fun. Großvater war mein Held, Politiker, Lehrer und Kritiker waren für mich Witzfiguren, der Erfolg puschte mein Selbstwertgefühl. Blind habe ich Autorenlesungen gehalten, Lorbeeren eingeheimst, Verträge unterschrieben. Keiner, nicht mal mein Großvater, hat kapiert, in welche Falle ich gerannt bin."
Spannend. Ich sehe mich als Achtzehnjährigen an meiner geistigen Mauer, breit grinsend, vollkommen von der Realität abgekoppelt. Gleichzeitig habe ich das Empfinden, ich müsse den Kopf noch mehr in den Nacken legen, weil die Mauer allmählich immer höher gewachsen ist. Wie absurd. Die Sterne schienen zum Greifen nah, während sie in Wahrheit in weite Ferne rückten.
"Oje. Ich ahne."
"Das Literatur-Studium habe ich aus dem Ärmel geschüttelt. Es hatte nichts mit mir zu tun, wurde meinem Höhenflug nicht gerecht."
Da! Wieder wächst die Mauer.
"Für den zweiten Roman hatte der Verlag genug Zeit eingeräumt, damit ich gut ins Studium finde. Aber der offene Moment war vorüber - und der Absturz unvermeidlich."
So klar war mir das bisher noch gar nicht. Ist es das? Dass ich mich so standhaft geweigert habe, mich selbst anzusehen und zu durchschauen? Sitzt mein Schriftsteller-Ich hinter dieser Mauer und wartet darauf, dass ich endlich, bewusst und ehrlich alle Fäden zusammenführe?
"Sag mir eins, Namjoon. Während und kurz nach dem großen Erfolg. Mochtest du dich da wieder mehr als früher, konntest du dich da besser annehmen als in deiner Jugend?"
Gute Frage. ... Sehr gute Frage!
Ich lausche den Worten meiner Erzählung nach. Der dreizehnjährige ... mochte sich nicht. Und der achtzehnjährige? Auch nicht. Wenn ich ehrlich bin. Eine Eintagsfliege macht nun mal keine stabile Selbstakzeptanz. Und heute? Schon gar nicht!
"Nö. Im Grunde waren all die Jahre vorher und nachher purer Selbsthass: Ich könnte mehr. Ich kann aber nicht. Also bin ich ein Versager. Und das beweise ich mir seitdem jeden Tag aufs neue selbst."
"Und dann rennst du nächtens durch den Ttukseom, hasst dich selbst und unterdrückst deine Sehnsucht nach Veränderung. Nach Verbesserung. Nach einem Freund. Danach, selbst dein Freund zu sein, mit dir selbst ein Bierchen trinken zu gehen, die Nacht durchzuphilosophieren und am Ende mit dir selbst im Reinen ins Bett zu gehen."
Mir entfährt ein Seufzer. Die inneren Bilder verschwinden. Die Mauer verblasst. Die Sterne strahlen heller.
"Und dann am nächsten Morgen mit mir im Reinen in den nächsten Tag zu starten. Hat was."
Ein letztes Bild zuckt durch meinen Kopf. Ich sehe die Mauer fallen. Dahinter mich beim Spazieren im Ttukseom, Hand in Hand mit mir selbst. Das Bild strahlt Zufriedenheit, Frieden, Ruhe und Freiheit aus. Ich öffne meine Augen und sehe ruhig in den klaren Sternenhimmel.
"Danke!"
Ohne uns abzusprechen, wenden wir uns um und gehen zum Ausgang des kleinen Parks, schlendern gemächlich durch die Gassen, betreten von hinten die Kneipe, setzen uns im Dämmerlicht des Mondes zurück auf unsere Stühle. Ich am Tisch. Yoongi am Klavier.
Dieser Mann hat eine unerschöpfliche Geduld. Er wirkt auf mich, als ob er sich ganz auf sich konzentriert, ganz bei sich ist, sich seiner eigenen Mauer stellt. Hat er nun seine eigenen Trugbilder? Seine eigene Mauer vor Augen? Sein eigenes Ttukseom? Seine Finger streicheln rhythmisch die Tasten, es kommt kein Ton. Noch nicht.
