Kapitel 74
Kapitel 74
Mein Kopf war benebelt. Der Rest meines Körpers fühlte sich noch ziemlich taub an. Leicht benommen versuchte ich meine Augen zu öffnen. Sofort blendete mich weißes Licht. Automatisch schloss ich meine Augen schnell wieder. Was war passiert?
Ich wusste nur noch, dass ich, genau wie Lucius, das Bewusstsein verloren hatte. An alles, das danach passiert war, erinnerte ich mich nicht. Natürlich nicht. Beinahe traute ich mich nicht, die Augen ein weiteres mal zu öffnen. Keiner von unseren Leuten hatte uns mitgenommen. Sie alle waren geflohen. Ich bezweifelte stark, dassauch nur einer von ihnen zurück gekommen war, um uns vor den Leuten der Regierung zu bekommen. Und da ich noch nicht tot war, befand ich mich höchstwahrscheinlich irgendwo gefangen. Vermutlich sogar in einem Labor.
Alles in mir widerstrebte, die Augen wieder zu öffnen und mit der schrecklichen Realität konfrontiert zu werden. Ich wollte nicht schon wieder in einem trostlosen Labor aufwachen. Nicht wie damals. Das wollte ich nie wieder erleben. Aber ich würde wohl nicht darum herum kommen.
Widerwillig zwang ich mich dann doch. Vorsichtig und langsam öffnete ich meine Augen. Dieses mal kam das weiße Licht nicht so überraschend und plötzlich. Dennoch musste ich ein paar mal blinzeln. Alles war weiß. Wirklich alles. Die Wände, die Decke, der Boden. Ebenso die ganzes Geräte. Wie ich es bereits vermutet hatte, befand ich mich in einem Labor. Hier befanden sich unzählige Geräte, die total fremdartig wirkten. Solche hatte ich noch nicht einmal im Labor von Ambrosia gesehen.
Ich selbst befand mich in einem durchsichtigen Kasten, dessen Wände ziemlich dick und fest wirkten. Also garantiert ausbruchssicher. Bestimmt war er extra für Mutanten gebaut worden. Mein Gefängnis stand mitten an einer Wand, weshalb ich den gesamten Raum überblicken konnte.
Kaltes, elektrisches Licht erleuchtete den Raum. Das Labor roch stark nach Desinfektionsmittel. Niemand war zu sehen. Niemand, bis auf den Menschen in der Zelle, die vielleicht ein Meter von meiner eigenen entfernt war. Im Gegensatz zu meiner eigenen Zelle, war diese nicht wie meine ein durchsichtiger Kasten, mit extra verstärkten Wänden. Boden, wie auch Decke waren aus einer Metallplatte. Der Rest waren Metallgitter. Also im Gegensatz zu meinem Gefängnis ziemlich normal. Mein Bruder saß frustriert am Boden. Sein Rücken lehnte an den Gittern. Als er bemerkte, dass ich ihn ansah, hob er seinen Kopf. Dunkle Augenringe zierten sein Gesicht und er wirkte generell müde.
„Du bist wach.", stellte er fest. Trotz der extra dicken Wände meiner Zelle, konnte ich ihn bestens verstehen. Lucius seufzte. „Sieht so aus, als würden wir eine lange Zeit über hier bleiben."
Ich verstand es nicht. Stirnrunzelnd betrachtete ich die Zelle von Lucius. „Wieso haben sie dich hier eingesperrt?", fragte ich skeptisch. „Du bist kein Mutant. Du stellst keine Gefahr für sie dar. Als Jäger hätten sie dich eigentlich in ein normales Gefängnis gesteckt, aber nicht in ein Labor."
Lucius zuckte mit seinen Schultern. „Oder sie hätten mich getötet." Sein Gesicht war mehr als düster. Wir beide schwiegen. Was wollte die Regierung mit Lucius? Er war ein Mensch. Er gehörte nicht in ein Labor. Ambrosia hätte zwar Verwendung für ihn gefunden für ihre kranken Experimente, aber das hier war nicht Ambrosia. Die Regierung konnte Mutanten zwar nicht leiden, da wir gefährlich waren, aber sie nutzten uns für ihre Zwecke: Als Soldaten im Krieg oder als Sklaven in den Haushalten der Bevölkerung.
