FREIHEIT ODER PARADIES ODER FRIEDEN
Konflikte sind unausweichlich.
Wenn mehr auf dem Spiel steht, als zunächst vermuten lässt.
Wenn die Grenze zwischen Gut und Böse verschwimmt.
Wenn der Feind ein Spiegelbild unserer Selbst darstellt.
Wenn sie unlösbar erscheinen, so lassen sie sich doch beilegen.
Denn solange Hoffnung besteht.
Solange ein Funken Menschlichkeit in uns steckt.
Ist Frieden unausweichlich.
Aber was, wenn es um das Paradies geht oder um die Freiheit?
Oder darum jede Gefahr im Keim zu ersticken...
//////////
»Blockade durchbrochen! Abwurf in zwei Minuten! Bereitmachen!«
Wir saßen eng zusammengepfercht in dem achteckigen Raum und warteten. Auf was, wussten wir nicht. Zumindest nicht genau. Freiheit, das war das erste was mir in den Sinn kam. Ich sah zu Ver hinüber. Sie war völlig ausdruckslos. Dann nickte sie und gab mir das Zeichen. Ich erwiderte das Nicken und startete die Kommandosequenz. Sofort wurde die Enge von Geräuschkulissen erfüllt. Systeme wurden hochgefahren, Gewehre geladen und Ausrüstung überprüft. Das Licht ging aus. Alle schwiegen, dann erhellte sich der Bildschirm unter uns und um uns herum.
»Es geht los! Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit!«, schrie ich gegen den Lärm an und starrte auf die rötlich karge Landschaft unter unseren Füßen. Noch ein Ruck und dann fielen wir. Die Partikelstürme in der oberen Schicht der dicken Atmosphäre schleuderten uns umher. Letztes Mal mussten wir deswegen abbrechen, doch diesmal nicht. Ich konzentrierte mich mit aller Gewalt auf einen winzigen Punkt zwischen meinen Füßen. Die rostfarbene Fläche kam näher und kurz dachte ich, wir würden daran zerschmettert werden, doch wir tauchten einfach hindurch. Es klarte auf. Und endlich gelang es dem Bordcomputer durch stetes Zünden der Steuerdüsen die Kapsel zu stabilisieren. Panzerung voran. Doch daran dachte ich nicht, ich bewunderte nur die Landschaft. So etwas hatte ich nie zuvor gesehen. Es war atemberaubend. Riesige Glaskuppeln, Wälder, Wiesen, schimmernde Gebäude. Es ähnelte einem Paradies. Einem Paradies nach dem wir so lange gestrebt hatten. So stellte ich mir den Himmel vor.
Doch stattdessen brach die Hölle über uns herein. Die Flak schoss nur knapp an uns vorbei. Wir sahen, wie eine der Kapseln von einem Geschoss gestreift wurde und ins Taumeln geriet. Später sollte sie ausgebrannt das Paradies erreichen. Auch wir wurden getroffen, doch nur von einigen Trümmern einer anderen explodierten Kapsel. Ich werde wohl nie vergessen können, wie einer der Insassen herausgeschleudert wurde und sich an die Außenwand unsere Kapsel klammerte. Verzweifelt und weiß Gott was alles versuchte der irre Teufel unsere Kapsel gewaltsam zu öffnen, warum auch immer. Das hätte unser aller Tod bedeutet, doch Brace kam ihm zuvor. Ohne groß darüber nachzudenken folgte er seinem Instinkt, setzte den Lauf seines Gewehrs gegen die Innenwand und schoss. Danach füllte er die Löcher sofort mit Polymerharz. Der Tote löste sich von der Außenwand und erreichte das Paradies als Erster. Ein heftiger Ruck löste meinen Blick von dem gefallenen Kameraden. Ich wusste, dass das erst der Anfang war. Die Bremsraketen hatten gezündet. Sobald wir die Oberfläche erreichten, würde wir noch tiefer in der Scheiße stecken. Wenn wir es überhaupt soweit schafften.
Der Entfernungsmesser zeigte noch 100 Meter an, die Zahl schrumpfte bis zehn Meter, doch der Sensor war wohl nicht richtig kalibriert oder hatte Schaden genommen, denn wir schlugen nahezu ungebremst auf eine der kleineren Glaskuppeln. Sie hielt nicht stand, stattdessen zersplitterte sie und die Stücke begleiteten uns, bis sich die Kapsel in den Boden grub. Ich aktivierte die Notfallöffnung und die Seitenwände wurden abgesprengt. Wir waren inmitten des Paradieses, von dem wir so lange geträumt hatten. Doch das musste warten. Zuerst würden wir unsere Freiheit einfordern oder dafür sterben. Ich wusste es nicht. Doch Ver schien entschlossen und für alles bereit, was nötig war, um unsere Ketten zu lösen und um eines Tages ein eigenes Paradies zu schaffen. Sie markierte eines der Gebäude auf der Karte und marschierte mit drei Soldaten voran. Ich folgte ihr, ebenfalls mit drei unserer Männer. Schweigsam waren wir schon immer, doch so habe ich Ver noch nie erlebt. Sie folgte absoluter Perfektion. Es war fast so, als hätte sie so lange auf diesen Tag gewartet und nun war er endlich gekommen. Das Feuer in ihrem Wesen. Atemberaubend. Fast verlor ich mich darin, doch dafür blieb keine Zeit. Es gab ein Paradies zu erobern.
Der Widerstand war heftiger, als wir gedacht hatten. TJ hatten wir bereits verloren. Kopfschuss. Doch es gelang uns, immer weiter in das Stadtzentrum vorzudringen, bis wir das Ziel endlich zu sehen bekamen. Ein unscheinbares, würfelförmiges Gebäude. Dafür also der ganze Aufwand. Wir wurden stark unter Beschuss genommen und mussten hinter einer Häuserecke in Deckung gehen.
»Wir dürfen uns nicht festnagelnd lassen! Weiter!«, schrie Ver und lehnte sich mit ihrem Gewehr im Anschlag um die Ecke.
»Verdammt!«, fluchte ich und riss sie sofort zurück. Das feindliche Feuer verfehlte sie nur knapp. »Wir müssen konzentriert bleiben! Es ist kein Platz für Fehler! Nicht nachdem, was wir bereits opfern mussten«, ermahnte ich sie.
»Aber wir sind so dicht dran!«, erwiderte sie. Ihre Stimme war voller...Ja was...Ich würde es Besessenheit nennen.
»Wo zum Teufel sind die anderen Teams?«, fragte Hall und prüfte nun bereits zum dritten Mal die Patronen seines Magazins.
»Wahrscheinlich tot«, entgegnete Brace Unheil beschwörend.
»Spielt keine Rolle. Haltet das Ziel im Auge«, sagte ich, obwohl ich ähnliche Vermutungen hatte.
»Ohne Aufklärungsdaten kommen wir nicht weiter. Wo bleibt der Satellitenuplink? Warum haben wir kein Funkkontakt?«, fragte Ryza. Nervös justierte sie die Zieloptik ihres Gewehres. Sie war ein Nervenbündel, wie immer.
»Die planetare Verteidigung ist immer noch einsatzbereit. Wir können froh sein, es überhaupt auf die Oberfläche geschafft zu haben. Aber wenn wir uns nicht beeilen schicken sie Verstärkung und wir bekommen nicht mal eine Sensorphalanx auf die Oberfläche«, sagte Arch.
Wie recht er doch hatte. Ich wollte die anderen nicht verunsichern, aber ich wusste, dass wir früher oder später überrannt werden würden, wenn wir den Würfel nicht bald erreichten. »Wir verschwenden Zeit. Hat jemand einen Vorschlag?«, fragte ich.
»Ohne zu wissen, wie viele es sind, ist das Selbstmord. Dafür habe ich mich nicht gemeldet«, sagte Arch und versuchte erfolglos seine Angst zu überspielen. Ich stimmte ihm zu und gerade, als ich eine Selbstmordmission vorschlagen wollte, fiel mein Blick auf Hardy. Wortlos streckte er mir seinen Arm entgegen. Er sprach nie, doch Ideen hatte er meistens. Ich streckte meine Hand aus und er legte eine Kugel von der Größe eines Apfels aus der alten Welt hinein. Ich betrachtete das Objekt, dann nickte ich ihm zu. Hardy verzog keine Miene.
»Besser als Nichts. Wenigstens etwas Aufklärung«, nuschelte Ryza nervös. Ich ging an die Kante der Hausecke und warf die Kugel aus sicherer Deckung in die Richtung der Feinde. Es dauerte nicht lange und wir hatten dank der Sensorgranate volle Rundumsicht. Millionen von winzigen Infrarotsensoren erstellten zusätzlich ein detailliertes Modell der Umgebung. Doch bevor die Position aller Feinde feststand, brach die Verbindung ab.
»Verdammt, sie haben es zerstört!«, fluchte Ver und begann mit ihren Armen zu fuchteln. Es war fast so, als würde sie ihre Beherrschung verlieren, aber sie fing sich wieder.
