Kapitel 110
Ein beängstigendes Grinsen zog an Lucius' Mundwinkeln, verzerrte sein Gesicht zu einer fremden Maske. Als hätte er nur auf das Signal gewartet, schritt er gemächlich auf mich zu. Da war keine Angst zu erkennen. Nur das Gefühl reiner Überlegenheit.
»Lucius, stopp.«, sagte ich und konnte nicht verhindern, dass meiner Stimme ein verzweifelter Ton mitschwang. Ich wollte nicht gegen ihn kämpfen. Und ich glaubte, dass er das eigentlich auch nicht wollte. Miss Magpie kontrollierte ihn. So musste es sein.
Doch er lachte nur verächtlich auf. »Wieso sollte ich?«, fragte er und bedachte mich mit einem höhnischen Blick. »Fürchtest du dich etwa?«
»Das bist nicht du.«, versuchte ich es weiter. Äußerlich blieb ich ruhig, behielt mich unter Kontrolle. Doch in meinem Inneren riss die Verzweiflung die Herrschaft an sich. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Konnte ich überhaupt etwas tun?
»Ach, und du weißt das besser als ich?« Seine Augen, glühend wie blutrote Kohlen, lagen unaufhörlich auf mir. Er blieb nicht stehen, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Und je näher er kam, desto fester hielt mich die Verzweiflung in ihrem Griff. Drückte zu, nahm mir die Luft zum Atmen. Meine Gedanken rasten wild umher, auf der Suche nach einer Lösung. Ich musste irgendwie zu ihm durchdringen. Aber wie?
Als mein Bruder nur noch wenige Meter von mir entfernt war, spannte sich mein ganzer Körper an und bereitete sich auf einen Angriff vor. Doch urplötzlich versank Lucius im Schatten und war verschwunden. Schockiert weiteten sich meine Augen. Er war wortwörtlich im Schatten versunken! Nach und nach hatte der Schatten Lucius' Körper aufgenommen. Er war einfach in den Boden gesunken. So etwas hatte ich noch nie zuvor gesehen! Mein Herzschlag beschleunigte sich. Was konnte ich tun?
»Pass auf!«, rief Samuel, als mein Bruder ohne Vorwarnung aus dem Nichts hinter Brenda aufgetaucht war. Doch es war bereits zu spät. Die Jägerin konnte nicht einmal mehr schreien, als ihr auch schon das Blut aus der Kehle sprudelte und sie gurgelnd zu Boden ging. Lediglich die Panik in ihren Augen sprach für sich.
»Brenda!«, schrie James voller Schrecken. Fassungslos starrte er auf die reglose Brenda, deren Augen blicklos in den Himmel gerichtet waren, während der rote Saft noch immer gleichmäßig seine Hülle verließ. Ungläubig hob er seinen Blick, sah seinen besten Freund mit solch leeren Augen an, dass es schon unheimlich war.
»Lucius, wieso?«, hauchte er. James sah aus, als wäre er plötzlich um Jahre gealtert. Brenda war eine von ihnen gewesen.
Lucius zeigte keinerlei Reue. Gleichgültig blickte er auf die Leiche seiner Jägerin. »Ihr seid ein paar Leute zu viel, nicht wahr?«, sagte er kühl. »Nur Freya ist meine Gegnerin.«
»Aber sie gehört zu uns!«, rief James. »Sie ist – war - eine Jägerin! Genau wie du und ich!«
»Sehe ich für dich etwa wie ein Jäger aus?« Mein Bruder grinste dieses gruselige Grinsen. Es war nicht zu übersehen, dass er womöglich nicht einmal mehr Lucius war. Trotzdem schien James das nicht akzeptieren zu wollen. Ihn interessierte es nicht, dass mein Bruder jetzt ein Mutant war.
»Sehe ich für dich aus, als würde ich noch Mutanten jagen?«, konterte er. »Das tun wir alle nicht mehr und trotzdem sind wir die Jäger. Wir sind ein Team, Lucius!« Mein Zwilling schenkte dem keine Beachtung. Stattdessen wandte er sich Jo zu, die kein Wort mehr gesagt hatte, seit sie ihn gesehen hatte. Noch immer lagen ihre Augen wie erstarrt auf ihm.
Sie hatten keine Chance. Das hier war meine Sache. Lucius wollte nur mich. Die anderen waren ihm egal. Aber so lange sie hier blieben, wären sie unweigerlich in Gefahr. »Geht.«, befahl ich.
»Was?« Irritiert sah James mich an. »Ich lasse dich doch nicht allein!«
»Sie hat recht.«, stimmte Jo mir leise zu. Ihre Stimme klang ganz belegt. Ohne auf seine Proteste zu achten, packte sie ihn am Handgelenk und zog ihn mit sich. Laut schimpfend versuchte James sich aus ihrem Griff zu befreien, doch sie ließ nicht locker.