Demnach würden sie mich nicht töten. Vorerst.
Aber Lucius? Obwohl er ein Mensch war, gehörte er zu den Feinden der Regierung, da er Mutanten jagte. Es war mir wirklich schleierhaft, weshalb sie ihn mit mir in dieses Labor gesteckt hatten. Es machte schlicht und einfach keinen Sinn. Mein Herz klopfte nervös. Lucius durfte nicht hier sein. Er gehörte hier nicht her.
Lucius wirkte so, als würde er bereits auf sein Ende warten. Das erschreckte mich. So hatte ich ihn noch nie erlebt. Weder heute, noch damals. Er hatte aufgegeben. Akzeptiert, dass er hier vermutlich sterben würde. Er sah keinen Ausweg.
„Wir kommen hier schon noch raus.", sagte ich bestimmt. „Keine Sorge." Testend legte ich meine Hand auf die Scheibe meiner Zelle und drückte einmal kurz dagegen. Danach ballte ich meine Hand zu einer Faust und klopfte leicht dagegen. Es hörte und fühlte sich an wie Glas. Mit Glas würde ich schon fertig werden. - Egal, wie dick es war.
Doch Lucius schüttelte nur bedauernd seinen Kopf. „Mach dir nichts vor, Frey.", meinte er. „Du wirst nur enttäuscht werden. Also lass es lieber sein."
„Wieso so pessimistisch?", fragte ich sarkastisch, während ich die Scheibe abtastete. „Vielleicht habe ich ja meine Fähigkeiten wieder?"
Von Lucius war nur ein kurzes, bitteres Lachen zu hören. „Selbst,wenn.", sagte er. „Das da ist eine Zelle, die extra für Mutanten angefertigt wurde. Mutanten, wie dich."
Ich überging einfach seinen letzten Satz. „Versuchen kann ich es trotzdem.", erwiderte ich stur. Und wieder schüttelte Lucius nur seinen Kopf. Jedoch beließ er es dieses mal beim Schweigen.
Vorsichtig tastete ich nach meinem Eis. Sofort gehorchte es. Dünner Frost legte sich über den Boden meines Gefängnisses. Ein triumphierendes Grinsen legte sich auf meine Lippen. Sie waren zurück. MeineFähigkeiten waren zurück. Jetzt konnten unsere Entführer etwas erleben! Bestimmt sollte die Kugel, die meine Fähigkeiten blockierte, länger wirken. Umso besser für mich. Niemand würde erwarten, dass ich sie bereits zurück hatte. Sonst hätte man mich nicht in diese Glaszelle gesperrt.
Immer mehr Frost überzog das Glas. Ich konnte meinen eigenen Atem sehen.
„Freya, jetzt lass es doch einfach!", sagte Lucius genervt. Seine Stimme war lauter geworden. Bitter starrte er von seiner Zelle zu mir herüber. „Das bringt nichts! Akzeptiere das doch!" Er wusste gar nicht, wie wütend seine Worte mich machten. Meine Lippen wurden zu einer einzigen, schmalen Linie. Beinahe schon automatisch wechselten meine Augen in ihre Schlangenform. Meine Haut wurde zu Schuppen. „Achja?" Meine Stimme war leise. Ein verbitterter Unterton schwang mit. „Ich soll also einfach aufgeben und alles über mich ergehen lassen? Ich soll zulassen, dass sie Experimente mit mir machen? Wieder? Soll ich das so lange über mich ergehen lassen, bis überhaupt nichts mehr an mir menschlich ist?" Langsam drehte ich meinen Kopf zu meinem Bruder, der schweigend in seiner Zelle saß und mich aus trüben Augen betrachtete. „Ist es das, was du von mir erwartest?"
