Gefühl von Heimat (Hannah)
"Hope, es tut mir so leid", flüsterte Amy mitfühlend, während sie einen Arm um mich geschlungen hatte, um mich zu trösten. Doch trotz ihrer Fürsorge fühlte ich mich bloß wie ein nervliches Wrack und hatte kaum Kraft, mich auf den Beinen zu halten.
"Und du bist dir sicher, dass er das zu dir gesagt hat?", schniefte ich nach wie vor ungläubig, auch wenn sie es bestimmt schon hundert Mal wiederholt hatte. Traurig schmunzelnd hob sie mein Kinn an, ehe sie meine Augen mit ihren taxierte und dann mit gerunzelter Stirn fragte: "Warum sollte ich lügen?" Ein erneutes Schluchzen überkam mich und da ich so überwältigt von meinen Gefühlen war, löste ich mich schließlich von ihr.
Alles, was ich nun wollte war, endlich allein zu sein und in Ruhe weinen zu können, denn dafür brauchte ich sicherlich keine Zuschauer - selbst meine Freundin Amy nicht. Glücklicherweise verstand sie meinen Wunsch und drückte mir einen abschließenden Kuss auf die Wange, ehe sie mich zu ihrer Wohnungstür schob. "Schlaf eine Runde, und morgen sieht die Welt schon wieder besser aus", schlug sie vor, was ich nur mit einem langsamen Nicken quittierte - mit meinen Gedanken ganz wo anders.
Sobald ich nach unten auf die Straße trat, blendete mich die Sonne, weshalb ich bloß trotzig die Kapuze meines Pullis, der heute eigentlich viel zu warm war, über den Kopf zog, bis er sogar meine Augen verdeckte. Halb blind lief ich zur nächsten Bushaltestelle, noch immer völlig benommen, weil ich es beim besten Willen nicht verstehen konnte, wieso ausgerechnet mir das passieren musste.
Doch anscheinend war es so, immerhin hatte Amy sich heute Morgen noch mit Louis unterhalten, der ihr wohl erzählt hatte, dass er sich von mir trennen wollte. Diese Erkenntnis verletzte mich nicht nur unheimlich, sondern riss mir fast das Herz heraus, sodass ich das Gefühl hatte, jeden Moment zu sterben.
Es mochte zwar stimmen, dass Louis und ich keine perfekte Beziehung aus dem Bilderbuch führten, uns oft stritten, wenn er mal wieder mit seinen Freunden zu viel am Wochenende trank oder ich mal wieder viel zu eifersüchtig war. Allerdings kam nach jedem Zoff eine ausführliche Versöhnung, in der wir immer wieder spüren, wie sehr wir einander liebten, ja gar brauchten. Ich war mittlerweile 18 und Louis und ich waren seit knapp vier Jahren zusammen. Er bedeutete mir die Welt und ich hatte mir immer eingebildet, dass diese bedingungslose Liebe auf Gegenseitigkeit beruhte - Pustekuchen, wie es schien.
Als ich irgendwann endlich vor meiner eigenen Haustür stand, waren meine Wangen ganz nass und ich fühlte mich wie nach einer Grippe: Ausgelaugt und mehr als müde. Eiggentlich hatte ich vor, ohne Umschweife in meinem Zimmer zu verschwinden und mich in den Schlaf zu weinen, aber stattdessen rief mein Vater aus dem Wohnzimmer zu mir.
Missmutig wischte ich mir die Tränen aus dem Gesicht, versuchte, eine halbwegs anständige Miene aufzusetzen und lief danach zu ihm. Wie erwartet saß er auf der Couch und sah mich erwartungsfroh an. "Louis hat angerufen", meinte er. "Er hat dich nicht auf dem Handy erreicht und hat mir ausgerichtet, dass du um sechs Uhr zu ihm kommen sollst." Schlagartig wurde mir schlecht und um mich herum begann alles zu verschwimmen, denn vor meinem inneren Auge konnte ich es mir bereits ausmalen: Ich würde seine Wohnung betreten und kurz nachdem er mir die üblichen Floskeln wie "Ich liebe dich" oder "Ich hab dich vermisst" rausgehauen hatte, würde er ganz ernst werden und mir eröffnen, dass er sich von mir trennen wollte.