»Und ihr auch.«, sagte ich an Samuel, Enya, Siebenundvierzig, Kieran und Flavio gewandt. Kieran wäre wohl der Einzige gewesen, dem ich es zutraute, mit mir hier zu bleiben, doch er musste auf Flavio achtgeben. Denn der brauchte jetzt jemanden, dem er vertraute. Außerdem: Wer konnte Flavios Leid besser verstehen, als Kieran?
»Freya -«, begann Samuel, doch ich unterbrach ihn.
»Nein.«, sagte ich bestimmt. »Bringt euch in Sicherheit. Wir wissen nicht, zu was er alles in der Lage ist. Ich regele das.« Außerdem wollte ich nicht, dass sie meinen Bruder ernsthaft verletzten. Kieran hatte Flavio zurückholen können. Vielleicht schaffte ich es dann auch, zu meinem Zwilling durchzudringen. Zumindest musste ich es versuchen.
»Hört auf sie.«, kam es schließlich von Kieran, der mich durchdringend musterte.
»Aber -« Das war Enya. Doch ihr Cousin brachte sie mit einer knappen Geste zum Schweigen. Er wusste, dass Enya hier keine Chance hatte und wollte sie so schnell wie möglich aus der Gefahrenzone bringen. Vielleicht kam er später wieder, um mir zu helfen. Und ich wusste nicht, ob ich das wollte oder nicht. Es jagte mir gehörig Angst ein, meinem Bruder– Miss Magpies Kreatur – hier gegenüber zu stehen. Denn ich wusste nicht, ob ich ihn retten konnte. Alles in mir widerstrebte, ihn zu verletzen und ich weigerte mich an das zu denken, was ich würde tun müssen, könnte ich ihn nicht zurückholen.
Lucius' Blick war kalt und ohne jedes Gefühl von Mitleid und Reue. Was ich jedoch darin fand, war eine düstere Freude. Das konnte doch nicht sein, was er wirklich empfand. Es wollte einfach keinen Sinn ergeben. Mein Bruder hatte Fehler begangen. Große, unverzeihliche Fehler. Aber das hier wollte einfach nicht zu ihm passen. Wieder verstärkte sich in mir das Gefühl, dass Miss Magpie dahinter steckte. Aber wie hatte sie das gemacht? Lucius hatte noch immer Gefühle, so wenig diese auch zu ihm passen mochten. Ich verstand das einfach nicht. Wieso war er jetzt so? Was hatte diese schreckliche Frau ihm angetan?
»Du denkst zu viel nach.«, merkte mein Bruder gleichgültig an. Die dunklen Schuppen schienen jeden Sonnenstrahl zu verschlucken. »Hör auf damit, es bringt dir sowieso nichts.«
»Lucius, bitte.«, flehte ich leise. Mehr brachte ich nicht zustande. Ich wusste einfach nicht, welche Worte zu ihm durchdringen würden. Sollte ich ihm jetzt irgendetwas aus unserer gemeinsamen Kindheit erzählen? Fröhliche Erinnerungen, die irgendeinen Teil in ihm weckte, der noch immer mein Bruder war? Ich bezweifelte, dass mich das weiterbringen würde.
»Flehst du jetzt schon? Dabei habe ich doch noch gar nicht angefangen.«, höhnte er und sein Grinsen entblößte vier rasiermesserscharfe Eckzähne. »Aber das können wir jetzt ändern.« Kaum hatten die Worte seine Lippen verlassen, griff sein eigener Schatten nach ihm und zog ihn in die schwarze Tiefe. Er verschwand aus meinem Sichtfeld. Angst fuhr durch jeden Zentimeter meines Körpers, hektisch sah ich mich um, behielt jeden noch so kleinen Schatten im Auge. Schließlich könnte er dort auf einmal auftauchen. Wie konnte ich gegen jemanden ankommen, der einfach in den Schatten verschwinden konnte? Und vor allem: Wie konnte ich meinen Bruder zurückholen? Ich wollte nicht gegen ihn kämpfen. Auf keinen Fall. Er war ein wichtiger Teil meiner Familie. Trotz allem, was passiert war.
Es würde auch nicht helfen, die Schatten mit Hilfe meines Eises zu versiegelt. Schatten ließen sich nicht versiegeln. Und mit einem Mal fragte ich mich, ob seine Fähigkeit ein Zufall, wie meine eigene es einst, gewesen war. Damals hatte Ambrosia nicht sagen können, welche Fähigkeiten die Kinder annahmen, sobald ihnen die Sera injiziert worden waren. Aber das war lange her. Lucius war ein neuer Mutant, der vorrangig mit dem Ziel, mich zu töten, erschaffen worden war. Konnten seine Fähigkeiten den meinen angepasst worden sein? Ich wusste nicht, wie weit Miss Magpie mit ihrer Mutantenforschung heute war. Was ich aber wusste, war, dass sie durch Ambrosia genug Daten über mich und meine Fähigkeiten hatte. Und sie hatte es geschafft, dass mein Bruder tat, was sie von ihm verlange. Das, was Ambrosia selbst niemals geschafft hatte. Die Mutanten damals hatten alle ihren eigenen Willen behalten.