Aber mir - aus seiner Ruhe und Geduld kommen mir Worte. Sie purzeln durch meinen Kopf und über den Sternenhimmel. Sie fallen wie von selbst an ihre Plätze. Sie geben mir zum ersten Mal seit Ewigkeiten das Gefühl von Vertrautheit mit mir selbst. Das Gefühl zu sein. Das Gefühl, im Flow zu sein.
Ich klappe mein Notebook auf und schreibe. Schiebe Worte, Farben, Bilder, Gefühle. Schreibe. Endlich. Ich erlaube meiner ersten großen Liebe zu sein - das Wort. Zauberstab der Seele, Wunderwaffe mit Strahlkraft, unmittelbarer Ausdruck des Seins. Ich erlaube MIR zu sein.
oooooooooooooooo
REFLECTION
I know
Every life's a movie
We got different stars and stories
We got different nights and mornings
Our scenarios ain't just boring
나는 이 영화가 너무 재밌어
I find this movie really fun
매일매일 잘 찍고 싶어
I want to film it well every day
난 날 쓰다듬어주고 싶어
I want to caress myself
날 쓰다듬어주고 싶어
I want to caress myself
근데 말야 가끔 나는 내가 너무너무 미워
But you know, sometimes, I really really hate myself
사실 꽤나 자주 나는 내가 너무 미워
In fact, quite often, I really hate myself
내가 너무 미울 때 난 뚝섬에 와
When I hate myself so much, I come to Ttukseom
그냥 서 있어, 익숙한 어둠과
I just stand here with the familiar darkness
웃고 있는 사람들과 나를 웃게 하는 beer
People who are smiling, a beer that makes me smile,
슬며시 다가와서 나의 손을 잡는 fear
and the fear that gently approaches me and holds my hand
괜찮아 다 둘셋이니까
It's okay- everyone is in twos and threes,
나도 친구가 있음 좋잖아
it'd be nice if I also had a friend
세상은 절망의 또 다른 이름 [ireum]
The world is another name for despair
나의 키는 지구의 또 다른 지름 [jireum]
My height is another diameter of Earth
나는 나의 모든 기쁨이자 시름 [sireum]
I'm my whole happiness and my worries
매일 반복돼 날 향한 좋고 싫음 [sireum]
They repeat every day, the likes and dislikes directed at myself
우리 옷깃을 스치면 인연이 될까
would we be tied by fate if we brushed past each other?
아니 우리 전생에 스쳤을지 몰라
Well, we might have brushed past each other in our past life
어쩜 수없이 부딪혔을지도 몰라
Maybe we have bumped into each other countless times
어둠 속에서 사람들은
In the darkness, people
낮보다 행복해 보이네
look happier than during the day
다들 자기가 있을 곳을 아는데
Everyone knows where they are supposed to be,
나만 하릴없이 걷네
but only I'm walking idly
그래도 여기 섞여있는 게 더 편해
But it still feels more comfortable to be here, blended into the scene
밤을 삼킨 뚝섬은 나에게
Ttukseom that swallowed the night
전혀 다른 세상을 건네
hands me a completely different world
나는 자유롭고 싶다
I want to be free
자유에게서 자유롭고 싶다
I want to be free from freedom
지금은 행복한데 불행하니까
because now I'm happy yet unhappy
나는 나를 보네
I see myself
뚝섬에서
at Ttukseom
I wish I could love myself
I wish I could love myself
I wish I could love myself
I wish I could love myself
I wish I could love myself
I wish I could love myself
I wish I could love myself
I wish I could love myself
oooooooooooooooo
Ich wünschte, ich könnte mich selbst lieben.
Wie aus einem Nebel trete ich heraus aus dem Schreibrausch, aus dem Seelenrausch. Ich nehme wahr, dass Yoongi kleine Musikfetzen klimpert. Aber nicht zu seinem Song. Das hier klingt anders. Inniger. Er lauscht intensiv, probiert irgendwas aus.
Ich bleibe abwartend sitzen, genieße die erschöpfte Zufriedenheit in mir. Umarme meine wiederentdeckten Worte.