Obwohl ich am liebsten geschrien hätte, verkniff ich es mir, wohingegen meinem Vater aufzufallen schien, das etwas nicht stimmen könnte, woraufhin er sich erhob und vor mich stellte. "Hope, du siehst ganz blass aus. Alles okay?", wollte er besorgt, was ich mit einem halbherzigen Abwinken erwiderte. "Ja, Dad", nuschelte ich etwas unbeholfen, bevor ich endgültig nach oben flüchete.
Obgleich ich wahrscheinlich kürzester Zeit zu schwitzen beginnen würde, kuschelte ich mich dennoch schnell in meine Decke ein und schloss die Augen - zumindest für einen kurzen Moment. Ich musste wohl eingeschlafen sein, denn als ich das nächste Mal erneut blinzelte, um rasch einen Blick auf die Uhr zu werfen, war es bereits halb halb 6. Wie von der Tarantel gestochen sprang ich hastig auf und stürmte ins Badezimmer, wo ich mich kurz umzog und die Zähne nochmal putzte - man konnte ja nicht ahnen, wozu das trotz vorausgehender Trennung nützlich sein könnte.
Wenig später also stand ich bei Louis auf der Matte, mehr als nervös und verzweifelt zugleich, schließlich rechnete ich mit dem Schlimmsten. Sofort bemerkte auch mein Freund, wie angespannt ich war, weshalb er mich in den Arm zu nehmen versuchte, was ich jedoch ablehnte. Wenn schon Abfuhr, dann wenigstens ohne mehr Tränen als nötig, zumal ich ihn bei einer Umarmung jetzt eh nie wieder losgelassen hätte, in der Hoffnung, ihn am Gehen hindern zu können.
Kurz darauf saß ich neben Louis am Küchentisch und bemühte mich, stark genug zu sein, mir nicht vor ihm die Blöße zu geben und zu heulen. Ich hatte heute schon einmal einen Zuschauer bei meinem Nervenzusammenbruch gehabt und brauchte das garantiert nicht erneut. Aus diesem Grund hob ich die Hand, noch bevor er zu sprechen begann.
"Ich weiß, was du mir sagen willst." Erstaunt hob er eine Augenbraue, die blauen Augen zusammengezogen und ein verschmitztes Lächeln auf den schmalen Lippen, die ich sonst immer geküsst hatte. "Du willst Schluss machen", murmelte ich schließlich, woraufhin ihm wortwörtlich die Kinnlade hinunter kippte. Anstatt ihn ausreden zu lasssen, redete ich weiter, eine Welle der Wut und Enttäuschung in mir aufkochend.
"Aber ich kann das ehrlich gesagt noch nicht nachvollziehen. Ich meine, klar, wir zanken viel, aber.. ich liebe dich. Ich liebe es, dein Parfüm an deinem Hals zu riechen und deine Stimme zu hören, wenn du mir nachts am Telefon was vorsingst. Ich liebe es, wie süß du lachst, wenn dich etwas amüsiert", schluchzte ich, nun völlig aufgelöst.
Während ich in meiner Hosentasche nach Taschentüchern kramte, erkundigte er sich perplex: "Wer hat denn gesagt, ich wolle mich trennen?" "Amy", antwortete ich, was ihn schnauben ließ, ehe er aufstand. "Hör mal Hope. Ich liebe dich auch. Ich liebe es, wie ich der Einzige bin, der dich Hase nennen darf, und wie du grinst, wenn dir etwas gefällt, oder wie der Wind immer deine wundervollen Haare so niedlich verzaust. Ich könnte nie mit dir Schluss machen."