Mit einem Mal wurde mir heiß und kalt zugleich. Das war es. Daran hatte Clausen geforscht. Mit Varya als Versuchsobjekt war es ihm gelungen, ihr ihren Willen zu nehmen. Zumindest bis ich zu ihr durchgedrungen war. Waren das die Forschungsergebnisse, die Miss Magpie sich unter den Nagel gerissen hatte, an die sie niemals herangekommen wäre, wäre Clausen noch am Leben? Somit war ihr nun gelungen, wozu Ambrosia nie im Stande gewesen war. Sie nahm Lucius seinen Willen, machte ihn zu ihrer gefügigen Waffe. Hatte ihn womöglich auf mich angepasst.
Aber wie war es möglich, dass mein Bruder noch immer Gefühle zeigte? Varya hatte das nicht gekonnt. Sie war kaum mehr als eine lebendige Hülle gewesen, die widerstandslos tat, was Clausen ihr auftrug.
Ein plötzlicher Luftzug ließ mich unwillkürlich meine Haut zu Eis verhärten. Gerade rechtzeitig, denn das dunkle Abbild meines Bruders war hinter mir aufgetaucht. Augenblicklich wich ich zurück, als er auch schon mit seinen langen schwarzen Krallen ausholte. Um Haaresbreite verfehlten seine Krallen mich. Lucius' Gesicht war eine einzige finstere Maske. Allein seine Augen, in denen das Höllenfeuer brannte, verrieten mir seinen Zorn darüber, mich verfehlt zu haben.
Um ihn an Ort und Stelle festzuhalten, warf ich mein Eis nach ihm. Wie ich es vorgesehen hatte, griff es nach meinem Bruder, hielt ihn fest in seinem kalten Griff. Doch Lucius schien das seltsamerweise nicht zu stören. Er schenkte mir bloß ein überlegenes Lächeln, als wolle er meinen verzweifelten Versuch, diesen Kampf zu verhindern, lediglich als »Süß.« bezeichnen.
Ehe ich ihn daran hindern konnte, sog ihn sein eigener Schatten auf und er ließ seine eisige Fessel unbeschädigt zurück. Fassungslos starrte ich auf die Stelle, an der er verschwunden war. Er konnte seinen eigenen Schatten nutzen und musste sich nicht nur nach den anderen Schatten richten? Somit war es unmöglich, ihn irgendwo festzufrieren. Hilflos presste ich meine Lippen zusammen, sodass sie bloß noch ein einzelner schmaler Strich in meinem Gesicht waren. Ich konnte ihn nicht festhalten. Ich konnte einem Kampf nicht entkommen. Was konnte ich tun? Auf keinen Fall wollte ich ihn verletzen. Das war nicht er. Er konnte nichts dafür. Das war allein Miss Magpies Werk. Und wo war sie überhaupt? Vielleicht genügte es, wenn ich sie ausschaltete, damit Lucius seinen Willen wiedererlangte. Doch ich war mir nicht sicher. Er sollte lediglich seinen Willen verloren haben. Nicht aber seine Persönlichkeit. Das beunruhigte mich. Was, wenn er noch immer einen Willen hatte, aber seine Persönlichkeit derart verändert worden war, dass es keinen Unterschied machte, wie sehr ich mich anstrengte, zu ihm durchzudringen?
Mein Zwilling trat aus einer Hauswand – oder eher dem Schatten an der Hauswand. »Lucius, bitte. Hör auf mit diesem Wahnsinn.«, flehte ich. »Ich bin nicht dein Feind. Du solltest nicht gegen mich kämpfen, sondern gegen Miss Magpie.«
»Du begreifst es wirklich nicht. All deine Worte sind sinnlos, Freya.«, sagte er bloß und mit einem Mal kam es mir vor, als würde ich nicht mit meinem Bruder, sondern mit der Ambrosia-Wissenschaftlerin sprechen. Ihr Wille. Ihre Worte. Aber wo war mein Zwilling in ihnen geblieben? Er konnte doch nicht fort sein. Nicht für immer verschwunden. Ausgelöscht. Oder?
Dieser Gedanke trieb mir die Tränen in die Augen. »Luc, bitte.« Meine Stimme klang erbärmlich. Gebrochen und kraftlos. Das durfte nicht sein. Lucius musste noch irgendwo da drin sein. Es war sein Körper. Sie konnte ihn doch nicht einfach vertrieben und ihm ihre eigene Persönlichkeit eingepflanzt haben. Er musste noch da sein! Er musste! »Kämpfe nicht gegen mich. Bitte.« Zwing mich nicht.
»Das hier ist kein Kampf.«, erwiderte das geschuppte Ungeheuer mit dem Gesicht meines Zwillings. »Das hier ist eine Exekution.« Etwas in mir zerbrach. Zerbrach klirrend in tausende von Teilen. Widerstandslos rannen mir die Tränen über die Wangen. Kalte Tränen, die sich nicht stoppen ließen. Seine Worte trafen mich härter, als seine Krallen es je gekonnt hätte. Obwohl ich ahnte, dass die Worte nicht zu ihm gehörten, war dies dennoch seine Stimme. Und sie traf mich mitten im Herzen. Dort, wo es am meisten schmerzte.
Ich konnte nichts tun. War machtlos. Wenn ich ihn nicht verletzen wollte, konnte ich ihm nur weiter ausweichen. Ausweichen oder aufgeben. Beides würde mit meinem Tod enden, denn ich würde nicht ewig durchhalten können. War genug Zeit vergangen, würden meine Bewegungen müde und träge werden. Langsam. Und dann wäre es vorbei.
Gelassen schritt er auf mich zu. Ein Henker mit der Gewissheit, dass am Ende des Tages mein Kopf rollen würde. Er störte sich nicht an meinen Versuchen, seinen Angriffen auszuweichen. Störte sich nicht an meiner Weigerung, zu kämpfen. Störte sich nicht an meinem Flehen. Denn er wusste, ich hatte keine Chance. Nicht, wenn ich mich nicht entschloss, ihm etwas entgegenzusetzen. Ich war nicht mehr als eine Maus, mit der die Katze spielte, ehe sie dem überdrüssig war und dem Leben ihres Opfers ein Ende setzte.
Doch was würde das mit mir machen, würde ich mich zur Wehr setzen? Was würde das mit mir machen, fand einer meiner Eissplitter Lucius' Herz?
Ich würde mir das niemals verzeihen können. Und unsere Eltern auch nicht. Ich war das fremde Kind. Lucius war das Kind, das ihnen geblieben war. Niemals würden sie mich bei sich aufnehmen, setzte ich seinem Leben ein Ende. Wenn dies nicht auch mein Ende bedeutete.
Urplötzlich spaltete eine Peitsche aus Schatten den Boden. Erschrocken wich ich zur Seite. Mein Herz raste. Lucius konnte den Schatten eine körperliche Gestalt verleihen? Bisher hatte ich geglaubt, er könnte sie bloß nutzen, um durch sie zu wandeln. Allein das hatte mir schon Sorge bereitet. Aber dass er mit ihnen nun auch verletzen konnte ...
Die letzte Hoffnung in mir zerbrach klirrend. Zart wie Glas. Mein eigener Zwilling wollte mich wirklich töten. Wollte mir mein Leben entziehen und zusehen, wie mein Blut den Asphalt rot färbte.
Zögerlich sanken die Temperaturen um mich herum. Mein Atem wurde sichtbar. Ich spürte, dass die Kälte nur darauf wartete, dass ich sie zu Eis verfestigte. Aber ich konnte nicht. Wenn ich in das Gesicht des Mutanten blickte, erkannte ich meinen Bruder. Wie sehr verfluchte ich Miss Magpie! Diese Frau hatte mir das Leben geraubt, das ich hätte führen können! Sie hatte mir meine Familie genommen! Und nun benutzte sie meinen Bruder, um mich zu zerstören.
Lucius war der Temperaturunterschied nicht entgangen. »Noch hältst du dich zurück. Wie lange willst du das aufrecht erhalten? Willst du untergehen, ohne dich zuvor gewehrt zu haben? Enttäuschend.« Keinerlei Sorge war ihm anzusehen, selbst wenn ich zu meinem Eis greifen würde. Er war überzeugt, dass ich ihm nicht gefährlich werden konnte.
»Hör auf.« Es kostete mich einige Anstrengungen, meine Stimme fest klingen zu lassen. »Denk nach. Das bist nicht du. Lucius, du bist mein Bruder. So muss das nicht enden. Bitte, denk nach. Du bist noch immer da drin, oder?« Ich hatte keinerlei Hoffnung, dass meine Worte irgendetwas in ihm auslösten. Mein Bruder war verschwunden. Dennoch wusste ich mir in meiner Verzweiflung nicht anders zu helfen. Ich wollte ihm nichts tun. Das würde ich nicht über mich bringen. Damit könnte ich nicht leben.
»Doch, Freya. Es muss so enden.«, entgegnete er und ignorierte meine eigentliche Aussage. Erneut ließ er seine Schattenpeitsche knallen. Erneut platze der Asphalt mit einem lauten Schrei auf.
Wo war Miss Magpie? Wenn ich sie fand und auslöschte, fand das hier vielleicht noch ein gutes Ende. Ich musste es zumindest versuchen. In ihrem Tod lag meine letzte Hoffnung. Unermüdlich hielt ich nach ihr Ausschau. Aber sie war verschwunden. Hatte sich womöglich irgendwo in der Nähe in Sicherheit gebracht und wartete. Wie sollte ich sie finden, wenn ich ständig auf jeden Schatten achten und meinen Bruder im Blick behalten musste?
Hastig eilte ich davon, meine Augen glitten über die Fenster der Häuser, über in den Schatten verborgene Gassen. Doch nirgends fand ich eine Spur von der Ambrosia-Wissenschaftlerin.
Lucius verschmolz mit seinem eigenen Schatten und trat aus meinem wieder heraus. »Du kannst deinem eigenen Schatten nicht entkommen, Freya!«, sagte er. Und ehe ich auch nur erschrocken aufschreien konnte, bohrten sich seine Zähne schmerzhaft in meine Schulter. Mein Schreck wich dem Schock. Das hätte nicht möglich sein sollen. Keine Sekunde hatte ich zugelassen, dass die Härte meine Haut im Stich ließ. Seine Zähne hätten sich nicht in mein Fleisch bohren können sollen. Doch darüber konnte ich nicht mehr nachdenken.
Der Schmerz überlagerte alles andere. Zu meinem Entsetzen musste ich feststellen, dass seine Eckzähne genau wie meine Giftzähne waren. Unglaublich schnell breitete es sich wie Feuer in meinem Körper aus, ließ mich von innen brennen. Meine Lippen formten einen Schrei. Ich konnte mich nicht bewegen. Mein eigener Körper verweigerte mir den Gehorsam. Meine Muskeln waren steif, sodass ich glaubte, sie wären zu Stein erstarrt. So wenig brauchte es also, um meinem Leben ein Ende zu bereiten. Ohne die Fähigkeit haben, mich zu bewegen, würde ich also sterben.
Ich war nicht dazu in der Lage, meine Augen von Lucius zu lösen, der zufrieden und gemächlich um mich herum ging und meinen Blick erwiderte. Seine Schattenpeitsche war verschwunden. Er würde mich mit seinen Kralle ntöten. Noch nie hatte ich mich so elend gefühlt. Noch nie zuvor war ich so kraftlos und leer gewesen. Obwohl ich gerade meinem Tod ins Gesicht blickte, verspürte ich keine Angst. Ich spürte überhaupt nichts. Nur diese entsetzliche Leere, wenn ich Lucius ansah. Seine dunklen Schuppen und seine glühenden Kohleaugen würden das Letzte sein, was ich in meinem Leben sehen würde.
Ich fühlte mich wieder in den Garten versetzt, als unser Haus noch nicht von den Flammen verschlungen worden war. Damals war mein Bruder durch und durch ein Jäger gewesen. Jetzt beendete er, was er damals nicht tun konnte. Doch anstelle eines Messer nutzte er jetzt seine eigenen gebogenen Krallen.
Wenn seine Zähne meine verhärtete Haut durchdringen konnten, konnten das auch seine Krallen? Ungern wollte ich das herausfinden, doch ich konnte nichts tun. War bloß eine Gefangene in meinem eigenen Körper. Zur Beobachterin verdammt.
Meine Augen flehten, während es meine Worte nicht konnten. Bitte, Lucius. Doch unbarmherzig führte dieser seine Krallen zu meiner Kehle, blickte mir dabei unentwegt in die Augen. Dann drückte mir die Spitze der Kralle an seinem Zeigefinger leicht in die Kehle. So leicht, dass noch kein Blut floss. »Körper sind so verletzlich.«, sagte er. »Menschen wie auch Mutanten sind so leicht zu töten. Siehst du, wie wenig es braucht, um dein Leben zu beenden?« Seine Kralle kratzte leicht über meine verhärtete Haut. Ein Tropfen Blut floss. Kalt und rot. Wie gerne hätte ich geweint, doch wie meine Muskeln versteinert waren, schienen meine Tränendrüsen eingefroren.
Das wirst du dir niemals verzeihen, dachte ich. Jedenfalls nicht, wenn in ihm noch ein Funken des alten Lucius vorhanden war. Sollte ich überhaupt hoffen, dass sich noch ein bisschen von dem alten Lucius in ihm befand? Denn dieser würde niemals in seinem Leben wieder glücklich sein. Die Vorwürfe und Schuldgefühle würden ihn zerfressen, bis am Ende nichts mehr von ihm übrig wäre. Das hatte er nicht verdient.
»Stopp!«
Lucius' Kralle verharrte über meiner Kehle. Mein Finger zuckte. Zuckte? Tatsächlich. Es fiel mir schwer, doch mittlerweile konnte ich ihn ein wenig bewegen. Das Gift verursachte also Lähmungen, aber nicht in solch einem Ausmaß, dass es auch mein Herz zum Stillstand zwang oder mir den Atem nahm. Die Lähmungen waren nur von begrenzter Zeit und beeinträchtigten nichts Lebenswichtiges. Eine kleine Erleichterung.
»Zurück von ihr!« Mit erhobener Waffe stand James in einigen Metern Entfernung. Anscheinend war es Jo nicht gelungen, ihn von hier fortzuschaffen. Dennoch war ich in dem Augenblick froh darüber.
»Oder was?«, spottete Lucius, der seinem besten Freund bloß das Gesicht zuwandte.
»Ich will das nicht, Luc. Aber wenn du mir keine andere Wahl lässt, muss ich dich erschießen.« James' Miene war genauso entschlossen wie gequält. Die Jagd auf Mutanten hatte ihn gelehrt, seine eigenen Gefühle in den Hintergrund zu stellen und zu tun, was getan werden musste. Er würde das hier durchziehen. Das verriet mir ein einziger Blick.
Nun kehrte auch das Gefühl in meinen Zehen zurück. Wenn James es schaffte, meinen Bruder lange genug abzulenken, würde er nicht gezwungen sein, ihn zu töten. Legte er es vielleicht gerade darauf an? Schließlich konnte ich mir schlecht vorstellen, dass er sich eine großartige Chance erhoffte, gegen Lucius in seiner Mutantengestalt zu bestehen.
»Du willst mich erschießen?« Auf Lucius' Lippen erschien ein gehässiges Lächeln.
»Ich will es nicht. Aber ich tu es, wenn ich muss.«, erwiderte James ernst.
»Versuch es doch.«, provozierte mein Zwilling, doch James ging darauf nicht ein. Wie ein Fels in der Brandung stand er ihm gegenüber, die Pistole auf meinen Bruder gerichtet. Da war nicht das kleinste Zittern, nicht der kleinste Zweifel. Wenn es notwendig war, konnte James erbarmungslos sein.
»Zurück.«, befahl er.
Doch Lucius bewegte sich um keinen Millimeter. Nach wie vor verharrte seine Kralle drohend an meiner Kehle. Glücklicherweise bekam er nicht mit, wie meine Muskeln sich nach und nach entspannten und wieder ihren Dienst taten.
»Du wagst es, mir zu drohen?« Belustigt und zugleich verärgert lag Lucius' brennender Blick auf seinem besten Freund. »Du glaubst, du hast eine Chance gegen mich?«
Nein, das glaubte James nicht. Er sprach es nicht aus, doch ich war mir sicher, dass er das genauso wusste, wie ich. Dennoch blieb er standhaft. Zeigte keinerlei Angst im Angesicht der Gefahr. Er stellte sich gegen Lucius, weil er musste. Weil es das Richtige war. Nicht, weil er glaubte, gewinnen zu können. Am liebsten hätte der Teil von mir, der sich an die lange vergangene Freundschaft erinnerte, James in seine Arme geschlossen.
»Zurück.«, wiederholte er eisern.
Lucius lachte freudlos auf. »Du wiederholst dich ganz schön oft. Willst du deine Drohung nicht wahr machen?«
Kurz huschte James' Blick zu mir. So kurz, dass ich es mir hätte einbilden können und Lucius es gar nicht mitbekam. »Das muss ich gar nicht.«, sagte er und als hätte ich auf mein Stichwort gewartet, riss mein Kinnhaken Lucius von den Füßen. Augenblicklich wich ich zurück, brachte wieder Abstand zwischen ihn und mich. Dabei achtete ich darauf, nicht zu viele Schatten in meiner Nähe zu haben, wobei ich natürlich auch meinen eigenen Schatten im Auge behalten musste. Doch dem konnte ich nicht davonlaufen. Mir blieb nur, aufmerksam zu bleiben.
Ein tiefes Knurren entkam Lucius' Kehle, als er wieder auf die Beine kam. Bedrohlich legte sich sein glühender Blick auf mich. »Du hast dich also entschieden, dich zu wehren. Gut.«, knurrte er. Schneller als ich schauen konnte, verschlangen die Schatten ihn und spuckten ihn hinter mir aus dem Schatten eines Hauses wieder aus. Mit gefletschten Zähnen warf er sich auf mich. Nur mit Mühe konnte ich ihn abwehren. Seine Stärke war unglaublich. Wäre ich nicht dazu in der Lage, meine Haut zu verhärten, hätte er garantiert schon meine Knochen gebrochen. Doch das bedeutete auch, dass bloß seine Krallen und Zähne meine Haut durchbrechen konnten.
Aber galt das auch andersherum? Ich selbst hatte keine Krallen. Allerdings hatte ich genau wie er Giftzähne. Mein Gift wirkte anders als seines. Es verursachte unglaubliche Schmerzen, Krämpfe und den Tod. Dabei kam es jedoch auf die Dosierung an. Töten wollte ich Lucius nicht. Bloß aufhalten. Aber wofür? Um ihn gefangen zu nehmen, damit er niemanden mehr verletzen konnte? Um dann herauszufinden, ob ich ihn irgendwie zurückholen könnte? Diese Option gab es bei jemanden, der aus jedem Gefängnis fliehen konnte, nicht. So schmerzlich es war, mir blieb keine andere Wahl, als ihn zu töten oder zumindest so schwer zu verletzen, dass er niemandem mehr gefährlich werden könnte. Dennoch würde mir das nicht die Zeit geben, die ich brauchte, um in Erfahrung zu bringen, wie ich meinem Bruder helfen könnte.
Ein Schuss donnerte. Haarscharf verfehlte er meinen Bruder, der zischend auf Abstand ging. Schnell eilte James herbei. Rücken an Rücken stellten wir uns zueinander, unsere Schatten im Auge.
»Du bist lästig.«, stellte Lucius trocken fest.
»Das fällt dir aber früh auf.«, meinte James bloß.
Knurrend griff mein Zwilling erneut an. Gnadenlos ging er auf mich los, schlug mit seinen Krallen nach mir, doch um nach mir zu beißen, war er nicht nah genug. Und ich hatte auch nicht vor, ihn nah genug an mich heran zu lassen. Die eine Lähmung hatte mir gereicht. Ich brauchte keine weitere.
Nun zog James Lucius' Aufmerksamkeit auf sich, indem er immer wieder Schüsse auf ihn abgab. Genervt wandte sich mein Bruder an ihn. Dadurch hatte ich die Chance, mich ihm von hinten zu nähern, ohne dass für mich die Gefahr bestand, dass er mich biss. Entschlossen biss ich zu. Augenblicklich fuhr Lucius herum, packte mich brutal am Hals und schleuderte mich verärgert von sich.
»Hast du wirklich geglaubt, dass das funktioniert?« Meine Zähne hatten seine Haut nicht durchdringen können. Stöhnend richtete ich mich auf und rieb mir den Hals, wobei ich schmerzhaft das Gesicht verzog. Lucius' Krallen hatten blutige Abdrückte hinterlassen. Jede noch so kleine Bewegung tat mir weh. »Ich bin die verbesserte Form von dir. Ich wurde nach deinem dunklen Ebenbild erschaffen. Wo du scheiterst, siege ich. Du hast keine Chance.«
Das mochte zum Teil wahr sein. Er war geschaffen worden, um mich zu töten. Ihm war es möglich, meinem Eis zu entkommen. Meine verhärtete Haut bereitete ihm keinerlei Probleme, während ich an seiner scheiterte. Aber er war nicht unfehlbar. Und ich bezweifelte, dass er wie Kieran unverwundbar war. Wenn meine Zähne bei ihm auf Stein bissen, hatte ich immer noch mein Eis. Das hatte ich noch nicht ausprobiert.
»Weißt du, dass du echt überheblich bist, Luc?«, meinte James, richtete die Pistole auf Lucius' Kopf und drückte ab. Augenblicklich versank mein Bruder im Schatten und entging so knapp der Kugel. Wenn er wirklich unverwundbar wäre, würde er den Kugeln nicht ausweichen müssen. Sie würden einfach an ihm abprallen. Also hatte seine verhärtete Haut Grenzen. Man konnte ihn besiegen.
Erneut stellten James und ich uns Rücken an Rücken. Wir durften nicht riskieren, dass Lucius' Auftauchen uns überraschte. Denn das war das Gefährlichste an ihm.
»Hast du irgendeine Idee?«, fragte er mich, während er Lucius und die Schatten im Auge behielt.
»Ich will ihn nicht töten.«, sagte ich. »Aber mein Eis kann ihn nicht gefangen halten.«
»Ich will das auch nicht. Aber bleibt uns eine andere Wahl?«, merkte er an. Obwohl seine Stimme fest war und keine Gefühle zuließ, bemerkte ich, wie nahe ihm das ging. »Und ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob das immer noch Lucius ist.«
»Ich weiß es auch nicht.«, gab ich leise zu. Aber konnte ich meinen Bruder einfach aufgeben? Damals war Lucius ignorant gewesen, war felsenfest überzeugt gewesen, dass ich nicht ich sei. Den selben Fehler wollte ich jetzt nicht auch begehen. »Die einzige Idee, die ich habe, die nicht damit endet, dass er getötet wird, handelt davon, ihn so schwer zu verletzen, dass er sich nicht mehr bewegen kann.«
James' Gesicht war finster. »Das wäre auch meine einzige Idee.« Sie gefiel ihm offensichtlich nicht. »Aber können wir ihn verletzen?« Achtsam beobachtete er die Schatten, doch mein Bruder war noch nicht wieder aufgetaucht.
»Ich gehe davon aus.«, meinte ich. »Sonst würde er deinen Kugeln nicht ausweichen. Ob mein Eis ihm etwas anhaben kann, weiß ich noch nicht.«
»Dann solltest du das ausprobieren, denn ich habe nicht unendlich viel Munition. Und mein Messer ist ziemlich mickrig.«, erwiderte er.
Auf einmal erhob sich aus James' Schatten eine Gestalt.
»Oh, nein!«, brummte James. »Vergiss es!« Mit seinem Fuß versetzte er meinem Zwilling, dessen Oberkörper aus dem Schatten zu James' Füßen ragte, einen Tritt, sodass dieser in den Schatten zurücksank.
»Hast du Miss Magpie gesehen?«, wollte ich wissen. Womöglich war sie unsere einzige Hoffnung. Oder eher gesagt: Ihr Tod.
»Nein. Seit ich mich von Jo losgerissen habe, habe ich hier niemanden außer euch beiden gesehen.«, antwortete er. »Aber ich bin mir sicher, dass der Hai-Mutant und seine Freundin sich auf die Suche nach ihr gemacht haben.«
»Samuel und Enya?« Ja, das würde nach ihnen klingen. Sie waren beide niemand, der einfach vor der Gefahr davon lief und das Ganze jemand anderem überließ. Ich konnte nur hoffen, dass beide unversehrt waren. Außerdem glaubte ich kaum, dass Jo und Siebenundvierzig untätig bleiben würden. Auch sie hatten bestimmt etwas vor. Wie das mit Kieran aussah, wusste ich nicht. Der musste sich schließlich um Flavio kümmern, auch wenn ich mir wünschte, dass er hier bei mir wäre.
»Wir halten uns ganz gut, findest du nicht?« James versuchte ein Lächeln. Es gelang ihm mehr schlecht als recht. Ihm zuliebe erwiderte ich es.
Doch ehe ich etwas dazu sagen konnte, entstieg auch schon Lucius den Schatten mir gegenüber und riss mit einer einzelnen Handbewegung die Schatten zu seinen Füßen aus dem Boden heraus. Wie ein schwarzes Laken legten sie sich über James und mich, raubten uns die Sicht. Um nicht von mir getrennt zu werden, ergriff er meine Hand und ignorierte die Kälte.
»Ich sehe nichts.«, flüsterte er. Ich sah auch nichts. Aber im Gegensatz zu ihm brauchte ich das auch gar nicht zwingend. Ich spürte meinen Bruder, bevor er seine Krallen in mein Fleisch rammen konnte. Gerade rechtzeitig wich ich zurück und zog James mit mir. Wortlos folgte er meiner Intuition.
Es reichte. Ich brauchte mein Eis. Es ging nicht anders. So sehr ich es auch wollte: Darum kam ich nicht herum. Und somit schoss ich Eis in den von Schatten verdunkelten Himmel. Messerscharf zerriss es die Schattendecke und Sonnenlicht ergoss sich über uns. Doch das hatte Lucius erwartet. Ehe ich reagieren konnte, knallte eine Schattenpeitsche auf meinen Rücken und meine Haut platzte auf. Ein Schmerzensschrei blieb in meiner Kehle stecken und so blieb es mir nur, vor Qual die Augen aufzureißen und auf die Knie zu sinken. Kalt ergoss sich mein Blut über meinen Rücken, durchtränkte meine Kleidung, sodass sie mir nass an der Haut klebte.
»Freya!«, rief James entsetzt, doch sein eigener Schatten wandte sich gegen ihn, packte ihn und hielt ihn an Ort und Stelle. Mit aller Kraft kämpfte er dagegen an, wollte zu mir kommen, doch es gelang ihm nicht. Er war machtlos.
Ein einziges Wimmern kam über meine Lippen. Der Schmerz raubte mir die Sicht, hielt mich am Boden. Jede noch so kleine Bewegung brannte wie Feuer. Mein Rücken fühlte sich an, als wäre eine Bombe eingeschlagen. Blind blinzelte ich die Tränen fort. Ich durfte nicht aufgeben. Das hier war nicht das Ende. Ich kannte die Richtung, aus der ich James' Stimme gehört hatte. Ich wusste, wo er vorhin noch gestanden hatte. Kraftlos und gequält zog ich mich voran, wobei jede noch so kleine Erschütterung mich schmerzerfüllt wimmern ließ. Mein Rücken schien in Flammen zu stehen. Jede Bewegung, jedes Zucken meiner Muskeln fühlte sich wie tausende Messerstiche an.
»Oh, nein. Du bleibst hier.« Lucius' Stimme war näher, als mir lieb war. Sogleich umschlangen seine Finger auch schon meinen Hals und grob wurde ich hochgerissen. Ich keuchte auf.
»Nicht!« Das kam von James. Doch ich hörte ihn kaum. Meine Sicht klärte sich langsam. Augen wie glühende Kohlen waren das Erste, das ich sah. Und womöglich würde es auch das Letzte sein.
Ich konnte solch mächtige Fähigkeiten mein Eigen nennen. Mein Eis hatte Ambrosia vernichtet. Und doch war ich so machtlos. Hier stand ich nun. Im Angesicht des Todes und konnte dem rein gar nichts entgegensetzen. Weil mein Eis damals die einzige Person übersehen hatte, die es um jeden Preis hätte töten sollen. Wäre ich doch damals nur gründlicher gewesen. Dann müssten Lucius und ich heute nicht so leiden. Es war meine Schuld, dass Miss Magpie ihn für ihre kranken Experimente missbraucht hatte.
»Irgendwelche letzten Worte?« Schmerzhaft bohrten sich die Krallen meines Bruders in meinen Hals. Mein Rücken war eine einzige Qual. Verzweifelt umklammerten meine Finger sein Handgelenk, versuchten, seine Hand wegzudrücken. Erfolglos.
Mein Eis. Nur mein Eis konnte mir helfen. Aber war es das wert? Ich wusste, dass ich meinen eigenen Zwillingsbruder nicht würde töten können. Ich würde es nicht über mich bringen. Doch wie sollte ich ihn sonst aufhalten? Ich hatte ihm ansonsten rein gar nichts entgegenzusetzen. Der heutige Tag würde mit einem Tod enden. Seinem oder meinem. Ich sah keinen anderen Weg. Würde ich mein Eis benutzen, um mich zu befreien, würde ich die Zeit bloß herauszögern. Aber das Ende wäre dasselbe. Ich konnte es nicht. Und so ließ ich los.
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