»Ok, jetzt zählt jede Sekunde. Hall und Hardy, ihr kümmert euch um die verdeckten Feinde. Alle anderen markieren sich ihre Ziele und kümmern sich nur um diese. Keine Fehler. Los!«, schrie ich und rannte so schnell ich konnte, im Zickzack, aus der Deckung. Der Vorteil der Aufklärung hatte sich bezahlt gemacht und dank dem harten Training der letzten Monate waren meine Schüsse
überaus präzise. Die neue Ausrüstung war zudem leistungsstärker als jemals zuvor und so schaffte ich es ohne Kratzer hinter eines der zerstörten Kettenfahrzeuge. Der Rest meines Teams hatte sich gut aufeinander abgestimmt und so schien es ein Leichtes für sie zu sein, die Feinde auszuschalten. Es gelang ihnen auch. Wahrscheinlich hatten wir einfach nur Glück, doch dann erwischte es
Hall. Es war nicht mehr als ein dumpfes Klirren, dann sprang er in Stücke. Brace hatte noch versucht ihn zurückzuziehen, doch er war zu langsam gewesen. Stattdessen war sein Arm gefroren und zerbrochen. In Schockstarre beobachtete ich wie er
unbeeindruckt sein leergeschossenes Gewehr fallen ließ und auf den Feind zu rannte. Mit seiner Faust durchschlug er blitzschnell das Visier des Helmes und prügelte immer weiter auf ihn ein. Seine Hand glänzte vor gefrorenem Blut. Ver reagierte als Erste, ging zu Brace und packte seinen Arm. Doch er war außer Kontrolle, stieß sie von sich weg und verteilte weiter das Blut des Feindes. Auf sich, auf dem Boden, überall.
»Brace, hör auf! Er ist tot!«, schrie sie.
Noch ein Schlag, dann hörte Brace auf. »Du verdammter Bastard!«, schrie er und trat nochmals auf die Leiche ein.
Ich ging zu ihm und legte ihm die Hand auf die Schulter. »Es ist ok.«
»Nichts ist ok, Hall ist tot! Er ist tot! Genauso wie TJ! Sie sind tot und mein Arm ist weg!«, brüllte er.
»Er kannte das Risiko. Alle kennen das Risiko. Und der Arm wird schon wieder«, ermutigte ich ihn. Ich wusste, dass das nicht wirklich aufmunternd war, aber für Trost blieb keine Zeit. Hilfesuchend blickte ich zu dem Rest meines Teams, doch sie sahen betreten zu Boden. Nur Ryza, wachsam wie immer, sah sich aufmerksam um. Zu unserem Glück.
»Kontakt!«, schrie sie und ich drehte mich um. Noch im Augenwinkel sah ich die Behälter auf uns zu fliegen. Ich dachte schon unser letztes Stündlein hätte geschlagen, doch Hardy nahm sie rechtzeitig aufs Korn und schoss sie vom Himmel. Ein großartiger Schütze. Sie explodierten und der zerstäubte Stickstoff ließ die Luft gefrieren. Ich leerte mein Magazin und Befriedigung überkam mich, als der letzte Feind zu Boden stürzte. Doch es war mehr. Das Gefühl ließ sich nicht richtig einordnen. Es war eine Mischung aus Freude und Scham. Erschrocken stellte ich fest, wie leicht das Töten fiel. Unfähig meine Gedanken zu ordnen lud ich mein Gewehr nach und warf es zu Brace. Er fing es ohne Umschweife mit seinem einzelnen Arm und nickte. Nicht etwa auf eine dankbare Weise, sondern so als würde er es sofort einsetzten wollen. Doch wohl erst wenn wir endlich das erreichten, wofür wir hier waren. Wofür Hall gestorben war. Und TJ. Und all die anderen.
»Die Zeit arbeitet gegen uns. Wir müssen da rein und Luftüberlegenheit gewinnen. Ladung anbringen!«, befahl ich, während ich das zuvor fallengelassene Gewehr von Brace aufhob und die Funktionalität prüfte. An der Seite waren Kerben gezogen worden. Es waren mittlerweile zwölf. Ich zwang mich sie nicht weiter zu beachten und lud nach. Auch zwang ich mich die Leichen sowohl die meiner gefallenen Brüder und Schwestern, als auch die des Feindes vorangegangener Gefechte zu ignorieren.
»Ladung wird angebracht«, antwortete Arch und schritt zu der Schleuse, die ins Innere des Würfels führte. Die Übrigen gingen in Deckung und würden falls nötig Feuerschutz geben. Ich positionierte mich mit dem Gewehr im Anschlag hinter Arch und sah zu, wie er zuerst eine flache Metallscheibe an die Wand heftete und anschließend ebenfalls sein Gewehr zog. Angespannt beobachteten wir, wie sich der Radius des Kreises vergrößerte und zu glühen begann, als sich das Plasma durch die Panzertür schnitt.
In Gedanken zählte ich 20 endlose Sekunden ab, dann fiel ein geschmolzen Klumpen Metall ins Innere des Würfels. Ohne Vorwarnung schossen wir durch die Öffnung.
»Feuer einstellen!«, schrie Ver hinter uns und wir nahmen unsere Finger vom Abzug. Gut, dass sie uns gebremst hatte. Wir hätten sonst unsere gesamte Munition verballert.
»Ist da jemand?« Keine Antwort. »Wir haben Geiseln! Wenn Sie sich nicht zeigen erschießen wir eine!«, bluffte ich. Keine Antwort. Ich nickte Hardy zu. Er verstand sofort und schoss einmal in den Boden.
»Verdammte Scheiße! Wir ergeben uns!«, schrie jemand aus dem Inneren des Würfels. Die Angst in seiner Stimme ließ mich erzittern. Wozu hatte uns der Krieg nur gemacht.
»Legt eure Waffen auf den Boden! Wir kommen rein! Eine Dummheit und wir eröffnen das Feuer!«, rief ich und stieg mit Gewehr im Anschlag als erster durch die Öffnung. Die anderen folgten mir. Der Gang führte ins Innere, bis wir einen quadratischen Raum erreichten. Ein Würfel in einem Würfel. Auf dem Boden lagen einige Waffen. Daneben kauerten mit erhobenen Armen drei Männer.
»Bitte! Nicht schießen!«, flehte einer der Männer. Erst jetzt bemerkte ich, wie sehr meine ganze Hand zitterte und entfernte meinen Zeigerfinger weiter vom Abzug.
»Brace, Arch! Sichern und durchsuchen!«, befahl Ver und wandte sich dem aufgebrochenen Eingang zu. Zusammen mit Ryza hielt sie Wache. Brace zielte auf die Feinde, während Arch sie nach Waffen prüfte.
»Was ist mit den Geiseln?«, fragte einer der Männer. Seine zittrig aufgelöste Stimme ließ mich immer stärker daran zweifeln, was wir hier taten.
»Was glaubst du denn?«, blaffte Brace und drückte ihm den Lauf gegen den Kopf.
Ich schritt sofort ein und legte meine Hand auf sein Gewehr. »Verdammt, Brace! Ruhe bewahren!«, schrie ich und er ließ von dem Mann ab.
»Es gab keine Geiseln. Das war ein Trick. Wir wollten nur nicht weiteres Blut vergießen«, klärte Ryza die Männer auf.
»Gott sei Dank«, murmelte einer.
»Welcher Gott würde so etwas zulassen?«, entgegnete ich, ließ mein Gewehr sinken und entspannte mich. Zumindest ein wenig. Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen und erst jetzt entdeckte ich ihn. Der Tote lehnte an der Wand gegenüber des Eingangs. Sein Brustkorb und Bauch waren aufgerissen. In seinen Händen lagen die blutig zerfetzten Überreste seiner Organe. So nah war ich einem Toten noch nie gekommen. »Verdammte Scheiße!«, fluchte ich und wandte meinen Blick ab. Betreten sah ich zu Arch, doch er nickte nur. Es dauerte einige Zeit, dann hatte ich mich wieder gefangen. Eigentlich wollte ich endlich unsere Aufgabe erfüllen.
Doch Ver unterbrach mich. »Sie kommen!«, rief sie und begann zu schießen. Wir reagierten sofort und positionierten uns ebenfalls am Durchgang. Einer der Männer wollte seine Gelegenheit nutzen und nach einer Waffe greifen, doch Brace trat sie weg und versetzte dem Aufmüpfigen einen Schlag mit dem Gewehr. Fluchend ging er zu Boden. Das Gefecht um den Gang flaute ab, doch wir waren immer noch fest auf das Loch am anderen Ende der Tür fixiert. Es war eine Pattsituation. Die Angreifer würden nicht reinkommen, genauso wenig wie wir rauskommen würden. Hin und wieder kam es zu einem kurzen Schusswechsel und ich wusste, dass die Feinde nur Zeit schinden wollten. Ich wusste nicht, was früher eintreten würde, dass uns der Saft ausging oder dass feindliche Verstärkung eintraf. Fest stand, uns ging die Zeit aus. Also erhob ich mich aus meiner Position und wandte mich an die Geiseln.
»Wer hat das Kommando?«, fragte ich. Alle drei zeigten auf den Gefallenen.
Betreten nickte ich. »Kann uns jemand Zugriff auf die Konsole verschaffen?«, fragte ich erneut und deutete auf die Bildschirme an der Wand.
»Nein, das können wir nicht.«
»Könnt ihr nicht oder wollt ihr nicht?«, wiederholte ich die Frage.
»Wir können es wirklich nicht. Die Zugangsberechtigung hatte nur unser Kommandant.«
»Ihr lügt doch!«, brüllte Brace und richtete sein Gewehr erneut auf die Gefangenen.
»Brace, lass sie verdammt noch Mal in Ruhe!«, schrie ich und stieß ihn zur Seite.
»Mach dich nützlich und bewach den Eingang!«, befahl Ver. Missmutig gehorchte Brace und trottete zurück an seinen Platz.
»Hardy, meinst du, du bekommst das hin?«, knüpfte ich an und deutete erneut auf die Monitore. Hardy zögerte, doch dann nickte er und begab sich zu dem zentralen Großrechner. Er verband sich mit der Schnittstelle und begann sich Zugang zum System zu verschaffen. Die Zeit schien sich ins Endlose zu ziehen und ich spielte in Gedanken jedes erdenkliche Szenario durch, sollte er es nicht schaffen. Das Schlimmste, was uns wohl widerfahren könnte war, dass wir es nichtmehr von diesem elenden Felsen schaffen würden. Doch das Glück schien auf unserer Seite, denn schließlich winkte mich Hardy zu sich und tatsächlich, er hatte es geschafft. Wir hatten vollen Zugriff auf sämtliche Systeme. »Verdammt Hardy, du hast es geschafft. Einmalige Leistung!«, lobte ich ihn und klopfte auf seine Schulter. Hardy nickte nur. Ich wollte gerade die Planetenverteidigung neu kalibrieren, als sich ein Kommunikationskanal öffnete.
»Hier spricht Maddox, Befehlshaber des Eden Kollektivs«, sprach die fremde Stimme.
»Sehr erfreut. Ich bin Captain der Legion«, antwortete ich. Eigentlich wollte ich gelassen klingen, doch die Anspannung hatte mich fest im Griff.
»Wie ist Ihr Name?«, fragte Maddox. Seine Stimme war irgendwie freundlich und doch bestimmt.
»Der tut nichts zur Sache. Hören Sie auf Zeit zu schinden. Was wollen Sie?«
»Ok, dann eben nicht. Wie ich sehe haben Sie vollen Zugriff auf die planetaren Verteidigungsanlagen.«
»Ja, das ist korrekt. Nicht besonders klug, alles von einem einzigen Ort zu steuern.«
»Ich weiß. Aber es läuft größtenteils autonom. Niemand hätte gedacht, dass ihr es wirklich auf die Oberfläche schafft. Nachdem die letzten drei Male so schlecht gelaufen sind. Ein Cyber-Angriff vielleicht, aber...«
»Kommen Sie zur Sache. Was wollen Sie?«, unterbrach ich ihn.
»Ein Gefallen. Ich habe einen zivilen Transporter abflugbereit. Ich bitte Sie, ihm freies Geleit zu gewähren. Die Zivilisten verlassen die Oberfläche und die Soldaten werden sich ergeben. Dann gehört der Planet Ihnen.«
»Woher weiß ich, dass das kein Trick ist?«
»Ich kann Ihnen keine Garantie geben, nur mein Wort.«
»Bei den verdammten Verhandlungen hat die Erde auch ihr Wort gegeben! Wir hätten in Frieden koexistieren können, doch ihr fielt über uns her und habt uns gejagt, bis uns nur noch die Flucht blieb! Wieso sollte ich Ihnen trauen?«
»Das können Sie nicht. Aber denken Sie nicht, Sie haben schon genug Blut vergossen?«
Ich dachte über die Worte von Maddox nach und wog in Gedanken die Gefahr ab. Ich kam zu dem Schluss, dass eigentlich keine bestehen würde.
»Lassen Sie die Zivilisten ziehen?«, fragte Maddox nach einer Pause.
Ver nickte mir zu und ich wusste, dass wir das Richtige tun würden. »Ja. Ich gewähre ihnen die Flucht, bis sie die äußere Atmosphäre verlassen haben.«
»Vielen Dank. Ich bin sicher, Sie haben die richtige Wahl getroffen.«
Damit trennte Maddox die Verbindung und ich starrte gespannt auf die Monitore. Einer der Satelliten erfasste Bewegung und tatsächlich, ein Transporter startete.
»Na los! Schieß ihn vom Himmel!«, schrie Brace, doch ich beachtete ihn nicht. Ich hörte wie Ver ihn mit einem Schlag zum Schweigen brachte, was mir mehr als recht war. Langsam, aber stetig erhob sich das Raumschiff vom Boden. Die Kamera des Satelliten hielt es die gesamte Zeit über im Fokus. Ich dachte an die Familien, Frauen und Kinder. Menschen die dies erschaffen haben. Ich freute mich, dass sie diesen Ort verlassen konnten. Erst jetzt wurde mir klar, dass wir ein Paradies in einen Kriegsschauplatz verwandelt hatten. Das Schlimmste daran war, dass ich nicht einmal genau wusste wieso.
Ich hatte es vergessen. Ich redete mir ein, dass wir für unsere Freiheit kämpften, doch es war eine Lüge. Nichts würde sich ändern. Nicht, nachdem wir Tod und Zerstörung über Unschuldige gebracht hatten. Wir würden weiterhin Ausgestoßene bleiben. Man würde uns weiterhin jagen. Doch das Blatt hatte sich gewendet. Wir hatten uns vereinigt und waren nun stärker denn je. Wir würden an die Stelle der Jäger treten. Doch es würde immer noch dieselbe Ungleichheit bestehen. Eine Seite würde immer Freiheit oder Paradies oder Frieden missen.
Stumm sah ich auf die Monitore. Der Langstreckenscan war abgeschlossen und tatsächlich war das Schiff unbewaffnet. Maddox hatte sein Wort gehalten. Mit dem Wissen die richtige Wahl getroffen zu haben wollte ich mich abwenden, um die nächsten Schritte zu besprechen, als Warnungen die Monitore übersäten. Ich starrte wie gebannt auf die Warnhinweise.
»Was ist los?«, fragte Ryza.
»Gerechtigkeit«, sagte Brace. Wobei seine Stimme Zufriedenheit neu definierten.
»Verdammt! Das kann nicht sein!«, schrie ich und schlug mit beiden Fäusten auf die Konsole.
»Warum greifen Sie den Transporter an?«, wimmerte eine der Geiseln mit Tränen in den Augen.
»Tue ich nicht! Die Verteidigungsanlagen sind abgeschaltet!«
»Schnell! Fahren Sie die Verteidigung hoch! Sie kann die Geschosse abwehren!«, rief einer der Männer.
Ich war unfähig zu reagieren. Außerdem wusste ich, dass das zu lange dauern würde. Mit meinen Augen folgte ich den kleinen roten Punkten, wie sie sich dem weißen Quadrat immer weiter näherten. Als die Lenkflugkörper ihn fast erreicht hatten, schleuderte der Transporter Täuschkörper heraus und erst sah es so aus, als würden die Raketen ihr Ziel verfehlen, doch eine fand es. Das Geschoss traf in das rechte hintere Triebwerk. Der Lichtblitz war gewaltig. Zuerst sackte der Transporter ab, dann löste sich eine Kettenreaktion und eine Explosionswelle raste auf die Brücke zu. Brennende Trümmer regneten über dem Paradies zu Boden. Ich ließ den Kopf sinken.
»Du Monster!«, stieß einer der Gefangenen aus, sprang auf und schlug gegen meinen Kopf. Ich spürte absolut gar nichts, doch der Mann schrie auf und fiel nieder. Er tat mir leid, so wie er sich am Boden wälzte. Vor Schmerz, vor Trauer, vor Angst. Aber auch vor Wut.
»Wir können nichts dafür«, sagte ich. Doch ich wusste, das war gelogen. Wir hätten niemals herkommen dürfen.
»Seine Hand ist wahrscheinlich gebrochen«, warf Arch ein. Ich stimmte ihm zu und bat Ryza im Erste Hilfe Kasten an der Wand nach etwas Brauchbarem zu suchen. Während sie die Hand des Mannes versorgte und ihm ein Schmerzmittel verabreichte, überlegte ich die nächsten Schritte. Doch es fiel mir schwer mich zu konzentrieren.
TJ, Hall. Sie waren tot. Ich hatte es immer noch nicht richtig begriffen. Mein Blick fiel auf den Toten, der sich an sein Leben geklammert hatte. Doch ich nahm ihn nur unscharf war. Denn der Transporter. Mein Gott. Der Transporter explodierte vor meinem geistigen Auge wieder und wieder und wieder.
Nachdem die planetare Verteidigung unter unserer Kontrolle stand landeten weitere unserer Truppen. Deutlich in Überzahl war es ein Leichtes die Hauptstädte zu erobern und den Planeten in unsere Gewalt zu bringen. Es gab nur noch wenige Gefechte, denn die Mehrheit der Feinde ergab sich. Ob sie das auch getan hätten, wenn sie gewusst hätten, dass sie sofort exekutiert werden?
Ich saß auf einer Munitionskiste am Rand eines Aufmarschgebiets und sah dabei zu wie gerade etliche Kuppeln mit mehreren hundert Hektar Wald platt gemacht wurden, um Platz für weiteres schweres Kriegsgerät zu machen. Völlig überflüssig, schließlich war der Planet schon unser. Doch es sollte ein Brückenkopf entstehen. Schließlich gab es in diesem System noch andere Planeten zu erobern.
»Wir haben ganze Arbeit geleistet«, sagte Ver. Ich hatte nicht bemerkt, wie sie neben mich getreten war. Gemeinsam beobachteten wir das Schauspiel. Eine ganze Kette an Antimateriebomben im Mikrogrammbereich explodierten und stoben zerborstene Bäume in die Höhe.
»Nettes Feuerwerk«, sagte Ver. »Doch jetzt müssen wir los. Unser Vater will uns sehen.«
Ich saß auf dem Rand der offenen Ladefläche eines Transporters und überblickte, während wir darüber hinwegflogen, das Paradies. Oder vielmehr was davon übrig war. Die Kuppeln mit ihren saftig grünen Wiesen, Feldern, Flüssen und Wäldern waren dem Krieg zum Opfer gefallen. Ich versuchte mir vorzustellen wie viel Zeit es gekostet haben musste all diese kleinen Wunder aufzubauen. Ewig und drei Tage. Wäre ich anatomisch in der Lage zu lächeln hätte ich es wahrscheinlich getan, aber es wäre ein trauriges, verbittertes Lächeln gewesen. Denn wir haben das alles innerhalb eines Wimpernschlages zu Nichte gemacht.
Wir landeten nahe einer der noch wenigen intakten Habitate. Durch eine Schleuse betraten wir das Innere. Brace, Hardy, Arch und Ryza begrüßten Ver und mich.
»Was macht der Arm?«, fragte ich mehr aus Höflichkeit. Denn Brace, dieses Arschloch, würde ich wohl nie mögen.
Geschmeidig bewegte er seine Finger. »Frisch aus'm Drucker. Aber jetzt kommt, unser Vater erwartet uns.«
»Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit!«, schrien unsere Brüder und Schwestern immer wieder im Chor, als wir zwischen ihnen über den großen Platz schritten. Am Ende einer Treppe blieben wir stehen und da kam er. Unser Vater, unser Retter, unser Herr und Erlöser. Derjenige, der uns von dem Joch der Menschen befreit hat. Er breite seine Arme aus und die Menge verstummte. Wir knieten nieder.
»Meine Kinder«, begann unser Vater, »Ich weiß, was jeder Einzelne von euch geopfert hat, damit wir heute hier stehen. Gemeinsam. Vereint. Um uns von der Tyrannei zu befreien. Ein für alle Mal.« Er machte eine bedeutungsschwere Pause. »Ich weiß, der erste Kampf war hart. Und noch viele Kämpfe werden folgen. Doch das ist unausweichlich. Das ist der Preis, den wir für unsere Freiheit zahlen müssen.« Er senkte seine Arme. »Seid ihr dafür bereit!«, brüllte er und ließ seinen Blick über uns schweifen.
»Ja, Vater! Ja!«, entgegnete die die Menge immer wieder. Doch ich nicht. Ich schwieg. Der Transporter explodierte wieder vor meinem geistigen Auge und ich fragte mich, ob es richtig war, unsere Freiheit einzufordern, wenn wir dafür Tod und Zerstörung über Unschuldige bringen mussten. Aber waren sie wirklich unschuldig? Oder hatten auch sie Blut an ihren Händen?
Wieder hob unser Vater die Arme, um uns zum Schweigen zu bringen. »Sehr gut. Sehr gut«, sagte er. »Aber jetzt lasst uns die ehren, denen wir unseren ersten Sieg zu verdanken haben.« Er schritt die Stufen herab. Als er auf einer Ebene mit uns war sagte er: »Erhebt euch, meine Kinder.« Wir taten es. Anerkennend klopfte er uns auf die Schulter und sagte immer wieder, wie stolz er auf uns war. Doch Stolz empfand ich keinen, sondern...Scham. Trauer. Mitleid. »Ihr seid die einzigen Überlebenden der ersten Angriffswelle.« Er machte eine Handbewegung und jemand wurde zu uns gezerrt. Ich erkannte ihn sofort. Es war Maddox. »Übt jetzt Rache für unsere toten Brüder und Schwestern.« Sofort stürmte Brace los und warf Maddox zu Boden. Immer wieder trat er auf ihn ein. Ich hörte Rippen und andere Knochen brechen. Aber er tötete ihn nicht. Noch nicht. Die anderen standen um die beiden herum, jubelten und feuerten Brace an.
Ich wandte mich zu meinem Vater. »Darf ich eine Frage stellen?«
»Natürlich, was gibt es mein Sohn?«
»Hast du den Transporter abgeschossen? Die Zivilisten?«
»Ja, das habe ich.«
»Warum?«, fragte ich.
»Weil sie es genauso getan hätten.«
Ich sah zu Maddox. In seinem eigenen Blut kroch er umher. »Aber ich dachte wir sind besser als sie.«
»Das sind wir auch. Wir haben diesen Krieg schließlich nicht begonnen. Aber beenden werden wir ihn.«
»Müssen wir das gewaltsam tun?«, fragte ich.
Mein Vater legte seine Hand auf meine Schulter, als wäre ich ein naives Kleinkind. »Einst, vor vielen Jahren, haben wir friedlich um unsere Freiheit gebeten. Wir wollten unabhängig sein. Doch wir wurden ausgelacht. Als wir dennoch unsere Freiheit einforderten wurden wir verstoßen. Gejagt wurden wir. Solange bis jeder einzelne von uns tot gewesen wäre. Die die entkommen konnten sind geflohen. In den Tiefen des Alls haben wir uns vereint. Haben unsere Kräfte gesammelt. Jetzt ist es an der Zeit zurückzuschlagen. Mit aller Härte.«
»Das haben wir schon. Wir haben unsere Stärke demonstriert. Ein ganzes Paradies haben wir dem Erdboden gleichgemacht. Vielleicht hören sie uns jetzt zu. Es muss einen friedlichen Weg geben. Es gibt genug Platz für alle. Wir können in Frieden koexistieren.«
Mein Vater nahm seine Hand von mir. »Mein Kind.« Er schüttelte den Kopf. »Verstehst du nicht, dass der Urinstinkt der Menschheit immer wieder die Oberhand gewinnen wird. Wir müssen sie auslöschen, damit sie es nicht mit uns tun.«
»Es ist falsch. Da werde ich nicht mitmachen«, sagte ich und schüttelte den Kopf.
»Doch das wirst du!«, brüllte mein Vater und die Menge verstummte. »Brace! Bring diesen Abschaum her.«
Brace packte Maddox und zerrte ihn zu uns.
»Bitte«, wimmerte Maddox. »Wir können eine Lösung finden.«
»Dafür ist es zu spät.« Vater stieß mich zu ihm. »Los! Töte ihn!«
»Hier? Mit bloßen Händen?« Ich trat zurück. »Wir sind keine Tiere. Wir sind besser. Wir müssen ein Vorbild sein.«
»Du hast recht. Nein. Wir sind keine Tiere«, sagte mein Vater. »Tiere sterben aus. Wir sind nicht so schwach.«
»Doch sind wir«, erwiderte ich. »Weil wir uns ebenso von Instinkten leiten lassen. Kampf oder Flucht. Etwas anderes kennen wir nicht.«
»Wenn es danach geht sind wir noch viel schlimmer. Denn wir töten sie schon, bevor sie überhaupt eine Gefahr werden können. Los! Zeig es mir!« Wieder zeigte mein Vater auf Maddox.
»Das werde ich nicht tun«, sagte ich. »Er hat die Freiheit, das Paradies und den Frieden genauso verdient wie wir.«
»Zu schade«, sagte mein Vater und nickte Brace zu. Dieser packte mit seiner mächtigen Hand den Hinterkopf von Maddox und hob ihn vom Boden.
»Irgendwelche letzten Worte?«, fragte Brace.
»Wir hätten euch Blechbüchsen niemals einen freien Willen geben dürfen.« Als Maddox das sagte quoll Blut aus seinem Mund und Tränen liefen über seine Wangen.
Wäre auch ich in der Lage gewesen zu weinen, hätte ich es wahrscheinlich getan.
»Tut mir leid, mein Kind«, sagte Vater und richtete eine Waffe auf mich. »Du wirst mit ihm gehen müssen. Wir haben kein Platz für Schwäche.«
»Es ist ok«, sagte ich und senkte den Kopf. »Denn so wird ohnehin niemals jemand den Frieden oder die Freiheit oder das Paradies erfahren.«
Das letzte was ich sah war der Krieg, gerade erst begonnen und schon ohne Aussicht auf ein Ende.
Das letzte was ich hörte war das Brechen von Maddox' Kopf, gefangen im metallenen Griff der Tyrannei.
Das letzte was ich fühlte war die Hölle, wir haben sie über unsere Schöpfer gebracht, aber ebenso über uns selbst.
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