"Fertig? Dann zeig mal."
Hallo wach. Wie bitte? Hat er ... Au Mann! Aber wieder fühlt es sich richtig an.
"Hier."
Ohne zu zögern, drehe ich mein Notebook zu ihm hin. Er schüttelt den Kopf.
"Lies vor. Ich brauche Deine Stimme dazu."
Okaayyy ...
Erst vorsichtig, dann immer klarer und pointierter trage ich mein ... Gedicht ist das wohl - vor. Yoongi lauscht. Klimpert. Lauscht.
"Nochmal."
Dreimal lese ich laut meinen Text. Dreimal fühle ich dabei etwas anderes und doch als Grundlage immer das selbe: Die Schule, der Großvater, die Lehrer, der Selbsthass, der Erfolg, das Scheitern - all das tritt zurück hinter der Frage: kann ich mich gnädig ansehen, ehrlich und wahrheitsliebend ansehen, mein Wesen kennen lernen, mein eigener Freund sein? Dann ist alles möglich. Zumindest alles, was gut und richtig ist für meine Persönlichkeit und mein Leben. Die Achterbahnfahrt darf ein Ende haben - wenn ich selbst es mir erlaube.
Dreimal spielt Yoongi mit Akkorden und Harmonien, lauscht, murmelt unhörbare Worte. Immer mehr kristallisiert sich eine Melodie heraus. Ein Rhythmus. Ein nachdenklicher, suchender, aber lebendiger Fluss aus Tönen.
Mein Notebook landet auf der Notenleiste des Klaviers. Er sieht mich nicht an, flüstert nur. Seine Stimme ist fast magisch, während er mich endgültig in seinen Bann zieht.
"Mach die Augen zu. Bleib ganz nah bei mir."
Dann holt er tief Luft und spielt. Und rappt. Oder singtrappt. Oder so. Ich erkenne die Akkorde, ich erkenne den Text. Aber das gesamte 'Ding' ist einfach nur ungeheuerlich und fast wie ein Schock für mich. Es sprengt mit seiner tiefen Wahrheit den Panzer von meiner Seele. Yoongi hat mal eben einen Song aus meinen Gedanken gemacht. Gänsehaut läuft mir über die Arme, ein nie gekanntes Gefühl von Verstandensein durchströmt mich. Ich fühle mich wach und lebendig und echt. Sein Genie und Einfühlungsvermögen schenken mir die Melodie meines Lebens! Mir kommen die Tränen. Ich schäme mich nicht.
Ich habe die Augen geschlossen, sitze entspannt auf meinem alten Kneipenstuhl, höre meine Seele in diesem Lied, genieße das Leben in mir. Spreche bei der Wiederholung meine Worte mit, lasse nachhallen, was mich beglückt. Alles in mir schwingt im Gleichklang. Yoongi kichert nur ab und zu, scheint mich zu beobachten. Irgendwann klappert leise die Blechbüchse, sein Feuerzeug klickt, der Geruch seiner Selbstgedrehten erreicht meine Nase.
Ich fühle mich friedlich innendrin. Erlöst. Befreit. Angekommen. Ich bin durch durch die Mauer, kann wieder Schritte vorwärts wagen. Geschafft!
Ich öffne die Augen und versuche, in seinem Gesicht zu erkennen, was dieser Moment für IHN bedeutet. Er sieht entspannter aus als jemals zuvor an diesem Abend. Zufriedener. Ja - er wirkt verbunden mit sich selbst. Indem er sich vollkommen, lauschend, klimpernd auf mich eingelassen hat, hat er seiner eigenen ersten großen Liebe in sich den Raum zurückgegeben, zu blühen und zu schwingen. Er hat nicht Geld verdient mit Kaffeehausgedingel sondern dem Klavier einfühlsame Seelenmusik entlockt. Dieser Song "Reflection" ist bewusst, bedacht entstanden, weil Yoongi ganz in Verbindung mit sich selbst sein durfte. Kein Zufall, kein Auftragsstück, nicht belanglos und nur Kühlschrank füllend.