Prompt fiel mir ein riesiger Stein vom Herzen und ich brach nun doch in Tränen aus - dieses Mal aus Freude. Gerührt nahm er mich in den Arm, immer wieder über meinen Scheitel streichend, bis es mir besser ging. "Und was wolltest du dann?", fragte ich leicht verwirrt, wofür er mich auf die Schläfe küsste, damit er mich anschließend ins Schlafzimmer lotsen konnte.
Dort kramte er in seinem Nachtschublade, weshalb ich erst mit dem Schlimmsten, wie beispielsweise einem Verlobungsring, rechnete, holte er nur einen Schlüssel an einer Kette hervor. Sich räuspernd reichte er sie mir. "Ich wollte wissen, ob du hier wohnen möchtest", erklärte er scheu, was mich zum Schlucken brachte.
"Wirklich?" Abermals brannten meine Augenwinkel, nur dieses Mal aus Freude. Auf sein Nicken hin, fiel ich ihm um den Hals und vergrub schlagartig in seine Beuge, um diesen Duft einzusaugen, der regelrecht zu meiner Heimat geworden war. Als wir wieder voneinander abließen, steckte er mir eine Strähne hinters Ohr. "Ist das ein Ja?", hakte er nach und legte mir mit meiner Zustimmung vorsichtig die Kette an.
Dann hob er mich tatsächlich hoch und legte mich behutsam auf sein Bett. "Stell dir vor, du und ich. Jeden Morgen. Hier", wisperte er, was eine Gänsehaut auf meinen Armen auslöste - immerhin war Louis für mich der Inbegriff purer Perfektion und bei der Vorstellung, ihn ab jetzt immer Oberkörper frei zu erleben, in unserer Wohnung, machte mich so aufgeregt wie ein Kind an Weihnachten.
"Ich hoffe nur, Dad erlaubt es", überlegte ich laut, da ich zwar erwachsen war, aber trotzdem noch auf die Meinung meines Vaters Wert legte. Doch Louis zwinkerte mir bloß zu, ehe er kleine Küsse an meinen Schüsselbeinen verteilte. "Deswegen hab ich ihn doch heute schon angerufen", kicherte er zwischen einzelnen Berührungen.
Auch wenn ich nicht große Lust verspürte, auch Amy zur Sprache kommen zu lassen, fragte ich ihn: "Und wie kommt Amy dann auf so einen Blödsinn?" Immerhin hatte ich angenommen, wir seien Freunde. "Ich wollte eine Einweihungsfeier für dich organisieren und brauchte ihre Hilfe", erzählte er, woraufhin ich wütend wurde. Amy mochte ein falsches Biest sein und hatte mich schon oft hintergegangen, aber hierbei hatte ich ihr nicht zugetraut, dass sie meine Gutmütigkeit so ausnutzen würde.
Frustriert raufte ich mir die Haare, wohingegen er sanft meine Hangelenke festhielt, um meine Aufmerksamkeit zu bekommen. "Hey, lass sie eifersüchtig sein. Du verdienst sie nicht, sondern jemand viel besseren. Du verdienst niemanden, der versucht, deine Beziehung oder dich kaputt zu machen. Du verdienst jemanden, der es ernst mit dir meint und dir jeden Stern vom Himmel holt, wenn es sein muss." Durch einen Schleier von neu aufkommender Tränen lachte ich: "Also so jemanden wie du?"
Grinsend fuhr er mit der Daumenkuppe über meine Nasenspitze, bis hin zu meinen Lippen, wo sie verweilte. "Zum Beispiel." Glücksselig beugte ich mich vor und küsste ihn, ehe er mich zu sich an die Brust presste, wodurch ich seinen beruhigenden Herzschlag hörte.
Meine Heimat. Louis war meine Heimat.
Seine Körperwärme spendete mir Kraft, sein Atem an meinem Ohr enstpannte mich sekündlich mehr und dazu der Herzschlag, der mit meinem im Einklang war, ließen mich letztendlich einschlafen.
Auf meinem Freund. In meiner Wohnung. Es war fast zu schön, um real zu sein.
Doch das war es. Und ich kostete jede Minute davon aus.
ich hoffe, es gefällt dir, hase. ich liebe dich. xxx
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro