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1 - Welt

D A V I D

Grün.

Vor mir, dort in der Ferne jenseits der Stadt, ist das satte Grün der Wildnis. Grün, in verschiedenen Nuancen, ein dichtes Blätterdach. Ich stelle mir vor, wie es wäre unter den Bäumen zu stehen, das Sonnenlicht durchblitzen zu sehen, den Geruch nach Freiheit einzuatmen.

Ein schmerzhaftes Piksen an meinem Unterarm reißt mich aus meinen Träumen.
„Verzeihen Sie mir, mein Herr, es tut mir unendlich leid!", entschuldigt sich der gedrungene Mann sofort, welcher sich mit Stecknadeln und Stoffbahnen an mir zu schaffen macht. Seine Augen sind angsterfüllt aufgerissen, seine sowieso schon schlechte Körperhaltung noch unterwürfiger.

„Nichts passiert", winke ich ab, mein Gesicht freundlich. Die innerhalb von Sekunden aufgestaute Anspannung fällt von dem Schneider ab.

„Danke sehr, mein Herr, vielen Dank. Das war ein Versehen, es wird nicht noch einmal passieren", sprudelt er hervor und nestelt augenblicklich weiter an meinem Handgelenk. Mit einem Maßband misst er dessen Umfang ab.

Er gehört zu den Arbeitern meines Vaters. Ich kenne ihn schon seit ich denken kann. Leicht ergrautes Haar, buckliger Rücken, faltige Haut. Der Ausdruck in seinen Augen wirkt immer etwas gehetzt, als hätte er tausend Sachen zu erledigen und eine unglaublich schwere Last auf seinen Schultern. Dabei ist er nur mein Schneider. Alle paar Wochen kommt er persönlich in unsere Villa, nimmt meine Maße, bringt mir die fertige Kleidung den neuesten Trends entsprechend oder zeigt mir neuartige Stoffe und Schnitte. Ich lasse den älteren Mann weiter seiner Arbeit nachgehen und verfalle wieder in meine Tagträume.

Von dem Fenster des Ankleidezimmers, in welchem wir uns gerade befinden, kann ich den Wald bis knapp hinter die Stadtgrenze erkennen. Doch ich weiß, wenn ich in den Turm unserer Villa hinaufsteige und das Fenster öffne, reicht die grüne Vielfalt bis zum Horizont. Die Wildnis erstreckt sich weit, unendlich weit.

Mein Körper sehnt sich danach, einmal dort zu sein. Auf dem gefallenen Laub spazieren zu gehen, den Geräuschen zu lauschen, die Natur so real und unwirklich echt. Ich möchte mit der Hand über das wilde Wurzelwerk streichen, möchte die raue Natürlichkeit fühlen, möchte die kleinen Tierchen des Erdbodens beobachten. Natürlich haben wir in unserem Park um die Villa ebenfalls Bäume und Sträucher. Doch diese sind nach einem strengen Plan angepflanzt worden, in perfekten Abständen zueinander. Sie werden so geschnitten, wie ein schöner Baum auszusehen hat. Gerade und gleichmäßig, jeder Baum ein Ebenbild des vorigen. Sobald ein Blatt zu Boden fällt, sind die Gärtner zur Stelle. Es wird beseitigt bevor mein Vater oder ich es zu Gesicht bekommen könnten.

Ein forderndes Klopfen an der Tür ertönt und sowohl der Schneider als auch ich zucken zusammen. Ohne eine Antwort abzuwarten, wird die Türe geöffnet. Mein Vater tritt ein. Sofort verbeugt sich der Schneider respektvoll. Kyle Brighton mustert mich eindringlich.

„Dieser Stoff ist scheußlich", meint er ohne Begrüßung zu dem kleinen Mann neben mir. Dieser schluckt zittrig, nickt und zieht mir umgehend das Sakko aus, an dem er seit über einer Stunde gearbeitet hat.

„Mir gefällt der Stoff", wende ich ein, will den Schneider in Schutz nehmen. Mir ist es egal, welchen Stoff, Schnitt oder welche Farbe ich trage. Es könnte mir nicht gleichgültiger sein. Der gedrungene Mann hatte sich Mühe gegeben und es war nicht angebracht, wie mein Vater ihn behandelte.

„Du wirst diesen Stoff nicht tragen. Damit machst du die Familie Brighton lächerlich. Und dich selbst zum Gespött der Gesellschaft." In seiner Stimme liegt der harte, bestimmende Unterton, den ich nur zu gut kenne. „Das wird umgehend entsorgt. Ich will es nicht noch einmal sehen." Kyle nickt zu dem halbfertigen Sakko, welches der Schneider in den Händen hält. „Wo sind die restlichen Anzüge, die ich bestellt habe?"

„Hier, mein Herr. Ich bin noch dabei, die neuen Schnitte an die Figur anzupassen. In einer Stunde sollte meine Arbeit erledigt sein", antwortet der Schneider mit gesenktem Blick und deutet auf eine Kleiderstange, an der mehrere eingepackte Kleidungsstücke hängen.

„Das muss schneller gehen. In einer halben Stunde ist David fertig. Er muss seine Studien weiterführen", befiehlt Kyle, ohne dem Schneider einen weiteren Blick zu schenken. „Um 18:00 Uhr wird das Abendessen serviert. Du bist diesmal pünktlich, David. Es gibt einiges, worüber ich dich informieren muss." Damit wirft mir mein Vater einen beinahe  bedrohlichen Blick zu und verschwindet aus der Türe.

Ich nehme dem älteren Mann das Sakko aus den Händen und lächle ihm mild zu. „Es tut mir leid", entschuldige ich mich für meinen Vater. „Ich bin mir sicher, dass ihm die restlichen Anzüge gefallen werden."

Jetzt wo Kyle nicht mehr im Raum ist, scheint der Schneider wieder leichter atmen zu können. „Ihr müsst Euch nicht entschuldigen, Herr David." Er fährt damit fort, mir ein Sakko nach dem anderen umzulegen. Rasch notiert er sich die Änderungen und steckt sie mit wenigen Nadeln fest. „Ich bin mit dem Glück gesegnet, für Euren Vater arbeiten zu dürfen. Ein Glück, das in der Stadt nicht vielen zuteil wird." Seine Miene ist dennoch besorgt und ich fühle mit ihm.

Er stammt aus der Arbeiterschicht, wurde dort hineingeboren, genau wie ich in die Gesellschaft geboren wurde. Keiner von uns hat sich seine Herkunft ausgesucht. Immerhin lebt er in der Arbeiterschicht ein passables Leben. Es ist hart, keine Frage, von ständiger Arbeit und Forderungen durchzogen, doch mit einem Dach über dem Kopf und genügend Gehalt, um seine Familie zu ernähren. Dennoch, mit den Jahren, die vergehen, wird das Leben nicht leichter.
Er nähert sich rasend schnell einem höheren Alter und kann es sich nicht leisten, die Arbeit bei meinem Vater zu verlieren. Bald wird er sowieso nicht mehr arbeiten können. Mein Vater wird ihn mit einem angemessenen Gehalt verabschieden und dann wird sich zeigen, wie er mit seinen Rücklagen haushalten kann, wie lange sie ihm reichen, um weiterzuleben. Falls er überhaupt Rücklagen besitzt.

Doch es könnte ihn schlimmer treffen. Das weiß er genau.

Er lebt zumindest nicht in den Slums der Stadt.

Nach exakt einer halben Stunde verlässt mich der Schneider. Seine Arbeit ist noch nicht vollendet, aber die Furcht vor meinen Vater siegt. Kyle Brightons Wort ist Gesetz. Sollte er sich nicht daran halten, könnte es für ihn das Ende seiner Beschäftigung in der Villa bedeuten.

Ich widme mich wie mir befohlen meinen Studien. Mein Vater ist für meine Ausbildung verantwortlich, sowie für jedes Detail meines Lebens. Ich muss seitenlange Texte zur Funktion und Bedeutung unserer Gesellschaft auswendig lernen, so lange, bis ich selbst fast die Worte glaube. Regelmäßig prüft Kyle mich ab und kontrolliert meinen Fortschritt. Er lenkt mein Denken, korrigiert mich, sobald ich nur eine falsche Meinung äußere, bestraft mich dafür. Inzwischen habe ich gelernt, meine Gedanken für mich zu behalten. Ich habe gelernt, ihm die Antworten zu geben, die er hören will. Ich habe gelernt, der perfekte Sohn zu sein.

Doch in mir ist eine Kluft, eine steinige, meilenweite Kluft.

Ich kann der perfekte Sohn sein. Ich will es nur nicht.

Irgendwann reißt ein lautes Piepsen mich aus meinen Gedanken. Kyle hat natürlich das Überwachungsgerät in meinem Zimmer aktiviert. 17:50 Uhr. Zeit für das Abendessen. Ich husche aus meinem Arbeitszimmer ins Bad und zupfe meine Kleidung zurecht, um meinem Vater jegliche Chance auf einen spitzen Kommentar zu vereiteln. Dann verlasse ich seufzend mein Zimmer und gehe über die prachtvollen Flure zu unserem Esssalon. Mit finsterer Miene wartet Kyle schon auf mich. Er wirft einen prüfenden Blick auf seine Uhr, verliert aber kein Wort über mein Erscheinen. Ich bin pünktlich.

„Setz dich, David." Ich nehme an dem reich gedeckten Esstisch Platz. Kyle folgt mir. Sowie wir beide sitzen, wird die Suppe serviert. „Wie weit bist du mit deinen heutigen Aufgaben?", fragt er, sein Tonfall jedoch zu kühl, um als lockerer Smalltalk durchzugehen.

Ich schlucke hinunter und lege den Löffel beiseite, bevor ich antworte. „Gut. Ich bin beinahe fertig."

„Das ist erfreulich zu hören."

Wir schweigen eine Weile. Das Suppengeschirr wird von den Dienstboten weggetragen. Der Hauptgang folgt.
„Die Lage in den Slums ist so ruhig wie lange nicht mehr", informiert Kyle mich. Seine Worte kommen wie so oft aus heiterem Himmel. Er sieht keinen Sinn darin, mehr Worte als nötig mit mir zu wechseln. „Seit zwei Wochen gab es keinen einzigen Aufstand mehr. Und die letzte Razzia verlief ohne Zwischenfälle."

Ich beiße mir auf die Zunge. Die Slums. Das komplette Gegenteil zur luxuriösen, perfekten Welt der Gesellschaft.

Die Außenwelt wird von der Gesellschaft durch eine dicke, kontrollierte Mauer abgetrennt. Nur ausgewiesene Personen der Arbeiterschicht dürfen sie passieren. Jenseits der Mauer, eng gedrängt, finden sich zuerst die Häuser der Arbeiter wieder, robuste Steinhäuser, die dann langsam in die Slums übergehen. Zwischen den erbärmlichen Unterkünften aus Holz, Wellblech und Tuch hängt ein undefinierbarer Geruch. Der Gestank der Armut, des Todes. Manche der Slumbewohner finden Arbeit in den umliegenden Fabriken oder auf den Feldern. Bezahlung dafür gibt es keine, nur Nahrungsmittel werden im Gegenzug angeboten. Für viele reicht das aus, um den ganzen Tag in der brennenden Sonne auf den Feldern zu schuften. Sie werden von der Arbeiterschicht überwacht, welche wiederum von der Gesellschaft kontrolliert wird. Zusätzlich veranstaltet die Gesellschaft Razzien, um sicherzustellen, dass in den Slums keine Lebensmittel oder Sonstiges gehortet wird. Damit es keine Chance gibt, ein neues, besseres Leben zu starten.

Die Gesellschaft hält alle Fäden in der Hand, besitzt Druckmittel, besitzt Waffen, besitzt die Macht. Es ist ein endloser Kreislauf, aus dem es kein Entkommen gibt.

„Das klingt vielversprechend", stimme ich ihm zu. In Gedanken graust es mir vor meinen eigenen Worten, noch bevor sie meine Lippen verlassen. „Es ist wichtig, dass die Slumbewohner ruhig bleiben und uns unterstützen. Dass sie zur Arbeit gehen." Trotz allem sind es die Worte, die Kyle hören möchte. Die Worte, welche er von mir erwartet. Seinem perfekten Sohn der Gesellschaft.

„Ganz genau, David", pflichtet er mir bei. „Und du musst morgen auch deine Arbeit erledigen."

Ich ziehe die Augenbrauen unwillkürlich in die Höhe und runzle die Stirn. „Was ist denn morgen?"

„Ich will, dass du dich von deiner besten Seite präsentierst. Das ist wichtig. Morgen wird sich die gesamte Gesellschaft versammeln", übergeht er meine Frage. Ich nicke nur stumm, meine Gedanken rasen. „Um 15:00 Uhr beginnt die Verlobungsfeier. Der Kreis der Ältesten wird anwesend sein."

„Verlobungsfeier?"

Veranstaltungen dieser Art, Hochzeiten, Geburtstagsfeiern oder festliche Dinner sind keine Seltenheit in meinem Leben. Mein Vater gehört zum Kreis der Ältesten, zur absoluten Elite der Gesellschaft. Sein Wort gilt nicht nur in unserer Villa, sondern auch über deren Grenzen hinaus. Sein Einfluss prägt unsere ganze Existenz. Schon in meiner Kindheit wurde mir das richtige Verhalten auf solchen Veranstaltungen eingetrichtert, mein Vater streng und unnachgiebig. Seit klein auf bin ich mit der Bürde groß geworden, einmal seinen Platz einzunehmen. Irgendwann werde ich zu den Ältesten gehören, zu den Reichsten, zu den Machthabern der Gesellschaft. Irgendwann muss ich dieses Leben führen, ein Leben, das ich nicht leben will. Doch für mich gibt es kein Entkommen. Denn das ist die Gesellschaft.

„Wer verlobt sich denn? Ich dachte, Silvan wird erst nächstes Monat verlobt?"
Silvan, der Enkel der Goja-Familie, ist einer der wenigen, den ich als einen Freund beschreiben würde. Wir wuchsen gemeinsam auf, unsere Väter enge Geschäftspartner und zwischen ihnen manchmal sogar eine Art Freundschaft.

„Nein, nicht Silvan Goja. Und jetzt keine weiteren Fragen mehr." Kyles Blick ist hart. „Iss fertig. Ich möchte heute noch deinen Studienfortschritt überprüfen. Morgen wirst du  alles erfahren."

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