Halt das fest, Yoongi! Wenn in deinem Song du es bist, der da eigentlich vor die Wand rennt und nicht weiterkommt - dann ist diese deine Gabe auch gleichzeitig deine Tür durch deine Wand. Geh hindurch!
Ich muss ihn sehr intensiv angesehen haben, denn in seinem Gesicht entsteht nun ein großes Fragezeichen. Wie erkläre ich ihm das jetzt?
"Erzähl mir mehr. Von dir, von deinem Klavier, von deinem Weg - von was du willst."
"Lenkst du schon wieder ab?"
"Nein, ich habe geschenkt bekommen, habe gefunden, was ich gesucht habe. Ich möchte das jetzt nutzen, um auch dir einen Fund zu ermöglichen. Wenn du das willst."
"Hm."
Yoongi dreht sich zurück zum Klavier.
"Mach."
Das klingt ziemlich skeptisch, vorsichtig - und leichter gesagt als getan.
"Ich bin beim Zuhören von deinem Song innerlich vor eine Wand gerannt. Ich bin mir sehr sicher, dass du weißt, welche Stelle ich meine. Darf ich den Spieß rumdrehen? Was ist deine Wand? Was ist dein Selbstbild? Wer oder was - erlaube mir die Frage, falls sie irgendwie zutrifft - ist dein Großvater, sind deine Lehrer, sind deine inneren Richter?"
Yoongi bremst mich mit einer Handbewegung. Ich verstumme. Es arbeitet in seinem Gesicht.
Dann beginnt er zu erzählen. Momente, Gefühle, Anekdoten. Kreuz und quer durch sein Leben, seine Träume, sein Scheitern. Mittendrin das eine Wort, das dabei immer wieder auftaucht - zärtlich, wütend, sehnsuchtsvoll, ablehnend, als Arbeitsgerät und als Endgegner und anscheinend ohne sein eigenes Wissen doch voller Liebe und tiefer Verbundenheit - ist das Klavier. Das Klavier, an dem er im Moment sitzt, den Deckel auf und zu klappt beim Reden, es streichelt, mit der Faust die Tasten zum Klirren bringt, nur um gleich darauf wieder wie ein sanfter Wind darüber zu streichen. Das ist sein Ausgangspunkt. Und so lange er diese Liebe nicht annimmt, nicht frei sein lässt, steht er vor seiner Wand.
Ich greife nach meinem Notebook, öffne ein neues Dokument - denn in mir regt sich etwas. Neue Worte sind immer wie ein Kitzeln im Kopf, das ich grade genieße, weil es so herrlich vertraut, weil es endlich wieder da ist.
"Warum steht das Klavier hier in der Kneipe? Und nicht in deiner Wohnung, bei deinen Eltern - oder auf dem Sperrmüll?"
Yoongi zuckt zusammen bei dem vernichtenden letzten Wort. Seine Antwort hat einen zynischen Unterton.
"Als ich mich trotz zahlreich gewonnener Jugend-Wettbewerbe entschied, nicht klassisches Klavier zu studieren und der nächste Lang-Lang zu werden sondern mir meinen Weg in die Kpop-Industrie zu suchen, haben sie mir wortwörtlich Stuhl und Klavier vor die Tür gestellt. Ich wollte es gar nicht haben. Aber es war - zu dem Zeitpunkt - noch ein Teil von mir. Ein Kumpel ist Sohn des Hauses. Er hat das damals wohl verstanden. Darum steht es hier."
Das klingt furchtbar traurig. Als ob ein Lebensband zu zerreißen droht. Ich nehme für einen Moment meine Dankbarkeit gegenüber diesem unbekannten Kumpel wahr, bevor ich meine nächste Frage wage.
"Und? Kommst du oft zurück? Zu deiner ersten Liebe?"
Mit großen, staunenden Augen fliegt sein Kopf hoch, sucht er in meinem Gesicht nach einer Erklärung. Es ist eindeutig - Yoongi ist ehrlich verblüfft, dass ich diesen Haufen Holz und Draht als seine erste Liebe bezeichne. Sein Blick wandert zurück auf die abgenutzte Tastatur. Ein Finger fährt die Rillen des Notenhalters nach. Die Füße suchen nach den Pedalen. Sein ganzes Sein tastet sich vorsichtig heran an diesen neuen Gedanken zu diesem alten Instrument.