Gequält senkte Lucius seinen Blick. Sah mich nicht mehr an. „Es tut mirleid.", murmelte er leise. „Ich habe nicht nachgedacht. Ich habe-"
Unwirsch unterbrach ich ihn. „- vergessen?", zischte ich. „Vergessen, dass ich mich schon einmal in einem Labor befunden habe und die Wissenschaftler dort mit mir angestellt haben, was auch immer sie wollten? - Es tut mir wirklich leid, dass ich das nicht noch einmal zulasse, Lucius!" Wut funkelte in meinen Schlangenaugen.
„Frey-", begann Lucius und bemühte sich um einen versöhnlichen Ton. Er war aufgestanden und an die Gitter getreten, zu meiner rechten Seite.
„Nein. Nichts 'Frey'.", knurrte ich. „Lass mich einfach machen. Wenn du unbedingt hier bleiben willst, ist das deine Sache. Wenn du einfach aufgegeben hast. Das werde ich nämlich nicht. Hörst du? Ich bin nicht deren Spielzeug. Mein Körper gehört mir. Und ich lasse ihn nicht weiter zum Monster umgestalten. Egal von wem. Ambrosia, die Regierung ... Im Prinzip ist alles das Selbe."
In diesem Moment brach der Schneesturm aus mir heraus. Er füllte meine gesamte Zelle aus. Alles war weiß. Es war unmöglich, etwas zusehen. In meiner Zelle tobte es. Hinzu kam nun auch das Eis, das immer wieder gegen die Scheibe klirrte. Ich nahm all meine Wut und Kraft zusammen. Ich wollte hier raus. Unbedingt. Nichts in der Welt würde mich dazu bringen, freiwillig hier zu bleiben.
Immer mehr Eis schoss mit hoher Geschwindigkeit gegen die Scheiben. Das Klirren war unglaublich laut geworden. Doch auf einmal ... war alles fort. Kein Schneesturm, kein Eis. Es war, als hätte ich niemals meine Fähigkeiten eingesetzt. Irritiert drehte ich mich einmal um meine eigene Achse. „Was zum ...?"
Lucius, der sich gerade eben noch aufmerksam aufgerichtet hatte, sank nun wieder in sich zusammen. „Wie ich es mir dachte ...", murmelte er.
Sofort drehte ich mich zu ihm. Mit zusammen gekniffenen Augen musterte ich ihn. „Würdest du mich vielleicht aufklären?", fragte ich ungeduldig. „Wieso hat das rein gar nichts gebracht?"
Mein Bruder seufzte und rieb sich gestresst seine Schläfe. „Kein Wissenschaftler wäre so dumm, dich in eine einfache Glaszelle zusperren. Vor allem nicht dich.", antwortete er. „Und ich hatte Recht. Die Zelle absorbiert jedes bisschen Eis und Schnee, das du freisetzt."
Mein Gesicht verdunkelte sich. Das konnte doch jetzt nicht wahr sein. Wütend schlug ich mit meiner Faust mit aller Kraft gegen das Glas. Nichts tat sich. Nicht einmal ein kleiner Riss. Schweigend beobachtete Lucius mich dabei, wie ich in meiner Zelle frustriert auf und ab ging. Erneut raffte ich mich trotz seiner Worte vorhin zu einem neuen Versuch auf. Zornig schoss ich einen Eisspeer gegen die Glaswand. Kein Kratzer blieb auf dem Glas zurück und auch das Eis war schneller verschwunden, als mir lieb war. Doch ich war nicht gewillt, einfach so aufzugeben. Immer und immer wieder schoss ich Eis auf die selbe Stelle des Glases. Wurde dabei immer aggressiver. MeinFrust saß tief. Je länger kein einziger Riss im Glas auftauchte, desto frustrierter und wütender wurde ich. Irgendwann verzichtete ich komplett auf mein Eis und schlug mit meinen Fäusten auf die Glaswand ein. „Ich komme hier raus!", knurrte ich bitter inLucius' Richtung. „Du wirst schon sehen. So ein bisschen Glas wird mir nicht die Freiheit verwehren!"
Lucius war wieder aufgestanden und stand genau vor dem Gitter. So nah bei mir, wie nur möglich. „Freya, bitte. Mach dich nicht selbst kaputt. Du musst akzeptieren, dass du da nicht raus kommst. Lass uns lieber überlegen, wie wir es richtig anstellen.", bat er mich. Frustriert ließ ich mich auf den Boden sinken. Es stimmte. So ungern ich das auch einsehen wollte. Ich kam hier nicht raus. Egal, was ich tat.