Eine Antwort bekomme ich nicht, Yoongi ist viel zu sehr mit sich und seinen Sinnen beschäftigt. Dafür intensiviert sich das Kitzeln. Worte formen sich. Worte aus dem, was ich in dieser Nacht über diesen Fremden gelernt und verstanden habe. Worte aus dem Ungesagten, was ich zwischen den Zeilen vermute. Worte aus der Musik, die ich hören kann, wenn dieser besondere Mensch sich nicht grade selbst die Hände fesselt.
Eine Weile ist es ganz still im Raum, während meine Finger über die Tastatur huschen und Yoongis treuer Liebe Ausdruck verleihen.
Wie immer - naja ... wie früher? Ja, ich glaub schon. Wie immer spüre ich den Moment, in dem ich aufhören kann. In dem ich alles gesagt habe. Ich blicke auf und sehe Yoongis Augen auf mir ruhen.
"Spiel mir noch einmal dein Lied. Bitte."
Wortlos wendet er sich zu den Tasten und spielt. So flüssig, fehlerlos und ausdrucksstark, dass man überhaupt nicht überhören kann, WIE eins er mit diesen Tönen ist. Und mit diesem Instrument.
Ich bin kein Rapper, aber ich habe ja eben erst eine eindrucksvolle Kostprobe bekommen. Während mein stiller neuer Freund seine Finger über die Tasten fließen lässt, achte ich darauf, ob die Stimmungswechsel in meinen Worten passen zu den Veränderungen in seiner Musik. Dreimal lasse ich ihn spielen. Verändere nur hier und da ein Wort. Achte darauf, ob meine Gefühle bei diesem Text passen zu seinen Gefühlen in der Musik. Dann schließlich stelle ich mein Notebook wieder vor ihm auf die Notenleiste.
"Probier mal."
Yoongi liest meinen Text. Hört auf zu atmen. Bohrt Löcher in den Bildschirm mit seinen Augen. Liest ihn noch mal. Ändert nur ein Wort, liest wieder - und nickt. Er scheint gar nicht zu merken, dass seine Hände zurück zu den Tasten wandern. Wieder klingt es zunächst wie Klimpern, begleitet von stummen Lippenbewegungen. Schließlich hält er einen Moment lang inne.
"Danke!"
Dann spielt er. Und rappt die Worte, die sein Spiel in mir geweckt hat. Seine tiefe Stimme verschmilzt mit den Gefühlen in diesen Worten, breitet sich aus, wird zu einem hellen Leuchten um ihn herum. Tränen laufen ihm übers Gesicht und schleichen sich an seinem Lächeln vorbei.
Das alte Klavier verstummt. Der Mond verblasst. Die Luft riecht nicht mehr ganz so schal. Die kleine, verbeulte Blechdose ist leer. Die Kaffeepötte auch. Zwei Herzen sind voll - mit einem unzertrennlichen Band zu sich selbst und mit der seltsamen, der heilsamen Begegnung dieser Nacht.
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3.3.2024
Jetzt bin ich ungeheuer gespannt auf Deine Reaktion und schicke Dich auf direktem Wege zum ONESHOT-Buch von Taelirium , um dort ihre Geschichte "First Love" zu lesen.
Und hier ist eine sehr gute Übersetzung vom Titelsong, mit ein paar sachlichen Erläuterungen dabei:
Reflection
JUNE 16, 2018 DOOLSET
Produced by RM, Slow Rabbit
Written by RM, Slow Rabbit
Spotify | Apple Music
Note: RM's solo track. He goes to Ttukseom when he's having a hard time or a lot of thoughts. He wrote the song while sitting down in Ttukseom. The background noise in the beginning is what he recorded with his cellphone at the time. ('WINGS' preview SHOW) RM made the song as something that he would to play for himself when he takes a walk at night in Ttukseom, along Han River, or somewhere outside. The title "Reflection" reflects his desire to introspect himself and reflect himself through music. (WINGS Behind story by RM)
I know
Every life's a movie
We got different stars and stories
We got different nights and mornings
Our scenarios ain't just boring
나는 이 영화가 너무 재밌어
I find this movie really fun
매일매일 잘 찍고 싶어
I want to film it well every day
난 날 쓰다듬어주고 싶어
I want to caress myself
날 쓰다듬어주고 싶어
I want to caress myself
근데 말야 가끔 나는 내가 너무너무 미워
But you know, sometimes, I really really hate myself
사실 꽤나 자주 나는 내가 너무 미워
In fact, quite often, I really hate myself
내가 너무 미울 때 난 뚝섬에 와
When I hate myself so much, I come to Ttukseom
(Ttukseom Hangang Park, commonly called as just Ttukseom, is a park in the north-side esplanade along Han River.)
그냥 서 있어, 익숙한 어둠과
I just stand here with the familiar darkness
웃고 있는 사람들과 나를 웃게 하는 beer
People who are smiling, a beer that makes me smile,
슬며시 다가와서 나의 손을 잡는 fear
and the fear that gently approaches me and holds my hand
괜찮아 다 둘셋이니까
It's okay- everyone is in twos and threes,
나도 친구가 있음 좋잖아
it'd be nice if I also had a friend
(He's perceiving the fear (that came to him and held his hand) as a friend that he has to coexist with. He mentions the concept of coexistence often: Positivity and negativity, hope and despair, happiness and unhappiness, etc. In an interview with Yonhap News (Side note: this is the first part of Yonhap News' three-part series, which I think is one of the best in-depth interviews, part 2 and part 3 have also been translated for your interest. Credit to /u/grk637 for doing most of the part 2 translation.), he mentioned that he tries to become friends with anxiety, knowing that accepting/embracing it is the best he can do.)
세상은 절망의 또 다른 이름 [ireum]
The world is another name for despair
나의 키는 지구의 또 다른 지름 [jireum]
My height is another diameter of Earth
나는 나의 모든 기쁨이자 시름 [sireum]
I'm my whole happiness and my worries
매일 반복돼 날 향한 좋고 싫음 [sireum]
They repeat every day, the likes and dislikes directed at myself
(The above four lines end-rhyme / -reum.)
저기 한강을 보는 친구야
A friend over there who's looking over Han river,
(It is likely that 'a friend' is not an actual friend but a random person that he spots. Like RM himself, going to Ttukseom alone (or any other park along Han River, more if it's at night) is something people do when caught up in thoughts to clear their mind (or think even more) while gazing at the river.)
우리 옷깃을 스치면 인연이 될까
would we be tied by fate if we brushed past each other?
아니 우리 전생에 스쳤을지 몰라
Well, we might have brushed past each other in our past life
어쩜 수없이 부딪혔을지도 몰라
Maybe we have bumped into each other countless times
(Background information for the above three lines: there's an idiom "옷깃만 스쳐도 인연," meaning that "even simply brushing past each other means that the two are tied by fate." Translated liberally, it becomes something similar to "we're meant to meet.")
어둠 속에서 사람들은
In the darkness, people
낮보다 행복해 보이네
look happier than during the day
다들 자기가 있을 곳을 아는데
Everyone knows where they are supposed to be,
나만 하릴없이 걷네
but only I'm walking idly
그래도 여기 섞여있는 게 더 편해
But it still feels more comfortable to be here, blended into the scene
밤을 삼킨 뚝섬은 나에게
Ttukseom that swallowed the night
전혀 다른 세상을 건네
hands me a completely different world
나는 자유롭고 싶다
I want to be free
자유에게서 자유롭고 싶다
I want to be free from freedom
지금은 행복한데 불행하니까
because now I'm happy yet unhappy
나는 나를 보네
I see myself
뚝섬에서
at Ttukseom
I wish I could love myself
I wish I could love myself
I wish I could love myself
I wish I could love myself
I wish I could love myself
I wish I could love myself
I wish I could love myself
I wish I could love myself
Ursprung der Übersetzung:
https://doolsetbangtan.wordpress.com/2018/06/16/reflection/
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