„Wir kommen hier schon raus.", sagte Lucius sanft. „Aber nicht auf diese Weise. Zwar können wir uns nicht darauf verlassen, dass James und die anderen uns finden, aber selbst diese Möglichkeit besteht. Aber zuerst überlegen wir uns, wie wir es anstellen, ohne, dass wir Hilfe von außen bekommen."
Geschlagen nickte ich. Was blieb mir auch anderes übrig? Die Situation war aussichtslos. Und ich würde wieder als Experiment auf dem Seziertisch landen. Ob ich das dieses mal überlebte, war eine ganz andere Frage.
Lucius, der scheinbar genau wusste, woran ich dachte, schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. „Dir wird schon nichts passieren. Du würdest es nicht zulassen, dass die Wissenschaftler an dir herumexperimentieren. Und ich auch nicht."
Mit hängenden Schultern erwiderte ich Lucius' Lächeln. Leider wusste er genau wie ich, dass weder er, noch ich hier mitzureden hatten. Geschweige denn, dass wir uns dagegen wehren könnten, wenn die Wissenschaftler sich entschieden, dass es nun an der Zeit sei. Ich wusste das gar nicht erst aussprechen. Die Wahrheit über unsere Situation war Lucius nicht unbekannt. Das Wissen darüber ließ Lucius' Blick ganz traurig und verzweifelt erscheinen. Es war aussichtslos. Dieses mal gab es kein Entkommen. Keine Hintertür. Nichts.
Ein letztes mal schoss ich voller Frust Eis gegen die Scheibe. Auf einmal klatschte jemand in die Hände. Lucius und ich erhoben uns beide gleichzeitig. Alarmiert blickten wir in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Ein Mann und eine Frau waren aus einer unscheinbaren Tür getreten, die ich übersehen hatte. Beide trugen weiße Kittel, auf denen sich jeweils ein Namensschild befand.
„Danke für die kleine Kostprobe!", sagte der Mann erfreut. Ein breites Lächeln lag auf seinen Lippen. Sein Namensschild wies ihn als 'Doktor Julius Clausen' aus. Sein hellbraunes Haar war leicht zerzaust. Er war recht groß. Aus seinen blauen Augen musterte er mich intensiv. Mit schnellen Schritten durchquerte er den Raum und stellte sich vor meine Glasscheibe. „So. Du bist also der berüchtigte Mutant Nummer dreiundneunzig.", sagte er. Nicht einmal nahm er seine Augen von mir. Feindselig erwiderte ich seinen Blick. „Schon seit einer langen Zeit wollte ich die DNA von Mutanten genauer erforschen. Ebenso den Vorgang, mit dem ein menschliches Kindzu solch einer Kreatur werden konnte." Nun wandte er dann doch seinen Blick ab und sah zu Lucius. Dieser hatte jeden einzelnen Muskel angespannt. „Wirklich erstaunlich.", fuhr Doktor Clausen fort. „Obwohl du ein Mensch – und vor allem ein Jäger – bist, hast du dich dazu herabgesetzt, dich mit einer Mutation abzugeben." Clausen lächelte breit und zeigte dabei eine Reihe von perfekten, weißen Zähnen. „Das wirklich interessante allerdings ist, dass ihr beide Zwillinge seid. Einer von euch menschlich, einer von euch eine Mutation. Ihr könnt euch gar nicht vorstellen, wie begeistert ich war, als ich das erfuhr. Das wird meinen Forschungen enorm weiterhelfen. Eigentlich müsste eure DNA sich ziemlich ähneln, wenn nicht sogar gleich sein. Doch da einer von euch eine Mutation ist ... Eine bessere Chance, die Mutationen erfolgreich zu erforschen, gibt es gar nicht." Äußerst zufrieden betrachtete Doktor Clausen Lucius und mich. „Ich freue mich schon auf unsere – hoffentlich sehr erfolgreiche – Zusammenarbeit!"
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